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Unser dritter Reisetag beschert uns einige neue Erfahrungen. Das bleibt beim Urlaub mit dem Camper nicht aus. Überhaupt ist das wohl eines seiner Geheimnisse, wie ich gestern mit einer befreundeten Wohnmobilistin ausklamüsert habe: Anders als nämlich gedacht sind die nervigen Dinge beim Wohnmobilurlaub gar nicht nervig. Ja, man hat immer gut zu tun, aber auf die niedrigschwellige Art und Weise, die den Kopf frei macht vom Alltagsgedöns, ohne zu über- oder zu unterfordern. Routen planen, nach Stellplätzen suchen, fahren, gucken, halten, tanken, putzen, laden, entsorgen, radeln, besichtigen – das alles wechselt sich miteinander ab, wie das Wetter und die Landschaft, während man Kilometer um Kilometer zurücklegt und alle Sorgen von daheim weit hinter sich lässt –  ohne jedoch sein Heim hinter sich zu lassen. Denn das hat man ja praktischerweise dabei.

Ich reise sehr gerne, wäre am liebsten monatelang unterwegs. Aber ich habe immer diesen Moment, in dem ich mit einer neuen Unterkunft fremdele, mich mit der Urlaubsumgebung erst anfreunden muss. Diesen Moment (manchmal dauert er auch ein oder zwei Tage), in dem ich mich akklimatisiere und die Realität vor Ort mit meinen ursprünglichen Erwartungen abgleiche (bzw. diese nachträglich etwas runterschraube). Dieses Gefühl hatte ich bei unserer Wohnmobilreise nicht. Zum einen musste ich mich nur einmal an unsere neue mobile Unterkunft gewöhnen, durch die noch ein bisschen das Flair unserer Vorgänger waberte. Ab da war es mein Heim. Und zweitens überliste ich als Womo-Reisende mein Fremdelgefühle bezüglich eines Urlaubsortes, denn zumindest obligatorisch kann ich ja sofort wieder abhauen, wenn’s mir nicht gefällt.

Nach einem Frühstück mit Brötchen aus einer nahegelegenen Bäckerei geht es zurück auf die Piste. Mein Mann stresst mich, weil wir tanken müssen und ich während der Fahrt die günstigste Dieselquelle rausfinden soll. Mit Google Maps stehe ich dabei wie so oft auf Kriegsfuß. Die verda… ledeite App macht nicht, was sie soll und das noch nicht mal besonders gut. Aber ich hab ja sonst nix zu tun und es ist nun mal Aufgabe des Beifahrers. Auf einem Autohof stehen wir schließlich an einer vollautomatischen Zapfsäule, um die plötzlich ein Männlein herumtanzt, das meinen Mann nicht nur mit Sprit, sondern auch mit Tankexpertise versorgt. „Ich drück einfach mal auf den 200-Euro-Knopf, der Rest wird euch dann zurückgebucht“, kräht er fröhlich. „Gehörte der überhaupt zur Tankstelle?“, frage ich bei der Ausfahrt meinen Mann. „Keine Ahnung“, zuckt er etwas ratlos mit den Schultern.

Tankstellenanzeige

Von Schifferstadt bis zu unserem anvisierten Stellplatz an der Allianz Arena im Münchner Norden sind es über A6, A7 und A8 genau 367 Kilometer. In Stunden 3,5h; in Minuten 220. In Kinderminuten mit Video auf Tablet gefühlte 20; in Kinderminuten ohne Video auf Tablet definitiv 2000. Bis kurz hinter Günzburg kommen wir in den Genuss der ersten Kinderzeitrechnung. Ruhe und Entspannung! Bis uns bei Kilometer 260 schmerzhaft bewusst wird, dass Töchterchen meine Anweisung vor der Abfahrt nicht wirklich ernst genommen hat. „Kind, lad dir so viele Videos und Hörspiele aufs Tablet, wie du meinst, dass du im Urlaub brauchst. Und dann lad dir nochmal doppelt so viele runter“. Ergänzt vom väterlichen Hinweis: „Hör auf deine Mutter! Wir wissen nicht, ob du unterwegs nochmal was runterladen kannst.“

In Summe kam unser Kind damit auf zwei Filme und drei Hörspiele. Ich hätte besser nochmal draufgeschaut. Denn keine Tablet-Ablenkung im Auto bedeutet: Gejammer und Gezeter! Erst kommt der Hunger, dann die Langeweile, dann Seitenstechen, dann ein flaues Gefühl, dann Wut auf die Eltern, dann Verzweiflung über die Gesamtsituation. Und schließlich ein Ausraster, der sich gewaschen hat und von allen Komponenten gespeist wird. In dem Fall helfen weder Spiele wie „Stadt, Land, Fluss“, noch Radio, noch Hinweise auf pittoreske Autobahnausfahrten, noch das Angebot, vorne auf dem Beifahrersitz zu sitzen. Chuck Norris-Witze retten 10 Kilometer, ein Apfel und Schokolade genauso viel. Aber dann ist man immer noch fast 90 Kilometer vom Ziel entfernt.

Roter Asphalt auf der Autobahn

Bei mir löste die explosive Stimmung im Auto, zusammen mit dem unerträglichen roten Asphalt der A8, gepflegte Kopfschmerzen aus. Dieser rötliche Split aus Sachsen-Anhalt bedeckt die Autobahn zwischen Günz- und Augsburg und ist eine echte Pest. Anscheinend soll er den Fahrbahnbelag fester und haltbarer machen, vor allem aber sorgte er für eine Lautstärke im Auto, die nur meine Tochter mit besagtem Tobsuchtsanfall toppen konnte. Das Fahrgefühl erinnert an die Ostautobahnen kurz nach der Wende und ausnahmslos alle stießen einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als wir Augsburg endlich hinter uns lassen konnten. Ich bin ja auch für Nachhaltigkeit, aber bitte findet was Langlebiges mit den tonalen Eigenschaften von Flüsterasphalt. Danke, eure Familie Hose!!

 

 

Am Fuße der Allianzarena