So, das musste raus aus der Feder. Ich bin ja sonst eher der Schreiberling, aber als ich mal angefangen hatte… Anlass war diese Umfrage der Elternzeitschrift, bei der 56 Prozent der Männer und 73
Prozent der Frauen angaben: „Den meisten Stress in Sachen Erziehung und Familienarbeit mache ich mir selbst.“ Das ging natürlich in der Presse rauf und runter. Nach dem Motto: Gott sei Dank, Gesellschaft, Politik und Arbeitgeber sind aus dem Schneider, die perfektionsgeilen Damen (und einige Herren) Eltern stressen sich ja bloß selber. Von wegen Vereinbarkeitsbarkeitsprobleme und so. Alles völlig übertrieben. Zurücklehn!
Nachdem ich meine erste Reaktion abgekühlt hatte, indem ich den Kopf in den Eisschrank hielt (man muss ja auch an seinen Blutdruck denken), fing ich also an zu zeichnen. Weil ich aber ja ein Schreiberling bin und das auch besser kann, muss ich jetzt doch einen Beitrag dazu loswerden. Nämlich: Ein Tag in der Familie der Nachbarin! Es könnte der längste Post dieses Blogs werden oder vielleicht der längste aller Zeiten. Vielleicht schreibe ich auch ein Buch, aber irgendwie muss ich diesen Wahnsinn hier mal dokumentieren.
Wer also weder Zeit noch Muße hat, diesen beschwerlichen Weg mit mir zu gehen (ich kanns keinem verdenken), nehme hier die Ausfahrt und schaue sich einfach das Bildchen an. Mit den Tasten Strg und + kann man es ranzoomen :-))
Ein Tag in der Familie der Nachbarin!
Morgens 7 Uhr 15 Uhr in Deutschland. Ich wache auf, weil irgendwo ein Kind nach „KAKAAAOOO“ schreit und bin im ersten Moment völlig orientierungslos. Dann dämmert es mir. Ich bin heute Nacht aus dem Elternbett ausgezogen – mal wieder – nachdem Töchterlein – wie immer – um halb drei aus ihrem Bett in unseres gewankt kam, um sich dort in gewohnter Manier (Kopf Richtung Vater, Füße in meine Nieren) zwischen uns zu quetschen und sich dann im Zehnsekundentakt zu drehen und zu jammern.
Flopsi, Tupsi und Schnurzi |
Wo ich mich jetzt aufhalte, verrät mir ein Geruch, der entfernt an Hamsterkäfig erinnert. Meine Finger ertasten da außerdem etwas Weiches: Ah ja, Flopsi, Tupsi, Schnurzi, Furzi (oder so ähnlich) verteilen sich um meinen Kopf herum: Ganz klar! Ich liege im Kinderbett. Und gedenke dort auch liegen zu bleiben, denn „Kakao!!!“ ist morgens ganz klar eine Ansage an meinen Mann. So will es die Aufteilung. Außerdem muss ich mich erst sammeln. Nach der – wie immer – unterbrochenen Nacht und sagen wir sechs Stunden Schlaf netto, fühle ich mich – wie immer – dem morgendlichen Multitasking nicht gewachsen.
„Wo ist meine Jacke? Wo sind meine Socken? Wo ist meine Hose?“, heißt es jeden Morgen im Minutentakt! Und meine Tochter will auch ständig was. Das raubt mir schon jede Energie, wenn ich nur daran denke. Ich liege also da, mit der Decke über dem Kopf und erwarte, dass mein Mann meiner Tochter einen Kakao macht. Aber was ist das? Ich höre ihn ins Badezimmer abbiegen. Er wird doch nicht… Doch er wird! Das fragile Kartenhaus, das sich bei uns Routine nennt, bricht gerade in sich zusammen, als meine Tochter das Bett – und mich – entert und mir die ersten Hämatome des Tages verpasst. „Mama!!! Mach mit bitte Kakao!!“ „Aber dein Vater…“ – hatte ein dringendes Bedürfnis.
Nu denn! Ich quäle mich aus dem Bett und dann fällt es mir ein: Es ist schon wieder Donnerstag! Das heißt, mein Mann hat – wie immer am Donnerstag – einen wichtigen Jour Fixe in der Nachbarstadt und meine Tochter Kita-Turnen, das sie so liebt. Das heißt wiederum: Ich muss sie pünktlich zwischen 8 und 8 Uhr 15 zur Turnhalle bringen UND sie frühstückt zu Hause, statt in der Kita UND mein Mann hat keine Zeit, irgendwas zu übernehmen. Ich hasse Donnerstage! Habe meinem Mann schon einen Jobwechsel ans Herz gelegt, aber er fand das übertrieben…
Frühstücksbrot, verschmäht |
Der Kakao ist getrunken, ein Knäckebrot mit Marmelade bestrichen, die Uhr zeigt halb acht. Im Kopf gehe ich durch, was noch zu tun ist: Kind frühstücken lassen, Kind die Zähne putzen, Kind die Haare flechten, Kind anziehen. Sporttasche checken, Kleidung für nach dem Sport eintüten, Matschehose, Handschuhe, Schal, Mütze. Oh Mist! Mich selbst muss ich ja auch noch fertig machen… Später!
Kind beißt einmal ins Knäckebrot und mag dann nicht mehr. Dafür hat sie jetzt Marmelade in den Haaren. „Ich muss das jetzt auswaschen und dann kämmen!“ „Neeeeeiiiiiin!“ „Doch, du brauchst Zöpfe, sonst hängen deine Haare beim Turnen ständig im Gesicht!“ „Auuuuuuuaaaaaa!“ „Wir können deine Haare auch abschneiden!“ „Neeeeeiiiiiiin!“ (Das kommt von meinem Mann aus dem Badezimmer) „Mach du ihr doch die Haare!!“ Irgendwie kriege ich trotz Gezappel und Gejaule zwei anständige Zöpfe geflochten. Es ist Viertel vor acht.
„So jetzt hier Klamotten! Zack, zack, zack!“ Aber „zack, zack, zack“ is nich mit einer Dreijährigen, die ihre Spielsachen die ganze Nacht nicht gesehen hat. „Ich muss noch grad den Fluffi…“ „Nein, du kommst jetzt bitte her, sonst kommen wir zu spät zum Turnen. Herkommen!!! Ah gut. … Nein!!!! Hiergeblieben!!!“ Und schon ist sie wieder weg.
Neben Donnerstagen hasse ich übrigens den Winter: Unterhose, Leggins, dünne Socken „Nicht die Leggings ÜBER die Socken, die Socken ÜBER die Leggins!!!“, dicke Socken, Hose. „Nein nicht die Jeans!! Ich habe Angst vor dieser Jeans!!!“ Unterhemd, Pulli. „Sag mal ist dein Kopf wieder größer geworden? Ich krieg… das nicht… drüber!“ „Auuuuuaaaa!“ – „Was macht ihr denn wieder hier, Mädels??“ Ach, mein Mann ist ja auch noch da. Frisch geduscht, frisch, rasiert, im Anzug – er sieht umwerfend aus. Ich dagegen rieche wie etwas, das man schnell im Biomüll entsorgen will. Und es ist schon fünf vor acht.
„Kannst du ihr die Zähne putzen? Ich muss mich noch anziehen.“ „Ja, klar!“ Oh, er ist echt zu süß, riskiert sogar Prinzessin-Lillifee-Zahnpasta-Kleckse auf seinem Hugo Boss. Ein echter Daddy eben!! Schnell werfe ich mir irgendwas über und fahre mir alibimäßig dreimal mit der Zahnbürste durch den Mund. Dr. Hund würde sich mal wieder die Haare raufen. Apropos Haare: Kämmen? Zwecklos! Naturlocken und Heizungsluft: Im Winter baut jemand darin nachts sein Nest und haut dann ab… Also, mit dem Haargummi festzurren und Kapuze auf.
Durchschnittlicher Klamottenberg für einen Ausflug im Winter |
Das Kind steht mehr oder weniger fertig im Wohnungsflur. Das muss noch mit und das muss noch mit… – „Schatz! hast du meine Uhr gesehen…?“ „Nicht jetzt!! Können wir uns darauf einigen, dass du mich morgens nicht mehr fragst, wo deine Sachen sind? Es reicht, wenn ich zwei Leute fertig machen muss.“ „Wir müssen auch gar nicht mehr miteinander reden…“ Oh, jetzt ist er motzig. Nicht gut! Und es ist 8 Uhr 5. Jetzt müsste ich mir eigentlich Zeit zur deeskalierenden Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg nehmen. Aber wir müssen lohoooos! „Kind, nimm noch eine Banane für den Weg und dann ab dafür!“
Während meine Tochter durchaus kooperativ, aber in Schildkrötengeschwindigkeit die Treppe hinunterbalanciert, mache ich den Buggy fertig. Normalerweise geht sie an der Hand, aber heute müssen wir joggen. Kind also mit Müh und Not festgezurrt, Schlüssel fürs Gartentor kurz verlegt und wiedergefunden. Turnbeutel, Matschehose. Alles da! Bis mir am besagten Gartentor auffällt: Es sind drei Grad und das Kind hat weder Schal noch Mütze an.
„Werd grün!!!!“ |
Also zurückgejoggt und beides aus dem Schrank gerissen. Es ist 8 Uhr 12 Uhr mein Puls auf 180. Ich rase mit meiner Tochter im Buggy dahin, brülle die Ampel an, damit sie grün wird, grüße links und rechts ein paar Nachbarn und schaffe es Schlag 8:17 Uhr zur Turnhalle. Die Tür ist schon zu. Also zerre ich mein Kind auf dem Flur aus seinen Sachen und bugsiere es mit der einen Hand in die Halle, während ich mit der anderen versuche Socken, Hose, Strickjacke Jacke, Schal, Handschuhe, Mütze und Turnbeutel festzuhalten.
Drinnen sitzen 20 Kinder im Kreis und starren uns an. Die beiden Erzieherinnen stehen in der Mitte und machen irgendeine Ansage, als wir reinkommen. „Oh, die Maus hat sich schon draußen umgezogen.“ „Ja, wir dachten, ihr hättet schon angefangen und wollten nicht stören.“ „Ach, das ist aber nett. Und was für hübsche Zöpfchen du hast!“ Na, wenigstens hier herrscht gute Laune. Ich würde ja gerne bleiben, aber die Arbeit ruft. Also knalle ich das Klamottenbündel auf irgendeinen Stuhl, winke meinem Töchterlein zu, das irgendwo rumsteht und mir etwas verloren hinterher blickt und siehe – nicht ohne Rabenmuttergefühl – zu, dass ich Land gewinne…
Um diesen Editor und euch geneigte Leser, die ihr mir bis hierhin gefolgt sein (wow!) nicht überzustrapazieren, habe ich beschlossen, den „Tag in der Familie der Nachbarin“ in mehrere Kapitel, sprich Beiträge aufzuteilen. Quasi als Fortsetzungs-Post. Teil zwei kommt am Donnerstag! Lest rein, wenn ihr mögt!
Weitere erschienene Beiträge der Serie:
Aber Zeit für einen lila Ballettschuh haben 🙂 … Tsts die Mütter von heute, bei uns wurde früher nicht getanzt wenns eilig war…
Vegis 224
Ts, lila Ballettschuh. Dat sind meine Puschen 😉 Von Oma geerbt!!
GROßARTIG!!! Dem ist nichts hinzuzufügen 🙂
Danke 🙂 Leider doch (s. Fortsetzung…) 😉
Hahaha – DANKE für diese fulminante Beschreibung. Freue mich auf Donnerstag! Lachende Grüße
Vielen Dank. Und es geht schon weiter mit Teil drei: dienachbarin.blogspot.de/2015/01/alle-guten-dinge.html