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Mein Dorf

Mein Dorf

Worüber könnte ich heute schreiben? Hmm, zum Beispiel über unsere Bettgewohnheiten. Keine Sorge, da ist überhaupt nichts Anrüchiges dabei. Leider! Ich sag immer, unsere Tochter wechselt in 14 Jahren nahtlos aus dem Elternbett ins Bett ihres ersten Freundes. Mein Mann schüttelt sich dann immer. Aber ist doch wahr…

Ich könnte auch über die jüngsten Entwicklungen an der Viren- und Bazillenfront schreiben. Diesmal sMOEmhHuF40+ (schwere Mittelohrentzündung mit heftigem Husten und Fieber über 40), geht langsam in Erkältung über. Vielleicht hat sich Töchterlein auch wieder neu bei mir angesteckt. Aber mit der Zeit langweilt mich das Thema selbst.

Was war noch? Ach ja, ich lese ein Buch. Das ist an sich nichts Besonderes. Seit ich im April mein Kindle bekommen habe, sind es schon über 80. Darunter auch zwei, drei Gute. Keine Angst, es kommt keine Rezension. Aber dieses Buch hat meine Friede-Freude-Eierkuchen-Nachbarschafts-Sehnsüchte aufgegriffen.

Ihr wisst schon: Spontane, ehrliche Beziehungen ohne Management. Ad hoc Grillabende mit einer lachenden Meute unterm Apfelbaum. (Eigentlich war es eine Trauerbirke, aber was bitte ist eine Trauerbirke…) Frische Muffins von der Nachbarin zur Linken, handwerkliche Unterstützung vom Nachbarn zur Rechten. Okay, es ist ein Märchen und wäre mir in der Realität sowieso zu viel.

Aber trotzdem: Der Blog heißt nicht umsonst „Die Nachbarin“ und deshalb ist es Zeit für eine kleine Liebeserklärung an mein eigenes Dorf. Dass es überhaupt „mein Dorf“ ist, will schon was heißen, denn wir wohnen erst zwei Jahre hier.

Nur wenige Kilometer vor der Stadt, ist es irgendwie offener. Hier trifft man fast so viele Auswärtige, wie auf der Domplatte. Die Menschen sind eine Mischung aus rheinisch fröhlich, rheinisch gelassen, rheinisch grummelig und rheinisch klüngelig und können einen damit auch mal in den Wahnsinn treiben: „Kommste heut nit, kommste morgen ooch nit…“

Es gibt ein Ober- und ein Unterdorf, welche sich naturgemäß nicht grün sind. Oben die Weinbauern, unten die Fischer. Villarriba und Villabajo – ohne Paella, dafür mit Sauerbraten. Es gibt Bäckereien, Supermärkte mit Fleischtheken, Schneider … Schreinereien, Ärzte und – wenn die nicht mehr helfen – Bestatter. Für alles andere ist Amazon zuständig.

Und – man kennt alle persönlich irgendwann. Also, im meinem Fall, wenn sie hinter ihrer Theke stehen und oder ihre Berufsbekleidung tragen, ansonsten wirds schwierig. Nur an Kassiererin Frau Born werde ich mich jetzt immer erinnern und ab und an einen Schnaps bei ihr kaufen, wenn ich mal wieder was fürs Ego brauche.

Gestern war ich mit meiner Tochter unterwegs. Noch nicht fit für den Kindergarten, aber für die Sonne schon. Also raus, ein „Guten Morgen“ an Hofkatze Schoki, die niemandem gehört und auf der Heizung im Keller wohnt. Die monatlichen zehn Euro aufs Kindersparbuch eingezahlt, wie immer nettes Schwätzchen mit der Kassiererin gehalten.

In den Bus gestiegen, um zum Kinder-Second-Hand in den Nachbarort am Hang zu fahren. Meine Tochter mal ganz zahm und lieb, diskutierte mit mir die Farben der vorbeifahrenden Autos. Da drehte sich der Busfahrer um und schenkte ihr eine Kette mit einer kleinen roten Möwe dran. Ha, der wusste, dass wir zu den Fischern gehören. Ahoi!

Im Kinder-Second-Hand drei Teile erstanden. Die rote Jacke mit den Pferden drauf musste gleich anbleiben. Und dann eine Viertelstunde die Zeit angehalten, mit einer Frau über 90, die schon im Bus gesessen hatte, und uns nun zwischen den Kleiderständern ihre Lebensgeschichte erzählte:

Von Wien ins Rheinland, als Krankenschwester, in Zeiten, als Ärzte noch brutale Ohrfeigen an Kinder verteilten und Kinderstationen mit Elternzimmern jenseits von Eden schienen. Ihre Traurigkeit ausgehalten und wieder was gelernt: „Legen Sie das Kettchen vom Busfahrer in eine Schachtel. Solche Geschichten muss man gut aufbewahren.“

Zum Schluss noch eine Runde durch den Park, Gänse gejagt, Gänseblümchen gepflückt, um einen Springbrunnen herumbalanciert, Steine ins Wasser geschmissen… „Da hattet ihr ja einen schönen Mutter-Tochter-Tag im Dorf“, sprach dann abends der Papa, und es klang ein bisschen neidisch. Zu Recht! So ganz weit weg vom Kindle-Buch ist unser Veedel ja doch nicht.

Wer bist Du denn?

Wer bist Du denn?

Ich bin keine Bilderbuchnachbarin! So, jetzt ist es raus. Ich hab schon mal vergessen, die Mülltonne vors Tor zu stellen, die Treppe könnte auch mal wieder geputzt werden und als kürzlich die Vermieterin mit Kind und Magen-Darm-Grippe im Flur stand, habe ich schnell die Tür zu gemacht und nur noch per Whatsapp mit ihr kommuniziert… (Hat uns übrigens nichts genützt.)

Viel schlimmer aber ist: Ich grüße nicht! Jedenfalls nicht jeden. Arroganz? Sagt man mir hoffentlich nicht nach. Oberflächlichkeit? Dann würde ich mich hier nicht outen. Nein, tatsächlich ist es mein sagenhaft schlechtes Gesichtergedächtnis. Wirklich wahr, ich kann mich heute sehr nett mit Leuten unterhalten und morgen an ihnen vorbeilaufen, wenn ich sie nicht näher kenne. Werde ich dann gegrüßt, bin ich oft so verwirrt, dass ich gar nicht dazukomme, zurück zu grüßen und mein beschämter Blick nur noch einen Rücken trifft.

Tatsächlich bin ich beim Wiedererkennen auf Dinge angewiesen, die das Gesicht ergänzen. Der Gang, der Haarschnitt – oder der Hund! Hunde kann ich mir super merken, die haben ja viele Haare. Gut ist auch Berufsbekleidung: Die Bäckereifachverkäuferin erkenne ich immer und auch die Kassiererin beim dm. Aber wehe ich treffe die eine in Zivil beim Brötchenholen oder die andere am Duschgel-Regal…

Mein Mann bringt in geselliger Runde gerne die folgende Geschichte, die Gott sei Dank schon ein paar Jahre her ist.Wir waren auf Reportagetour in einem Ökokloster. Morgens trafen wir auf den Biobäcker, der gerade von der Frühschicht kam und auch so aussah. Wir machten einen Termin für den Nachmittag aus. Er wollte uns die Backstube zeigen. Als wir um 15 Uhr an die Tür klopften, öffnete ein hochgewachsener Mann mit Kutte. Ich fragte ihn freundlich, wo ich denn den Bäcker finden könnte, während mein Mann fast zusammenbrach: Er hatte den Bäcker natürlich auch im schwarzen Habit erkannt.

Jetzt habe ich endlich zum letzten Mittel der Verzweifelten gegriffen: GOOGLE! Und ich habe Folgendes erfahren. Erstens: Die meisten Leute können sich Gesichter gut merken, dafür keine Namen. Okay, auch nicht schön. Zweitens: Sogar Schimpansen können sich gut Gesichter merken. Na danke… Drittens: Frauen können sich besser Gesichter merken, als Männer. Das bedeutet also, ich stehe irgendwo auf dem Level eines testosterongesteuerten Schnurrbarttamarins. Das macht Mut! Denn es kann nur besser werden.

Den ein oder anderen Tipp habe ich im Internet dann doch gefunden: Wie beim Namenmerken sollte man versuchen, auch beim Gesichtermerken Assoziationsketten zu bilden. Je lustiger und unwahrscheinlicher, desto besser. Ich beginne bei Nachrichtensprechern und so langsam macht es mir Spaß.

Ich frage mich zum Beispiel, ob schon mal jemandem aufgefallen ist, dass einer der n-tv-Sprecher ein Prozentzeichen im Gesicht hat: Muttermal, schräge Augenbraue und linkes Auge. Den erkenne ich garantiert wieder! Ansonsten sehe ich mit dieser Methode haufenweise Bulldoggen, Königspudel und Dackel. Nicht schmeichelhaft, aber hilfreich. Mit Hunden kenne ich mich schließlich aus!