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Als wir am Morgen in Parma aufwachen, wird uns erstens klar, dass unser Urlaub ein Ablaufdatum hat und zwar in fünf Tagen. Zweitens sieht es tatsächlich so aus, als würden wir vorher unser Traumziel erreichen. Das Mittelmeer wartet heute auf uns und die Sonne strahlt vom Himmel, als wir die Auffahrt zur Autobahn E33 in Richtung Südwesten nehmen. Gut zwei Stunden trennen uns von unserem heutigen Ziel Marina di Pisa.

Mal links und mal rechts vom Highway mäandert der Fluss Taro in seinem flachen, weiten Bett, das nach dem trockenen Sommer mehr Kies offenbart, als Wasser führt. Ein spektakulärer Anblick, der bald von den immer höher aufragenden Bergen der Emilia Romagna abgelöst wird. Die Morgensonne bringt die dichten Nebelfelder zum leuchten, die aus den Tälern aufsteigen, während sich die Gipfel der Berge im Gegenlicht daraus erheben. Das Bild wirkt wie in Sepia getaucht und brennt sich als Erinnerung in die Netzhaut ein. Italien ist einfach so wunderschön.

Fluss Taro

Fluss Taro

Mit jedem Kilometer, den wir zurücklegen, gewinnt die Sonne an Kraft. Der weiße Dunst weicht einer saftiggrünen Vegetation, die sich die Steilhänge hinaufzieht und wir staunen über kleine Dörfchen und Burgen, die selbstsicher ganz oben auf den Gipfeln balancieren. Ein bisschen sind wir auch dankbar, dass wir dort mit unserem Brummi nicht hinaufmüssen. Papa Hose, der es nicht so mit der Höhe hat, erinnert sich immer noch mit Grausen an die Serpentinen in unserem Dolomitenurlaub vor fünf Jahren. Und damals saßen wir in einem kompakten, relativ wendigen Allrad-Auto.

Mit unserem Womo folgen wir aber lieber relaxed mit gemütlichen 120 km/h unserer Autobahn, über Brücken und durch Tunnel bis nach Ligurien, das sich wie eine Art Schulterpolster des Meeres von Monaco über Genua bis südlich der Cinque Terre an der Küste entlangzieht.

Nach einigen Kilometern holt uns die Toskana wieder ein und schon sind wir mitten im Marmorland. Linkerhand erheben sich die Apuanischen Alpen und dort aus Carrara kommt es her, das gleichnamige weiße Gestein, das zu den bekanntesten der Welt gehört und in der Gegend abgebaut und weiterverarbeitet wird. Zu Treppen und Arbeitsplatten, Waschbecken und natürlich auch zu bildhauerischer Kunst.

Immerhin verhalf Michelangelo dem Carrara-Marmor einst zu Berühmtheit, denn er schuf zum Beispiel seinen legendären David aus einem selbst ausgewählten Block. Solche Blöcke sehen wir nun links und rechts der Fahrbahn soweit das Auge reicht. Ein spektakulärer Anblick, der uns begleitet, bis wir tatsächlich die Ausfahrt Pisa erreichen.

Ein paar Kilometer und drei bis zehn der landestypischen Kreisverkehre weiter, fahren wir auf einer langen, geraden Straße am Fluss Arno entlang auf Marina die Pisa zu. Am Ufer reiht sich ein Bootshändler an den nächsten, ins Landesinnere hinein erstreckt sich eine weite grüne Ebene und dann gleich zu Beginn der Ortschaft unser Stellplatz Area Sosta Camper.

Sagen wir mal so: Flankiert von ein paar Wohnblocks und einer immerhin recht ansehnlichen, weil neu gestalteten Tankstelle, kann der Platz nicht mit unserem Gardasee-Paradies mithalten. Dennoch soll er sich für uns – ganz unerwartet – als der perfekte Ort erweisen. Zunächst einmal sind wir aber da, und nachdem wir das Mobil geparkt und angestöpselt haben, reißen wir gleich unsere Räder vom Träger.

Wir sind hier nicht zum Spaß. Wir wollen das Meer sehen!!! Nach fünf Minuten Fahrtweg entlang eines duftenden Pinienhains und über kaum befahrene breite Straßen, erstreckt sich vor uns ein Strand mit blütenweißen, faustgroßen Kieseln, die ich gerne einpacken und zu Hause in unserem Vorgarten verteilen möchten. Dahinter das Meer in einer unglaublichen glasklaren Farbe.

Durch mint- und türkisfarbene sanfte Uferwellen watet man hier in ein tiefsattes Aquablau hinein, von dem sich der Himmel ganz zart abhebt. Die türkis-blaue Palette ist in den letzten Jahren klamottentechnisch zu meinem Markenzeichen geworden und deshalb befinde ich mich hier gerade im siebten Himmel (und möchte das Meer gerne anziehen).

Kieswall Marina di PisaWeißer Strand Marina di Pisa

Während ich es mir am Ufer so gemütlich mache, wie es halt auf einem Haufen Kieselsteine möglich ist, stürzen sich Mann und Kind samt Schwimm-Doughnut ins Wasser – soweit es eben auf Kieselsteinen und angesichts oktoberlicher Wassertemperaturen möglich ist. Also halt eher in Slow Motion. Bis dann doch noch unerwartet Bewegung in meinen Mann kommt und er mit einem hohen Quietschen wieder aufs Ufer zurück hechtet. „Da ist was an mir vorbeigeschossen wie ein Pfeil“, ruft er mit leichter Panik in der Stimme.

Während er sich wild nach einem vermeintlichen Fliegenfischer oder einem Typ mit grüner Kappe, grünem Wams und Armbrust im Anschlag umsieht, kommt mir das Wort Seenadel in den Sinn. Und tatsächlich scheint es einer dieser dürren langen Knochenfische gewesen zu sein, die Papa Hose in Angst und Schrecken versetzt haben. Tochter Hose ist viel zu versunken in ihr Lieblingselement, als dass es sie aus ihrer Ruhe gebracht hätte.

Wir beschließen den Tag eine Stunde später mit Seefisch und Pizza unter der italienischen Sonne, direkt an der ruhigen Uferpromenade, wo sich adrette Häuschen samt Eisdielen, Cafés und Ristorantes aneinanderreihen. Es ist ruhig hier in Marina di Pisa. Die Saison ist eindeutig vorbei und wir genießen die langsame Gangart und die milden Temperaturen. Heute ist uns nach nichts mehr. Zurück auf dem Stellplatz wasche ich ein bisschen Wäsche im Spülbecken unseres Wohnmobils und hänge die guten Stücke zum Trocknen auf eine Leine, die ich zwischen dem Seitenspiegel und einem Holzzaun spanne.

Unsere Tochter macht den Platz unsicher und freundet sich mit jeder Katze an, derer sie habhaft werden kann. Und noch ein paar andere Bewohner lernen wir eher unfreiwillig kennen, denn hier wimmelt es vor Moskitos. Wie gut, dass wir Fliegengitter an allen Fenstern haben. Den Abend verbringt Papa Hose lesend in seiner Koje, während die Tochter und ich uns gemütlich im Cockpit einrichten und „The Masked Singer“ auf dem iPad schauen. Alles ist gut!

Eure Nachbarin – entspannt

 

Mit dem Fahrrad vom Meer nach Pisa