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Rotkäppchen im Düsterwald

Rotkäppchen im Düsterwald

Hey, heute ist Sonnenfinsternis! Ich seh ja nur Wolken. Ist aber auch besser so, habe eh keine Schutzbrille. Die Finsternis ereilte mich übrigens auch vergangene Woche – auf dem Weg zum Nähkurs. Ich habe es jetzt verarbeitet und bin bereit darüber zu schreiben. Puh!

Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne mal kreativ bin: Malen, Basteln, Dekorieren – zur Freude meines Mannes. Kürzlich gestalteten meine Tochter und ich hingebungsvoll Glitzereier und platzierten sie in einem Einmachglas. Die Maus fragte: „Und, wo kommt das jetzt hin?“ „Ins Treppenhaus.“ „Ah! Damit der Papa das nicht sieht!“ Weitsichtig sind sie, die Kleinen.

Glitzereier-Deko im Treppenhaus

Mit der gleichen Begeisterung würde ich gerne Nähen, Stricken und Häkeln. Allein mir fehlt das Garn, äh Gen. Sobald ich versuche, etwas aus Wolle oder Jersey herzustellen, scheitere ich an meinen linken Händen. Das hält mich allerdings keineswegs davon ab, es hin und wieder zu versuchen. So wie letzte Woche, als ich einen Nähkurs bei Celia besuchte. Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen…

Auf nach Mittelerde

Als ich mir bei Google die Wegbeschreibung anschaute, war ich kurz davor, die Sache abzublasen. „Wo is dat???“ fragte ich meinen Mann und wies anklagend auf das Satellitenbild, das drei Häuslein inmitten von nichts zeigte. „Das? Das ist Mittelerde, glaube ich. Du weißt schon, da wo die Elben und die Hobbits leben.“ „Ja, und die Trolle“, dachte ich im Stillen und wollte gerade zum Handy greifen, um mit einer Ausrede mein Fernbleiben zu erklären, da sagte mein Mann: „Und du traust dich sicher nicht, alleine im Dunkeln da hin zu fahren.“

„Pffffffft!“ So ein Quatsch!!! „Ich bin groß, ich bin stark, ich bin mutig“, murmelte ich abends darauf das Mantra meiner Tochter vor mich hin, während ich die Nähmaschine in den Kofferraum wuchtete. Natürlich mal wieder viel zu spät dran, nachdem die Maus zum Abschied mein Nähset inklusive 15 Stecknadeln, 20 Garnrollen, einem Auftrenner, 30 Knöpfen usw. usf. auf den Boden gepfeffert hatte. Mit zitternden Fingern fütterte ich mein Smartphone-Navi. Ort, Straße und… „Zu dieser Straße sind keine Hausnummern bekannt.“ Okay, auch gut, meine Orientierung ist ja phänomenal! Es sollte schlimmer kommen, als gedacht!

Your GPS is out of order

Ich hatte also noch 20 Minuten Zeit, um eine 30-Minuten-Strecke zurückzulegen und düste los, bis ich vor unserer Dorfbahnschranke zu einem abrupten Halt kam. Mist! Warten zwecklos, also Wenden in 35 Zügen und ab über die Umgehungsstraße. Ich fuhr die Serpentinen ins dunkle Siebengebirge hinauf und versuchte meinen Puls in den Griff zu kriegen. Einzelne Schilder, die hier und da vor kreuzenden Wildscheinen warnten, trugen nicht gerade zu meiner Entspannung bei.

Rotkäppchen und die Vollsperrung

Oben angekommen ging es ab des Weges in die Büsche. Ich fühlte mich ein bisschen wie Rotkäppchen, das sich gleich dem bösen Wolf stellen muss, konnte aber auch nicht umhin, den glitzernden Sternenhimmel zwischen den Tannenwipfeln zu bewundern, der hier oben seinen Namen noch verdient. „Von draus vom Walde komme ich her…“ rezitierte ich, während ich den Anweisungen meines Navis folgte, nur um kurz darauf vor einer vollgesperrten Straße zu stranden.

„ÄÄÄÄhhhh!“ machte ich angesichts der rotweißen Blockade ohne Umleitungshinweis und der gnadenlos tickenden Uhr (noch fünf Minuten Zeit, um pünktlich zu kommen) und fuhr zurück auf die Landstraße. Direkt hinter einen riesigen Trecker, der genau das fuhr, was hinten angegeben war, nämlich 20. Während ich also in gefühlter Schrittgeschwindigkeit durch den Wald schneckte und überlegte, wann der Fuchs hier wohl dem Hasen gute Nacht sagt, meldete sich mein Handy wieder und bedeutet mir unmissverständlich „scharf links“ abzubiegen.

„Ah, eine Abkürzung“, frohlockte ich mit Blick auf das Schild ‚Landwirtschaftlicher Nutzweg‘ und fuhr (geistig) umnachtet in den Wald. Aus dem asphaltierten Weg wurde ein Schotterweg, aus dem Schotterweg ein Waldbodenweg. Die Bäume rückten näher, meine Scheinwerfer leuchteten keine zwei Meter ins undurchdringliche Dunkel. Gerade als ich anfing meine jüngsten Entscheidungen zu hinterfragen, tauchte rechter Hand ein Pferdehof mit ein paar funzeligen Gaslaternen auf. Nebelschwaden waberten um das große Haus herum. Ein Pferd mit kopflosem Reiter galoppierte an mir vorbei. (Vielleicht habe ich mir letzteres auch nur eingebildet)

Das Ende

Jedenfalls tat ich in dem Moment das einzige, was ein vernünftiger Mensch tun würde: Aufs Gas und ab, tiefer in den Wald. Weit kam ich nicht mehr. In dem Moment als das Navi „Scharf rechts abbiegen“, sagte, musste ich feststellen, dass die Reise zu Ende war: Der Weg mündete in eine marode Holzbrücke – für Fußgänger. Der Waldweg war hier fast nur noch ein Pfad. Keine Wendemöglichkeit! Panisch wollte ich meinen Mann anrufen, um ein Wehklagen anzustimmen und ihn dazu zu bringen, sich mit seinem GPS-Gerät ins Taxi zu setzen und mich zu holen. Allein, ich hatte kein Netz.

Im Düsterwald

 

Um mich herum nur Dunkelheit und absolute Stille. Obwohl, was waren das für Geräusche… Kennt jemand Blair Witch Project? „ARGH!!! Warum habe ich mir diese Filme jemals angesehen???“, schrie ich mich selbst an, legte den Rückwärtsgang ein und trat die Flucht nach hinten an. Leute, ich habe es geschafft, aus diesem Wald rauszukommen, ohne vom kopflosen Reiter gekillt oder von der Hexe in den Wahnsinn getrieben zu werden und zwar ab dem Moment, als ich auf
meinen inneren Kompass
gehört habe und nicht mehr aufs Navi.

Beim Rausfahren habe ich noch beinahe Fuchs und Hase umgenietet, die auf dem Weg eine Polka tanzten. „Ey, ihr Viehzeugs, ihr sollt schlafen“, rief ich, ganz Muttertier. Schweißgebadet kam ich keine zwei Minuten später bei der Nähstube an. Die Navi-App, sie heißt übrigens Scout, hatte noch die Stirn zu fragen „Wie war ich?“ Seitdem ist ein Kratzer im Display. Aber nur ein kleiner.

PS: Weniger Glück hatte übrigens ein LKW-Fahrer, der dieser Tage gar nicht weit entfernt in die gleiche Situation geriet: http://www.general-anzeiger-bonn.de/region/rhein-sieg-kreis/ruppichteroth/Laster-steckt-im-Wald-fest-article1592892.html
Stärken und Schwächen

Stärken und Schwächen

Um nochmal auf das Thema Gesichtererkennung zurückzukommen. Eigentlich ist mir mein Handicap erst so richtig bewusst, seit ich mit meinen Mann zusammen bin. Sein Gesichtergedächtnis fotografisch zu nennen, wäre glatte Untertreibung. Er erinnert sich an das Gesicht des Kellners, der uns vor vier Jahren im Griechenlandurlaub aushilfsweise einen Abend im Hotelrestaurant bedient hat. „Hä, Kellner, da war doch Buffet?!“ „Ja, aber der hat Wasser nachgeschenkt, das musst du doch noch wissen.“ „Ach so ja…“.

Mein Mann erkennt jeden Menschen wieder, mit dem er jemals ein Bitte – Danke gewechselt hat. Egal, ob sie dreißig Kilo zugelegt, 80 Prozent des Haupthaares verloren oder sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben. Und – für mich am  Bewundernswertesten: Er hat mich am Morgen nach der Entbindung unserer Tochter wiedererkannt. Damit hat er mir etwas voraus. Ich habe diese zerrupfte Frau, die da durch den Krankenhausflur schlurfte erst mitleidig gegrüßt, bevor ich gemerkt habe, dass ich mit einem Spiegel spreche.

Nachdem mir bewusst geworden ist, dass ich mein Gesichtergedächtnis umso schlechter wahrnehme, seit ich meinen Mann kenne, bin ich der Sache mal auf den Grund gegangen. Und siehe da, meine Selbstwahrnehmung steht in kausalem Zusammenhang  zu seinen Fähigkeiten und Gewohnheiten. Seit wir zusammen sind, halte ich mich für schokoladensüchtig, für eine miserable Köchin, für unsportlich (ok, ich BIN unsportlich) vor allem aber halte ich mich für ein Orientierungsgenie:

Mein Mann hat Probleme, den Weg aus einer Umkleidekabine zu finden. Und wenn er es geschafft hat, findet er die Kasse nicht. Und wenn er es doch geschafft hat zu bezahlen, biegt er am Ausgang garantiert in die Richtung ab, aus der er gekommen ist. Würde mein Mann auf dem Jakobsweg pilgern, käme er wahrscheinlich in Santiago de Chile an und selbst auf dem Nürburgring käme er wohl nie ins Ziel. Aber das macht alles gar nichts. Dafür hat er ja mich, das ORIENTIERUNGSGENIE (und unser Navi natürlich).