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Kann es was Schöneres geben?

Kann es was Schöneres geben?

Allein das Aufschreiben unseres 24-Stunden-Chaos hat mich wohl so geschwächt, dass ich erstmal `ne Woche Migräne nehmen musste. Langsam ist es besser und ich kann wieder grade aus den Augen gucken. Dafür hat die Maus sich den ersten Kita-Virus des Jahres eingefangen, den sie großzügig mit uns und allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist zu teilen gedenkt. Deshalb nutze ich mal schnell den Moment, um die nächsten Stunden unseres Familientages in die Tasten zu kloppen, bevor mich der grippale Infekt niedersteckt…

Ich hatte also beschlossen, dass meine Tochter ihr „Chilli, Chilli“ alleine mit Kuscheltieren und Weihnachts-CD im Bett verbringt, statt mit Grüffelo und mir auf der Couch. Denn – wir erinnern uns – ich wollte noch
klar Schiff machen, bevor unser Besuch kommt, nämlich Sarah (4) und Linus (1) nebst ihrer Erziehungsberechtigten, meiner Freundin Sonja.
Es gibt ihn doch…

Jetzt ist das ja so eine Sache, wenn man etwas beschließt, dass die Kooperation eines Kleinkindes voraussetzt. In diesem Fall sah meine Maus die Situation etwas anders als ich und verlangte: „Lies mir den Grüffelo vor!“ „Das geht nicht, ich muss noch aufräumen!“ „Doch, das geht!“ „Nein, das geht nicht!“ „Wenn du jetzt nicht lieb bist, dann darf Sonja auch nicht zum Spielen kommen!“ „What??“ Wo hat sie das denn wieder her…

Also, was tun? Aufräumen, Obst schnippeln und Nachmittagsprogramm durchdenken WÄHREND Töchterlein im Hintergrund unablässig zürnt und wehklagt? Schon bei dem Gedanken daran, gerät mein Körper in diese typischen Stress-Schwingungen, die ich in letzter Zeit habe. Mir schwirrt der Kopf und es fühlt sich an, als sei meine Haut statisch aufgeladen. Kennt das jemand oder sollte ich mal einen Arzt konsultieren? Jedenfalls muss ein Kompromiss her. Oder noch besser: ein Anreiz!„Schahatz, wenn du jetzt schön alleine liest und mich aufräumen lässt, dann backen wir nachher alle zusammen“, säusele ich, nur um mich im nächsten Moment zu fragen, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe.
Backen, mit drei Kids zwischen eins und vier? Mein stummes Zweifeln geht im Freudengeheul meiner Tochter unter. Ich kapituliere und laufe zum Küchenschrank, um die Backsachen zu checken. (Man sollte nichts versprechen, was man eventuell nur halten kann, wenn man vorher einen Großeinkauf macht…). Aber – Weihnachten ist ja noch nicht allzu lange her – es ist alles da. Ich schreibe meiner Freundin Sonja kurz, worauf sie sich einstellen soll und räume endlich auf. Die Maus liegt derweil selig auf der Couch und liest ihren Grüffelo alleine. Schließlich kann sie das ganze Buch auswendig. Ich packe derweil Butter, Eier, Zucker und jede Menge Streusel auf den Tisch und
danke dem Vermieter wieder einmal für unseren robusten Linoleum-Küchenboden….

Kurz nach vier klingelt es an der Tür und der Lärmpegel verzehnfacht sich schlagartig. Drei Kleinkinder könnten es dezibelmäßig locker mit einer vorbeidonnernden Elefantenherde aufnehmen. Und auch die Wohnung sieht nach zehn Minuten aus, als hätte genau diese Herde eine kleine Runde durch Wohnzimmer, Küche und Kinderzimmer gedreht:

Hüpfpferd Rody liegt nach einem Zusammenstoß mit dem Bobby Car hilflos auf dem Rücken. Fünf Dosen Knete sind leer und der Inhalt verteilt sich großflächig auf dem Wohnzimmerboden. Herumliegende Malstifte feiern einen bunten Reigen zwischen Sofa und Wohnzimmerschrank. Zwei Kinder streiten sich energisch um ZWEI Puppen. Warum hatte ich nochmal aufgeräumt?
Mein Mann ging kürzlich am Kindergarten vorbei und sah und hörte, wie eine der Erzieherinnen die Wichtelgruppe mit Kasernenhofstimme um die Rabatten scheuchte. Erst war ich etwas erschüttert, als er mir davon
erzählte. Jetzt verstehe ich sie nicht nur, sondern nehme sie zum Vorbild: „KOMPANIE!!!“ brülle ich in den Raum: „SAMMELN IN DER KÜCHE!“ Keine Reaktion. „UND ZWAR ZACKIG.“ Immerhin, Sonja steht stramm. Der Rest ignoriert mich standhaft. „Okay“, seufze ich in Zimmerlautstärke, „wollt ihr Plätzchen oder Schokoladenkuchen backen?“ Sonjas entsetzen Blick interpretiere ich falsch. „Hast du
meine Whatsapp nicht bekommen“, flüstere ich. „Doch. Aber jetzt hast du ihnen die Wahl gelassen!“ zischelt sie zurück.
Verhältnisse lernt man mit Kuchendiagramm

Au Backe! Sie hat Recht. Wenigstens habe ich jetzt schon mal alle in der Küche. „Plääätzchen!“, ruft Linus. „Schokokuchen!“, ruft meine Tochter. „NEIN, PLÄTZCHEN!“, „NEIN! SCHOKOKUCHEN!! MAMAAAA!!!“ brüllt meine Tochter, während sie theatralisch unter den Küchentisch sinkt. Die Rettung kommt schließlich von Sarah, die auch Schokokuchen will und sogar ein Einjähriger versteht, wann er verloren hat.

Der eigentliche Backvorgang verläuft dann so harmonisch, dass ich beschließe, sowas öfter zu machen. Mit Feuereifer helfen sechs kleine Hände
beim Wiegen, Abmessen, Mischen und Rühren und was dabei rauskommt, sieht aus, wie ein echter Schokokuchen. Während die Kids wieder in den üblichen Spiel- und Zankmodus verfallen, freue ich mich tatsächlich mal über unseren Ofen, der die Meinung vertritt: je schneller, desto besser. Für Plätzchen braucht er fünf Minuten, für Schokokuchen 15.
Unser Schokotraum

Dick mit Kuvertüre bestrichen steht er dann auf dem Tisch. Drum herum Schälchen mit Zuckerperlen, Schokostreusel, Smarties und Gummibärchen und nochmal drum herum drei Kinder und drei Erwachsene (mein Mann ist mittlerweile auch gekommen). Wie bei dieser Konstellation zu erwarten, endet der Nachmittag mit glücklichen Kindern im hyperaktiven Zuckerrausch. Ein paar Streuseln und Gummibärchen haben es dank uns Erwachsenen doch noch auf den Kuchen geschafft. Der Rest verteilt sich in Bäuche und auf dem Fußboden.

Es ist halb sieben. Die Küche braucht einen neuen Anstrich, mein Mann sein Abendessen und ich mein Bett. Wenn da nicht noch der Interviewtermin mit dem Vorstandsvorsitzenden wäre. Ich klaube mir Smarties und Gummibärchen aus den Haaren, wasche die Schokolade von meinen Händen und überlasse meinem Mann das Chaos, um mich im Arbeitszimmer zu sammeln und  vom Mamimodus in den Journalistinnenmodus umzuschalten.Um zehn vor sie en steht plötzlich meine Tochter in der Tür. Ich will ihr gerade erklären, dass ich keine Zeit habe, ihr etwas vorzulesen, ihr das Prinzessinnenkleid anzuziehen oder ein Wurstebrot
ohne Wurst zu schmieren, da kommt sie zu mir, legt die Arme um mich und sagt: „Mama, du bist meine beste Freundin.“ Hej, denke ich: Kann es etwas Schöneres geben, als unser Familienchaos?
Wem jetzt noch genau 5 Stunden und 10 Minuten unserer Chaos-Geschichte fehlen, der hat natürlich Recht. Aber ich muss ja arbeiten. Deshalb überlasse ich das Wort und den letzten Teil des Tages jemandem, der hier genauso mit drin hängt, wie ich: meinem Mann.
Immer noch Tag eins!

Immer noch Tag eins!

Welcome back – im 24-Stunden-Chaos der Nachbarin und ihrer Familie. Auf in die zweite Runde!

Ich hetzte also aus der Turnhalle raus, um meinen angefressenen Göttergatten noch zu sehen und zwei Minuten deeskalierende Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg zu betreiben, bevor er um 8 Uhr 25 das Haus endgültig verlässt. Leider lässt mich meine bekanntermaßen unterirdische Kondition im Stich, während ich so mit leerem Buggy vor mir die Straße entlanghechele und versuche, dabei einen Rest an Würde zu bewahren. Um 8 Uhr 28 erreiche ich die Haustür. Zu spät.

(De-)eskalation per Chat

Aber ha, wofür gibt es Whatsapp. Ich texte so ein bisschen rum  und hoffe, während ich so vor mich hin transpiriere und meinem rasenden Puls lausche, dass das jetzt deeskalierend genug war. –>
Die Handyuhr zeigt 8 Uhr 30 ein Viertel und ich habe noch genau eine halbe Stunde Zeit für den Haushalt, bevor ich arbeiten muss.

Was ich – by the way – nicht hasse, ist mein Homeoffice, auch wenn es aussieht, wie eine Abstellkammer mit Schreibtisch drin. Also genau genommen ist es eine Abstellkammer mit Schreibtisch drin. Aber ich liebe sie, denn sie erlässt es mir, mich morgens in eine Straßenbahn stellen zu müssen, in der Umfallen garantiert unmöglich ist oder mein Auto in den Stau. Im schlimmsten Fall erlässt sie mir auch das Duschen, Schminken und Haare kämmen. Gut, dass die Videotelefonie noch nicht so verbreitet ist…

Mistiger Duplostein

Also Haushalt. Die Wohnung sieht aus wie immer nach der morgendlichen Schlacht. Kinderbücher, Malsachen und „Ahhhh!“ – ich habe diesen mistigen Duplostein gefunden, den Töchterlein gestern gesucht hat. Krümel, buttriges Besteck und wellige Goudascheiben auf der Anrichte. Ein einsames leeres Kakaoglas mit Strohhalm auf dem Tisch. Betten ungemacht, Zimmer ungelüftet, die Kuscheldecke auf dem Boden vor dem Sofa. Mülleimer quellen über, die Schmutzwäschetruhe auch…

Also, mache ich erstmal das Naheliegendste: Ich gehe duschen!  Unter der Dusche kann ich am besten nachdenken. Also, genauer gesagt komme ich AUSSCHLIESSLICH unter der Dusche zum Nachdenken – wenn nicht gerade meine Tochter davor sitzt und mir Fragen zur Fortpflanzung stellt. Offenbar gerade ein beliebtes Thema bei den Kids. Im Kindergarten werden derzeit täglich Puppen entbunden.

Ich drehe das Wasser auf extraheiß und meine Gedanken führen mich zu einer guten Freundin, die mir gerade das Folgende geschrieben hat: „Heute morgen mit zwei Kindern, einem Hund, einem Kinderwagen und einem Fahrrad mit Stützrädern im Bus in den Nachbarort zum Schuster gefahren. Hat gut geklappt!“ Es ist wahr, jeder Mensch hat einen anderen Stresslevel, denke ich bewundernd, während ich versuche, ohne Brille durch den Wasserdunst, die Badezimmeruhr zu entziffern! 8 Uhr 40 jetzt aber schnell. Zehn Minuten Entspannung müssen definitiv reichen.

Neun Uhr

Wie ich es in zwanzig Minuten schaffe, mich anzuziehen, Ordnung zu schaffen, die Spülmaschine aus- und dann wieder einzuräumen, die Anrichte abzuwischen, eine Fuhre Wäsche in den Waschkeller zu bringen und zwei Tüten Müll zur Tonne? Nennt mich einfach Turbo-Hausfrau und guckt bloß nicht IN die Schränke und UNTERS Sofa… Jedenfalls sitze ich um Punkt neun vor dem PC in meiner Abstellkammer. Vorher habe ich noch alle Fenster aufgerissen, um durchzulüften und den Timer auf zehn Minuten gestellt.

Ich will gerade Word öffnen, um mich auf ein Gespräch mit meinem Auftraggeber vorzubereiten, mit dem ich in einer halben Stunde einen Telefontermin habe, da stelle ich fest: Das Netz ist weg!!! Wenn es um die technischen Optimierungsleistungen meines Informatiker-Ehemanns geht, fühle ich mich in etwa so hilflos wie damals unsere schüchterne Sexualkunde-Lehrerin gegenüber 30 Pubertierenden. Ich weiß nur so viel: Wenn ich nicht ins Netz komme, komme ich auch nicht in mein Dokument…Ich atme tief ein und aus. Schließlich habe ich gerade geduscht und will meine mühsam erarbeitete Grundentspannung nicht gefährden.

Dann klicke ich tapfer auf Problembehandlung, nur um aufzugeben, als das böse Wort ‚Netzwerkfehler‘ aufpoppt. Wat is dat denn?? „Ich bin ein Zenbuddhist, ich bin ein Zenbuddhist, ich bin ein…“ Hektisch tippe ich auf meinem Handydisplay rum. Mein Mann hebt ab, hört sich mein – wirklich kurz gehaltenes – Lamento an und meint dann nur: „Oh sorry, hab den Stecker im Wohnzimmer hinterm Fernseher rausgezogen. Den musst du wieder einstecken.“ Grummelnd gehe ich ins Wohnzimmer, nur um festzustellen, dass ich den Timer nicht gehört habe und die Wohnung nun eiskalt gelüftet ist.

Die Zeit rennt

9 Uhr 15: Zitternd und mit blauen Lippen sitze ich wieder an meinem Arbeitsplatz und siehe da: das Netz werkt wieder. Der Telefonstecker steckt dankenswerterweise, wo er hingehört und so steht der Besprechung um halb zehn nichts mehr im Wege. Es folgen fünf E-Mails, 30 Minuten Internetrecherche, drei Anrufe – einer von meiner Mutter – und danach ein einstündiges Telefoninterview mit einem Familientherapeuten zum Thema überlastete Eltern. (Nein, es war keine private Therapiesitzung. Es war ein INTERVIEW!!)

Es ist 11 Uhr 25 und ich habe mich seit gut zwei Stunden nicht bewegt. Wenn ich Zeit hätte, könnte ich jetzt mal aufstehen und zwei Liter trinken. Damit ich die empfohlene Tagesdosis erreiche. Nur für den Fall, dass ich heute nicht mehr dazu komme. Aber leider, leider hab ich gleich noch ein Interview. Also esse ich stattdessen eine einzelne Erdnuss, die seit Weihnachten einsam zwischen leeren Gläsern, Timern, Stiften, Glitzersternen, Ü-Ei-Figürchen und Schreibblöcken auf meinem vorbildlich aufgeräumten Schreibtisch rumliegt. Dann lasse ich durchklingeln und … Nichts.

Stattdessen kommt eine Mail, mit der Bitte das Gespräch doch auf den Nachmittag zu verschieben. Jaaaa, der Nachmittag… Ist ja ein weiter Begriff so ein Nachmittag: nachmittags um halb zwei würde gehen. Nachmittags um halb sieben auch…. Dazwischen ist das so eine Sache, denke ich, und sehe mich schon einen Vorstandsvorsitzenden interviewen, während Töchterlein im Hintergrund ruft: „Mama, hast du auch ein Baby im Bauch?“ Nee, lass mal! Außerdem kriegen wir heute Besuch. Aber der Artikel muss am nächsten Tag raus. Ich raufe mir ein bisschen die Haare, verabrede dann einen Abendtermin und beschließe, am nächsten Morgen einfach früher aufzustehen.

Wenigstens kann ich die gewonnene Zeit jetzt dazu nutzen, andere Dinge auf meiner ToDo-Liste abzuhaken: Umsatzsteuervoranmeldung (was für eine Sch…trafe). Rechnung überweisen, Arzttermin für meinen Mann ausmachen (yeah, es klappt noch 2015). Entsprechend beflügelter Versuch, einen Arzttermin für mich auszumachen – mit darauffolgender Ernüchterung…

Kühlschrank, leer

Aushänge für den nächsten Kita-Flohmarkt aktualisieren. Zwei Stockwerke runterlaufen, um die Wäsche in den Trockner zu tun. Feststellen, dass ich vergessen habe, die Waschmaschine einzuschalten. Fürs Abendessen kochen. Feststellen, dass a) nichts mehr im Kühlschrank ist und ich b) schon wieder nichts getrunken habe und dass ich c) in 5, 4, 3, 2,1 das Haus verlassen muss, um noch zehn Hemden in die Reinigung zu bringen, zum Gemüsehändler zu gehen und meine Tochter pünktlich um halb drei vom Kindergarten abzuholen.

Was ich natürlich schaffe, weil ich es immer schaffe… Und weil ich eben doch rennen kann, wenn es darauf ankommt (ha, von wegen Bewegungsmangel!). Um 14 Uhr 28 stehe ich im Kindergarten. Zum zweiten Mal am Tag schweißgebadet und dazu hungrig und durstig… „Hallo mein Schatz“, flöte ich fröhlich. „Wie war dein Tag???“

Schön wär’s, wäre dieser Tag zu Ende. Mir jedenfalls würde so ein halber reichen. Dann ne Runde schlafen und dann ab ins Bett. Aber die Maus schläft vor neun Uhr abends nicht ein. Das heißt, es liegen noch sechseinhalb Stunden vor mir. Und vor Euch. Wenn Ihr mögt!

Ein Tag in der Familie der Nachbarin!

Ein Tag in der Familie der Nachbarin!

So, das musste raus aus der Feder. Ich bin ja sonst eher der Schreiberling, aber als ich mal angefangen hatte… Anlass war diese Umfrage der Elternzeitschrift, bei der 56 Prozent der Männer und 73
Prozent der Frauen angaben: „Den meisten Stress in Sachen Erziehung und Familienarbeit mache ich mir selbst.“ Das ging natürlich in der Presse rauf und runter. Nach dem Motto: Gott sei Dank, Gesellschaft, Politik und Arbeitgeber sind aus dem Schneider, die perfektionsgeilen Damen (und einige Herren) Eltern stressen sich ja bloß selber. Von wegen Vereinbarkeitsbarkeitsprobleme und so. Alles völlig übertrieben. Zurücklehn!

Nachdem ich meine erste Reaktion abgekühlt hatte, indem ich den Kopf in den Eisschrank hielt (man muss ja auch an seinen Blutdruck denken), fing ich also an zu zeichnen. Weil ich aber ja ein Schreiberling bin und das auch besser kann, muss ich jetzt doch einen Beitrag dazu loswerden. Nämlich: Ein Tag in der Familie der Nachbarin! Es könnte der längste Post dieses Blogs werden oder vielleicht der längste aller Zeiten. Vielleicht schreibe ich auch ein Buch, aber irgendwie muss ich diesen Wahnsinn hier mal dokumentieren.

Wer also weder Zeit noch Muße hat, diesen beschwerlichen Weg mit mir zu gehen (ich kanns keinem verdenken), nehme hier die Ausfahrt und schaue sich einfach das Bildchen an. Mit den Tasten Strg und + kann man es ranzoomen :-))

Ein Tag in der Familie der Nachbarin!

Morgens 7 Uhr 15 Uhr in Deutschland. Ich wache auf, weil irgendwo ein Kind nach „KAKAAAOOO“ schreit und bin im ersten Moment völlig orientierungslos. Dann dämmert es mir. Ich bin heute Nacht aus dem Elternbett ausgezogen – mal wieder – nachdem Töchterlein – wie immer – um halb drei aus ihrem Bett in unseres gewankt kam, um sich dort in gewohnter Manier (Kopf Richtung Vater, Füße in meine Nieren) zwischen uns zu quetschen und sich dann im Zehnsekundentakt zu drehen und zu jammern.

Flopsi, Tupsi und Schnurzi

Wo ich mich jetzt aufhalte, verrät mir ein Geruch, der entfernt an Hamsterkäfig erinnert. Meine Finger ertasten da außerdem etwas Weiches: Ah ja, Flopsi, Tupsi, Schnurzi, Furzi (oder so ähnlich) verteilen sich um meinen Kopf herum: Ganz klar! Ich liege im Kinderbett. Und gedenke dort auch liegen zu bleiben, denn „Kakao!!!“ ist morgens ganz klar eine Ansage an meinen Mann. So will es die Aufteilung. Außerdem muss ich mich erst sammeln. Nach der – wie immer – unterbrochenen Nacht und sagen wir sechs Stunden Schlaf netto, fühle ich mich – wie immer – dem morgendlichen Multitasking nicht gewachsen.

„Wo ist meine Jacke? Wo sind meine Socken? Wo ist meine Hose?“, heißt es jeden Morgen im Minutentakt! Und meine Tochter will auch ständig was. Das raubt mir schon jede Energie, wenn ich nur daran denke. Ich liege also da, mit der Decke über dem Kopf und erwarte, dass mein Mann meiner Tochter einen Kakao macht. Aber was ist das? Ich höre ihn ins Badezimmer abbiegen. Er wird doch  nicht… Doch er wird! Das fragile Kartenhaus, das sich bei uns Routine nennt, bricht gerade in sich zusammen, als meine Tochter das Bett – und mich – entert und mir die ersten Hämatome des Tages verpasst. „Mama!!! Mach mit bitte Kakao!!“ „Aber dein Vater…“ – hatte ein dringendes Bedürfnis.

Nu denn! Ich quäle mich aus dem Bett und dann fällt es mir ein: Es ist schon wieder Donnerstag! Das heißt, mein Mann hat – wie immer am Donnerstag – einen wichtigen Jour Fixe in der Nachbarstadt und meine Tochter Kita-Turnen, das sie so liebt. Das heißt wiederum: Ich muss sie pünktlich zwischen 8 und 8 Uhr 15 zur Turnhalle bringen UND sie frühstückt zu Hause, statt in der Kita UND mein Mann hat keine Zeit, irgendwas zu übernehmen. Ich hasse Donnerstage! Habe meinem Mann schon einen Jobwechsel ans Herz gelegt, aber er fand das übertrieben…

Frühstücksbrot, verschmäht

Der Kakao ist getrunken, ein Knäckebrot mit Marmelade bestrichen, die Uhr zeigt halb acht. Im Kopf gehe ich durch, was noch zu tun ist: Kind frühstücken lassen, Kind die Zähne putzen, Kind die Haare flechten, Kind anziehen. Sporttasche checken, Kleidung für nach dem Sport eintüten, Matschehose, Handschuhe, Schal, Mütze. Oh Mist! Mich selbst muss ich ja auch noch fertig machen… Später!

Kind beißt einmal ins Knäckebrot und mag dann nicht mehr. Dafür hat sie jetzt Marmelade in den Haaren. „Ich muss das jetzt auswaschen und dann kämmen!“ „Neeeeeiiiiiin!“ „Doch, du brauchst Zöpfe, sonst hängen deine Haare beim Turnen ständig im Gesicht!“ „Auuuuuuuaaaaaa!“ „Wir können deine Haare auch abschneiden!“ „Neeeeeiiiiiiin!“ (Das kommt von meinem Mann aus dem Badezimmer) „Mach du ihr doch die Haare!!“ Irgendwie kriege ich trotz Gezappel und Gejaule zwei anständige Zöpfe geflochten. Es ist Viertel vor acht.

„So jetzt hier Klamotten! Zack, zack, zack!“ Aber „zack, zack, zack“ is nich mit einer Dreijährigen, die ihre Spielsachen die ganze Nacht nicht gesehen hat. „Ich muss noch grad den Fluffi…“ „Nein, du kommst jetzt bitte her, sonst kommen wir zu spät zum Turnen. Herkommen!!! Ah gut. … Nein!!!! Hiergeblieben!!!“ Und schon ist sie wieder weg.

Neben Donnerstagen hasse ich übrigens den Winter: Unterhose, Leggins, dünne Socken „Nicht die Leggings ÜBER die Socken, die Socken ÜBER die Leggins!!!“, dicke Socken, Hose. „Nein nicht die Jeans!! Ich habe Angst vor dieser Jeans!!!“ Unterhemd, Pulli. „Sag mal ist dein Kopf wieder größer geworden? Ich krieg… das nicht… drüber!“ „Auuuuuaaaa!“ – „Was macht ihr denn wieder hier, Mädels??“ Ach, mein Mann ist ja auch noch da. Frisch geduscht, frisch, rasiert, im Anzug – er sieht umwerfend aus. Ich dagegen rieche wie etwas, das man schnell im Biomüll entsorgen will. Und es ist schon fünf vor acht.

„Kannst du ihr die Zähne putzen? Ich muss mich noch anziehen.“ „Ja, klar!“ Oh, er ist echt zu süß, riskiert sogar Prinzessin-Lillifee-Zahnpasta-Kleckse auf seinem Hugo Boss. Ein echter Daddy eben!! Schnell werfe ich mir irgendwas über und fahre mir alibimäßig dreimal mit der Zahnbürste durch den Mund. Dr. Hund würde sich mal wieder die Haare raufen. Apropos Haare: Kämmen? Zwecklos! Naturlocken und Heizungsluft: Im Winter baut jemand darin nachts sein Nest und haut dann ab… Also, mit dem Haargummi festzurren und Kapuze auf.

Durchschnittlicher Klamottenberg für einen Ausflug im Winter

Das Kind steht mehr oder weniger fertig im Wohnungsflur. Das muss noch mit und das muss noch mit… – „Schatz! hast du meine Uhr gesehen…?“ „Nicht jetzt!! Können wir uns darauf einigen, dass du mich morgens nicht mehr fragst, wo deine Sachen sind? Es reicht, wenn ich zwei Leute fertig machen muss.“ „Wir müssen auch gar nicht mehr miteinander reden…“ Oh, jetzt ist er motzig. Nicht gut! Und es ist 8 Uhr 5. Jetzt müsste ich mir eigentlich Zeit zur deeskalierenden Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg nehmen. Aber wir müssen lohoooos! „Kind, nimm noch eine Banane für den Weg und dann ab dafür!“


Während meine Tochter durchaus kooperativ, aber in Schildkrötengeschwindigkeit die Treppe hinunterbalanciert, mache ich den Buggy fertig. Normalerweise geht sie an der Hand, aber heute müssen wir joggen. Kind also mit Müh und Not festgezurrt, Schlüssel fürs Gartentor kurz verlegt und wiedergefunden. Turnbeutel, Matschehose. Alles da! Bis mir am besagten Gartentor auffällt: Es sind drei Grad und das Kind hat weder Schal noch Mütze an. 

„Werd grün!!!!“

Also zurückgejoggt und beides aus dem Schrank gerissen. Es ist 8 Uhr 12 Uhr mein Puls auf 180. Ich rase mit meiner Tochter im Buggy dahin, brülle die Ampel an, damit sie grün wird, grüße links und rechts ein paar Nachbarn und schaffe es Schlag 8:17 Uhr zur Turnhalle. Die Tür ist schon zu. Also zerre ich mein Kind auf dem Flur aus seinen Sachen und bugsiere es mit der einen Hand in die Halle, während ich mit der anderen versuche Socken, Hose, Strickjacke Jacke, Schal, Handschuhe, Mütze und Turnbeutel festzuhalten.


Drinnen sitzen 20 Kinder im Kreis und starren uns an. Die beiden Erzieherinnen stehen in der Mitte und machen irgendeine Ansage, als wir reinkommen. „Oh, die Maus hat sich schon draußen umgezogen.“ „Ja, wir dachten, ihr hättet schon angefangen und wollten nicht stören.“ „Ach, das ist aber nett. Und was für hübsche Zöpfchen du hast!“ Na, wenigstens hier herrscht gute Laune. Ich würde ja gerne bleiben, aber die Arbeit ruft. Also knalle ich das Klamottenbündel auf irgendeinen Stuhl, winke meinem Töchterlein zu, das irgendwo rumsteht und mir etwas verloren hinterher blickt und siehe – nicht ohne Rabenmuttergefühl – zu, dass ich Land gewinne…



Um diesen Editor und euch geneigte Leser, die ihr mir bis hierhin gefolgt sein (wow!) nicht überzustrapazieren, habe ich beschlossen, den „Tag in der Familie der Nachbarin“ in mehrere Kapitel, sprich Beiträge aufzuteilen. Quasi als Fortsetzungs-Post. Teil zwei kommt am Donnerstag! Lest rein, wenn ihr mögt!

Weitere erschienene Beiträge der Serie:

Immer noch Tag eins!

Alle guten Dinge…

Kann es was Schöneres geben?

Und der Mann hat doch das letzte Wort
 

Die Einköchin

Die Einköchin

Klassentreffen sind doch was Feines. Mein Auto, mein Haus, mein Boot. Meine Wampe, meine Krähenfüße, meine verzogenen Abkömmlinge… Dieses Schicksal wird mich vielleicht in zwei Jahren ereilen, denn
dann ist das Abi schon zwanzig Jahre her (Oh mein Gott!). Auch ohne offiziellen Anlass finde ich es immer spannend zu sehen, wohin sich ehemalige Weggefährten so entwickeln. Zum Beispiel meine Buddys von der Journalistenschule.
 
Vor acht Jahren saßen wir noch einträchtig zusammen, die Zukunft war so was von offen. Hach! Und heute bin ich die Nachbarin und sehr glücklich damit. Und meine liebe Kollegin Sonja? Schreibt
investigative Artikel über Drogenkartelle in Mexiko, geht tauchen in der Südsee, verbringt ihre Geburtstage an der Copacabana  und fliegt mal eben übers Wochenende nach Afrika, weil sie dort ein Patenkind hat.
 
Ich sag immer: Treffen sich zwei Flugzeuge, in beiden sitzt Sonja! Während sich bei mir schon ein nervöses Ziehen in der Magengegend einstellt, wenn ich – huuuh – mit der Regionalbahn von Bonn nach
Köln fahren muss, jettet Mrs. Bonusmeile kreuz und quer über alle fünf Kontinente. Oder waren es sechs? Aber jetzt, JETZT, hat sie mich herausgefordert! Keine Sorge, ich plane keine einsame Backpacker-Tour durch Indien – hab‘ Rücken.
 
Ich werde einkochen! Denn das hat Madame zwischen Kambodscha, Bolivien und Nepal auch noch geschafft: Marmelade, Rumtopf und Chutney! Meine liebe Sonja, das ist ja nun wirklich mein Beritt. Äh – also
wäre es, wenn ich es könnte… Was war nochmal Chutney? Hmm… Hab ich eigentlich schon geschrieben, dass der heimische Herd nicht unbedingt mein Freund ist? Obwohl das doch zur ambitionierten Mutterschaft dazugehört.
 
Nein, ich habe keinen Pastinaken-Brei für mein Baby hergestellt, obwohl ich es mir doch so fest vorgenommen hatte. Bei uns gab es Gläschen und für meine Tochter war das definitiv die sicherere Wahl.
Kochen ist einfach nicht mein Ding. Wie sagte vorgestern mein Mann mit skeptischen Blick auf das Undefinierbare, was da im Topf vor sich hin blubberte und seltsame Gerüche verbreitete: „Wie soll das was werden, wenn du das Essen noch nicht mal abschmecken willst?“ – „Das soll ich probieren? Ich bin doch nicht lebensmüde!“
 
Jaaaaa, aber einkochen, das ist ja was ganz anderes. Man kann diese wunderschönen vintagemäßigen Weckgläser verwenden, tolle Etiketten gestalten und das Ergebnis dann auf dem Landhausküchenregal
ausstellen. Ich merke, dass eine gewisse Vorfreude in mir erwacht. Plötzlich fühle ich mich, wie eine dieser Landfrauen aus den englischen Country-Zeitschriften. So mit uriger Küche und einem Garten mit knorrigen Apfel- und Pflaumenbäumen unter denen Pferde, Schafe und ein Esel weiden… Aber ich schweife ab.
Also zunächst mal: Was koche ich ein? Laut Wikipedia kann man außer Hochzeitstorten ja so ziemlich alles auf diese Weise konservieren: Obst, Gemüse, Pilze, Fleisch und – ich muss mich korrigieren – sogar
Kuchen. Wow! Klingt großartig. Aber zunächst will ich es klassisch versuchen. Jeder fängt mal klein an… In Ermangelung eines eigenen Gartens mit altem Obstbaumbestand, gebe ich eine Bestellung bei meinen Eltern auf, die über dergleichen verfügen.
Eine Woche später stehe ich also hochambitioniert in der Küche. Vor mir Zwetschgen, Mirabellen und Sommerhimbeeren. Letztere wandern in meinen Mund, bevor ich sie einkochen kann. Sorry! Dem Steinobst rücke ich mit dem Messerchen zu Leibe, während ich die Gläser schön in der Mikrowelle sterilisiere und Wasser in einem kleinen Topf aufkoche.
Dann zwei Gläser mit Zwetschgen und ein Glas mit Mirabellen füllen. Heißes Wasser und Zucker dazu, bis das Obst ganz bedeckt ist und Deckel drauf. Damit mir die Gläser beim Einkochen nicht zu heiß werden und um die Ohren fliegen, bedecke ich den Topfboden mit einem Küchentuch. Dann Gläser rein, Wasser bis zum Kragen und eine Viertelstunde kochen. Alle rausnehmen und eine halbe Stunde abkühlen lassen. „It’s so easy“, trällere ich und fühle mich wie eine Hausfrau der 50er Jahre. Kurz bin ich versucht, mir Lockenwickler in die Haare zu drehen.
Motiviert von meinem Erfolg koche ich in den folgenden Tagen alles ein, was mir unter die Finger kommt: Äpfel mit Zimt, Kirschtomaten, Socken meiner Tochter, die mal wieder auf dem Boden rumliegen… Dann kommen echte Gerichte: Chili Con Carne und Bolognese, die mein Mann zubereitet (sicher ist sicher). Wie das alles schmeckt, weiß ich zwar nicht, aber es sieht toll aus. Meine Bilanz nach einer Woche: Der Keller ist voll (mit Küchenregal war leider nix, das Ganze muss dunkel und kühl stehen). Der lange und raue Bonner Winter kann kommen.
Zum krönenden Abschluss werde ich mich noch an den Kuchen im Glas wagen: Zitrone, Nuss und Schoko! Ich nehme mir vor, Sonja eine Auswahl zu schicken. Die kann sie bei ihrer nächsten Reise in den Koffer
packen. Dann hat sie was aus der Heimat, wenn sie am Ende der Welt mal die Sehnsucht packt.
Die Zeit anhalten

Die Zeit anhalten

Entschleunigung! Wer mich kennt, weiß, dass ich dieses Wort nicht leiden kann. Wahrscheinlich, weil ich dieser Tante E. immer mit enervierender Erfolglosigkeit hinterherrenne. Kein Wunder, so als langsamste Joggerin des Planeten. Trotzdem ist sie ja irgendwie der Grund für meinen Blog. Und siehe da, nach acht ergebnislosen Monaten habe ich endlich ein Werkzeug gefunden, um sie zu erreichen. Es ist der Knopf an meinem Wasserkocher.Aber von Anfang an: Wir wollten also in den Urlaub. Ans Meer. Nicht schon wieder Seychellen, dachte ich und beschloss: Diesmal fahren wir an die Nordseeküste. Als die Familie meinem Vorschlag etwas unenthusiastisch begegnete, zog ich meinen Trumpf aus der Tasche: „Nein, nicht Holland. Diesmal machen wir was Besonderes: Wir fahren nach Ostfriesland!“

Zwanzig Minuten später hatte sich der Sturm der Begeisterung etwas gelegt, so dass ich mir wieder Gehör verschaffen konnte: „Wir werden in einem Mühlenhaus wohnen und uns wird völlig egal sein, ob es regnet, schneit oder weht. Denn ich packe einfach für alle Eventualitäten.“ Der Urlaub verzögerte sich dann noch um einige Monate, weil wir für unseren französischen Kleinwagen erst einen Dachgepäckträger und dann noch einen Anhänger kaufen mussten…

Ab auf den Ostfriesenspieß
Aber schließlich waren die 20-seitige Packliste abgearbeitet, die fünf Kubik verstaut und es ging los Richtung „Ostfriesenspieß“. So heißt die A31. Sie fängt hinterm Ruhrpott an und ist die leerste Autobahn Deutschlands. Hier fahren pro Minute nur neun Autos. Dass wir es dann schafften, auf dieser Autobahn trotzdem zwei Stunden im Stau zu stehen, lasse ich an dieser Stelle mal unerwähnt.
In unserem Mühlenhaus angekommen, stellten wir fest: Im zentralostfriesischen Uttum mahlen die Mühlen nicht nur langsamer, sie malen gar nicht! Was daran
liegt, dass die eindrucksvolle Windmühle keine Flügel hat. Ein Manko, über das ich großzügig hinwegsehen konnte. Was mich jedoch viel mehr bewegte, war ihre
Lage, nämlich total ungünstig zwischen dem nächsten UMTS-Masten, Satelliten oder was weiß ich und besagtem Mühlenhaus. Wir hatten KEIN INTERNET!!!
Panik und Schweißausbrüche meinerseits. Das hätte man beim Bau vor 150 Jahren nun wirklich beachten können, zürnte ich, um dann in der Abenddämmerung drei Stunden lang mit aufgeklapptem Laptop in den verkrampften Händen ums Gelände zu schleichen, auf der Suche nach dem Netz. Das ich nicht fand. Stattdessen zog ich einen Schwarm Moskitos, Nachtfalter und Fledermäuse hinter mir her und fiel fast in den Wassergraben am Grundstücksende. Aufgegeben habe übrigens nicht ich, sondern der Laptop-Akku.
Ein Urlaub, wie er früher einmal war
Aber man gewöhnt sich an alles und nach drei Tagen aussichtslosen Suchens quer durch Ostfriesland – das Ganze erwies sich als flächendeckendes Problem – war ich bereit, meinen Urlaub zu beginnen. Der Laptop blieb zu, das Tablet wanderte in die Schublade, das Smartphone wurde zum Fotoapparat und ich begann endlich – ENDLICH – zu entspannen. Was folgte war
ein „Urlaub, wie er früher einmal war“ mit einem „Sommer, wie er früher einmal war“ und ich hätte beides gerne bis 2020 ausgedehnt.
Allein – wir mussten zurück. Raus aus der ostfriesischen Sonne, rein in den rheinischen Dauerwolkenbruch bei 16 Grad Celsius. Das Netz ist perfekt, der Stress ist zurück! Aber das ostfriesische Rezept zur
Entschleunigung haben wir uns als Souvenir mitgebracht. Hier ist es:Wasser in den Wasserkocher einfüllen. Knopf an Wasserkocher drücken. Warten bis es blubbert. Schwarzen Ostfriesentee in Teebeutel füllen und in ostfriesische Teekanne einhängen. Mit heißem Wasser übergießen, 3 bis 5 Minuten ziehen lassen. Ein Kluntje (Mega-Kandis) in einer ostfriesischen Teetasse platzieren, Tasse zur Hälfte mit Tee füllen.
Sahne mit dem ostfriesischen Rohm-Lepel (Mini-Sahnekelle) in den Tee einbringen. In die Sahnewolken schauen. Nichts mehr denken, nichts mehr sagen, nichts mehr tun.