Seite wählen

Von Sigurta aus geht es heute nicht mehr auf die Autobahn. Unser Übernachtungsziel Parma erreichen wir über Land und ich genieße diese Fahrt sehr. Noch nie war ich in der Po-Ebene, die als fruchtbarste Region Italiens gilt – ein wahres Landwirtschaftsparadies. Wir zuckeln durch kleine Ortschaften und an Feldern vorbei, meist hinter einem überdimensionierten Traktor mit gigantischem Anhänger. Die späte Nachmittagssonne taucht die Ebene in ein warmes Gegenlicht, der Horizont ist weit, weit entfernt. Hier werden Zuckerrüben, Mais, Weizen, Wein und tatsächlich auch Reis angebaut, wenn auch nicht mehr so viel wie früher. Die Landschaft ist von vielen Kanälen und Wegen durchzogen. Manchmal taucht unversehens ein historisches Steinportal am Straßenrand auf, durch das eine ellenlange Zufahrt zu einem Anwesen führt, das wir kaum noch in der Ferne ausmachen können.

SilberreiherWir kommen durch Mantua mit seinen vier Seen Lago Superiore, Lago di Mezzo, Lago Inferiore und Lago Paiolo. Dann durch Montanara, Campitello, San Silvestro, Sanguigna und San Polo und nicht nur ich finde, das Italienisch einfach Musik in der Ohren ist. Kirchengebäude, wechseln sich mit Farmen und altehrwürdigen Friedhöfen ab. Vom Wohnmobil aus können wir über die hohen Mauern die prächtigen Grabmale erkennen. Auf den feuchten Wiesen haben sich ganze Vogelkolonien zum Schnacken verabredet. Wir sehen Silberreiher, wie links im Bild, die nicht etwas silber sind, wie Graureiher, sondern reinweiß (deshalb heißen sie auch Silberreiher oder so). Und wir entdecken große Vögel mit krummen säbelartigen Schnäbeln, die verdächtig nach Zootier aussehen.

Tatsächlich sind es Heilige Ibisse, die nicht etwa so heißen, weil sie aus dem Vatikan abgehauen sind, sondern weil sie von den alten Ägyptern als Inkarnation des Gottes Thot verehrt wurden. Der hat nichts mit dem Sensenmann zu tun, sondern ist der Gott des Mondes, der Magie, der Wissenschaft, der Schreiber, der Weisheit und des Kalenders. Klingt nett, finde ich. Früher waren die Ibisse nur in Afrika unterwegs. Dem Klimawandel oder sonst wem sei Dank siedeln sich die Wasservögel aber nun immer mehr in Europa an, zum Beispiel am Po-Delta. Ihre Heiligkeit hilft ihnen dabei wenig, denn die EU will die Langbeiner nicht und hat sie kurzerhand auf die „Liste der unerwünschten Spezies“ gesetzt.

Da stehen derzeit 36 Tierarten drauf, die sich in Europa tummeln, aber eigentlich nicht hier hin gehören und deshalb das Ökosystem gefährden. Einige davon habe ich sogar selbst schon gesehen und mich immer gefreut. Die Nilgänse am Rhein, das Streifenhörnchen, das mir im Wald vor die Füße lief, die Waschbär-Mama mit ihren Kleinen, die keinen Kilometer von unserem Haus entfernt die Straße überquerte, die Nutrias im Bonner Rheinauenpark, die jetzt sterilisiert werden sollen. Noch nicht auf der schwarzen Liste stehen übrigens die echt lauten Halsbandsittiche, die irgendwann mal aus dem Kölner Zoo ausgebrochen sind und jetzt in unserem Garten rumfliegen und auch nicht die monstermäßige Nosferatu-Spinne. Ein Versäumnis, wie ich finde, hat doch der gleichnamige Film nicht umsonst den Untertitel „Symphonie des Grauens“.

Aber ich schweife ab, dabei sind wir gleich schon in Parma. Ehrlicherweise haben wir von hier nicht so viel zu berichten, denn wir haben uns die Stadt nicht angesehen. Wir hätten gerne, aber unsere Urlaubstage gehen zur Neige und Pisa trumpft diesmal einfach Parma. An der Autobahnabfahrt erleben wir immerhin einen echten italienischen Autofahrer in Aktion. Er schneidet uns und setzt sich zwischen uns und einen Kleinwagen, der langsam und unsicher vor ihm herschleicht. Daraufhin startet er ein Hupkonzert, faltet die Hände zu einem inbrünstigen „Dios mio!“, ergänzt von diesem typisch einhändigen Wedeln mit aneinandergelegten Fingerspitzen („Mamma mia!“). Wir genießen das Spektakel von unserem hohen Rang und sind durchaus beeindruckt. Anthony Quinn soll mal gesagt haben, Italienisch sei eine Gebärdensprache, deren Verständlichkeit durch Worte erschwert werde.

Mamma Mia Geste Blick aus Womo-Fenster auf andere Camper

Dass man zumindest kein Italienisch können muss, um einen Italiener zu verstehen, erleben wir dann tatsächlich auf unserem Stellplatz in Parma. Der liegt gleich an der Autobahn und ist recht voll. Wir sind gemütlich umringt von vielen anderen Wohnmobilisten. Ein Mann brät Steaks auf einem Kugelgrill. Mein eigener versucht mal wieder die Campingplatz-Toilette zu benutzen und kommt kurz darauf mit angewidertem Gesichtsausdruck zurück. „Es war nicht sauber und die Klobrille war zerbrochen und mit bröckeligem Panzertape geklebt“, beschwert er sich. Na, immerhin gab es eine Klobrille. Das ist auf vielen Stellplätzen in Italien nämlich nicht der Fall, wie ich aus Bewertungen auf park4night weiß. Egal, uns bleibt ja die blitzblanke Bordtoilette, die dank des hart erkämpften Sanitärzusatzes jetzt riecht, wie eine Blumenwiese.

Unser Abendausflug führt uns zum Lidl nebenan. Dafür für müssen wir am Häuschen des Platzwartes vorbei. Der kleine Mann hüpft begeistert auf und ab, als er uns sieht, und winkt uns mit großen Gesten zu sich, bevor er einen Schwall seiner wunderbaren Muttersprache auf uns niederprasseln lässt. Mein vorsichtig eingeworfenes „Scusi, non parliamo italiano“ nimmt er mit strahlendem Lächeln zur Kenntnis und erzählt völlig unbeeindruckt weiter.

Dass er schon in Köln und Leverkusen gearbeitet hat, immer zur Sommersaison, zwei bis drei Monate lang. Dass er die Deutschen liebt, weil sie so klar und organisiert sind und das italienische „Kommst du heut nicht, kommst du morgen“ hasst. Dass der Cousin der Mutter eines Freundes mal eine Autopanne hatte und der Kfz-Typ ihn zehn Tage lang vertröstet und dann 3000 Euro verlangt hat. Dass er dann die Polizei eingeschaltet hat und am Ende doch nicht zahlen musste. Woher ich das alles weiß? Jahahahaha… Äh, ich habe keinen blassen Schimmer. Aber ich schwöre, das hat er erzählt.

Die Nachbarin – kann gut Gebärdensprache

 

 

100 Farben blau