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Der Weg ist das Ziel (Teil 2)

Der Weg ist das Ziel (Teil 2)

Wenn die Zeit drängt, sagen Informatiker gerne „T Minus“ und setzen dann eine entsprechende Minutenzahl dahinter. Die Zahl zeigt an, wie viel Zeit noch bleibt. Zum Beispiel bis das System abstürzt, etwas explodiert oder eine Braut am Ort der Trauung ankommen will (bevor ihr System abstürzt und sie explodiert.) Und dieser Zeitpunkt war für mich eine Stunde vor der Trauung, denn ich wollte den Gästen nicht vorher über den Weg laufen.

T Minus X

Es war also T-40 vor Ankunft und damit im eigentlichen Sinne noch nicht soooo spät, wie ich mich fühlte. Das erklärt auch, warum meine Familie eine gewisse Gelassenheit an den Tag legte, als ich mit wogendem Babybauch unterm Spitzenkleid auf den Parkplatz stampfte. Dort versuchten sie gerade, das wunderschöne Blumengesteck meiner Mutter auf der Motorhaube zu befestigen. Mein Puls lag zu diesem Zeipunkt ein wenig oberhalb des gesunden Maßes, so dass ich ihren Bemühungen nicht die angemessene Beachtung schenkte. Stattdessen blaffte ich irgendwas und platzierte mich brütend und mit zwei großen Ausrufezeichen in den Augen im Fond des Wagens.

Das Navi

Nach einem Blick in mein Gesicht, kamen die anderen dann erstaunlich schnell zur Einsicht, doch besser loszufahren. Gesteck hin oder her! Leichter Regen schlug gegen die Windschutzscheibe, während wir so fuhren. Eigentlich kannte ich den 30 Kilometer langen Weg, wollte aber in meinem Zustand und mit Blick auf die Uhr, die offensichtlich einen Weltrekord aufstellen wollte, doch lieber auf das Navi meines Vaters vertrauen. Damals wusste ich noch nicht, wo Navis einen so hinführen können (Rotkäppchen im Düsterwald).

Vielleicht hätte ich stutzig werden sollen, als das Gerät die Auffahrt zur Autobahn nicht fand und wir stattdessen langsam durch ein Bonner Rheindorf zuckelten. Aber ich war mit dem Wetter (15 Grad und Regen), dem Theologen (immer noch keine Rückmeldung) und dem Blumenschmuck auf der Motorhaube beschäftigt, der bedenklich vibrierte und dann auch just in dem Moment blütenwerfend nach oben schlug, als wir doch noch zur Autobahn fanden.

On the road

Bei T-30 brachte mein Vater das Auto auf dem Standstreifen zum Stehen. Bei T-29 hatte er das Gesteck in den Kofferraum verfrachtet und wir fuhren mit 150 Sachen über die erste Autobahn, der noch eine zweite, dritte und vierte folgen sollten, bevor es dann links in die Büsche ging. Kein Stau hielt uns auf, keine Polizei hielt uns an. Alles war gut und ich wagte, mich ein wenig zu entspannen. Zu früh, wie ich bald darauf feststellen sollte.

T-05: „Jetzt weiß ich auch nicht mehr, wo wir sind.“ Außerdem wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, während ich diesen Satz sagte und danach stumm auf das hübsche Einfamilienhaus in einem Neubaugebiet starrte, vor dem wir gestrandet waren. Leider stand es an einem Wendehammer und die einzige Richtung, die uns blieb, war zurück nach Norden, obwohl wir eigentlich nach Süden wollten. Das Navi beharrte darauf, dass wir den Zaun des Hauses niederwalzen, durchs Gemüsebeet pflügen und dann durch den Gartenteich schippern sollten, um den dahinterliegenden Feldweg gen Süden zu erreichen, aber irgendwas hielt uns davon ab…

Metalcore für die Nerven

Ich kann beim besten Willen nicht sagen, wie wir aus dem Wohngebiet raus, auf die Bundesstraße drauf, durch drei weitere Dörfer hindurch und am Ende tatsächlich bis zur Einfahrt unseres Klosters gekommen sind. Wahrscheinlich war ich gnädigerweise in Ohnmacht gefallen. Jedenfalls standen wir plötzlich, es war T+12, auf dem Parkplatz. Reflexartig ließ ich mich in den Fußraum fallen, was meinem Kleid nicht wirklich zuträglich war, denn um den Eingang herum entdeckte ich Fußvolk. Die ersten Gäste! „Wir pirschen uns von hinten an“, entschied ich. Dass wir uns dazu durch eine Hecke wurschteln und über die regennasse Wiese laufen mussten, interessierte mich zu diesem Zeitpunkt nur noch perifer. „Wenn du was willst, ist alles egal“, sagt mein Mann immer und je nach Situation, ist es ein Vorwurf oder ein Lob.

Hochzeitswolken

Die letzte halbe Stunde vor der Trauung verbrachten wir zweisam im Brautzimmer, warfen hin und wieder misstrauische Blicke auf den Wolkenhimmel vor dem Fenster (Open Air-Trauung und so) und versuchten, uns zu entspannen. Die Trauzeugen hatten alles im Griff, der Theologe war aufgetaucht und ich freute mich einfach nur auf den Tag, während mein Mann – bis dahin ennervierende Ruhe selbst – langsam zappelig wurde und sich nur noch mit Metalcore-Musik aus dem iPod beruhigen ließ.

Einmal sollten wir auf dem Weg zum Altar fast noch vom Weg abkommen, als das süße Blumenmädchen im Klosterhof zu den Klängen von „I belong to you“ forschen Schrittes die falsche Abzweigung nahm. Aber irgendwie schafften wir es doch noch durch den Mittelgang nach vorne und siehe da, in dem Moment, als wir uns auf den Stühlen niederließen, kam die Sonne raus und blieb uns bis nach dem Sektempfang hold. Danach war das Wetter dann den meisten schon egal.

Die Anfahrt sollte nicht die letzte Panne des Tages gewesen sein. Vielleicht schreibe ich im nächsten Jahr über Hochzeitstorten und DJs 🙂 Aber trotzdem war es ein wunderschöner Tag, der mit all seinen Begegnungen und Geschichten – den lustigen, nervigen, rührenden und schönen – unvergesslich ist.

Alles Liebe zum Hochzeitstag, mein Schatz!

Deine – und natürlich Eure – Nachbarin

Geschafft!!!

PS: Einen Tag nach der Trauung rief mein Vater an: „Ich weiß jetzt, was mit dem Navi los war. Es war auf ökonomische Streckenführung eingestellt und hat Schnellstraßen und Autobahnen vermieden.“ Drum versuche, wer sich ewig bindet, am Tag der Trauung keinen Sprit zu sparen 😉

Rotkäppchen im Düsterwald

Rotkäppchen im Düsterwald

Hey, heute ist Sonnenfinsternis! Ich seh ja nur Wolken. Ist aber auch besser so, habe eh keine Schutzbrille. Die Finsternis ereilte mich übrigens auch vergangene Woche – auf dem Weg zum Nähkurs. Ich habe es jetzt verarbeitet und bin bereit darüber zu schreiben. Puh!

Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne mal kreativ bin: Malen, Basteln, Dekorieren – zur Freude meines Mannes. Kürzlich gestalteten meine Tochter und ich hingebungsvoll Glitzereier und platzierten sie in einem Einmachglas. Die Maus fragte: „Und, wo kommt das jetzt hin?“ „Ins Treppenhaus.“ „Ah! Damit der Papa das nicht sieht!“ Weitsichtig sind sie, die Kleinen.

Glitzereier-Deko im Treppenhaus

Mit der gleichen Begeisterung würde ich gerne Nähen, Stricken und Häkeln. Allein mir fehlt das Garn, äh Gen. Sobald ich versuche, etwas aus Wolle oder Jersey herzustellen, scheitere ich an meinen linken Händen. Das hält mich allerdings keineswegs davon ab, es hin und wieder zu versuchen. So wie letzte Woche, als ich einen Nähkurs bei Celia besuchte. Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen…

Auf nach Mittelerde

Als ich mir bei Google die Wegbeschreibung anschaute, war ich kurz davor, die Sache abzublasen. „Wo is dat???“ fragte ich meinen Mann und wies anklagend auf das Satellitenbild, das drei Häuslein inmitten von nichts zeigte. „Das? Das ist Mittelerde, glaube ich. Du weißt schon, da wo die Elben und die Hobbits leben.“ „Ja, und die Trolle“, dachte ich im Stillen und wollte gerade zum Handy greifen, um mit einer Ausrede mein Fernbleiben zu erklären, da sagte mein Mann: „Und du traust dich sicher nicht, alleine im Dunkeln da hin zu fahren.“

„Pffffffft!“ So ein Quatsch!!! „Ich bin groß, ich bin stark, ich bin mutig“, murmelte ich abends darauf das Mantra meiner Tochter vor mich hin, während ich die Nähmaschine in den Kofferraum wuchtete. Natürlich mal wieder viel zu spät dran, nachdem die Maus zum Abschied mein Nähset inklusive 15 Stecknadeln, 20 Garnrollen, einem Auftrenner, 30 Knöpfen usw. usf. auf den Boden gepfeffert hatte. Mit zitternden Fingern fütterte ich mein Smartphone-Navi. Ort, Straße und… „Zu dieser Straße sind keine Hausnummern bekannt.“ Okay, auch gut, meine Orientierung ist ja phänomenal! Es sollte schlimmer kommen, als gedacht!

Your GPS is out of order

Ich hatte also noch 20 Minuten Zeit, um eine 30-Minuten-Strecke zurückzulegen und düste los, bis ich vor unserer Dorfbahnschranke zu einem abrupten Halt kam. Mist! Warten zwecklos, also Wenden in 35 Zügen und ab über die Umgehungsstraße. Ich fuhr die Serpentinen ins dunkle Siebengebirge hinauf und versuchte meinen Puls in den Griff zu kriegen. Einzelne Schilder, die hier und da vor kreuzenden Wildscheinen warnten, trugen nicht gerade zu meiner Entspannung bei.

Rotkäppchen und die Vollsperrung

Oben angekommen ging es ab des Weges in die Büsche. Ich fühlte mich ein bisschen wie Rotkäppchen, das sich gleich dem bösen Wolf stellen muss, konnte aber auch nicht umhin, den glitzernden Sternenhimmel zwischen den Tannenwipfeln zu bewundern, der hier oben seinen Namen noch verdient. „Von draus vom Walde komme ich her…“ rezitierte ich, während ich den Anweisungen meines Navis folgte, nur um kurz darauf vor einer vollgesperrten Straße zu stranden.

„ÄÄÄÄhhhh!“ machte ich angesichts der rotweißen Blockade ohne Umleitungshinweis und der gnadenlos tickenden Uhr (noch fünf Minuten Zeit, um pünktlich zu kommen) und fuhr zurück auf die Landstraße. Direkt hinter einen riesigen Trecker, der genau das fuhr, was hinten angegeben war, nämlich 20. Während ich also in gefühlter Schrittgeschwindigkeit durch den Wald schneckte und überlegte, wann der Fuchs hier wohl dem Hasen gute Nacht sagt, meldete sich mein Handy wieder und bedeutet mir unmissverständlich „scharf links“ abzubiegen.

„Ah, eine Abkürzung“, frohlockte ich mit Blick auf das Schild ‚Landwirtschaftlicher Nutzweg‘ und fuhr (geistig) umnachtet in den Wald. Aus dem asphaltierten Weg wurde ein Schotterweg, aus dem Schotterweg ein Waldbodenweg. Die Bäume rückten näher, meine Scheinwerfer leuchteten keine zwei Meter ins undurchdringliche Dunkel. Gerade als ich anfing meine jüngsten Entscheidungen zu hinterfragen, tauchte rechter Hand ein Pferdehof mit ein paar funzeligen Gaslaternen auf. Nebelschwaden waberten um das große Haus herum. Ein Pferd mit kopflosem Reiter galoppierte an mir vorbei. (Vielleicht habe ich mir letzteres auch nur eingebildet)

Das Ende

Jedenfalls tat ich in dem Moment das einzige, was ein vernünftiger Mensch tun würde: Aufs Gas und ab, tiefer in den Wald. Weit kam ich nicht mehr. In dem Moment als das Navi „Scharf rechts abbiegen“, sagte, musste ich feststellen, dass die Reise zu Ende war: Der Weg mündete in eine marode Holzbrücke – für Fußgänger. Der Waldweg war hier fast nur noch ein Pfad. Keine Wendemöglichkeit! Panisch wollte ich meinen Mann anrufen, um ein Wehklagen anzustimmen und ihn dazu zu bringen, sich mit seinem GPS-Gerät ins Taxi zu setzen und mich zu holen. Allein, ich hatte kein Netz.

Im Düsterwald

 

Um mich herum nur Dunkelheit und absolute Stille. Obwohl, was waren das für Geräusche… Kennt jemand Blair Witch Project? „ARGH!!! Warum habe ich mir diese Filme jemals angesehen???“, schrie ich mich selbst an, legte den Rückwärtsgang ein und trat die Flucht nach hinten an. Leute, ich habe es geschafft, aus diesem Wald rauszukommen, ohne vom kopflosen Reiter gekillt oder von der Hexe in den Wahnsinn getrieben zu werden und zwar ab dem Moment, als ich auf
meinen inneren Kompass
gehört habe und nicht mehr aufs Navi.

Beim Rausfahren habe ich noch beinahe Fuchs und Hase umgenietet, die auf dem Weg eine Polka tanzten. „Ey, ihr Viehzeugs, ihr sollt schlafen“, rief ich, ganz Muttertier. Schweißgebadet kam ich keine zwei Minuten später bei der Nähstube an. Die Navi-App, sie heißt übrigens Scout, hatte noch die Stirn zu fragen „Wie war ich?“ Seitdem ist ein Kratzer im Display. Aber nur ein kleiner.

PS: Weniger Glück hatte übrigens ein LKW-Fahrer, der dieser Tage gar nicht weit entfernt in die gleiche Situation geriet: http://www.general-anzeiger-bonn.de/region/rhein-sieg-kreis/ruppichteroth/Laster-steckt-im-Wald-fest-article1592892.html
Wenn’s mal wieder länger dauert

Wenn’s mal wieder länger dauert

Heute komme ich mal wieder auf das Ur-Thema dieses Blogs zu sprechen: Die Entschleunigung! Wer unser 24-Stunden-Chaos gelesen hat, wird mir beipflichten, dass entsprechende Bemühungen des letzten Jahres bisher nicht wirklich erfolgreich waren. Und das, obwohl ich abends später ins Bett gehe und wirklich viel weniger Zeit damit verbringe, in die Küche zu gehen und Schokolade aus dem Schrank zu holen. Kleinen Moment, bin gleich wieder da…

So! Wo war ich? Ah ja, Entschleunigung. Eigentlich befindet sich das perfekte Trainingslager hier direkt um die Ecke. Es bestimmt quasi den Puls des gesamten Dorfes (den es gerne mal hochtreibt), entscheidet darüber, ob man pünktlich oder wesentlich zu spät ins Büro, zum Nähkurs oder zur eigenen Entbindung kommt. Es stiftet Ehen, sorgt dann später für heftige Krisen und vereitelt dennoch jede Scheidung, weil es niemandem eine Chance lässt, jemals rechtzeitig beim Amtsgericht anzukommen. Die Rede ist vom Bahnübergang.

Sicher ist sicher

Man kann der Deutschen Bahn ja viel vorwerfen, aber was die Sicherheitsvorkehrungen an Übergängen angeht, sind sie wirklich genau. Sehr genau! Wenn sich in Koblenz um 12:45 Uhr ein Zug in Bewegung setzt, geht die Schranke runter. Sie bleibt unten, wenn dieser Zug 40 Minuten später am hiesigen Bahnhof hält. Und sie bleibt weiterhin unten, bis dieser Zug wieder 40 Minuten später in Köln einrollt… Zumindest fühlt es sich so an. Dann öffnet sich die Schranke, um zwei Autos aus der Schlange durchzulassen, die sich im Normalfall bis hinunter zum Rhein, mittels Fähre hinüber zur anderen Flussseite und von dort hinauf ins Bonner „Vorjebirge“ schlängelt. Bevor der Fahrer des dritten Wagens hektisch seinen Campingtisch einklappen, den tragbaren Fernseher in den Kofferraum stellen und die Reste des Drei-Gänge-Menüs entsorgen kann, dass er in der Zwischenzeit zu sich genommen hat, geht die Schranke wieder zu.
Wohnungsangebot

Da der Fahrer dieses Autos das mittlerweile genau weiß – er muss öfter hier durch – bleibt er einfach an Ort und Stelle sitzen und flambiert in Seelenruhe seine Crème brûlée zu Ende. Hin und wieder kommt es vor, dass ein gehetzter Geist in der Reihe hinter ihm unruhig wird, weil er allen Ernstes glaubt, es könnte irgendwie schneller gehen, wenn man sich beeilt. Immer mal wieder kommt es deshalb zu Handgreiflichkeiten zwischen Alteingesessenen und Zu’groasten an der Schranke.

Wenn ich aus meinem Büro-Fenster schaue und mal wieder der Polizei-Hubschrauber über dem Dorf kreist gibt es nur drei Möglichkeiten. Erstens:
Onkel Günnis Vogelspinne Esmeralda ist mal wieder abgehauen. Zweitens: Gemeine Diebe haben den Opferstock der Dorfkirche geplündert. Drittens und am Wahrscheinlichsten: Es findet die dritte Massenschlägerei des Monats an der Bahnschranke statt.
Zarte Bande an der Schranke
Die örtlichen Gewerbebetriebe haben sich indes gut auf die Situation eingestellt. Das Eiscafè am Bahnhof bietet unter dem Motto „Wenn’s mal wieder länger dauert“ einen riesigen Snickers-Eisbecher für zwei Personen an. Beliebt bei Pärchen, die zarte Bande an der Schranke knüpfen, wo das Leben sie auf wundersame Weise zum gleichen Zeitpunkt hingespült hat. Sie können ja nicht wissen, dass man bei diesem Bahnübergang niemals in ZeitPUNKTEN, sondern immer in langen ZeitRÄUMEN denken muss, und ihre Begegnung weit weniger schicksalhaft war, als sie sich das in ihrer Verklärung ausmalen.
Pommes Schranke und Snickers-Eis

Die Wurstbude „Bei Dieter“ eins weiter bringt die „XXL-Pommes Schranke“ im Zwei-Liter-Eimer mit Cola für 3,50 direkt ans Auto. Der Frisör wirbt damit,
jedem Wartenden einen Haarschnitt inklusive Pflegepackung, sowie zusätzlich eine Mani- und Pediküre verpassen zu können, bevor die Fahrt weitergeht. Sollte er es nicht schaffen, kostet es keinen Cent. Ich glaube, er hat noch nie Minus gemacht.

Vor kurzem hat auf der Straße nun auch ein Wettbüro eröffnet. Hier wetten besonders gerne die Einheimischen mit Erfahrung. Zum Beispiel auf die Uhrzeit, zu der sich die Schranke das nächste Mal heben wird, die Anzahl der Autos, die dann durchkommen oder wie lange es noch dauern wird, bis der genervte Fahrer in Wagen sieben das einzig Richtige tut: Nämlich aus der Schlange ausscheren und die Unterführung in der Parallelstraße nehmen 😉      

In diesem Sinne: Immer mit der Ruhe 🙂

Eure Nachbarin

Die Felge

Die Felge

Mein Umfeld kennt mich als ruhigen besonnen Menschen mit Engelsgeduld und Nerven aus Stahl. (An dieser Stelle möchte ich bitte keine Kommentare enger Familienangehöriger lesen.) Nur manchmal, man kann diese Situationen im Jahr an einer Hand abzählen, erwacht das Rumpelstilzchen in mir, der Hulk schält sich aus seinem viel zu engen Anzug, die temperamentvollen Gene der Rothaarigen tanzen Samba…

Es kann eine Kleinigkeit sein, nach einer anstrengenden Woche (die Nudeln sind mal wieder übergekocht) oder aber eine größere Kleinigkeit. Wie vor einigen Wochen, als der Fahrer eines klapprigen Ford meine
Tochter und mich fast umgenietet hat, während er mit 50 Sachen durch die verkehrsberuhigte Zone vor unserem Hauseingang jagte.
Möchtegern-Vettel
Okay, vielleicht ist er auch nur 30 gefahren, aber in der engen Gasse kam mir das wie 200 vor. Mindestens. Und hier ist Schrittgeschwindigkeit!!! Nicht auszudenken, wenn meine Tochter ein Stück weiter von mir weggestanden hätte. Und wenn es um meine Tochter geht, hört der Spaß auf. Dann werde ich zur Löwin und dann brülle ich. Zur Not überbrücke ich mit meiner Stimme kinderleicht die 50 Meter, die dieser Möchtegern-Vettel noch zurücklegte, um dann mit quietschenden Reifen auf dem Behindertenparkplatz zu halten.
In meiner Rage hatte ich mir mein Kind geschnappt und rannte, mit dem freien Arm wild gestikulierend auf den Rowdy zu, der sich als Mittfünfziger mit Wohlstandsbauch und offensichtlicher Zeitnot entpuppte. „Wie
kommen Sie dazu, hier so rumzurasen, hier ist verkehrsberuhigte Zone“, schrie ich, bereits schwer atmend, auf den letzten zwanzig Metern. Währenddessen fing meine Tochter an zu jammern „Mama, nicht böse sein!“ Sie hatte den Ernst der Lage intuitiv erkannt. ER NICHT!
Er motzte irgendwas zurück, schüttelte uns ab wie lästige Fliegen, rannte zur Praxistür des ansässigen Arztes – wahrscheinlich auf dem Weg, seine Beruhigungspillen abzuholen (vielleicht hätte er mir eine Packung mitbringen sollen) – und warf sie mir vor der Nase zu. Also, die Tür. Besagter Tür schmetterte ich in meinem Frust ein Schimpfwort der Kategorie ’nicht für Kinderohren bestimmt‘ an den Rahmen und stand dann etwas hilflos, aber nicht weniger wütend auf der Straße rum.
Kleine Frau, was nun?
Sollte ich ihm hinterherrennen? Das wollte ich meiner ohnehin überforderten Kleinen nicht antun. Sollte ich auf ihn warten? Wie lange sollte das wohl sein. Also entschied ich mich, zu gehen, brauchte aber
definitiv ein Ventil, denn mir stieg immer noch der Dampf aus den Nüstern, mein Puls auf 180. Als ich an dem uralt-Ka vorbeiging überkam es mich und ich trat einigermaßen kräftig gegen den Hinterreifen.
Also, ICH WOLLTE EIGENTLICH gegen den Hinterreifen treten. Leider bezieht sich meine legendäre Unsportlichkeit nicht nur auf meine schneckengleiche Performance beim Sprint oder die Gefahr für alle Zuschauer,
die beim Weitwurf HINTER mir stehen… Ein Sportlehrer diagnostizierte beim Speerwerfen mal eine motorische Behinderung und tat seine Meinung auch vor der ganzen Klasse kund! Ganz offensichtlich hatte er Recht und letztere betrifft auch meine Hirn-Fuß-Koordination.

Anders kann ich nicht erklären, dass es plötzlich laut schepperte und die Felge am Boden lag. (Dass es gar nicht die Felge war, sondern die Radkappe, erklärte mir später mein Mann, ich bin in solchen Sachen nicht so firm). Als also Raser-Rowdy kurz darauf aus der Praxis kam (war ja klar), sah er mich und meine Tochter am Boden knien, in dem erfolglosen Versuch, das abgesprungene Ding wieder „dranzunageln“.

„Was brüllen Sie die Frau so an??“
War seine Laune schon vorher nicht auf dem Höhepunkt, sackte sie jetzt in den Keller ab und er blaffte mich an. „Was haben Sie denn da gemacht???!!“ „Ich äh, also ich habe Ihnen die Felge abgetreten!“, stotterte ich etwas betreten. „Ja, haben Sie sie noch alle???“ plusterte er sich auf. „Wat haben Sie an meinem Auto verloren??“ – „Was brüllen Sie die Frau so an??“, kam unerwartet weibliche Schützenhilfe von der rechten Seite, eine Dame aus der Nachbarschaft hatte die Szene beobachtet.
So langsam wurde ich auch wieder wütend und schob mein schlechtes Gewissen zur Seite. „Was haben Sie hier so rumzurasen, wie ein Verrückter?“, fauchte ich gerade, als im ersten Stock das Fenster aufging:
Meine Freundin hatte das Wortgefecht gehört und rief nun von oben: „Lassen Sie ja die Frau in Ruhe!“ Ich sagte zu ihr: „Haste gesehen, wie der hier reingerast ist?“ Sie natürlich: „Ja, klar!!“ Ich hätte sie küssen können, und mich überkam plötzlich tiefe Gelassenheit.
Ich ließ meinen Blick demonstrativ über das auf dem Behindertenparkplatz geparkte Auto wandern und sagte ruhig: „Ok, dann holen wir jetzt die Polizei!“ Kurz huschten meine Gedanken in Richtung vorbestraft wegen
vorsätzlicher Sachbeschädigung, Sozialstunden, Knast, Jugendamt, völliger sozialer Absturz, Trunksucht und Obdachlosigkeit… dann hatte ich mich wieder gefasst und blickte ihm fest in die Augen.
Er sah von mir zu meiner Freundin im ersten Stock. Dann drehte er sich abrupt um, warf seine Felge (also seine Radkappe) in den Kofferraum und ranzte: „Ich hab ja wohl noch anderes zu tun heute! Termine!“
und war weg. Leider ebenso schnell wie er gekommen war. Unbelehrbar so was. Aber irgendwie war ich zu erleichtert, um mich nochmal aufzuregen. Mit einem warmen Dankeschön, winkte ich meiner Lieblingsnachbarin zu, nahm mein Töchterlein an die Hand und ging endlich meiner Wege.
Die Zeit anhalten

Die Zeit anhalten

Entschleunigung! Wer mich kennt, weiß, dass ich dieses Wort nicht leiden kann. Wahrscheinlich, weil ich dieser Tante E. immer mit enervierender Erfolglosigkeit hinterherrenne. Kein Wunder, so als langsamste Joggerin des Planeten. Trotzdem ist sie ja irgendwie der Grund für meinen Blog. Und siehe da, nach acht ergebnislosen Monaten habe ich endlich ein Werkzeug gefunden, um sie zu erreichen. Es ist der Knopf an meinem Wasserkocher.Aber von Anfang an: Wir wollten also in den Urlaub. Ans Meer. Nicht schon wieder Seychellen, dachte ich und beschloss: Diesmal fahren wir an die Nordseeküste. Als die Familie meinem Vorschlag etwas unenthusiastisch begegnete, zog ich meinen Trumpf aus der Tasche: „Nein, nicht Holland. Diesmal machen wir was Besonderes: Wir fahren nach Ostfriesland!“

Zwanzig Minuten später hatte sich der Sturm der Begeisterung etwas gelegt, so dass ich mir wieder Gehör verschaffen konnte: „Wir werden in einem Mühlenhaus wohnen und uns wird völlig egal sein, ob es regnet, schneit oder weht. Denn ich packe einfach für alle Eventualitäten.“ Der Urlaub verzögerte sich dann noch um einige Monate, weil wir für unseren französischen Kleinwagen erst einen Dachgepäckträger und dann noch einen Anhänger kaufen mussten…

Ab auf den Ostfriesenspieß
Aber schließlich waren die 20-seitige Packliste abgearbeitet, die fünf Kubik verstaut und es ging los Richtung „Ostfriesenspieß“. So heißt die A31. Sie fängt hinterm Ruhrpott an und ist die leerste Autobahn Deutschlands. Hier fahren pro Minute nur neun Autos. Dass wir es dann schafften, auf dieser Autobahn trotzdem zwei Stunden im Stau zu stehen, lasse ich an dieser Stelle mal unerwähnt.
In unserem Mühlenhaus angekommen, stellten wir fest: Im zentralostfriesischen Uttum mahlen die Mühlen nicht nur langsamer, sie malen gar nicht! Was daran
liegt, dass die eindrucksvolle Windmühle keine Flügel hat. Ein Manko, über das ich großzügig hinwegsehen konnte. Was mich jedoch viel mehr bewegte, war ihre
Lage, nämlich total ungünstig zwischen dem nächsten UMTS-Masten, Satelliten oder was weiß ich und besagtem Mühlenhaus. Wir hatten KEIN INTERNET!!!
Panik und Schweißausbrüche meinerseits. Das hätte man beim Bau vor 150 Jahren nun wirklich beachten können, zürnte ich, um dann in der Abenddämmerung drei Stunden lang mit aufgeklapptem Laptop in den verkrampften Händen ums Gelände zu schleichen, auf der Suche nach dem Netz. Das ich nicht fand. Stattdessen zog ich einen Schwarm Moskitos, Nachtfalter und Fledermäuse hinter mir her und fiel fast in den Wassergraben am Grundstücksende. Aufgegeben habe übrigens nicht ich, sondern der Laptop-Akku.
Ein Urlaub, wie er früher einmal war
Aber man gewöhnt sich an alles und nach drei Tagen aussichtslosen Suchens quer durch Ostfriesland – das Ganze erwies sich als flächendeckendes Problem – war ich bereit, meinen Urlaub zu beginnen. Der Laptop blieb zu, das Tablet wanderte in die Schublade, das Smartphone wurde zum Fotoapparat und ich begann endlich – ENDLICH – zu entspannen. Was folgte war
ein „Urlaub, wie er früher einmal war“ mit einem „Sommer, wie er früher einmal war“ und ich hätte beides gerne bis 2020 ausgedehnt.
Allein – wir mussten zurück. Raus aus der ostfriesischen Sonne, rein in den rheinischen Dauerwolkenbruch bei 16 Grad Celsius. Das Netz ist perfekt, der Stress ist zurück! Aber das ostfriesische Rezept zur
Entschleunigung haben wir uns als Souvenir mitgebracht. Hier ist es:Wasser in den Wasserkocher einfüllen. Knopf an Wasserkocher drücken. Warten bis es blubbert. Schwarzen Ostfriesentee in Teebeutel füllen und in ostfriesische Teekanne einhängen. Mit heißem Wasser übergießen, 3 bis 5 Minuten ziehen lassen. Ein Kluntje (Mega-Kandis) in einer ostfriesischen Teetasse platzieren, Tasse zur Hälfte mit Tee füllen.
Sahne mit dem ostfriesischen Rohm-Lepel (Mini-Sahnekelle) in den Tee einbringen. In die Sahnewolken schauen. Nichts mehr denken, nichts mehr sagen, nichts mehr tun.