Aug. 3, 2016 | Alltagschaos
Als ich gerade so meiner Tochter nachgeschaut habe, wie sie in Quasimodohaltung hinter ihrem Vater her zum Kindergarten schwankte, dachte ich, es ist mal wieder Zeit für ein paar Einblicke in unseren Alltag. Der Quasimodo hat nichts mit der aktuellen Befindlichkeit oder motorischen Defiziten zu tun, sondern mit dem Wetter. Nachdem mein Mann es grundsätzlich und ich nur wegen der Bindfäden vorm Fenster ablehnte unser Töchterchen auf ihrem Steckenpferd Sabrina in den Kindergarten reiten zu lassen, gab es die ersten Tränen des Tages.
Eine Alternative musste her und die kam in Gestalt von Amadeus – Ähnlichkeiten zu den Pferdenamen bei Bibi und Tina sind natürlich rein zufällig. Amadeus ist ein gefühlt lebensgroßes Kuschelfohlen mit übertrieben langen Plastikwimpern und allerlei Funktionen. Zu diesen gehört eigentlich nicht, dass man darauf reiten kann, aber wo ein Wille da ein Weg.
Und deshalb klemmt Amadeus statt des Steckenpferdes nun zwischen den Knien meiner Tochter. Die Zügel hat sie unter den Vorderbeinen durchgezogen, hält sie mit aller Macht hoch und wankt verkrampft und o-beinig, wie ein Fußballer nach der 90sten Spielminute, in Richtung Kita. Aber hej, sie ist glücklich und wie sagt meine Freundin mit den drei Kindern und dem Hund immer: Wir brauchen Lösungen. (Nachtrag: 100 Meter hat sie durchgehalten, dann ist sie samt Reittier in eine Pfütze gefallen und musste – ebenfalls samt Reittier – vom Vater in die Kita getragen werden.)
Problemlöser
Um Lösungen ist in dieser Familie vor allem einer nicht verlegen: der Opa. Nicht umsonst sammelt er mit großer Energie und seit Jahrzehnten „Problemlöser“. Das sind Plastikteile in
verschiedenen Größen, Formen und Farben vom Deckelchen bis zur Wanne. Außerdem Häkchen, Seile, Schnüre, Winkel, Hölzer und Hölzchen, Walzen und Wälzchen, Teppichreste,
Planen, Plexiglasdächer, Werkzeuge. Dinge, die man mit (viel) Fantasie als Werkzeuge benutzen kann. Dinge, zu denen anderen auch mit viel Fantasie keine Einsatzmöglichkeit einfallen würde. „Ihre Zeit wird kommen“, sagt mein Vater immer und wenn, dann ist er bereit.
Also meistens. Manchmal aber fehlt dann doch dieses entscheidende Teil, das jetzt genau passend und vonnöten wäre und dass er – er weiß es noch genau – 1997 hinten an den Gartenzaun gelegt hat. Warum es da nicht mehr liegt, kann man eigentlich nur meine Mutter fragen: ebenfalls sehr kreativ, allerdings mit einem ausgeprägten Sinn für Schönes und ORDNUNG. Ersteres und Mittleres habe ich von ihr geerbt, letzteres leider gar nicht. Meine Mutter also krankt an den Sächelchen und Sachen, den Dingelchen und Dingen, die monströs im Weg rumliegen und ihr ästhetisches Auge stören. Gewelltes Plexiglas geht mit liebevoll gepflegten Rabatten nicht unbedingt eine günstige Liaison ein, wird aber – auf dem Rasenmäher aufgeschraubt – als Regenschutz gebraucht. So kann man nämlich dann auch bei Regen mähen…
Wolf im Schafspelz
Und das ist in diesem Sommer echt mal ein Argument. Unser Hund, der eigentlich aussieht wie ein Lamm und sich auch so anfühlt, walzt einmal durch den regennassen Garten und ist nicht wiederzuerkennen. Wundersamerweise verflüchtigt sich der Schlamm analog zum Trocknungsgrad und am Schluss ist er wieder wie neu. Dafür knirscht es im Wohnzimmer etwas unter den Fußsohlen. Noch ist es das Wohnzimmer meiner Eltern, denn noch verlebt er dort
seine glückliche ungestörte Welpenzeit unter fachkundiger Anleitung meines Vaters. Bevor er dann demnächst in unser Alltagschaos hineinkommt, wobei ihm
wahrscheinlich Hören und Sehen vergeht.
Vorher gewöhnt er sich hoffentlich noch das Beißen ab, denn während andere Vierbeiner in dem Alter Möbel und Schuhe essen, liebt er sommerlich textilfreie Zehen, Waden und bei kleinen Menschen, wie meiner Tochter, einfach alles, was irgendwie zu fassen ist. Sie verbringt daher die größte Zeit des Tages in Buddahaltung auf dem Küchentisch oder anderen geeigneten Aussichtsposten und wartet darauf, dass er ein anderes Opfer findet. Und das wird er! Bis sie es eben wagt, ihre sichere Höhenlage zu verlassen. Dann ist sie dran, reif und fällig. Benjamin Buttoneye – der Wolf im Schafspelz.
Think positive
So! Ein Blick in den grauen Regen und ich bin froh, dass ich heute arbeiten darf und nicht etwa Urlaub habe. Was für ein Glück! An Euch alle da draußen, die Ihr auch in der Schlechtwetterfront ausharrt. Think positive, andere Jahre haben auch einen Sommer – vielleicht sogar einen schöneren.
Eure Nachbarin
Juni 6, 2016 | Reine Erziehungssache
Gestern waren wir auf dem Petersberg und alles hat geglitzert. Da ich ja keine Nachrichten verfolge und mein Mann auf RTL 2 ausschließlich Frauentausch guckt (das übrigens mit Begeisterung, vielleicht sollte ich ihn mal anmelden…), war uns Ignoranten gar nicht klar, warum. Später haben wir erfahren, dass tags zuvor offensichtlich eine Katzenhochzeit dort stattgefunden hat. Ich bin ja eher der Hundetyp, aber der noch vorhandene Rosenbogen an der Kapelle war durchaus sehenswert.
Die Wandlung
Aber davon nur am Rande. Eigentlich wollte ich von der wundersamen Metamorphose berichten, die unsere Tochter durchgemacht hat. Bis vor Kurzem, also genau genommen bis gestern, war es ihr nämlich kaum möglich, ohne Lautäußerung einen Schritt vor den anderen zu setzen, wenn ein Spaziergang sich anschickte, länger als zehn Minuten zu dauern. Also, im Prinzip, wie ich beim Joggen – inklusive asthmatischem Keuchen (bei mir echt, bei ihr gestellt).
„Mir tun die Beine, Füße, Rücken, Arme, Leber, Nieren, Ohrläppchen weh“, geht nach hundert Metern zuverlässig das Gejammer los. „Mir ist heiß, ich hab Hunger, ich hab Durst…“ bis hin zu: „Ich kann nicht mehr!!“ „Ich kann GAR NICHT mehr!!!“ „Mama, Papa, hört mir doch mal zu!!!!“ „Lasst mich einfach hier liegen!“ (ach ne, das bin ich beim Joggen). „Traaaaaagggg mich!!!“ (auch ich beim Joggen). „Papa, trag mich! Auf die Schulter!!!“ (unsere Tochter). Er abwehrend: „Kind du hast drei Kubikmeter Mutterboden an den Schuhen, wie hast du das auf hundert Metern laubbedecktem Waldboden geschafft???“
Kloreiche Idee
Kürzlich waren wir bei meinen Eltern und ich hatte die glorreiche Idee ihr Laufrad mitzunehmen. Damit fährt sie locker zwei Kilometer, wusste ich. Allein, das Kind wollte nicht aufs Laufrad. Also trug der Vater das Laufrad, die Mutter den Helm, der Opa das Kind und die Oma eine Miene zur Schau, die besagte: Dir liebe Tochter hätte ich sowas nicht durchgehen lassen. Das stimmt. Wir mussten immer Spazieren gehen. Jedes Wochenende. Ich habe es gehasst. Heute wäre ich froh, wenn ich meinen Mann besser von der Couch hochbekommen könnte.
Denn: Beim Wandern oder auch nur beim Spazierengehen – hier zu Hause gibt es größere Differenzen bezüglich der Definition – habe ich nicht nur ein zeterndes Kind an den Hacken, das ich mit Schatzsuchen, Fantasiespielen, Essen, Getränken, Spielplätzen, Dammwild und die Aussicht auf ein Eis bei Ankunft bei Laune halten muss. Nein, da ist auch noch der Mann: „Du hast nicht gesagt, dass wir so weit gehen. Dann hätte ich andere Schuhe, eine andere Jacke, eine andere Hose, eine andere Tasche genommen oder gleich jemand anderen mitgeschickt.“
Oder: „Es ist ja kein Wunder, dass das Kind jammert. Wenn du wandern gehen willst, bringen wir sie lieber zur Oma.“ Ich: „Das ist keine Wanderung, das ist ein Waldspaziergang.“ Er: „Ein Spaziergang darf mit An- und Abfahrt maximal eine Stunde dauern.“ Ich: „Ja, dann hätten wir eben auf das Picknick verzichten müssen.“ Er (jammernd): „Du weißt, dass ich vom Spazierengehen Nackenschmerzen kriege.“ Ich: „Okay, es ist doch eine Wanderung.“ Er: „Eine Wanderung muss zwei Wochen im Voraus angekündigt werden…“ Und so weiter und so fort.
Alles anders
Aber gestern, ja gestern war alles anders. ICH hatte bei 25 Grad und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit keine Lust, mich mehr als nötig zu bewegen. Und plötzlich wollte mein Mann den Petersberger Wald erkunden. Hier noch lang und da noch lang. Die Tochter kriegte nach 200 Metern ihren obligatorischen Krampf und er zauberte ein Brötchen aus dem Rucksack. Also ein Zauberbrötchen. Denn mit einem Mal wurde aus unserer Tochter ein Duracell-Einhorn, das in wilden Sprüngen den Petersberg hinunter hüpfte. Dummerweise hatten wir ja oben geparkt.
Als wir daran dachten, waren wir aber schon halbe Strecke Tal, denn Töchterlein legte ein unglaubliches Tempo vor. „Okay, ich laufe wieder hoch, hole das Auto und wir treffen uns dann unten“, rief mein Mann, ob der sich abzeichnenden sportlichen Herausforderung plötzlich Feuer und Flamme. Und während ich – als einzige mit Wanderschuhen ausgestattet – vorsichtig nach Halt suchend den Berg heruntereierte, tanzte meine Tochter in zu großen Gummistiefeln leichtfüßig durch steile verschlammte Bachbetten, dschungelartig überwucherte Hohlpfade und klammgleiche Schluchten. Immer dreißig Meter voraus.
Gerade noch rechtzeitig
Dabei sang sie so laut „Hopp hopp hopp, Einhorn lauf Galopp“, dass sich sogar entgegenkommende Wanderer motiviert fühlten und einen Zahn zulegten. Was soll ich sagen, wir kamen genau in dem Moment im schönen Kloster Heisterbach an – unsere Talstation – in dem mein Mann dort auf dem Parkplatz fuhr. Es war genau der richtige Zeitpunkt, denn gerade hatte Töchterchen ihren Gesang eingestellt und ein ungewöhnlich dezentes: „Ich kann nicht mehr“, hören lassen. Ich hoffe, das war der Beginn einer wunderbaren familiären Wanderepoche, denn bald kommt Ben zu uns und ich habe keine Lust als einzige mit ihm Gassi zu gehen.
Auf die Hufe!
Eure Nachbarin
Jan. 14, 2016 | Alltagschaos
Vor Kurzem war es wieder da: Das Gefühl, dass hier irgendetwas faul ist. Meine Kollegin in Bonn spürte es auch und unkte schon etwas von einem Mobbing-Angriff auf Rothaarige. Vielleicht ist es aber auch das neue Jahr, dem sämtliche technische Errungenschaften zum Opfer fallen… ohne dass darüber in den Medien berichtet wird… weil denen auch grade der Redaktions-PC abstürzt. Oder es ist eine höhere Macht, die mir mitteilen will, dass ich einfach spontan ins Wochenende gehen soll…
Es fing alles ganz harmlos an, mit meiner Kamera, die ich zweimal im Monat einsetze und zwar für Nahaufnahmen, die ich mit meinem Handy so nicht hinkriege. Und für Nahaufnahmen braucht man? Genau! Ein flexibles Rückgrat, je nachdem, wo sich das Objekt befindet UND einen Fokus. Und genau diesen boykottiert meine Kamera im Moment genauso, wie den ebenso wichtigen Auslöser. Also jedenfalls, wenn ICH ein Foto mache.
Ich bin ja der Meinung, man kann auch mal was Neues kaufen, wenn das Alte – nun – halt eben alt ist. Mein Mann sieht das grundsätzlich völlig anders, schont damit Umwelt und Geldbeutel, aber nicht meine Nerven, wenn mir mal wieder die Argumente ausgehen. Denn er hat etwas, was ich nicht habe: Einen Draht zum Gerät. Wenn er also die Kamera nimmt und wild triumphierend rumknipst, um mir zu beweisen, dass es noch laaaaaaaaange nicht Zeit für eine neue ist, funktioniert sie einwandfrei. (Da ist er wieder der Unterschied zwischen Männern und Frauen, der ja meist beim Öffnen von Drehverschlüssen zutage tritt und durch die Kombination Informatiker (schlau) und Geisteswissenschaftlerin (geht so) regelmäßig potenziert zu werden scheint.)
Nur der Anfang…
Jedenfalls war besagte Kamera ja nur der Anfang. Am Nachmittag rief ich meinen Mann auf dem Handy an und er verstand mich nicht und ich verstand ihn nicht. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, nur dass es diesmal wirklich daran lag, dass wir uns nicht hörten. Wir wiederholten das Spiel an diesem Tag noch ein paarmal und ich übte zwischendurch auch noch mit einigen Handwerkern, die das eher weniger lustig fanden.
So richtig spannend wurde es dann am nächsten Morgen. Es sollte ein ertragreicher Homeoffice-Tag werden. Als ich mich im Hausflur von Mann und Kind verabschiedete, streikte die Beleuchtung. Als ich meine ersten Whatsapps und Mails des Tages auf dem Handy checken wollte, passierte nichts. Das Gleiche auf iPad und Laptop. So langsam dämmerte mir, dass ich wohl das Internet gelöscht hatte oder zumindest aus Versehen das W-Lan-Kabel gekappt, denn in der Regel bin ich es, die so was kaputt kriegt.
Dreimal rief ich bei Unitymedia an und es war besetzt, „Wat denn? Noch nicht mal mehr ne Warteschleife?“, wunderte ich mich, bis mein Mann, der gerade aus der Kita zurückkam berechtigterweise daraufhin wies, dass, „wenn Internet nix gäht, Telefon nix gäht“. Ach ja. Also Kamera nicht, Handy nicht, Internet nicht, Telefon nicht… Mein hilfloser Dackelblick prallte an ihm ab. Er drückte mir sein Diensthandy in die Hand und entschwand. Ich erreichte dann zunächst besagte Kollegin mit der ich die Haarfarbe teile und die mir auf mein Lamento hin erzählte, dass ihr Ofen kaputt sei, der Abfluss verstopft und die Heizung kaputt und zwar dergestalt, dass sie immer auf höchster Stufe läuft und ihre Rente und das Erbe ihrer Kinder aus dem weitgeöffneten Fenster bläst.
Empfindlich kalt
Irgendwie versöhnte mich das, bis ich beim Stichwort „Heizung“ merkte, dass es doch empfindlich kalt um mich herum war. Fröstelnd zog ich meine Strickjacke enger und lief von Heizkörper zu Heizkörper, nur um festzustellen: alle aus! Wild drehte ich an den Thermostaten, aber nichts tat sich. Neben der Kamera, dem Handy, dem Internet und dem Telefon hatte mich nun auch noch die Heizung verlassen. Entkräftet sank ich aufs Sofa, um mir zum Trost ein paar Minuten meiner Lieblingsserie reinzuziehen, doch: Auch der Stream lief ja nicht ohne Internet…
Ich ergab mich in mein Schicksal und griff nach dem Diensthandy meines Mannes, um nochmal bei Unitymedia anzurufen. Nach zweimaliger Eingabe der Kundennummer und der Beantwortung verschiedenster Fangfragen zur Identifikation (Name des ersten Haustieres, Lieblingsessen, Körbchengröße) begab ich mich mit dem netten Herrn aus dem Süddeutschen auf Ursachenforschung. Sie führte mich schließlich hinter den Weihnachtsbaum, wo ich kopfüber vom angrenzenden Sofa hängend nach der Fritzbox schaute, die an einer Multimediabox angeschlossen sein musste. Gerade als ich fragen wollte, was denn z.T. eine Multimediabox sei, war plötzlich das Gespräch weg.
Auch egal, dachte ich und rief meine Vermieterin an, um sie über die nichtlaufende Heizung zu informieren. Dann wickelte ich mich in eine Decke, setzte mich und wartete auf den Elektriker. Ansonsten tat ich nichts. Ich arbeitete nicht, ich chattete nicht, ich surfte nicht, ich telefonierte nicht, ich sah nicht fern. Ja, ich las auch nicht, denn der Akku meines Kindles war ebenfalls leer.
Wenn der Postmann gar nicht klingelt
Nicht mal der Postmann hätte klingeln können, denn, wie ich später erfuhr, war auch die Türglocke vom Stromausfall betroffen, welcher bei uns Licht, Heizung und Internet lahmgelegt hatte. In solchen Situationen werden Kinder gezeugt, aber ich war ja alleine. Also besann ich mich aufs Wesentliche und öffnete eine Packung Dominosteine. Zwei Stunden und 20 Dominosteine später war der Elektriker da und machte alles wieder heile: Die Heizung, die Klingel, den Fernseher, das Internet, das Telefon und das Flurlicht. Mit EINEM Draht. Mein Leben hängt an einem Draht, wie bei den Seiltänzern, dachte ich, bevor ich mich in die Arbeit stürzte.
Am Abend kam mein Mann und nahm sich meines Handys an. Er wechselte die SIM-Karte, machte hier einen Test, da einen Test und pustete schließlich dreimal ins Gerät. Seitdem läuft es wieder! Und mein Seiltänzer-Dasein geht weiter, als wäre nichts gewesen…
Es grüßt Euch – digital wie immer
Eure Nachbarin
Jan. 8, 2016 | Ne Story
Ich weiß nicht, ob mir jemand bewusstseinsverändernde Substanzen in den Weihnachtstee gekippt hat oder das 25stigste Lebkuchenherz mit Marmeladenfüllung irgendwie schlecht war. Jedenfalls, wenn man mich fragt, geht es hier in letzter Zeit nicht mehr mit rechten Dingen zu.
Alles begann mit einer Weihnachtsmaus. Nachdem meine Tochter ja bereits am zweiten Weihnachtstag mit einer dicken Grippe die Segel gestrichen hatte, war mein Nachtschlaf zwischen den Jahren empfindlich zu kurz gekommen. Weshalb mein mich liebender Mann, generöserweise vorschlug, ich solle meine Zelte doch mal auf der Wohnzimmercouch aufschlagen und damit ungefähr 30 Meter und zwei Türen entfernt vom nächtlichen Dauerhustenanfall meiner Tochter.
Knusper, knusper, knäuschen…
Gesagt, getan. Ich schlief den Schlaf der Gerechten. Bis genau 1:00 Uhr. Dann hörte ich ein verdächtiges Knuspern aus der Küche. Es klang haargenau so, als würden sich zwei Nagezähnchen in eine Umverpackung graben. Ich kenne das Geräusch, denn ich habe einschlägige Erfahrungen mit ‚Maus in Zimmer‘, seit ich im Jahr 2005 ein Praktikum auf dem Lerchenberg gemacht und ein Zimmer auf
einem nahegelegenen Bauernhof bewohnt habe.
Ich finde ja solcherlei Getier ganz süß, mit ihnen in einem Raum nächtigen möchte ich aber eher weniger. Also schnappte ich mir mein Kindle und leuchtete unauffällig in die Küche, um den Verursacher des Geknurpses in Flagranti zu erwischen. Das Geräusch verstummte. Ich machte das Deckenlicht an und ging auf Spurensuche. Nichts! Also schob ich das Intermezzo auf einen meiner Schlafwandelanfälle und legte mich wieder hin.
Bis drei Uhr. Da knabberte es wieder. Und zwar unter dem Weihnachtsbaum. Diesmal hörte es sich an, wie Nagezähnchen in Karton. Ich war zu erschöpft und dämmerte spontan wieder weg. Bis Viertel nach drei. Da hörte ich: Nagezähne in Holz. Emsig! Und zwar ungefähr einen Meter von mir entfernt. Direkt unter dem Wohnzimmertisch. Sobald ich mich bewegte, hörte es auf.
Nun hätte ich das Geheimnis an dieser Stelle wohl lüften können, hätte mich nicht eine völlig irrationale – sicherlich der Übermüdung geschuldete – Panik ergriffen, unter dem Tisch könne sich KEINE Maus, sondern
eine Beutelratte, ein mutierter Holzwurm oder gar eine mit ihren riesigen Mahlzähnen holzschnitzelnde Monsterspinne verstecken. Ich tat also das einzig Vernünftige: Ich ergriff die Flucht und zog ins Kinderbett meiner Tochter um. Tür zu! Fertig! Dachte ich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch.
Ein(e) Fall(e) und keine Lö/osung
Ich schlief die restliche Nacht wie ein Stein und fuhr am nächsten Vormittag – es war der 30. Dezember – gleich zum Baumarkt, um eine Lebendfalle zu kaufen. Nur für was? ‚Wenn
es eine Beutelratte ist, reicht eine Mausefalle nicht. Und gibt es Lebendfallen für Säbelzahnspinnen??? Was tut man da rein? Einen Finger?‘, sinnierte ich vor mich hin, bevor ich dann etwas verwirrt doch nach der Mausefalle griff.
Dann rief ich die Experten in Sachen Nagetierfang an. Meine Eltern. 35 Jahre Erfahrung machen klug. „Für Mäuse muss man ein Brot dick mit Nutella beschmieren“, hörte ich. Da können die nicht widerstehen. ‚Das kenne ich von unserer Maus auch‘, dachte ich, und kaufte die etwas billigere Variante beim Aldi. Vielleicht war das der Fehler.
„Gibt es eine Losung?“, hatten meine Eltern noch gefragt, als ich meine Zweifel an der konkreten Form des Tieres offenbarte. „Eine Losung? Ihr meint so wie ‚Maus verschwinde aus diesem Haus!!!‘ Nein. Würde ich eine kennen, bräuchte ich ja keine Falle.“ Es ginge um die Ausscheidungen wurde ich belehrt. Außerdem könne ich nachts einen Apfel auslegen und einen Teller
mit Mehl bestäuben. „Mäuse sind neugierig! Ist eine da, wirst du auf jeden Fall Spuren darauf finden.“
Mit einem spitzen Schrei sprang ich aus dem Bett
Ich bereitete alles für die Nacht vor. Die Falle ließ ich nochmal weg, in der Angst, eine Beutelratte könnte sich in der zu kleinen Lebendfalle verfangen. Ich weiß, wie sich sowas anfühlt. Wenn ich nach
Weihnachten meine Alltags-Jeans wieder anziehe, hat es einen ähnlichen Effekt bis ungefähr nach der Fastenzeit. Das kann man keinem antun.
Aus persönlichen Gründen verbrachte ich die folgende Nacht gleich im Kinderzimmer und konnte nicht einschlafen, weil Töchterchen nebenan die Tonleiter rauf und runter bellte. Pünktlich um eins war es dann soweit.
Unter das Husten aus dem Schlafzimmer mischte sich ein zartes Knuspergeräusch aus der Küche. ‚Aha‘, dachte ich, ‚morgen sehe ich, welcher Gestalt du bist‘, und drehte mich entspannt zur Wand. Für etwa 10 Sekunden. Dann knusperte es gleich neben dem Bett – unter der Fensterbank.
Mit einem spitzen Schrei sprang ich auf und stürzte ich mit Decke und Kissen ins Schlafzimmer, um freiwillig den Nachtdienst anzutreten. ‚Immerhin‘ dachte ich, ‚das Bellen wird das ominöse Tier, das unter geschlossenen Zimmertüren hindurchpasst (!) bestimmt abhalten.‘ Mein Mann schleppte sich ins Kinderzimmer. Ließ sich mit – wie immer verstöpselten Ohren – auf dem Kinderbett nieder und wachte morgens mit einem „Ich hab nix gehört!“ auf. Na danke.
Der Mehlteller war unangetastet, die Apfelhälfte verschmäht, eine Losung auch heute nicht zu finden. Na warte! „Heute Abend bist du fällig, egal wer oder was du bist!“, rief ich provozierend ins Wohnzimmer hinein. Und während es am Silvesterabend langsam dämmerte überlegte ich kurz, ob es sich vielleicht um den Geist einer Maus handeln könnte. Einer Maus, die schon vor vielen Jahrzehnten in dieser Wohnung zu Tode gekommen war und sich nun, da wir bald ausziehen, nicht mehr an ihren Ehrenkodex gebunden fühlt.
Der Wind, der Wind, das himmlische Kind
„Ich glaube, ich werde ein bisschen verrückt!“, gestand ich meinem Mann, der vielsagend seine Mundwinkel kräuselte, aber dennoch brav die Lebendfalle bestückte. Brot und Nuss-Nougat-Creme satt. Aus Schaden klug geworden nächtigte ich nach dem Feuerwerk gleich mit Töchterlein im Schlafzimmer. Die Balkontür stand auf – wie immer, wenn sie hustet. Der Rollladen war genau so weit hinuntergelassen, dass eine zur Einsicht gekommene Maus (oder deren Gerippe) hinausgelangen könnte, Tiere von draußen sich aber keinesfalls eingeladen fühlen sollten.
In der Nacht hört ich im Schlafzimmer Geräusche. Kein Knabbern und Knarzen. Eher ein Rascheln und Huschen. Der Wind zerrte am Rollladen. Oder war es ein agiles Bündel mit oder ohne Fell, das mit Vehemenz
dagegen bollerte, um in die Freiheit zu gelangen. „Was ist das hier? Blairwitch Projekt???“, zitterte ich und zog mir die Decke über den Kopf.
Seither sind weitere Nächte vergangen, weitere Äpfel unangetastet, das Mehl im Müll, die Falle leer. Aber irgendetwas bringt mich um den Schlaf! Pienzt mich, ärgert mich! Immer in der ersten Nachthälfte. Heute Nacht, ich schlief todesmutig wieder mal im Kinderzimmer, sprang ich plötzlich auf. Ich hatte es gesehen, das Wesen. Keine Spinne, keine Beutelratte, keine
Maus. Äh, also doch. Quasi! Eine Fledermaus, die meinen Kopf umkreiste und mich und meinen panischem Puls aus dem Bett trieb. Als ich den Lichtschalter fand, sah
ich sie. Sie hockte oben im schaukelnden Kinder-Netzregal von Ikea und blickte mit spöttischen Teddyaugen auf mich herab…
Bis heute wusste ich nicht, ob diese Geschichte noch einmal ein Ende und ich zu meinem Nachtschlaf zurück finden würde. Aber letztlich hat meine Tochter hat den Bann gebrochen! Gemeinsam mit den Großeltern kam sie heute Nachmittag zur Tür hinein, pfefferte die Winterschuhe von den Füßen, fegte um die Küchenecke und „zack“ mit dem dicken Zeh in die Falle. Ein paar Tränen des Erschreckens bei ihr, ein paar herzliche Lachtränen bei uns und dann die erleichterte Erkenntnis: Endlich habe ich nun doch eine Maus gefangen!
Eure Nachbarin
Juni 18, 2015 | Ne Story, Reine Beziehungssache
Wenn die Zeit drängt, sagen Informatiker gerne „T Minus“ und setzen dann eine entsprechende Minutenzahl dahinter. Die Zahl zeigt an, wie viel Zeit noch bleibt. Zum Beispiel bis das System abstürzt, etwas explodiert oder eine Braut am Ort der Trauung ankommen will (bevor ihr System abstürzt und sie explodiert.) Und dieser Zeitpunkt war für mich eine Stunde vor der Trauung, denn ich wollte den Gästen nicht vorher über den Weg laufen.
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T Minus X |
Es war also T-40 vor Ankunft und damit im eigentlichen Sinne noch nicht soooo spät, wie ich mich fühlte. Das erklärt auch, warum meine Familie eine gewisse Gelassenheit an den Tag legte, als ich mit wogendem Babybauch unterm Spitzenkleid auf den Parkplatz stampfte. Dort versuchten sie gerade, das wunderschöne Blumengesteck meiner Mutter auf der Motorhaube zu befestigen. Mein Puls lag zu diesem Zeipunkt ein wenig oberhalb des gesunden Maßes, so dass ich ihren Bemühungen nicht die angemessene Beachtung schenkte. Stattdessen blaffte ich irgendwas und platzierte mich brütend und mit zwei großen Ausrufezeichen in den Augen im Fond des Wagens.
Das Navi
Nach einem Blick in mein Gesicht, kamen die anderen dann erstaunlich schnell zur Einsicht, doch besser loszufahren. Gesteck hin oder her! Leichter Regen schlug gegen die Windschutzscheibe, während wir so fuhren. Eigentlich kannte ich den 30 Kilometer langen Weg, wollte aber in meinem Zustand und mit Blick auf die Uhr, die offensichtlich einen Weltrekord aufstellen wollte, doch lieber auf das Navi meines Vaters vertrauen. Damals wusste ich noch nicht, wo Navis einen so hinführen können (Rotkäppchen im Düsterwald).
Vielleicht hätte ich stutzig werden sollen, als das Gerät die Auffahrt zur Autobahn nicht fand und wir stattdessen langsam durch ein Bonner Rheindorf zuckelten. Aber ich war mit dem Wetter (15 Grad und Regen), dem Theologen (immer noch keine Rückmeldung) und dem Blumenschmuck auf der Motorhaube beschäftigt, der bedenklich vibrierte und dann auch just in dem Moment blütenwerfend nach oben schlug, als wir doch noch zur Autobahn fanden.
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On the road |
Bei T-30 brachte mein Vater das Auto auf dem Standstreifen zum Stehen. Bei T-29 hatte er das Gesteck in den Kofferraum verfrachtet und wir fuhren mit 150 Sachen über die erste Autobahn, der noch eine zweite, dritte und vierte folgen sollten, bevor es dann links in die Büsche ging. Kein Stau hielt uns auf, keine Polizei hielt uns an. Alles war gut und ich wagte, mich ein wenig zu entspannen. Zu früh, wie ich bald darauf feststellen sollte.
T-05: „Jetzt weiß ich auch nicht mehr, wo wir sind.“ Außerdem wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, während ich diesen Satz sagte und danach stumm auf das hübsche Einfamilienhaus in einem Neubaugebiet starrte, vor dem wir gestrandet waren. Leider stand es an einem Wendehammer und die einzige Richtung, die uns blieb, war zurück nach Norden, obwohl wir eigentlich nach Süden wollten. Das Navi beharrte darauf, dass wir den Zaun des Hauses niederwalzen, durchs Gemüsebeet pflügen und dann durch den Gartenteich schippern sollten, um den dahinterliegenden Feldweg gen Süden zu erreichen, aber irgendwas hielt uns davon ab…
Metalcore für die Nerven
Ich kann beim besten Willen nicht sagen, wie wir aus dem Wohngebiet raus, auf die Bundesstraße drauf, durch drei weitere Dörfer hindurch und am Ende tatsächlich bis zur Einfahrt unseres Klosters gekommen sind. Wahrscheinlich war ich gnädigerweise in Ohnmacht gefallen. Jedenfalls standen wir plötzlich, es war T+12, auf dem Parkplatz. Reflexartig ließ ich mich in den Fußraum fallen, was meinem Kleid nicht wirklich zuträglich war, denn um den Eingang herum entdeckte ich Fußvolk. Die ersten Gäste! „Wir pirschen uns von hinten an“, entschied ich. Dass wir uns dazu durch eine Hecke wurschteln und über die regennasse Wiese laufen mussten, interessierte mich zu diesem Zeitpunkt nur noch perifer. „Wenn du was willst, ist alles egal“, sagt mein Mann immer und je nach Situation, ist es ein Vorwurf oder ein Lob.
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Hochzeitswolken |
Die letzte halbe Stunde vor der Trauung verbrachten wir zweisam im Brautzimmer, warfen hin und wieder misstrauische Blicke auf den Wolkenhimmel vor dem Fenster (Open Air-Trauung und so) und versuchten, uns zu entspannen. Die Trauzeugen hatten alles im Griff, der Theologe war aufgetaucht und ich freute mich einfach nur auf den Tag, während mein Mann – bis dahin ennervierende Ruhe selbst – langsam zappelig wurde und sich nur noch mit Metalcore-Musik aus dem iPod beruhigen ließ.
Einmal sollten wir auf dem Weg zum Altar fast noch vom Weg abkommen, als das süße Blumenmädchen im Klosterhof zu den Klängen von „I belong to you“ forschen Schrittes die falsche Abzweigung nahm. Aber irgendwie schafften wir es doch noch durch den Mittelgang nach vorne und siehe da, in dem Moment, als wir uns auf den Stühlen niederließen, kam die Sonne raus und blieb uns bis nach dem Sektempfang hold. Danach war das Wetter dann den meisten schon egal.
Die Anfahrt sollte nicht die letzte Panne des Tages gewesen sein. Vielleicht schreibe ich im nächsten Jahr über Hochzeitstorten und DJs 🙂 Aber trotzdem war es ein wunderschöner Tag, der mit all seinen Begegnungen und Geschichten – den lustigen, nervigen, rührenden und schönen – unvergesslich ist.
Alles Liebe zum Hochzeitstag, mein Schatz!
Deine – und natürlich Eure – Nachbarin
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Geschafft!!! |
PS: Einen Tag nach der Trauung rief mein Vater an: „Ich weiß jetzt, was mit dem Navi los war. Es war auf ökonomische Streckenführung eingestellt und hat Schnellstraßen und Autobahnen vermieden.“ Drum versuche, wer sich ewig bindet, am Tag der Trauung keinen Sprit zu sparen 😉
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