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Manchmal muss man Nägel mit Köpfen machen: Nach traumatischen Erfahrungen an einem sonnigen Strandtag musste sich definitiv etwas ändern. Ich entschied mich – wie immer –  gegen eine Diät und für eine Typberatung. In Erinnerung habe ich unter anderem die folgenden Sätze: „Wir bestimmen jetzt Ihre Gesichtsform. Es gibt rund, herzförmig, eckig und oval und Sie haben… Hmmmm! Irgendwie nichts davon.“ War ja klar!

Typberatung – kaschieren statt trainieren
 
„Es gibt Leute, die können wirklich alles tragen“, seufzte ich vor ein paar Jahren neidvoll am Stand von Kreta, als sich zwei Mädels im Modelformat mit maximal zwei Zentimetern Stoff auf der Haut in meine Sichtlinie drapierten. Da lagen sie nun und störten den Ausblick (mein Mann hätte es wohl etwas anders formuliert). Aber meine Gedanken drehten sich für den Rest des Tages um Kilos, Dellen und unmögliche Jeansschnitte, statt um „nichts“ – so wie es unter Palmen eigentlich sein sollte.
 
Ich bekämpfte meinen Frust an jenem Tag mit Keksen, Chips und Cola und beobachtete fasziniert die Wendetechnik der beiden Damen, die ihnen bis zum Abend eine nahtlose Bräune
bescherte. Ab und an schielte ich auf meine Hüften (bis ich schließlich aufgab und mich mit meinem Badetuch zudeckte) und träumte von hübscheren Zeiten anno 1999. Damals am Strand von Rimini, 10 Kilo leichter, sonnenbankvorgebräunt, falten- UND dellenlos…
 
„Trotzdem bist du heute viel glücklicher“, rief ich mich selbst zur Ordnung. „Du hast einen tollen Mann, einen Job, den du liebst, eine schöne Wohnung…“ – „und Hosengröße 40/42“, tönte es gehässig von meiner rechten Schulter, auf dem gerne mal ein Wicht namens „Klar denkend“ Platz nimmt. Er hat meistens das letzte Wort und gab auch diesmal keine Ruhe, bis ich mir Wochen später schließlich entnervt eingestand: „Ich muss was tun!“
 
Twiggy und Marilyn Monroe
 
Neeeeiiiin – keine Diät und kein Sport. Wo kommen wir denn da hin?? Das dauert auch viel zu lange. Was ich brauchte, war eine Typberatung. Wenn schon nicht ändern, dann
wenigstens perfekt kaschieren, dachte ich mir. Und weil so was zu zweit viel mehr Spaß macht, nahm ich meine Freundin Marisol mit ins Boot. Wie der Name schon sagt, hat auch Marisol wegen ihrer spanischen Wurzeln kein Problem mit nahtloser Bräune, dafür gleichen sich unsere Figuren – oben eher Twiggy unten eher Marilyn Monroe.
 
Wir ließen eine Typberaterin aus Hamburg einfliegen und entschlossen uns, das Happening bei Marisol abzuhalten. Ich sollte ein paar ausgewählte Klamotten mitbringen, aber irgendwie konnte ich mich nicht entscheiden und packte kurzerhand den gesamten Kleiderschrank-Inhalt ein. Die Gesichtszüge der zierlichen, perfekt gestylten Typberaterin entglitten nur ganz kurz, als sie meine drei Koffer und zwei Reisetaschen sah. Dann hatte sie sich wieder im Griff.
 
Was folgte, war eine achtstündige Session ohne Pause, nach der die Wohnung meiner Freundin aussah wie die Kleiderkammer Berlin Wedding. Wir probierten Farben aus,
bestimmten unseren Typ (sportlich bis romantisch), wurden von Kopf bis Fuß vermessen. Madame Typberatung war freundlich, beschönigte aber nichts, was ihr den Beifall von „Klar denkend“ einbrachte.
 
Die perfekte Rocklänge
 
In Erinnerung habe ich die folgenden Sätze: „Wir bestimmen jetzt Ihre Gesichtsform. Es gibt rund, herzförmig, eckig und oval und Sie haben… Hmmmm! Irgendwie nichts davon.“ War ja klar! „Ihre Augenform ist interessant, die äußeren Augenwinkel liegen tiefer als die inneren – normal ist es ja umgekehrt.“ Stimmt und ich versuche seit zwanzig Jahren erfolglos, dagegen
anzuschminken. „Jetzt zu Ihren Fesseln. Wo sind denn Ihre – Fesseln?“ Ja, ich weiß, ich habe Fettablagerungen an ungewöhnlichen Stellen, aber muss man so darauf herumreiten???
 
Apropos rumreiten und Fettablagerung: „Diese Reiterhosen, die Sie da haben, sind jetzt nicht extrem… Ich würde trotzdem zu einer Rocklänge raten, die unterhalb des Knies endet.“ Und dazu Stiefel, dann sieht man genau die zehn Zentimeter meiner Beine, die ganz passabel aussehen, setzte ich in Gedanken hinzu. Und genauso mache ich es seitdem und siehe da, so ein bisschen Ehrlichkeit mit sich selbst, kann für das Auge des Betrachters ganz erholsam sein.
 
Übrigens fand nur ein Drittel meiner Sachen den Weg zurück in meinen Kleiderschrank. Alles andere wurde gnadenlos aussortiert. Wie sich beim Farbtest ergeben hatte, kann ich als ‚Frühlingstyp mit blau‘ alle Farben tragen, die eigentlich meine Freundin Marisol so liebt und umgekehrt. Da sie, der Wintertyp, allerdings mit ihren Farben Pink, Eisblau und Zitronengelb genauso wenig anfangen kann, wie ich mit meinem Curry, Weinrot oder Ocker, bleibt jeweils nur wenig auf unseren Farbpässen übrig.
 
Die Farben der Wahl
 
Ein angenehmer Effekt, wie ich finde. Wenn ich meinen Blick durch die Weiten der Damenabteilung des Bonner Kaufhofs schweifen lasse, erkenne ich aus hundert Metern Entfernung, welchen Ständen ich mich zuwenden kann. Denn seit vier Jahren kaufe ich fast ausschließlich Petrol, Aqua und Türkis. Wenn es das nicht gibt, kaufe ich meistens – nichts. Was dazu führt, dass ich wesentlich mehr Sommersachen als Wintersachen habe.
 
In den letzten vier Jahren habe ich dank Schwangerschaft und Schokoladensucht nochmal zugelegt. Das Hautbild hat sich auch nicht auf wundersame Weise einem Pfirsich angeglichen. Ich folge immer noch brav den Vorgaben der Typberaterin, der ich an dieser Stelle nochmal sehr für ihre Offenheit danke.
 
Nur eine Sache habe ich mir gegen ihren Rat vor kurzem herausgenommen: Da meine Handgelenke heute das einzige sind, was man an meinem Körper noch als filigran bezeichnen kann, habe ich mir im Teneriffa-Urlaub gleich drei glitzernde Armbänder gegönnt: in Pink, Rosa und Flieder. Anders hätte ich meinen anhaltenden Frust am Strand auch nicht kompensieren können…