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Ganz locker bleiben

Ganz locker bleiben

Was ist das für ein Wetter? Dauerregen und wirklich bitter kalt. So wie Juli 2021 im Bretagne-Sommerurlaub. Dafür war aber der Spätsommer letztes Jahr herrlich. Dieses Jahr ging es hier vom Original-Mittelmeer-Sommer gleich zu Septemberbeginn in den Spätherbst über. Was bedeutet das für unseren Womo-Urlaub??? Gestern schrieb meine Camper-Freundin: „Bleibt einfach locker, wenn mal was nicht sofort geht oder es vielleicht mal regnet oder die Heizung nicht so schnell wärmt…“

Waaaaas??? Wie Heizung wärmt nicht??? Vor meinem inneren HS-Auge entsteht ein Bild in Grautönen. Wir drei samt Hund, vom E-Bike-Ausflug am Urlaubsort völlig durchnässt und durchgefroren in der winzigen Womo-Zelle zusammengepfercht. Die Fenster beschlagen, keine Chance, die Klamotten zu trocknen. Die Dusche funktioniert nur kalt, die Nasen tropfen und Essen ist auch keins mehr im Kühlschrank… Hab‘ ich schon erwähnt, dass ich super in tristen Prognosen bin?

Bei Problemen bleibe ich ungefähr so locker, wie Klaus Kinski, der überraschend von der Seite angequatscht wird… Aber man soll ja positive Gedanken hegen und strahlende Vibes produzieren. Das versuche ich zusammen mit unserem Hund, während wir durch den strömenden November- (ach nee, es ist ja September – grrrrr) Regen stapfen. Also ich! Doggo tänzelt leichtfüßig und eher unbeeindruckt neben mir her.

Innerlich bemühe ich mich, schöne Dinge visualisieren. Gehindert werde ich von meiner Mistdings-Kappe, die ich zum Schutz gegen den Regen trage und die immer wieder über meine Augen rutscht. Einen Schirm kann ich zusammen mit Hundeleine, Leckerlis und Kackbeutel nicht handeln. Kapuzen sitzen entweder zu eng oder fliegen beim nächsten Windstoß vom Kopf. Kappen sind es aber anscheinend auch nicht. Also dann lieber nasse Haare, aber wenigstens einen freien Blick – nach innen und leider auch nach außen: auf den Regen. Grumpf!

Irgendwie will das positive Denken nicht klappen. „Das Wetter wird geil. Der Sommer kehrt nochmal für die zwei ersten Oktoberwochen zurück. Die Weltlage entspannt sich…“ Ich komme mir vor, wie jemand, der einen Wunsch ans Universum sendet und erwartet, dass er in Erfüllung geht. Also ob. So wird das heute nix. Aber eins nehme ich mir vor: Ich werde stumm leiden. Egal, was passiert. Ich werde NICHT die erste sein, die die Dinge beim Namen nennt. Nein, das überlasse ich meinen Liebsten. Die tun immer so entspannt. Bis sie dann auch was nervt! Egal. Ich bin ein Zen Buddhist, ich bin ein Zen Buddhist, ich bin ein Zen Buddhist…

Die Nachbarin – total unlocker

PS: Mein Vorsatz hat immerhin bis zum nächsten Morgen gehalten. Da habe ich über die Schulter meines Mannes die Langzeit-Prognose auf seiner Wetter-App gesehen und eventuell so etwas geäußert wie: „Für den Womo-Urlaub seh‘ ich schwarz…“

 

 

Morgen ist es soweit…

Überraschung im Auto

Überraschung im Auto

Autofahrer und ihre Mitreisenden – ein durchaus gespaltenes Verhältnis. Da gibt es den – in 99 Prozent der Fälle – männlichen Beifahrer, der mitbremst, sich ab 30 km/h ängstlich an den Haltegriff klammert, unvermittelt gutturale Laute des Entsetzens ausstößt, die die Fahrerin zu hektischen Brems- oder Ausweichmanövern animieren. In jedem Fall weiß er viel besser als man selbst, wie man schalten, blinken, bremsen, beschleunigen, einparken oder den Parkschein platzieren sollte.

Dann sind da die kleinen Menschen im Fond des Autos, die bei 150 Sachen auf der Autobahn „jetzt sofort“ essen, trinken, was Süßes, aufs Klo oder den nächsten Film auf dem iPad runtergeladen haben wollen. Die zetern und zoffen, singen und pupsen, einem den Fuß durch die Fahrersitzrückenlehne in die Nieren rammen oder unter der Kopfstütze hindurch an den Haaren ziehen. Die sich langweilen, zum hundertsten Mal „Conni auf dem Bauernhof“ über den Auto-CD-Player hören oder einfach nur mal brechen müssen.

Ganz hinten hat der ein oder andere noch eine Fellnase sitzen. Sie sind meist die angenehmsten Passagiere, wenn sie das Fahren gut vertragen, sich nicht über die Geburtstagstorte für Oma oder den Räucherlachs vom Aldi hermachen oder sich ohne Vorwarnung beim Rückwärtsfahren aufsetzen und einem einen Herzkasper verschaffen, weil es im Rückspiegel aussieht, als stünde plötzlich jemand direkt hinter dem Auto. Davon abgesehen verleihen sie dem Wageninneren eine besondere Duftnote, die man als Herr- und Frauchen kaum noch wahrnimmt, die Ungeübte jedoch beim Einsteigen zurücktaumeln und spontan auf eine andere Mitfahrgelegenheit hoffen lässt.

GummispinneVon all jenem abgesehen macht Autofahren mit der Familie jedoch sehr viel Spaß. So wie letztens, als meine Tochter vom Beifahrersitz aus erst kritisch, dann mit wachsendem Ekel auf einen Punkt an der Autodecke starrte, der sich beunruhigenderweise genau über meinem Kopf befand. Ihr panisches „Iiiiii, Mama, was ist DAS denn?“, trug sie nicht gerade dazu bei, meine Herzfrequenz zu entschleunigen. Möglichweise machte das Auto auch einen kleinen Schlenker. „Da sitzt ne fette Spinne über deinem Kopf!!!“, überzeugte mich dann vollends, die Fahrt am nächsten Abzweig spontan zu unterbrechen und den Wagen ein wenig schneller als sonst zu verlassen.

Inzwischen hatte die mittelgroße Winkelspinne den Rückzug in Richtung Kofferraum angetreten, während ich so schnell ich konnte ums Auto herumlief, um ihr von der hinteren Seitentür aus den Weg abzuschneiden. „So schnell ich kann“ geht in der Regel einher mit „nicht schnell genug“. Und so zog ich in Sachen zügiger Fortbewegung mal wieder den Kürzeren. „Die ist in die Ritze vom Rücksitz reingeklettert“, informierte mich meine Tochter, sichtlich erleichtert, sich den vorderen Bereich des Autos nicht mehr mit dem achtbeinigen Monster teilen zu müssen.

Was soll ich sagen: Ich habe das Wageninnere an diesem Tag noch in seine Bestandteile zerlegt und viele spannende Dinge gefunden. Darunter ein halbes Croissant, ein Pixiebuch, den Sattel eines Schleichpferdes und einen Euro. McSpider ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Aber ich weiß, er wächst und gedeiht irgendwo unterm Rücksitz, ernährt sich von Krümeln, die es dort reichlich gibt. Er wiegt mittlerweile bestimmt 100 Gramm und hat noch fünf weitere Beine dazu bekommen. Er sitzt und und lauert und wartet genau auf den perfekten Moment… Ich habe angeregt, ein neues Auto zu kaufen.

Eure Nachbarin

Unsere Linde ist ne Sau!

Unsere Linde ist ne Sau!

Mein Freund, der Baum… ist tot! Zumindest, wenn er so weiter macht. Eigentlich würden wir ja im Lindenweg wohnen. Tolle Adresse. So naturnah! Stattdessen wurde die Straße unbenannt in irgendwas, das man immer zweimal buchstabieren muss. Das liegt daran, dass nach und nach zwölf der einst 13 Linden weichen mussten. Bis auf eine. Unsere.
Als wir unser Haus zum ersten Mal besichtigten, hingen ihre sattgrünen Blätter schmeichelhaft vor einem Großteil der Fassade. Unsere Linde ließ ihre grünen Arme baumeln und sah einfach nur romantisch aus, so zwei Meter vor dem Hauseingang. Das bisschen Kehren, dachte ich im Juni 2015 und tat es mit Begeisterung jeden Tag. Einfach, weil nichts anderes zu tun war.
Diesen Zustand, also, dass nix zu tun ist, kenne ich heute nicht mehr. Das interessiert die Linde, die ich zwischendurch mal „Linda“ getauft habe, aber nicht. Derzeit braucht es einen Windstoß und es schneit gelb. Und wie wir alle wissen: Bei gelbem Schnee sollte man immer etwas skeptisch sein. Wenn ich von der Haustür zum Auto will, muss ich waten. Kürzlich ging unser Hund verloren. Wir fanden ihn nach einer Stunde Suche in einer Blätterlawine am Fuße der „Linda“.

 

Nun ist es ja so, dass mein Mann es ja immer schon gesagt hat. Das trifft auf die meisten Dinge zu, die ich entschieden habe, aber hier besonders. Denn in Frühling, Sommer, Herbst und Winter lässt sich aus unterschiedlichen Gründen hervorragend darauf hinweisen, dass er den Baum ja „weggemacht“ hätte. Anders als andere Städte, die was auf sich halten, kennt unsere keine Baumverordnung. Hier darf jeder fröhlich roden und abschlagen, was ihm unter Axt und Astschere gerät. Daher wohl auch der Verlust der zwölf Linden und unseres Straßennamens.
Hat den Nachteil, dass ich mich hier mit meiner Liebe zur Natur durchsetzen musste. Gegen meinen Mann und ein bisschen auch gegen meinen Vater, der es dankenswerterweise nicht erwähnt, wenn er unseren K(r)ampf mit der Linde beobachtet. Ich setzte mich also durch, trotz der Beschwörung von Dauerschatten und Dauerdreck und die Gefahr, dass Wurzeln Kanäle und Mauern perforieren. Einige Gartenwegplatten sprechen da schon eine deutliche Sprache.

 

Die Linde also steht, so wie sie es seit geschätzen 80 Jahren tut. Sie wurde vom Baumkletterer stark gestutzt – ich bin ja kompromissfähig – und entblöste eine Fassade, die sich lieber weiter hinter Blättern versteckt hätte. Ansonsten hält sie böse Geister von Haus und Hof fern, füttert die Bienen der Nachbarin für den leckeren Lindenblütenhonig, beherbergt im Sommer eine Kleiberfamilie, ein Rabenpaar und Ringeltauben (in dieser Reihenfolge), die ihr Kinderzimmer genau vor unserem Schlafzimmerfenster aufgeschlagen haben.
Zu ihren Füßen habe ich mit meiner Schwiegermutter einen kleinen Vorgarten angelegt. Hübsche Steine, hübsche Töpfe mit hübschen Blumen, eine hübsche Bank. Hübsche Zwergerl und so Zeuch und det Janze umrahmt von einem – ihr ahnt es – hübschen Zaun. So war es jedenfalls mal. Am Anfang. Bevor der Sommer und dann der Herbst kam.
Mein Mann verbrachte Juli, August und September damit, unsere vom Lindensaft völlig verklebten Autos zu waschen und dabei zu sagen, dass er es ja immer schon gesagt hat. Ich verbrachte den Sommer damit, alles zu wässern, was unter Linda weder Licht noch Regen abbekommt. Also alles! Bis ich im Herbst keine Lust mehr hatte zu wässern. Jetzt ist es welk. Was man aber nicht sieht, weil ja drei Tonnen Blätter draufliegen. Drunter ist alles, aber auch wirklich alles schwarz. Blumen schwarz, Steine schwarz, Töpfe schwarz, Zwergerl schwarz. Lindenkleb + Straßenstaub gleich Teer. Offensichtlich.
Terrakottafrosch, der mal nicht schwarz war.
Kurz, unsere Linda ist eine Sau. Mein Freund, die Sau… Ein Glück, dass ich so tierlieb bin.
Eure Nachbarin
Probleme?!

Probleme?!

Als ich gerade so meiner Tochter nachgeschaut habe, wie sie in Quasimodohaltung hinter ihrem Vater her zum Kindergarten schwankte, dachte ich, es ist mal wieder Zeit für ein paar Einblicke in unseren Alltag. Der Quasimodo hat nichts mit der aktuellen Befindlichkeit oder motorischen Defiziten zu tun, sondern mit dem Wetter. Nachdem mein Mann es grundsätzlich und ich nur wegen der Bindfäden vorm Fenster ablehnte unser Töchterchen auf ihrem Steckenpferd Sabrina in den Kindergarten reiten zu lassen, gab es die ersten Tränen des Tages.
Eine Alternative musste her und die kam in Gestalt von Amadeus – Ähnlichkeiten zu den Pferdenamen bei Bibi und Tina sind natürlich rein zufällig. Amadeus ist ein gefühlt lebensgroßes Kuschelfohlen mit übertrieben langen Plastikwimpern und allerlei Funktionen. Zu diesen gehört eigentlich nicht, dass man darauf reiten kann, aber wo ein Wille da ein Weg.
Und deshalb klemmt Amadeus statt des Steckenpferdes nun zwischen den Knien meiner Tochter. Die Zügel hat sie unter den Vorderbeinen durchgezogen, hält sie mit aller Macht hoch und wankt verkrampft und o-beinig, wie ein Fußballer nach der 90sten Spielminute, in Richtung Kita. Aber hej, sie ist glücklich und wie sagt meine Freundin mit den drei Kindern und dem Hund immer: Wir brauchen Lösungen. (Nachtrag: 100 Meter hat sie durchgehalten, dann ist sie samt Reittier in eine Pfütze gefallen und musste – ebenfalls samt Reittier – vom Vater in die Kita getragen werden.)
Problemlöser
Um Lösungen ist in dieser Familie vor allem einer nicht verlegen: der Opa. Nicht umsonst sammelt er mit großer Energie und seit Jahrzehnten „Problemlöser“. Das sind Plastikteile in
verschiedenen Größen, Formen und Farben vom Deckelchen bis zur Wanne. Außerdem Häkchen, Seile, Schnüre, Winkel, Hölzer und Hölzchen, Walzen und Wälzchen, Teppichreste,
Planen, Plexiglasdächer, Werkzeuge. Dinge, die man mit (viel) Fantasie als Werkzeuge benutzen kann. Dinge, zu denen anderen auch mit viel Fantasie keine Einsatzmöglichkeit einfallen würde. „Ihre Zeit wird kommen“, sagt mein Vater immer und wenn, dann ist er bereit.
Also meistens. Manchmal aber fehlt dann doch dieses entscheidende Teil, das jetzt genau passend und vonnöten wäre und dass er – er weiß es noch genau – 1997 hinten an den Gartenzaun gelegt hat. Warum es da nicht mehr liegt, kann man eigentlich nur meine Mutter fragen: ebenfalls sehr kreativ, allerdings mit einem ausgeprägten Sinn für Schönes und ORDNUNG. Ersteres und Mittleres habe ich von ihr geerbt, letzteres leider gar nicht. Meine Mutter also krankt an den Sächelchen und Sachen, den Dingelchen und Dingen, die monströs im Weg rumliegen und ihr ästhetisches Auge stören. Gewelltes Plexiglas geht mit liebevoll gepflegten Rabatten nicht unbedingt eine günstige Liaison ein, wird aber – auf dem Rasenmäher aufgeschraubt – als Regenschutz gebraucht. So kann man nämlich dann auch bei Regen mähen…

Wolf im Schafspelz
 Und das ist in diesem Sommer echt mal ein Argument. Unser Hund, der eigentlich aussieht wie ein Lamm und sich auch so anfühlt, walzt einmal durch den regennassen Garten und ist nicht wiederzuerkennen. Wundersamerweise verflüchtigt sich der Schlamm analog zum Trocknungsgrad und am Schluss ist er wieder wie neu. Dafür knirscht es im Wohnzimmer etwas unter den Fußsohlen. Noch ist es das Wohnzimmer meiner Eltern, denn noch verlebt er dort
seine glückliche ungestörte Welpenzeit unter fachkundiger Anleitung meines Vaters. Bevor er dann demnächst in unser Alltagschaos hineinkommt, wobei ihm
wahrscheinlich Hören und Sehen vergeht.

Vorher gewöhnt er sich hoffentlich noch das Beißen ab, denn während andere Vierbeiner in dem Alter Möbel und Schuhe essen, liebt er sommerlich textilfreie Zehen, Waden und bei kleinen Menschen, wie meiner Tochter, einfach alles, was irgendwie zu fassen ist. Sie verbringt daher die größte Zeit des Tages in Buddahaltung auf dem Küchentisch oder anderen geeigneten Aussichtsposten und wartet darauf, dass er ein anderes Opfer findet. Und das wird er! Bis sie es eben wagt, ihre sichere Höhenlage zu verlassen. Dann ist sie dran, reif und fällig. Benjamin Buttoneye – der Wolf im Schafspelz.
Think positive
So! Ein Blick in den grauen Regen und ich bin froh, dass ich heute arbeiten darf und nicht etwa Urlaub habe. Was für ein Glück! An Euch alle da draußen, die Ihr auch in der Schlechtwetterfront ausharrt. Think positive, andere Jahre haben auch einen Sommer – vielleicht sogar einen schöneren.
Eure Nachbarin
Zuverlässig unstrukturiert

Zuverlässig unstrukturiert

Kinder brauchen Struktur! Ja, das weiß ich auch. Aber was ist, wenn man selber einer der unstrukturiertesten Menschen überhaupt ist? Neben „kreativem Chaos“ steht mein Tagesablauf im Lexikon. Ich schaffe es einfach nicht, einen Tag wie den anderen zu gestalten. Gerade war ich bei meinen Eltern. Von denen habe ich das nicht! Die sind so was von durchorganisiert. Wenn die eine Aufgabe anfangen, dann bringen sie sie auch zu Ende. In aller Gemütsruhe – einen Schritt nach dem anderen.
Wenn ich eine Aufgabe anfange, dauert es nicht lang und mit schießt irgendwas Unaufschiebbares, durch den Kopf, etwas, das ich sonst vergesse, wenn ich es nicht sofort… Oder mir wird kalt und ich brauche eine heiße Dusche (kommt im Juli schon mal vor) oder mein Handy sagt, dass jemand Geburtstag hat und wenn ich jetzt nicht gratuliere, dann erst wieder nächstes Jahr…
…oder es ruft jemand an oder der Postmann klingelt oder ein interessanter Vogel lässt sich auf der Balkonbrüstung nieder und ich muss unbedingt mal googeln, was es für einer ist und wenn ich schon dabei bin, muss ich auch unbedingt googeln, wie Raben in der Balzzeit machen. Ich habe da nämlich so einen interessanten Ruf letztens gehört, da gibt es doch sicher ein Youtube-Video. Oje, Youtube funktioniert nicht. Was ist da los? Da muss ich gleich mal meinen Mann anrufen und fragen. Der kann mir auch keine Antwort geben, sagt mir aber, dass ich dringend noch diese eine Handwerkerrechnung überweisen muss. A propos Handwerker, wieso ist das bestellte Gartentörchen noch nicht da, da guck ich besser mal bei Ebay rein und schreib ne Pöbelmail oder ich geh lieber vorher zu den Nachbarn, nicht dass sie es schon angenommen haben. Ach ja, die Nachbarn, die haben doch letztens den Rabarber rüber gebracht, dann könnte ich ihnen doch was von unseren Himbeeren… Viele Himbeeren sind das ja nicht! Oje, die Schnecken haben auch noch die letzten Sonnenblumen gekillt, wie kommen die bis auf ein Meter Höhe? Ich muss unbedingt zum Baumarkt und Schneckenkorn kaufen, haben meine Eltern gesagt. Und wenn ich da schon mal bin, kann ich ja auch mal die Grundierung für das Gästezimmer kaufen, da müssen wir langsam mal mit fertig werden, sonst haben wir hier Weihnachten noch Kartons stehen. Weihnachten! Geschenke! Naja, es ist noch ne Weile hin, aber da fällt mir ein, ich muss dringend mit meinem Bruder besprechen, was wir jetzt mit Papas Geburtstagsgeschenk machen. Und ich muss die Fotografin anrufen, wegen des zwei Jahre alten Geburtstagsgutscheins für das Familienshooting mit meiner Mutter. Wir haben noch so viele Gutscheine nicht eingelöst. Wie lange ist so ein Gutschein überhaupt gültig, muss ich mal googeln…
Wo war ich? Was wollte ich??
Das war ein Fünf-Minuten-Ausschnitt aus meiner Gedankenwelt. So geht das den lieben langen Tag und abends fragt mich mein Mann, warum ich nicht gekocht habe und was ich die ganze Zeit so mache. Erstens: Wer soll denn dabei noch kochen? Zweitens: Weiß ich nicht, was ich den ganzen Tag gemacht habe. Irgendwie erinnere ich mich dunkel, dass ich zwei Artikel fertig gestellt, mein Kind pünktlich von der Kita abgeholt, es verköstigt und bespaßt habe, dann war ich noch beim Bäcker und dann? Dann habe ich einen Filmriss, aber ich bin sicher, es ging im gleichen Ton wie oben weiter und weiter und weiter… Weil es immer so weiter geht, bis ich abends die Augen zu mache. Dann schlafe ich: Gott sei Dank.
Ja, ich bin unstrukturiert. Ja, das färbt auch auf meine Familie ab. Nein, ich kann nicht ohne Internet leben. Schön wäre es, aber ich bin Online-Redakteurin. Vielleicht sollte ich umschulen, auf Floristin oder so. Da fällt mir ein, ich muss noch die Blumen im Vorgarten wässern, es hat nicht geregnet, obwohl es den ganzen Tag so aussah. Was ist das überhaupt für ein Wetter? Ich spüre schon ein Kratzen im Hals, die Tochter hat nachts gehustet. Ich muss mal bei der Homöopathin anrufen, überhaupt ist da mal wieder ein Termin fällig…
Ächz!
Eure Nachbarin (glaube ich)
Leben am seidenen Draht

Leben am seidenen Draht

Vor Kurzem war es wieder da: Das Gefühl, dass hier irgendetwas faul ist. Meine Kollegin in Bonn spürte es auch und unkte schon etwas von einem Mobbing-Angriff auf Rothaarige. Vielleicht ist es aber auch das neue Jahr, dem sämtliche technische Errungenschaften zum Opfer fallen… ohne dass darüber in den Medien berichtet wird… weil denen auch grade der Redaktions-PC abstürzt. Oder es ist eine höhere Macht, die mir mitteilen will, dass ich einfach spontan ins Wochenende gehen soll…

Es fing alles ganz harmlos an, mit meiner Kamera, die ich zweimal im Monat einsetze und zwar für Nahaufnahmen, die ich mit meinem Handy so nicht hinkriege. Und für Nahaufnahmen braucht man? Genau! Ein flexibles Rückgrat, je nachdem, wo sich das Objekt befindet UND einen Fokus. Und genau diesen boykottiert meine Kamera im Moment genauso, wie den ebenso wichtigen Auslöser. Also jedenfalls, wenn ICH ein Foto mache.

Ich bin ja der Meinung, man kann auch mal was Neues kaufen, wenn das Alte – nun – halt eben alt ist. Mein Mann sieht das grundsätzlich völlig anders, schont damit Umwelt und Geldbeutel, aber nicht meine Nerven, wenn mir mal wieder die Argumente ausgehen. Denn er hat etwas, was ich nicht habe: Einen Draht zum Gerät. Wenn er also die Kamera nimmt und wild triumphierend rumknipst, um mir zu beweisen, dass es noch laaaaaaaaange nicht Zeit für eine neue ist, funktioniert sie einwandfrei. (Da ist er wieder der Unterschied zwischen Männern und Frauen, der ja meist beim Öffnen von Drehverschlüssen zutage tritt und durch die Kombination Informatiker (schlau) und Geisteswissenschaftlerin (geht so) regelmäßig potenziert zu werden scheint.)

Nur der Anfang…

Jedenfalls war besagte Kamera ja nur der Anfang. Am Nachmittag rief ich meinen Mann auf dem Handy an und er verstand mich nicht und ich verstand ihn nicht. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, nur dass es diesmal wirklich daran lag, dass wir uns nicht hörten. Wir wiederholten das Spiel an diesem Tag noch ein paarmal und ich übte zwischendurch auch noch mit einigen Handwerkern, die das eher weniger lustig fanden.

So richtig spannend wurde es dann am nächsten Morgen. Es sollte ein ertragreicher Homeoffice-Tag werden. Als ich mich im Hausflur von Mann und Kind verabschiedete, streikte die Beleuchtung. Als ich meine ersten Whatsapps und Mails des Tages auf dem Handy checken wollte, passierte nichts. Das Gleiche auf iPad und Laptop. So langsam dämmerte mir, dass ich wohl das Internet gelöscht hatte oder zumindest aus Versehen das W-Lan-Kabel gekappt, denn in der Regel bin ich es, die so was kaputt kriegt.

Dreimal rief ich bei Unitymedia an und es war besetzt, „Wat denn? Noch nicht mal mehr ne Warteschleife?“, wunderte ich mich, bis mein Mann, der gerade aus der Kita zurückkam berechtigterweise daraufhin wies, dass, „wenn Internet nix gäht, Telefon nix gäht“. Ach ja. Also Kamera nicht, Handy nicht, Internet nicht, Telefon nicht… Mein hilfloser Dackelblick prallte an ihm ab. Er drückte mir sein Diensthandy in die Hand und entschwand. Ich erreichte dann zunächst besagte Kollegin mit der ich die Haarfarbe teile und die mir auf mein Lamento hin erzählte, dass ihr Ofen kaputt sei, der Abfluss verstopft und die Heizung kaputt und zwar dergestalt, dass sie immer auf höchster Stufe läuft und ihre Rente und das Erbe ihrer Kinder aus dem weitgeöffneten Fenster bläst.

Empfindlich kalt

Irgendwie versöhnte mich das, bis ich beim Stichwort „Heizung“ merkte, dass es doch empfindlich kalt um mich herum war. Fröstelnd zog ich meine Strickjacke enger und lief von Heizkörper zu Heizkörper, nur um festzustellen: alle aus! Wild drehte ich an den Thermostaten, aber nichts tat sich. Neben der Kamera, dem Handy, dem Internet und dem Telefon hatte mich nun auch noch die Heizung verlassen. Entkräftet sank ich aufs Sofa, um mir zum Trost ein paar Minuten meiner Lieblingsserie reinzuziehen, doch: Auch der Stream lief ja nicht ohne Internet…

Ich ergab mich in mein Schicksal und griff nach dem Diensthandy meines Mannes, um nochmal bei Unitymedia anzurufen. Nach zweimaliger Eingabe der Kundennummer und der Beantwortung verschiedenster Fangfragen zur Identifikation (Name des ersten Haustieres, Lieblingsessen, Körbchengröße)  begab ich mich mit dem netten Herrn aus dem Süddeutschen auf Ursachenforschung. Sie führte mich schließlich hinter den Weihnachtsbaum, wo ich kopfüber vom angrenzenden Sofa hängend nach der Fritzbox schaute, die an einer Multimediabox angeschlossen sein musste. Gerade als ich fragen wollte, was denn z.T. eine Multimediabox sei, war plötzlich das Gespräch weg.

Auch egal, dachte ich und rief meine Vermieterin an, um sie über die nichtlaufende Heizung zu informieren. Dann wickelte ich mich in eine Decke, setzte mich und wartete auf den Elektriker. Ansonsten tat ich nichts. Ich arbeitete nicht, ich chattete nicht, ich surfte nicht, ich telefonierte nicht, ich sah nicht fern. Ja, ich las auch nicht, denn der Akku meines Kindles war ebenfalls leer.

Wenn der Postmann gar nicht klingelt

Nicht mal der Postmann hätte klingeln können, denn, wie ich später erfuhr, war auch die Türglocke vom Stromausfall betroffen, welcher bei uns Licht, Heizung und Internet lahmgelegt hatte. In solchen Situationen werden Kinder gezeugt, aber ich war ja alleine. Also besann ich mich aufs Wesentliche und öffnete eine Packung Dominosteine. Zwei Stunden und 20 Dominosteine später war der Elektriker da und machte alles wieder heile: Die Heizung, die Klingel, den Fernseher, das Internet, das Telefon und das Flurlicht. Mit EINEM Draht. Mein Leben hängt an einem Draht, wie bei den Seiltänzern, dachte ich, bevor ich mich in die Arbeit stürzte.

Am Abend kam mein Mann und nahm sich meines Handys an. Er wechselte die SIM-Karte, machte hier einen Test, da einen Test und pustete schließlich dreimal ins Gerät. Seitdem läuft es wieder! Und mein Seiltänzer-Dasein geht weiter, als wäre nichts gewesen…

Es grüßt Euch – digital wie immer

Eure Nachbarin