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Ach du heiliger Ibis – Begegnungen in Parma

Ach du heiliger Ibis – Begegnungen in Parma

Von Sigurta aus geht es heute nicht mehr auf die Autobahn. Unser Übernachtungsziel Parma erreichen wir über Land und ich genieße diese Fahrt sehr. Noch nie war ich in der Po-Ebene, die als fruchtbarste Region Italiens gilt – ein wahres Landwirtschaftsparadies. Wir zuckeln durch kleine Ortschaften und an Feldern vorbei, meist hinter einem überdimensionierten Traktor mit gigantischem Anhänger. Die späte Nachmittagssonne taucht die Ebene in ein warmes Gegenlicht, der Horizont ist weit, weit entfernt. Hier werden Zuckerrüben, Mais, Weizen, Wein und tatsächlich auch Reis angebaut, wenn auch nicht mehr so viel wie früher. Die Landschaft ist von vielen Kanälen und Wegen durchzogen. Manchmal taucht unversehens ein historisches Steinportal am Straßenrand auf, durch das eine ellenlange Zufahrt zu einem Anwesen führt, das wir kaum noch in der Ferne ausmachen können.

SilberreiherWir kommen durch Mantua mit seinen vier Seen Lago Superiore, Lago di Mezzo, Lago Inferiore und Lago Paiolo. Dann durch Montanara, Campitello, San Silvestro, Sanguigna und San Polo und nicht nur ich finde, das Italienisch einfach Musik in der Ohren ist. Kirchengebäude, wechseln sich mit Farmen und altehrwürdigen Friedhöfen ab. Vom Wohnmobil aus können wir über die hohen Mauern die prächtigen Grabmale erkennen. Auf den feuchten Wiesen haben sich ganze Vogelkolonien zum Schnacken verabredet. Wir sehen Silberreiher, wie links im Bild, die nicht etwas silber sind, wie Graureiher, sondern reinweiß (deshalb heißen sie auch Silberreiher oder so). Und wir entdecken große Vögel mit krummen säbelartigen Schnäbeln, die verdächtig nach Zootier aussehen.

Tatsächlich sind es Heilige Ibisse, die nicht etwa so heißen, weil sie aus dem Vatikan abgehauen sind, sondern weil sie von den alten Ägyptern als Inkarnation des Gottes Thot verehrt wurden. Der hat nichts mit dem Sensenmann zu tun, sondern ist der Gott des Mondes, der Magie, der Wissenschaft, der Schreiber, der Weisheit und des Kalenders. Klingt nett, finde ich. Früher waren die Ibisse nur in Afrika unterwegs. Dem Klimawandel oder sonst wem sei Dank siedeln sich die Wasservögel aber nun immer mehr in Europa an, zum Beispiel am Po-Delta. Ihre Heiligkeit hilft ihnen dabei wenig, denn die EU will die Langbeiner nicht und hat sie kurzerhand auf die „Liste der unerwünschten Spezies“ gesetzt.

Da stehen derzeit 36 Tierarten drauf, die sich in Europa tummeln, aber eigentlich nicht hier hin gehören und deshalb das Ökosystem gefährden. Einige davon habe ich sogar selbst schon gesehen und mich immer gefreut. Die Nilgänse am Rhein, das Streifenhörnchen, das mir im Wald vor die Füße lief, die Waschbär-Mama mit ihren Kleinen, die keinen Kilometer von unserem Haus entfernt die Straße überquerte, die Nutrias im Bonner Rheinauenpark, die jetzt sterilisiert werden sollen. Noch nicht auf der schwarzen Liste stehen übrigens die echt lauten Halsbandsittiche, die irgendwann mal aus dem Kölner Zoo ausgebrochen sind und jetzt in unserem Garten rumfliegen und auch nicht die monstermäßige Nosferatu-Spinne. Ein Versäumnis, wie ich finde, hat doch der gleichnamige Film nicht umsonst den Untertitel „Symphonie des Grauens“.

Aber ich schweife ab, dabei sind wir gleich schon in Parma. Ehrlicherweise haben wir von hier nicht so viel zu berichten, denn wir haben uns die Stadt nicht angesehen. Wir hätten gerne, aber unsere Urlaubstage gehen zur Neige und Pisa trumpft diesmal einfach Parma. An der Autobahnabfahrt erleben wir immerhin einen echten italienischen Autofahrer in Aktion. Er schneidet uns und setzt sich zwischen uns und einen Kleinwagen, der langsam und unsicher vor ihm herschleicht. Daraufhin startet er ein Hupkonzert, faltet die Hände zu einem inbrünstigen „Dios mio!“, ergänzt von diesem typisch einhändigen Wedeln mit aneinandergelegten Fingerspitzen („Mamma mia!“). Wir genießen das Spektakel von unserem hohen Rang und sind durchaus beeindruckt. Anthony Quinn soll mal gesagt haben, Italienisch sei eine Gebärdensprache, deren Verständlichkeit durch Worte erschwert werde.

Mamma Mia Geste Blick aus Womo-Fenster auf andere Camper

Dass man zumindest kein Italienisch können muss, um einen Italiener zu verstehen, erleben wir dann tatsächlich auf unserem Stellplatz in Parma. Der liegt gleich an der Autobahn und ist recht voll. Wir sind gemütlich umringt von vielen anderen Wohnmobilisten. Ein Mann brät Steaks auf einem Kugelgrill. Mein eigener versucht mal wieder die Campingplatz-Toilette zu benutzen und kommt kurz darauf mit angewidertem Gesichtsausdruck zurück. „Es war nicht sauber und die Klobrille war zerbrochen und mit bröckeligem Panzertape geklebt“, beschwert er sich. Na, immerhin gab es eine Klobrille. Das ist auf vielen Stellplätzen in Italien nämlich nicht der Fall, wie ich aus Bewertungen auf park4night weiß. Egal, uns bleibt ja die blitzblanke Bordtoilette, die dank des hart erkämpften Sanitärzusatzes jetzt riecht, wie eine Blumenwiese.

Unser Abendausflug führt uns zum Lidl nebenan. Dafür für müssen wir am Häuschen des Platzwartes vorbei. Der kleine Mann hüpft begeistert auf und ab, als er uns sieht, und winkt uns mit großen Gesten zu sich, bevor er einen Schwall seiner wunderbaren Muttersprache auf uns niederprasseln lässt. Mein vorsichtig eingeworfenes „Scusi, non parliamo italiano“ nimmt er mit strahlendem Lächeln zur Kenntnis und erzählt völlig unbeeindruckt weiter.

Dass er schon in Köln und Leverkusen gearbeitet hat, immer zur Sommersaison, zwei bis drei Monate lang. Dass er die Deutschen liebt, weil sie so klar und organisiert sind und das italienische „Kommst du heut nicht, kommst du morgen“ hasst. Dass der Cousin der Mutter eines Freundes mal eine Autopanne hatte und der Kfz-Typ ihn zehn Tage lang vertröstet und dann 3000 Euro verlangt hat. Dass er dann die Polizei eingeschaltet hat und am Ende doch nicht zahlen musste. Woher ich das alles weiß? Jahahahaha… Äh, ich habe keinen blassen Schimmer. Aber ich schwöre, das hat er erzählt.

Die Nachbarin – kann gut Gebärdensprache

 

 

100 Farben blau

Labyrinthe bezwingen

Labyrinthe bezwingen

Wer sich die italienischen Autobahnauffahrten und -abfahrten ausgedacht hat, hat auf jeden Fall Sinn für Humor! Eine Labyrinth ist nicht verschwurbelter, als diese Straßenführung. Die wurde mir schon mal vor 20 Jahren bei  Neapel zum Verhängnis, als wir statt auf die A3 Richtung Amalfiküste zu wechseln, vom Weg abkamen und im Slum landeten, wo mir meine Tasche aus dem fahrenden Auto geklaut wurde. Aber das ist eine andere Geschichte. Heute wollen wir in den Sigurtapark und dazu müssen wir wieder auf die Autobahn, die ich an sich sehr liebe, denn es ist kaum was los, andererseits aber eben auch fürchte, weil man mit dem Wohnmobil nicht gerne Abfahrten verpasst. Wenn ich auch nicht glaube, dass hier in der Gardaseeregion irgendein Slum auf uns wartet.

Drauf auf die A4 kommen wir jedenfalls mit Bravour und cruisen im Sonnenlicht gemütlich Richtung Süden. Bei der Abfahrt passiert es dann. Statt auf die kleine Via Valeggio zu fahren, die dem Lauf des Flüsschens Mincio bis  Sigurta folgt, halten wir uns einmal zu weit links und stehen unversehens wieder vor dem Terminal zur Auffahrt. Und mit stehen, meine ich stehen, denn Papa Hose ist so verdutzt, dass er erstmal anhält. Ein unwirsches Hupkonzert der Trucks hinter uns, treibt uns dann erstmal rechts auf die Sperrfläche. Hier stehen wir nun dumm rum, an uns rauschen die LKW vorbei und ich habe keine Ahnung, wie wir hier wegkommen sollen.

Irrfahrt nach Sigurta

Ich wäre in der Situation am Steuer wahrscheinlich in lautstarke Panik ausgebrochen, aber mein Mann bleibt erstaunlich ruhig. Tonlos sagt er: „Dann müssen wir wohl jetzt wieder auf die Autobahn.“ – „Ja…“ – „Und zwar genau in die Richtung, aus der wir gerade gekommen sind.“ – „Äh, ja.“ – „Und wir müssen zweimal bezahlen. Einmal, wenn wir jetzt drauffahren und einmal, wenn wir ab- und dann wieder auffahren, um erneut hierher zu kommen.“ – „Das ist soweit akurat zusammengefasst…“ Vielleicht wäre es im Auto friedlich geblieben, wenn unsere Tochter sich nicht genau diesen Moment ausgesucht hätte, um im typischen Motz-Ton pubertierender Kids zu fragen: „Wann sind wir endlich dahaaaa???“

Sagen wir mal so. Die Stimmung ist danach deutlich angespannter als zuvor, und der Qualm, der aus den Ohren meines Mannes dringt, kann es gut und gerne mit den Rauchwolken aufnehmen, die hier in Italien immer noch von den Feldern wehen, wenn illegal Grünschnitt abgefackelt wird. Stumm legen wir die 7 Kilometer bis zur nächsten Ausfahrt zurück. Schwurbeln runter und wieder drauf – quasi der U-Turn auf dem Motorway – und stehen 20 Minuten später wieder an der Abfahrt Richtung Sigurta. Jetzt muss alles klappen, denke ich mit leicht schwitzigen Händen, sonst sehe ich schwarz für den Park. Und tatsächlich, mit vereinten Kräften fädeln wir uns in die richtige Spur für die richtige Straße ein und tuckern kurz darauf durch pittoreske Dörfchen und Landschaften.

Am Sigurtapark drehen wir dann nur eine einzige Ehrenrunde durchs Dorf, bevor wir auf einem kostenlosen, wunderbar großen und wunderbar leeren Parkplatz parken. Hier könnte man fast die Nacht verbringen, denke ich mit besorgtem Seitenblick auf meinen Mann. Nach dem Kampf mit der Flasche und dem italienischen Autobahn-Labyrinth wirkt er etwas angeschlagen. Doch dann passiert das Wunder, das immer passiert, wenn wir auf die Räder steigen. Entspannung kehrt ein. Wir radeln – nach einem kleinen Abstecher zum Supermarkt (der Mann braucht Nahrung!) – zum Park.

Im Kassenhäuschen am wunderschönen historischen Eingang sitzt eine wortkarge, schlecht gelaunte Frau. Hach! Fast bekomme ich Heimweh… Kurz darauf parken wir unsere Räder in einem Schuppen, in dem schon jede Menge Kinderwagen stehen und schnappen uns ein Golfcart. Wir folgen dem ausgeschilderten Rundweg in den Park hinein und mampfen dabei gebrannte Mandeln aus dem Supermarkt. Eine Stunde haben wir das Golfcart gebucht, danach wollen wir das Ganze nochmal mit den Rädern besichtigen.

Sigurta-Park Mädchen macht Schneeengel auf Rasen

Immer wieder steigen wir aus. Die Sonne strahlt und bringt das Grün der weiten englischen Rasenflächen zum leuchten. Tochter Hose tobt und rollt herum und lässt die letzte Anspannung des Vormittags zwischen die Halme gleiten. Wie sehen Denkmäler und Schlösschen, ein Hirschgehege und eine Farm, füttern Ziegen und fahren an Wasserbassins mit Seerosen und großzügigen Beeten mit Landrosen vorbei. Wie schnuppern uns durch den Kräutergarten, während Töchterchen Eidechsen jagt und wechseln uns alle drei am Steuer ab.

Mädchen füttert Ziege durch Zaun Mädchen streichelt Esel Schmetterling auf Blüte

Nach eineinhalb Stunden stehen wir wieder am Cartstand und müssen keinen Aufpreis zahlen, obwohl wie so überzogen haben. Nett! Nach einem kleinen Imbiss am kleinen Imbiss, erkunden wir den Park dann nochmal in Ruhe mit unseren Rädern. Für 600.000 Quadratmeter braucht man eben Zeit. Auf dem Bauernhof lernen wir zwei schmusige Esel und eine Schar lustiger Hühner kennen. Und im Eibenlabyrinth lernen wir unsere Tochter kennen. Aber so richtig!!

Labyrinth-Brücke Mitte des Labyrinthes mit Tempel

Versiert stürmt sie zunächst durch die Reihen und schafft es als erste auf die Aussichtsbrücke. Papa Hose, der Fuchs, schaut sich von dort den Weg bis zum Mittelpunkt an und steht schließlich als erster am Ziel. „Unfair“ ist noch das freundlichste gebrüllte Wort, das unser Tochter für diese Vorlage parat hat. Wahrscheinlich fühlte sie sich unbewusst an unseren morgendlichen Autobahnritt erinnert. Ich beruhige meine Tochter – irgendwann – und freue mich für meinen Mann, der nach dem denkwürdigen Vormittag einen Egoboost gut vertragen kann. Sein Ergebnis des Tages: Eine Flasche gekillt und gleich zwei Labyrinthe bezwungen!

Eure Nachbarin – im Grünen

 

 

Ach du heiliger Ibis – Begegnungen in Parma

Der mit dem Sanitärzusatz tanzt

Der mit dem Sanitärzusatz tanzt

Nach einer ruhigen Nacht weckt uns am nächsten Morgen der Tatendurst. Verona wollte uns nicht, also will ich mit meiner Familie wenigstens in den Sigurtapark. Der ist nämlich wunderschön und das Beste: Man kann mit einem Golfcart durchfahren. Außerdem liegt er durchaus auf unserer Strecke nach Parma, wo wir die nächste Nacht verbringen wollen. Bevor wir abreisen, ist jedoch noch die Entsorgungsoper in drei Akten fällig. Diesmal unter dem Motto „Der mit dem Sanitärzusatz tanzt“.

Wir bezahlen unsere zwei Nächte bei der netten Rezeptionistin und ihrem Malteserhündchen, das uns aus einer Umhängetasche heraus anhechelt. Danach entsorgen wir sämtliche Abwasser routiniert am hinteren Ende des gepflegten Platzes. Gerade recke ich schnüffelnd die Nase in die Luft und danke im Geiste meiner Eingebung, zwei Tage zuvor NICHT Stellplatz 2 in unmittelbarer Nähe, sondern Stellplatz 7 in weitestmöglicher Entfernung dieses Ortes gewählt zu haben, als ich meinen Mann motzen höre. Er hat zum ersten Mal die Toilette per Hand gereinigt und will nun den Hygienezusatz einfüllen. Allein, die Flasche geht nicht auf. Nun bin ich eigentlich diejenige, die regelmäßig an kindersicheren Verschlüssen verzweifelt. Sie erfolgreich zu öffnen, ist in meinen Anlagen einfach nicht vorgesehen. Runterdrücken und gleichzeitig zur Seite drehen überfordert mich.

Böse FlascheAber dafür habe ich ja meinen Mann. Der ist ans Scheitern nicht gewöhnt und hartnäckig noch dazu. Im 20-minütigen Bühnenstück „Mann gegen Flasche“ verschlechtert sich seine Stimmung jedoch mit jeder neuen Szene. Die Konfrontation mit dem renitenten Plastikteil gleicht erst einem Tänzchen, dann eher einem Ringkampf. In diesen Phasen ist der Herr tunlichst nicht zu stören. Von seinem Ziel abbringen lässt es sich ohnehin nicht, auch wenn im Nachgang heftige Verspannungen mit Migränepotential lauern. Nach erfolglosen Einsätzen eines Gästehandtuchs (damit man besseren Grip hat), eines YouTube-Erklärvideos (komisch, alle anderen bekommen die auf) und eines Leatherman-Multitools (das wir leider auch nicht aufkriegen), hat der Flasche letztes Stündlein geschlagen.

Unter wüsten Flüchen und verschwitzt, von Abwasserschwaden umwabert, von Kanalratten angenagt und von Moskitos zerstochen, macht Papa Hose dem Deckel mit einem Küchenmesser endlich den Garaus und erhält tosenden Applaus. Nebenan hat es sich nämlich ein Rentnerpaar mit Popcorn und Radler vor ihrem Camper auf Stellplatz 2 gemütlich gemacht und dankt heute wohl zum ersten Mal seit der Ankunft seiner Eingebung, GENAU diesen Platz gewählt zu haben. Mit einer leichten Verbeugung in ihre Richtung und einem verkniffenen Gesicht in meine, entert mein Held schließlich den Fahrersitz und wir rauschen mit knirschenden Reifen von der Bühne.

Eure Nachbarin – zerstochen

PS: Das stille Örtchen im Wohnmobil kann also ein Hort der Freude sein, wenn man von öffentlichen Toiletten spontan Verstopfung bekommt (so wie der Hochsensible an sich). Bezahlen muss man die Bequemlichkeit und Hygiene dann mit der häufigeren Entsorgung. UND wenn Kinder die Toilette benutzen. „Es ist ganz einfach Schatz: Du gehst ins Bad und schließt die Tür. Dann öffnest du den Klodeckel und dann mit dem Schieberegler da unten den Abfluss. Wenn du dein Geschäft erledigt hast, drückst du den Knopf da und ziehst ab. Dann erst machst du den Schieberegler zu und dann den Deckel. Händewaschen nicht vergessen!“ Diese Ansage habe ich auf unserer Tour jeden Tag erfolglos wiederholt. Irgendwann mit der genervten Einleitung: „Wie oft soll ich dir das denn noch sagen?“

 

 

Labyrinthe bezwingen

Der Zug ist abgefahren…

Der Zug ist abgefahren…

Das ist die Geschichte von Familie Hose und der italienischen Eisenbahn. Wir werden zumindest in diesem Urlaub keine Freunde mehr. Alles beginnt mit der Idee, den Sonntag im 40 Kilometer entfernten Verona zu verbringen. Die Regenfront, die heute eigentlich von Ost nach West durch Italien ziehen soll, scheint sich einen anderen Weg gesucht zu haben. Dafür ist es ein bisschen frisch, so dass noch nicht mal meine Familie an einen Strandtag denkt. Ideal also für eine Städtetour.

Aber wie kommen wir da hin? Das Wohnmobil wollen wir nicht bewegen, es lebt gerade in einer so schönen Koexistenz mit Stellplatz 7. Mit dem Rad ist es zu weit, schließlich haben wir ein Pubertier ohne (E-)Antrieb dabei. Mein Mann will nicht mit dem Bus, weil „der gurkt rum und hält ja an tausend Haltestellen“. Davon abgesehen scheitere ich grandios daran, den kryptischen Fahrplan zu verstehen, was vor allem daran liegt, dass nirgendwo der Name der Bushaltestelle steht, die sich direkt vor unserem Platz befindet. Bleiben also noch Helikopter, Gummiboot oder der Zug, für den wir uns schließlich nach zwei Stunden Diskussion entscheiden. (Hätten wir doch den Helikopter genommen…)

Busfahrplan

Die Bahn nach Verona fährt natürlich nicht um die Ecke ab, sondern in 30 Fahrradminuten Entfernung. Also mal wieder aufsitzen und los. Die Tour zieht sich dann doch ganz schön, weil der Bahnhof von Desenzano nicht in Downtown liegt, sondern irgendwie in den Hügeln – am höchsten Punkt der Stadt. Vielleicht sollten wir bei der nächsten Routenplanung das Höhenprofil mit einbeziehen. Aber schließlich sind wir da.

Damit wir die Räder nicht anschließen müssen, bleibt Papa Hose draußen und ich gehe mit Tochter Hose rein, um Tickets zu kaufen. Am Fahrkartenschalter stehen jede Menge Leute an und so gehen wir lieber zum Automaten. Eine Weile stehen wir verständnislos davor, bis wir merken, dass es sich um ein Zigarettenautomaten handelt. Etwas peinlich berührt schauen wir uns weiter um. Schließlich werden wir am anderen Ende des Ganges fündig und schaffen es sogar ohne Probleme drei Hinfahrtickets für 20 Euro zu ziehen.

Kurz darauf stehen wir wieder vorm Bahnhof. Was nun? Nochmal ganz runter in die Altstadt und dann wieder rauf? Oder eine Stunde warten bis der Zug fährt? Wir entscheiden uns für die Stadt, lassen uns rollen und setzen uns dann auf eine Bank an der schönen Promenade. Leute und Hunde gucken geht immer, und das Wasser hat heute einen Farbton wie in der Karibik. Lange halten wir uns nicht auf, denn Verona ruft.

Räder am Hafen von Desenzano Anleger in Desenzano Gassen in Desenzano

Etwas außer Atem, doch voller Vorfreude stehen wir wieder pünktlich vorm Bahnhof. Romeo und Julia – wir kommen. Etwas umständlich schließen wir die Räder an drei verschiedenen Stellen an und verstauen alles, was nicht wertvoll ist und nicht mit muss in den Satteltaschen. Nun kann es losgehen. Dynamischen Schrittes entern wir das Gebäude und zucken zusammen, als wir den Bildschirm mit den Abfahrtszeiten sehen: Alle Züge nach Verona sind gecancelt.

Ein in der Zwischenzeit am Fahrkartenautomaten angebrachter Zettel informiert uns über den heutigen Streik der Bahner im Regionalverkehr. „Der hing vorhin aber noch nicht da“, sage ich meinem Mann und stürme zum Fahrkartenschalter. Kopfschüttelnde Menschen kommen mir entgegen, andere stehen gestikulierend am vorderen Ende der Schlange. Hinter der Glasscheibe bedauernde Mienen. „Nein, heute wird kein Zug mehr nach Verona gehen. Vielleicht am Abend, nach neun.“ Unser Geld bekommen wir leider auch nicht wieder, denn wir haben die Karten ja am Automaten gekauft, das ist ein anderer Betreiber. Es gibt aber eine Verkaufsstelle, wo wir versuchen können, unser Geld zurückzubekommen. „Und wo ist die?“ – „In Verona!“

Die nächsten zehn Minuten verbringen wir damit, unsere Köpfe vor die Bahnhofswand zu schlagen. Dann lassen wir uns seufzend den Berg wieder runterrollen und stehen kurz darauf wieder in der Altstadt von Desenzano. Ehrlicherweise könnte es uns schlimmer treffen. Und so lockert der romantische Yachthafen schließlich unsere verspannten Gesichter und entkrampft unsere geballten Fäuste. Das Leben muss ja weitergehen.

Mann und Kind entdecken einen Hummer (vielleicht auch eine Languste), der/die aussieht, als hätte sie sich gerade im angrenzenden Restaurant aus dem Kochtopf gerettet. Immer noch aufgeregt und schweratmend (das sehen wir nicht, aber das denken wir uns) sitzt sie auf einer Stufe am Wasser. Kurz darauf beobachten wir, wie sie sich ins rettende Nass plumpsen lässt. „So ihr Feinschmecker, heute gibt es Pizza statt Meeresfrüchte.“ (Schmeckt eh viel besser!)

Blumige Promenade von Desenzano Mädchen springt in einem Herz vor dem See Blick durch Zypressen auf Desenzano

In einem kleinen Imbiss gönnen wir uns denn auch die zweite Pizza des Urlaubs und sie ist ganz anders, aber genauso grandios wie die erste. Ich möchte diese Pizza heiraten, aber ich bin ja schon vergeben. Und so begnüge ich mich damit, sie gierig zu verschlingen. Wir verbringen diesen Tag schlendernd in den Gassen und genießen einen Weitblick vom „Castello di Desenzano del Garda“ über die Dächer und den See. Die Besichtigung des Kastells verkneifen wir uns. Es kostet Geld und das steckt ja bekanntlich in den nutzlosen Bahntickets, die wir an diesem Tag mit uns herumtragen. Auf dem Rückweg stoppen wir noch an einer im Internet vielbesungenen Konditorei. Nach diesem Tag steht uns Großen der Sinn nach süßen italienischen Gebäck.

Das Kind entscheidet sich klugerweise für ein Crêpe mit Nutella. Gott sein Dank, denn als wir draußen herzhaft in unsere verheißungsvollen Törtchen beißen, stellen wir fest: Sie sind tiefgefroren! Und Theater hätte ich heute nur in der Arena von Verona ertragen. Okay, vielleicht war dieser Tag nicht durchweg unser Freund, aber das alles verblasst vor der atemberaubenden norditalienischen Kulisse. Hier kann man einfach nicht lange griesgrämig sein. Zurück am Womo beschließen wir trotzdem, unsere Reise am nächsten Tag fortzusetzen. Pisa ruft!

Beste Grüße Eure Nachbarin – heute nicht ganz so erfolgreich, aber glücklich!

 

 

Der mit dem Sanitärzusatz tanzt

Nachtleben in Sirmione

Nachtleben in Sirmione

Sirmione gilt als schönster Ort am Gardasee. Und in der Tat: Wären wir hier bei den Oscars, wäre das Städtchen sicherlich die Diva im aufsehenerregenden Abendkleid. Eine alte Diva, denn die ersten Siedler lebten hier schon in der Steinzeit. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Dafür erstreckt sich eine ernsthaft romantische Altstadt den Hügel hinauf und drumherum die fast unwirklich blauen Wellen des Gardasees.

Wer Sirmione besichtigen will, muss durch das große steinerne Stadtportal neben der prachtvollen Scaligerburg. Und wer zum steinernen Portal will, muss erstmal vier Kilometer über die Halbinsel laufen, fahren oder radeln. An diesem Abend tun viele Menschen alles drei. Eigentlich sollten wir nicht überrascht sein, es ist schließlich Samstag. Aber nachdem es mittags noch so beschaulich am Ufer des Gardasees zuging, haben wir mit weniger Volk gerechnet.

Die Strecke entlang der Via XXV. Aprile soll in Italien die einzige bleiben, auf der ich mich nicht wohlfühle. Denn hier gibt es keinen eigenen Fahrradweg. Wir schwanken von Kanaldeckel zu Schlagloch, immer am Straßenrand lang, und viel zu nah überholen uns die Autos. Zwar nicht schnell, aber ständig. Auf den Bürgersteig können wir hier auch nicht ausweichen, denn es sind ganz einfach zu viele Bürger auf diesem Steig.

Sehr froh bin ich, als wir schließlich nach 30 Minuten Fahrt die Scaligerburg vor uns aufragen sehen. Wir schließen die Räder an und lassen uns vom Strom mitziehen, der unaufhaltsam in die Stadt hineinfließt. Wir sind nicht zum ersten Mal hier. Selbst unsere Tochter erinnert sich noch. Denn es ist ein besonderer Ort für sie: Hier hat sie vor fünf Jahren nach dem herzhaften Biss in eine Kokosnussscheibe ihren ersten Milchzahn verloren.

Scaligerburg in Sirmione Mädchen mit Kappe und Zahnlücke Promenade Sirmione

Ein zweite Erinnerung ist die an riesige Eiskugeln, die hier in leckeren Waffeln verkauft werden. Damals lebte ich zuckerfrei und konnte mir keine gönnen. Heute habe ich einfach keine Lust drauf, aber der Rest der Familie Hose lässt es sich schmecken, während wir am kleinen Yachthafen sitzen. Ein Paar mittleren Alters steigt gerade in ein edles Boot. Die Dame mit extratiefem Dekolleté und Hochsteckfrisur, der Herr mit einer Flasche Champagner in der Hand. Die Nacht hat gerade erst begonnen und als der Bootsführer Gas gibt, sind sie bald nur noch ein Schatten auf dem See. Uns aber zieht es in die Altstadt. Wir schlendern durch die Gassen, bewundern die Auslagen der Geschäfte, hüpfen zur Seite, wenn sich ein Auto einen Weg durch die Menschen bahnt.

Laden in Sirmione Restaurant in Sirmione Beleuchtete Olivenbäume in Sirmione

Weiter oben wird es ruhiger und dunkler. Links und rechts erahnen wir Parkanlagen unterm Sternenhimmel. Hier müssen irgendwo die Grotten des Catull, Überreste einer römischen Villa, liegen, die wir heute aber nur mit Nachtsichtgeräten besichtigen könnten. Da wir gerade keine dabei haben, erfreuen wir uns stattdessen an den beleuchteten Olivenbäumen auf dem Plateau. Mit ihren knorrigen Verwachsungen sehen sie aus, als würden sie tanzen. Wenn wir nicht schon verheiratet wären, wäre hier ein schöner Antragsort.

Gerne würden wir noch bleiben, aber es steht noch der Radelrückweg zum Wohnmobil an. Schön, aber eben ein bisschen ungemütlicher, als sich mal eben ins Auto fallen zu lassen. Nachdem wir das Stadttor passiert haben, treffen wir einen alten Bekannten, den wir schon vor fünf Jahren sehr bewundert haben: einen goldenen Rolls Royce, der auch jetzt wieder seine Streicheleinheiten bekommt. Mit diesem letzten Eindruck treten wir unsere Rückfahrt an und sind eine halbe Stunde später an unserem rollenden Zuhause angekommen. Mal ehrlich, wer braucht schon eine Protzkarre, wenn er ein Wohnmobil haben kann 😉

Goldenes Auto Goldenes Auto bei Nacht

Eure Nachbarin – romantisiert

 

 

Der Zug ist abgefahren…

 

 

 

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