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Als ich gerade so meiner Tochter nachgeschaut habe, wie sie in Quasimodohaltung hinter ihrem Vater her zum Kindergarten schwankte, dachte ich, es ist mal wieder Zeit für ein paar Einblicke in unseren Alltag. Der Quasimodo hat nichts mit der aktuellen Befindlichkeit oder motorischen Defiziten zu tun, sondern mit dem Wetter. Nachdem mein Mann es grundsätzlich und ich nur wegen der Bindfäden vorm Fenster ablehnte unser Töchterchen auf ihrem Steckenpferd Sabrina in den Kindergarten reiten zu lassen, gab es die ersten Tränen des Tages.
Eine Alternative musste her und die kam in Gestalt von Amadeus – Ähnlichkeiten zu den Pferdenamen bei Bibi und Tina sind natürlich rein zufällig. Amadeus ist ein gefühlt lebensgroßes Kuschelfohlen mit übertrieben langen Plastikwimpern und allerlei Funktionen. Zu diesen gehört eigentlich nicht, dass man darauf reiten kann, aber wo ein Wille da ein Weg.
Und deshalb klemmt Amadeus statt des Steckenpferdes nun zwischen den Knien meiner Tochter. Die Zügel hat sie unter den Vorderbeinen durchgezogen, hält sie mit aller Macht hoch und wankt verkrampft und o-beinig, wie ein Fußballer nach der 90sten Spielminute, in Richtung Kita. Aber hej, sie ist glücklich und wie sagt meine Freundin mit den drei Kindern und dem Hund immer: Wir brauchen Lösungen. (Nachtrag: 100 Meter hat sie durchgehalten, dann ist sie samt Reittier in eine Pfütze gefallen und musste – ebenfalls samt Reittier – vom Vater in die Kita getragen werden.)
Problemlöser
Um Lösungen ist in dieser Familie vor allem einer nicht verlegen: der Opa. Nicht umsonst sammelt er mit großer Energie und seit Jahrzehnten „Problemlöser“. Das sind Plastikteile in
verschiedenen Größen, Formen und Farben vom Deckelchen bis zur Wanne. Außerdem Häkchen, Seile, Schnüre, Winkel, Hölzer und Hölzchen, Walzen und Wälzchen, Teppichreste,
Planen, Plexiglasdächer, Werkzeuge. Dinge, die man mit (viel) Fantasie als Werkzeuge benutzen kann. Dinge, zu denen anderen auch mit viel Fantasie keine Einsatzmöglichkeit einfallen würde. „Ihre Zeit wird kommen“, sagt mein Vater immer und wenn, dann ist er bereit.
Also meistens. Manchmal aber fehlt dann doch dieses entscheidende Teil, das jetzt genau passend und vonnöten wäre und dass er – er weiß es noch genau – 1997 hinten an den Gartenzaun gelegt hat. Warum es da nicht mehr liegt, kann man eigentlich nur meine Mutter fragen: ebenfalls sehr kreativ, allerdings mit einem ausgeprägten Sinn für Schönes und ORDNUNG. Ersteres und Mittleres habe ich von ihr geerbt, letzteres leider gar nicht. Meine Mutter also krankt an den Sächelchen und Sachen, den Dingelchen und Dingen, die monströs im Weg rumliegen und ihr ästhetisches Auge stören. Gewelltes Plexiglas geht mit liebevoll gepflegten Rabatten nicht unbedingt eine günstige Liaison ein, wird aber – auf dem Rasenmäher aufgeschraubt – als Regenschutz gebraucht. So kann man nämlich dann auch bei Regen mähen…

Wolf im Schafspelz
 Und das ist in diesem Sommer echt mal ein Argument. Unser Hund, der eigentlich aussieht wie ein Lamm und sich auch so anfühlt, walzt einmal durch den regennassen Garten und ist nicht wiederzuerkennen. Wundersamerweise verflüchtigt sich der Schlamm analog zum Trocknungsgrad und am Schluss ist er wieder wie neu. Dafür knirscht es im Wohnzimmer etwas unter den Fußsohlen. Noch ist es das Wohnzimmer meiner Eltern, denn noch verlebt er dort
seine glückliche ungestörte Welpenzeit unter fachkundiger Anleitung meines Vaters. Bevor er dann demnächst in unser Alltagschaos hineinkommt, wobei ihm
wahrscheinlich Hören und Sehen vergeht.

Vorher gewöhnt er sich hoffentlich noch das Beißen ab, denn während andere Vierbeiner in dem Alter Möbel und Schuhe essen, liebt er sommerlich textilfreie Zehen, Waden und bei kleinen Menschen, wie meiner Tochter, einfach alles, was irgendwie zu fassen ist. Sie verbringt daher die größte Zeit des Tages in Buddahaltung auf dem Küchentisch oder anderen geeigneten Aussichtsposten und wartet darauf, dass er ein anderes Opfer findet. Und das wird er! Bis sie es eben wagt, ihre sichere Höhenlage zu verlassen. Dann ist sie dran, reif und fällig. Benjamin Buttoneye – der Wolf im Schafspelz.
Think positive
So! Ein Blick in den grauen Regen und ich bin froh, dass ich heute arbeiten darf und nicht etwa Urlaub habe. Was für ein Glück! An Euch alle da draußen, die Ihr auch in der Schlechtwetterfront ausharrt. Think positive, andere Jahre haben auch einen Sommer – vielleicht sogar einen schöneren.
Eure Nachbarin