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Weihnachten auf dem Märchenschloss oder das Osterhasen-Trauma

Weihnachten auf dem Märchenschloss oder das Osterhasen-Trauma

Kürzlich habe ich mich mit meiner Freundin Marisol über frühe Kindheitserinnerungen unterhalten. So mit fortschreitendem Alter kommen die ja langsam wieder. Eigentlich sollen sie ja erst so ab dem  dritten Lebensjahr langsam einsetzen. Als Mutter finde ich das manchmal traurig: Die Maus wird sich nicht an ihren ersten Tag am Meer erinnern oder an den ersten Schnee. Andererseits aber auch nicht an den Tag, als ich sie mit einem dieser kribbeligen Kopfhaut-Massage-Dinger erschreckte und sie sich die Stirn an der Tischecke aufschlug. (In der Notaufnahme waren sie sehr nett und die Narbe ist schon fast verheilt…)

Im Gespräch mit Marisol kamen wir darauf, dass wir zwar frühe Erinnerungen haben, ABER ja nicht wissen können, ob es echte Erinnerungen sind ODER Erinnerungen an Erzählungen ODER Erinnerungen an Erinnerungen. Könnte ja auch sein! Wenn ich mich an meinem dritten Geburtstag mit meinem Kurzzeitgedächtnis an etwas erinnere, dass ich mit – sagen wir Zweidreiviertel – erlebt habe und mich dann mit Dreieinhalb daran erinnere, an was ich mich an meinem dritten Geburtstag erinnert habe und so weiter und so fort… kommt doch am Ende eine astreine Erinnerung bei raus!

Superacht versus Smartphone

Jetzt hatten wir Ende der siebziger Jahre ja nicht die mediale Gedächtnisstütze, die die Kids von heute haben. In jedem Lebensmoment steht doch irgendeiner daneben, der das Ganze mit dem Smartphone als Video oder wenigstens im Bild festhält. Über uns gab es höchstens noch einen wackeligen Superachtfilm. Und mit „einen“ meine ich „einen“. Immerhin weiß ich dadurch, dass ich als Einjährige im Ungarn-Urlaub fast mal von der Schaukel gefallen wäre…

Unsere Tochter liebt es, sich Videos von sich selbst anzuschauen (heiliger Egozentrismus) und gibt ihrer Erinnerung damit immer wieder einen neuen Anstoß. So weiß sie auch noch, dass sie sich mit eineinhalb das Bein gebrochen hat (Gips bis zur Hüfte). Wenn man sie fragt, welches Bein und wo genau, kann sie es schneller und präziser zeigen, als wir.

Marisol meint übrigens, sie hat nicht ganz so viele Kindheitserinnerungen. Sie ist auch ein paar Jahre jünger als ich – also zwei. Je mehr ich so über meine ersten Lebensjahre nachdenke, desto mehr fällt mir wieder ein. Vielleicht habe ich aber auch nur eine blühende Fantasie (Krebsgeborene und so). Ein frühes Bild habe ich zum Beispiel von einer Amsel, die vor unserem Küchenfenster an einer mit Körnern gefüllten Kokosnuss schaukelt. Ein Foto gibt es davon nicht. Vielleicht ist es also eine Erinnerungen ersten Grades.

Ok, ein Foto gibt es offensichtlich doch. Mist! Aber in meiner Erinnerung war es eine Amsel. Wirklich!!

Das Osterhasen-Trauma

Aus der Kindergartenzeit habe ich dann schon richtig viele. Wie ich zum Beispiel stolz mein neues Wissen über die Nichtexistenz des Osterhasens mit den anderen teilte und die Erzieherin dann vor versammelter Mannschaft sagte: „Quatsch. Natürlich gibt es einen!“ Heute kann ich sie verstehen. (Mein Trauma lässt auch langsam nach.) Oder der Moment, als ich im Urlaub so „dumdidumdidubdidei“ in ein Schwimmbecken hineintaperte, bis ich nur noch Wasser und Luftblasen vor Augen hatte… und als nächstes die Armbanduhr meines Vaters, der mich (dankenswerterweise) wieder rauszog. Da war ich wohl so vier.

Vielleicht bin ich, was diese ganzen Erinnerungen angeht, auch ein bisschen obsessed. Ich entstamme einer Familie von Ahnenforschern und Autobiographie-Schreibern, von Fotosammlern und Nie-etwas-Wegschmeißern. Sowas färbt sicherlich ab. Andererseits gibt es auch ein gutes Gefühl zu wissen, dass man von einem Südtiroler Freiheitskämpfer des 18. Jahrhunderts abstammt. Das erklärt so einiges. Sollte meine Tochter mal ein Ahnenforschungsinteresse entwickeln, wird es schwerer, denn „Multikulti-Kid“ müsste ihre Vorfahren gleich in sieben verschiedenen Ländern aufspüren…

Hmm… die Überschrift „Weihnachten auf dem Märchenschloss“ deutet darauf hin, dass ich eigentlich über was ganz anderes schreiben wollte und irgendwie vom Kurs abgekommen bin (ich glaube Seefahrer gehörten nicht zu meinen Urahnen). Jedenfalls schreibe ich über die wunderschöne vorweihnachtliche Märchenschlosserfahrung, an die sich meine Tochter später BITTEBITTE erinnern soll, einfach beim nächsten Mal.

Einen frohen Advent wünsche ich Euch! Und wenn ihr mögt, teilt doch Eure ersten Kindheitserinnerungen mit mir!!

Joggen für Anfänger

Joggen für Anfänger

In Sport war ich schon immer eine Niete. Kartoffelsack am Reck, Ersatzbank beim Völkerball. Und Sprint? „Langsamer kannst du eigentlich nur noch sein, wenn du rückwärts läufst“, meinte mein Sportlehrer bei den Bundesjugendspielen `91. Es ist mir einfach nicht gegeben. Beim Singen kann ich den Ton halten, beim Malen erkennt man, was es sein soll, beim Speerwerfen eben nicht: „Ich glaube, hier liegt eine motorische Behinderung vor.“ (Besorgter O-Ton vom gleichen Sportlehrer).
 
Die traumatischen Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend haben dazu geführt, dass ich heute noch ein extremer Sportmuffel bin und mich nur im Notfall bewege. Zum Beispiel, wenn
meine kleine Tochter mit wehenden Haaren vom Spielplatzgelände Richtung starkbefahrene Hauptstraße rennt. Aber selbst eine einfahrende Bahn kann mich nicht dazu bringen, meinen Schritt zu beschleunigen. Da warte ich lieber eine halbe Stunde auf die nächste.
 
Ich hab Rücken
 
Addiert mit meinem Schreibtischtäterjob ergibt meine geckogleiche Reglosigkeit das folgende Ergebnis: Meine vielbejammerten 42+, Zellulite sogar an den Oberarmen und ich
habe RÜCKEN! „Das war ja zu erwarten“, höre ich im Geiste meinen Sportlehrer spotten. Jetzt ist Rücken eine Sache, Migräne eine andere. Und da ersteres derzeit immer wieder zu letzterem führt, bleibt mir keine Wahl: Ich. Muss. Mich. Bewegen. (Egal, wie es aussieht)
 
„Wir leben hier in einem Joggerparadies“, sagt mein Mann und meint die 300 Meter, die wir von den Rheinanlagen entfernt wohnen. „Schwing die Hufe!“ Und eine Freundin erzählt:
„Ich war früher genauso unsportlich und dann habe ich mit dem Laufen angefangen. Ein Jahr später bin ich einen Marathon gelaufen.“ Hm, auch mein Vater ist früher Marathon gelaufen. Dann muss ich das doch quasi im Blut haben.
 
Ich begebe mich also in die nächste Sportabteilung und erstehe wichtig aussehende Laufschuhe, die auf hundert Euro runtergesetzt sind. „Der Preis motiviert mich jetzt noch
mehr, auch wirklich anzufangen“, sage ich zu meinem kopfschüttelnden Mann. „Das hat der Fitnessstudiobeitrag auch nie geschafft“, meint er lapidar. „Du musst
es wirklich wollen. Und denk dran, alles was man 21 Mal gemacht hat, wird zur Gewohnheit.“ Schlaumeier.
 
 
Morgenstund‘ hat Sport im Mund
 
Ich nutze also die frühe Morgenstunde, kleide mich in Pyjamahose und T-Shirt (für ein Laufdress hat das Geld nicht mehr gereicht) und stehe schließlich vor meiner Tochter, die
große Augen macht. „Wow“, sagt mein Mann aus dem Hintergrund, „du siehst ja richtig sportlich aus!“ Na, dann kann ich ja hierbleiben, denke ich und will mich gerade aufs Sofa schmeißen, als ein schmerzhaftes Ziehen im Nackenbereich mich an den eigentlichen Grund meiner Ambitionen erinnert.
 
Also los, sage ich mir und ziehe schnellen Schrittes Richtung Rhein davon. Dass ich tatsächlich jogge, kann am ersten Tag nun wirklich niemand erwarten. Am Fluss empfängt mich
eine Nebelwand und ich bin dankbar: So erkennen mich wenigstens die Nachbarn nicht, die da unten ihre Hunde ausführen. In zügigem Tempo geht es Richtung Süden, Ziel ist der hintere Spielplatz mit dem Trampolin. Da möchte ich ein bisschen hüpfen.
 
Ich lasse die Schultern kreisen und so langsam wird mir sogar warm. Das läuft doch großartig, denke ich, als ich in der Ferne den Spielplatz sehe. Dann könnte ich vielleicht doch mal versuchen zu laufen. Locker falle ich in den Trab. Hm, das fühlt sich jetzt aber nicht mehr so lustig an. Egal, die zweihundert Meter bis zum Trampolin muss ich jetzt schaffen. Mein Atem geht stoßweise, erstes Seitenstechen stellt sich ein. Kurz einatmen, laaaange ausatmen.
 
Locker flockig?
 
Mit jedem Schritt vertieft sich meine Gesichtsfarbe, während ich dampflockmäßig den Weg entlangrattere. Eine Kolonie Kaninchen zieht rechts an mir vorbei, weiter hinten sitzen zwei Eichhörnchen mit einem Defibrillator am Wegesrand. Sehe ich so schlimm aus? Mein Sportlehrer hat beim Joggen immer gesagt: „Wenn das Gesicht tiefrot anläuft und sich um den Mund herum ein weißes Dreieck bildet, ist man überlastet.“ Ein Selfie mit dem Handy gibt mir Gewissheit: Ich sehe aus wie ein leuchtendes „Vorfahrt achten“-Schild!
 
Die letzten Meter zum Trampolin lege ich lieber wieder im Schritt zurück. Schwer atmend lasse ich mich auf die daneben stehende Bank fallen. Mal aufs Handy gucken, wie
lange ich schon unterwegs bin. Cool! 15 Minuten. Das ist ja schon die halbe Zeit. Nur grade mal meine Mails checken… Eine Viertelstunde später erhebe ich mich leicht angefroren, um den Rückweg anzutreten. Fürs Trampolinspringen habe ich keine Zeit mehr. Ich muss schließlich auch mal arbeiten und kann nicht den ganzen Tag Sport machen.
 
Als ich einige Zeit später unsere Straße entlangwalke, kommt mir mein Mann entgegen. „Super“, sagt er anerkennend, „du warst ja richtig lange unterwegs! Und du siehst aus,
als wärst du wirklich gejoggt!“ – „Ja, was denkst du denn?“ sage ich leichthin, als ich Kusshändchen werfend an ihm vorbeiziehe. So ein bisschen Sport am Morgen tut doch richtig gut. Darauf erstmal einen Kakao und ein Nutellabrot! 
Hätte ich im Traum nicht gedacht…

Hätte ich im Traum nicht gedacht…

Puh! Habe gestern ein Interview mit einem Traumexperten gelesen. Der sagte, die neueste Erkenntnis ist, dass man die ganze Nacht träumt UND: Je besser man sich an seine Träume erinnert, desto größer der therapeutische Effekt. Therapie kann ich immer gebrauchen! Aber wie erinnert man sich an seine Träume? Ich meine klar, an den einen oder anderen schon, aber an acht Stunden Träumerei (also mit der Maus netto sechs)?

„Man muss sich einfach nur abends beim Einschlafen sagen, dass man sich morgens an alle Träume erinnern will“, sagt der Experte. Klang mal wieder zu einfach, um zu funktionieren und deshalb habe ich es ungläubig – und sehr blauäugig, wie ich heute morgen feststellen musste – gemacht. Der Erfolg war mehr als durchschlagend!

Erstens: Die ganze Familie hat mehr als eine Stunde länger geschlafen. Was das mit meinen Träumen zu tun hat, weiß ich nicht, aber ich wollte es der Vollständigkeit halber mal erwähnen.

Zweitens: Ich hatte vier laaaaange Träume. Eigentlich je zwei Forstetzungsgeschichten, weil Madame Ich-schlafe-niemals-durch mich natürlich geweckt hat.

Drittens: Ich habe groooooße Abenteuer erlebt UND die Welt bereist UND viele Bekannte getroffen.

Viertens: Als ich meinem Mann heute morgen von diesen Träumen erzählen wollte (das gehört nämlich auch zum therapeutischen Gelingen) meinte er entsetzt: Aber doch nicht acht Stunden!!! (Dass es ja eigentlich nur sechs waren, wollte er gar nicht mehr hören.)

Also blogge ich jetzt über meine Träume – in Kurzfassung. Ihr müsst es ja nicht lesen!

Es begann mit einer Flucht – wovor, weiß ich nicht, aber mein Mann und ich hatten die grandiose Idee in einem dieser riesigen, neuen, roten, hochglänzenden usw. Traktoren zu flüchten, die man manchmal in der besserbetuchten Landwirtschaft findet. Und zwar durch die Großstadt! (Wenns mal wieder unauffällig sein muss…)


Irgendwann konnte ich ihn überzeugen, dass es bessere Möglichkeiten gibt, wenn man wirklich unerkannt bleiben will und wir schlugen uns zu Fuß durch einen Dschungel, bis wir schließlich in einem Diner vor einem sehr netten jungen Deputy saßen. Er hat uns nicht erkannt! Weil die Fahndung nach einer Rothaarigen ausgeschrieben war und ich hab ja grade Ombre-Hair, also heller an den Spitzen und schlauerweise einen Hut auf! Ha!

Dann heulte die Maus und ich wachte auf. Grrrrr!!!

Traumteil zwei führte uns in ein österreichisches Bergdorf, wo ich meiner Tante über den Weg lief und ein bisschen quatschte. Mit einem gelben Nähfaden statt mit Kletterseilen bestiegen wir schließlich mit anderen Bergsteigern den Hausberg. Mir war ein bisschen mulmig dabei, so am seidenen Faden zu hängen, aber gut. Oben setzten wir uns in den Schnee, machten am Abend ein Lagerfeuerchen und sahen in die dunkle Ferne. Weit hinten in Frankreich erkannte ich den Ort, an den uns die Flucht noch führen sollte…

Die Maus heulte ein zweites Mal und wir riefen sie zu uns ins Bett. Sie wollte unbedingt VON MAMA MIT FINGERNÄGELN in den Schlaf gekrault werden, deshalb dauerte es ein bisschen.

Dann ging es in den nächsten Traum, der mich zum Pfarrhaus meiner Kindheit brachte, das aber durch eine – ziemlich hässliche – moderne Villa ersetzt worden war. Im Pool davor wusch ich meiner Tochter die Haare und fand sogar einen angeschlossenen Föhn in einer Box, so dass ich meinen wieder einstecken konnte.

Dann drehte sich die Maus – vielleicht war der Föhn zu heiß – und ich wachte wieder auf.

Im letzten Traumteil erkundete ich das Haus und entdeckte, dass es ein riesiges exotisches Hotel war. Mit meinen Eltern saß ich im palmen- und bougainvillebepflanzen Innenhof und frühstückte. Die Ruhe hielt nicht lange, denn ich musste eine Sportmannschaft coachen, die für die Olympischen Spiele trainierte und aus den Erzieherinnen der Kita bestand.

Sehr fordernd die Bande, aber sie holten die Medaille – bei was auch immer – rudern??? Die zu überreichen fiel einem Exfreund zu, der daraus eine Riesenshow machte und das Millionenpublikum (das in Rängen saß, die bis zum Himmel reichten) zu Laola-Wellen animmierte. 

Ich riss die Arme hoch… stieß mich an der Wand und war wach.

Boah wat anstrengend!! Jetzt fühle ich mich irgendwie, als hätte ich gar nicht geschlafen und zwei Tage hinter mir. Da helfen nur Kakao und ein Nutellabrot. Ob ich mir heute Abend nochmal wünsche, dass ich mich an meine Träume erinnere, weiß ich nicht. Eigentlich kann ich das mir und euch nicht antun! („Absolut richtig“, bestätigt mein Mann.)

HINWEIS

Das Interview mit dem Traumexperten Stefan Klein „Träume sind wie eine natürliche Psychotherapie“ (von Sonja Niemann) stand übrigens in der Brigitte Nr. 22, 8. Oktober 2014, die mir meine Mutter überlassen hat.

Typberatung –  kaschieren statt trainieren

Typberatung – kaschieren statt trainieren

Manchmal muss man Nägel mit Köpfen machen: Nach traumatischen Erfahrungen an einem sonnigen Strandtag musste sich definitiv etwas ändern. Ich entschied mich – wie immer –  gegen eine Diät und für eine Typberatung. In Erinnerung habe ich unter anderem die folgenden Sätze: „Wir bestimmen jetzt Ihre Gesichtsform. Es gibt rund, herzförmig, eckig und oval und Sie haben… Hmmmm! Irgendwie nichts davon.“ War ja klar!

Typberatung – kaschieren statt trainieren
 
„Es gibt Leute, die können wirklich alles tragen“, seufzte ich vor ein paar Jahren neidvoll am Stand von Kreta, als sich zwei Mädels im Modelformat mit maximal zwei Zentimetern Stoff auf der Haut in meine Sichtlinie drapierten. Da lagen sie nun und störten den Ausblick (mein Mann hätte es wohl etwas anders formuliert). Aber meine Gedanken drehten sich für den Rest des Tages um Kilos, Dellen und unmögliche Jeansschnitte, statt um „nichts“ – so wie es unter Palmen eigentlich sein sollte.
 
Ich bekämpfte meinen Frust an jenem Tag mit Keksen, Chips und Cola und beobachtete fasziniert die Wendetechnik der beiden Damen, die ihnen bis zum Abend eine nahtlose Bräune
bescherte. Ab und an schielte ich auf meine Hüften (bis ich schließlich aufgab und mich mit meinem Badetuch zudeckte) und träumte von hübscheren Zeiten anno 1999. Damals am Strand von Rimini, 10 Kilo leichter, sonnenbankvorgebräunt, falten- UND dellenlos…
 
„Trotzdem bist du heute viel glücklicher“, rief ich mich selbst zur Ordnung. „Du hast einen tollen Mann, einen Job, den du liebst, eine schöne Wohnung…“ – „und Hosengröße 40/42“, tönte es gehässig von meiner rechten Schulter, auf dem gerne mal ein Wicht namens „Klar denkend“ Platz nimmt. Er hat meistens das letzte Wort und gab auch diesmal keine Ruhe, bis ich mir Wochen später schließlich entnervt eingestand: „Ich muss was tun!“
 
Twiggy und Marilyn Monroe
 
Neeeeiiiin – keine Diät und kein Sport. Wo kommen wir denn da hin?? Das dauert auch viel zu lange. Was ich brauchte, war eine Typberatung. Wenn schon nicht ändern, dann
wenigstens perfekt kaschieren, dachte ich mir. Und weil so was zu zweit viel mehr Spaß macht, nahm ich meine Freundin Marisol mit ins Boot. Wie der Name schon sagt, hat auch Marisol wegen ihrer spanischen Wurzeln kein Problem mit nahtloser Bräune, dafür gleichen sich unsere Figuren – oben eher Twiggy unten eher Marilyn Monroe.
 
Wir ließen eine Typberaterin aus Hamburg einfliegen und entschlossen uns, das Happening bei Marisol abzuhalten. Ich sollte ein paar ausgewählte Klamotten mitbringen, aber irgendwie konnte ich mich nicht entscheiden und packte kurzerhand den gesamten Kleiderschrank-Inhalt ein. Die Gesichtszüge der zierlichen, perfekt gestylten Typberaterin entglitten nur ganz kurz, als sie meine drei Koffer und zwei Reisetaschen sah. Dann hatte sie sich wieder im Griff.
 
Was folgte, war eine achtstündige Session ohne Pause, nach der die Wohnung meiner Freundin aussah wie die Kleiderkammer Berlin Wedding. Wir probierten Farben aus,
bestimmten unseren Typ (sportlich bis romantisch), wurden von Kopf bis Fuß vermessen. Madame Typberatung war freundlich, beschönigte aber nichts, was ihr den Beifall von „Klar denkend“ einbrachte.
 
Die perfekte Rocklänge
 
In Erinnerung habe ich die folgenden Sätze: „Wir bestimmen jetzt Ihre Gesichtsform. Es gibt rund, herzförmig, eckig und oval und Sie haben… Hmmmm! Irgendwie nichts davon.“ War ja klar! „Ihre Augenform ist interessant, die äußeren Augenwinkel liegen tiefer als die inneren – normal ist es ja umgekehrt.“ Stimmt und ich versuche seit zwanzig Jahren erfolglos, dagegen
anzuschminken. „Jetzt zu Ihren Fesseln. Wo sind denn Ihre – Fesseln?“ Ja, ich weiß, ich habe Fettablagerungen an ungewöhnlichen Stellen, aber muss man so darauf herumreiten???
 
Apropos rumreiten und Fettablagerung: „Diese Reiterhosen, die Sie da haben, sind jetzt nicht extrem… Ich würde trotzdem zu einer Rocklänge raten, die unterhalb des Knies endet.“ Und dazu Stiefel, dann sieht man genau die zehn Zentimeter meiner Beine, die ganz passabel aussehen, setzte ich in Gedanken hinzu. Und genauso mache ich es seitdem und siehe da, so ein bisschen Ehrlichkeit mit sich selbst, kann für das Auge des Betrachters ganz erholsam sein.
 
Übrigens fand nur ein Drittel meiner Sachen den Weg zurück in meinen Kleiderschrank. Alles andere wurde gnadenlos aussortiert. Wie sich beim Farbtest ergeben hatte, kann ich als ‚Frühlingstyp mit blau‘ alle Farben tragen, die eigentlich meine Freundin Marisol so liebt und umgekehrt. Da sie, der Wintertyp, allerdings mit ihren Farben Pink, Eisblau und Zitronengelb genauso wenig anfangen kann, wie ich mit meinem Curry, Weinrot oder Ocker, bleibt jeweils nur wenig auf unseren Farbpässen übrig.
 
Die Farben der Wahl
 
Ein angenehmer Effekt, wie ich finde. Wenn ich meinen Blick durch die Weiten der Damenabteilung des Bonner Kaufhofs schweifen lasse, erkenne ich aus hundert Metern Entfernung, welchen Ständen ich mich zuwenden kann. Denn seit vier Jahren kaufe ich fast ausschließlich Petrol, Aqua und Türkis. Wenn es das nicht gibt, kaufe ich meistens – nichts. Was dazu führt, dass ich wesentlich mehr Sommersachen als Wintersachen habe.
 
In den letzten vier Jahren habe ich dank Schwangerschaft und Schokoladensucht nochmal zugelegt. Das Hautbild hat sich auch nicht auf wundersame Weise einem Pfirsich angeglichen. Ich folge immer noch brav den Vorgaben der Typberaterin, der ich an dieser Stelle nochmal sehr für ihre Offenheit danke.
 
Nur eine Sache habe ich mir gegen ihren Rat vor kurzem herausgenommen: Da meine Handgelenke heute das einzige sind, was man an meinem Körper noch als filigran bezeichnen kann, habe ich mir im Teneriffa-Urlaub gleich drei glitzernde Armbänder gegönnt: in Pink, Rosa und Flieder. Anders hätte ich meinen anhaltenden Frust am Strand auch nicht kompensieren können…
Die Felge

Die Felge

Mein Umfeld kennt mich als ruhigen besonnen Menschen mit Engelsgeduld und Nerven aus Stahl. (An dieser Stelle möchte ich bitte keine Kommentare enger Familienangehöriger lesen.) Nur manchmal, man kann diese Situationen im Jahr an einer Hand abzählen, erwacht das Rumpelstilzchen in mir, der Hulk schält sich aus seinem viel zu engen Anzug, die temperamentvollen Gene der Rothaarigen tanzen Samba…

Es kann eine Kleinigkeit sein, nach einer anstrengenden Woche (die Nudeln sind mal wieder übergekocht) oder aber eine größere Kleinigkeit. Wie vor einigen Wochen, als der Fahrer eines klapprigen Ford meine
Tochter und mich fast umgenietet hat, während er mit 50 Sachen durch die verkehrsberuhigte Zone vor unserem Hauseingang jagte.
Möchtegern-Vettel
Okay, vielleicht ist er auch nur 30 gefahren, aber in der engen Gasse kam mir das wie 200 vor. Mindestens. Und hier ist Schrittgeschwindigkeit!!! Nicht auszudenken, wenn meine Tochter ein Stück weiter von mir weggestanden hätte. Und wenn es um meine Tochter geht, hört der Spaß auf. Dann werde ich zur Löwin und dann brülle ich. Zur Not überbrücke ich mit meiner Stimme kinderleicht die 50 Meter, die dieser Möchtegern-Vettel noch zurücklegte, um dann mit quietschenden Reifen auf dem Behindertenparkplatz zu halten.
In meiner Rage hatte ich mir mein Kind geschnappt und rannte, mit dem freien Arm wild gestikulierend auf den Rowdy zu, der sich als Mittfünfziger mit Wohlstandsbauch und offensichtlicher Zeitnot entpuppte. „Wie
kommen Sie dazu, hier so rumzurasen, hier ist verkehrsberuhigte Zone“, schrie ich, bereits schwer atmend, auf den letzten zwanzig Metern. Währenddessen fing meine Tochter an zu jammern „Mama, nicht böse sein!“ Sie hatte den Ernst der Lage intuitiv erkannt. ER NICHT!
Er motzte irgendwas zurück, schüttelte uns ab wie lästige Fliegen, rannte zur Praxistür des ansässigen Arztes – wahrscheinlich auf dem Weg, seine Beruhigungspillen abzuholen (vielleicht hätte er mir eine Packung mitbringen sollen) – und warf sie mir vor der Nase zu. Also, die Tür. Besagter Tür schmetterte ich in meinem Frust ein Schimpfwort der Kategorie ’nicht für Kinderohren bestimmt‘ an den Rahmen und stand dann etwas hilflos, aber nicht weniger wütend auf der Straße rum.
Kleine Frau, was nun?
Sollte ich ihm hinterherrennen? Das wollte ich meiner ohnehin überforderten Kleinen nicht antun. Sollte ich auf ihn warten? Wie lange sollte das wohl sein. Also entschied ich mich, zu gehen, brauchte aber
definitiv ein Ventil, denn mir stieg immer noch der Dampf aus den Nüstern, mein Puls auf 180. Als ich an dem uralt-Ka vorbeiging überkam es mich und ich trat einigermaßen kräftig gegen den Hinterreifen.
Also, ICH WOLLTE EIGENTLICH gegen den Hinterreifen treten. Leider bezieht sich meine legendäre Unsportlichkeit nicht nur auf meine schneckengleiche Performance beim Sprint oder die Gefahr für alle Zuschauer,
die beim Weitwurf HINTER mir stehen… Ein Sportlehrer diagnostizierte beim Speerwerfen mal eine motorische Behinderung und tat seine Meinung auch vor der ganzen Klasse kund! Ganz offensichtlich hatte er Recht und letztere betrifft auch meine Hirn-Fuß-Koordination.

Anders kann ich nicht erklären, dass es plötzlich laut schepperte und die Felge am Boden lag. (Dass es gar nicht die Felge war, sondern die Radkappe, erklärte mir später mein Mann, ich bin in solchen Sachen nicht so firm). Als also Raser-Rowdy kurz darauf aus der Praxis kam (war ja klar), sah er mich und meine Tochter am Boden knien, in dem erfolglosen Versuch, das abgesprungene Ding wieder „dranzunageln“.

„Was brüllen Sie die Frau so an??“
War seine Laune schon vorher nicht auf dem Höhepunkt, sackte sie jetzt in den Keller ab und er blaffte mich an. „Was haben Sie denn da gemacht???!!“ „Ich äh, also ich habe Ihnen die Felge abgetreten!“, stotterte ich etwas betreten. „Ja, haben Sie sie noch alle???“ plusterte er sich auf. „Wat haben Sie an meinem Auto verloren??“ – „Was brüllen Sie die Frau so an??“, kam unerwartet weibliche Schützenhilfe von der rechten Seite, eine Dame aus der Nachbarschaft hatte die Szene beobachtet.
So langsam wurde ich auch wieder wütend und schob mein schlechtes Gewissen zur Seite. „Was haben Sie hier so rumzurasen, wie ein Verrückter?“, fauchte ich gerade, als im ersten Stock das Fenster aufging:
Meine Freundin hatte das Wortgefecht gehört und rief nun von oben: „Lassen Sie ja die Frau in Ruhe!“ Ich sagte zu ihr: „Haste gesehen, wie der hier reingerast ist?“ Sie natürlich: „Ja, klar!!“ Ich hätte sie küssen können, und mich überkam plötzlich tiefe Gelassenheit.
Ich ließ meinen Blick demonstrativ über das auf dem Behindertenparkplatz geparkte Auto wandern und sagte ruhig: „Ok, dann holen wir jetzt die Polizei!“ Kurz huschten meine Gedanken in Richtung vorbestraft wegen
vorsätzlicher Sachbeschädigung, Sozialstunden, Knast, Jugendamt, völliger sozialer Absturz, Trunksucht und Obdachlosigkeit… dann hatte ich mich wieder gefasst und blickte ihm fest in die Augen.
Er sah von mir zu meiner Freundin im ersten Stock. Dann drehte er sich abrupt um, warf seine Felge (also seine Radkappe) in den Kofferraum und ranzte: „Ich hab ja wohl noch anderes zu tun heute! Termine!“
und war weg. Leider ebenso schnell wie er gekommen war. Unbelehrbar so was. Aber irgendwie war ich zu erleichtert, um mich nochmal aufzuregen. Mit einem warmen Dankeschön, winkte ich meiner Lieblingsnachbarin zu, nahm mein Töchterlein an die Hand und ging endlich meiner Wege.
Das Schnullergeschenk

Das Schnullergeschenk

Ich habe mal wieder eine wahre Geschichte rausgehauen. Sie ist wirklich fast ganz haargenau so in etwa passiert. Fakt ist: Meine Tochter ist ein völlig immateriell eingestellter Mensch, der die Kaufhof-Kinderabteilung als Spielzeugmuseum betrachtet. Von wem sie das wohl hat…

Das Schnullergeschenk
 
Es gibt Kinder, die schlafen ab dem dritten Monat durch, essen alles, was man ihnen vorsetzt, geben ihren Schnuller mit eineinhalb freiwillig ab. Und es gibt unsere Tochter. Sie schläft nur durch, wenn man sie
zu Beginn der Tagesthemen ins Bett legt. Sie isst so gut wie nichts von dem, was man ihr vorsetzt und sie war auch mit zwei weit davon entfernt, jemals ihren Schnuller abzugeben.
Anläufe mit lustigen Geschichten und Schnullerfeen hatte es viele gegeben. Unsere Tochter reagierte darauf wie immer, nämlich gar nicht. Also wagte ich eine kleine Umfrage im Freundeskreis. „Unserem Konrad mussten wir den Schnuller nicht abgewöhnen, er hat nie einen gebraucht.“ Ja, ich weiß, dachte ich im Stillen, und er hat auch mit drei Monaten durchgeschlafen…
„Lisa hat ihren Schnuller an Weihnachten in die Krippe gelegt, für das Jesuskind.“ Wow, coole Idee! Weihnachten kam, unsere Tochter entwickelte eine ungeahnte Begeisterung für „Baby Jesus“ und nannte sogar ihre
Lieblingsente nach ihm. Bloß ihren Schnuller, den bekam er nicht. Freunde berichteten indes von Freunden, die eine „Schnuller-Station“ im Kinderzimmer angebracht hatten: Nagel in die Wand, Schnuller mit Schnur dranbinden, Kissen davorlegen. Bei meiner Tochter löste die Installation umgehend einen Wutausbruch aus, den ich ihr nicht ganz verdenken konnte.
 
Der Weckruf

Und dann kam dieser Vormittag im Café. Neben uns saß ein Herr, rührte in seinem Tee und sagte freundlich. „Sie sollten Ihrer Tochter den Schnuller abgewöhnen, sie hat einen offenen Biss.“ Es stellte sich heraus, dass er Zahnarzt war und wusste, wovon er sprach. Das Gespräch wurde zum Weckruf für unsere Tochter. Todesmutig erklärte sie am Abend: „Ich schmeiß den Schnuller jetzt weg.“

Eine Entscheidung mit Folgen… Die Fachliteratur prophezeit unentschlossenen Eltern maximal zwei bis drei unruhige Nächte, wenn es um die Schnuller-Entwöhnung geht. Aber die kennen ja auch unsere Tochter nicht. Nach drei Wochen (!) zermürbenden Kampfes und Minimalschlafes hatten wir es endlich geschafft. Der Schnuller war Geschichte, eine riesige Belohnung musste her.

Wir also wildentschlossen in die Kaufhof-Kinderabteilung. Ich dachte an XXL-Plüschgiraffen und dreistöckige Puppenhäuser mit kleinen Bettchen, Schränkchen und Mini-Toilette. Selbst mein Mann hatte einen großzügigen Tag und sprach die legendären Worte „Such dir etwas Schönes aus, Schatz!“ Zu mir hat er das noch nie gesagt…

Mit großen Augen stand ich vor einem detailgetreuen Bauernhof und sagte zu meiner Tochter: „Guck mal, Süße, wie schön!“ Sie sah sich alles an, schaute dann begeistert zu mir hoch und meinte: „Toll! Darf ich jetzt
Rolltreppe fahren? Bitte Mami!!“ Na gut, dachte ich. Dann also erst Rolltreppe fahren. Wir haben ja Zeit. Ich schickte Mann und Tochter aufs mobile Stufenelement und schaute mich weiter um.

Im Kinderhimmel

Oh, eine Kindergitarre, wie süß. Und ein echter Laptop! Krass!! Puppen, Puzzles, Wasserspielzeug. Ich war im Kinderhimmel. Und meine Tochter fuhr immer noch Rolltreppe. Ich fing sie oben ab und klatschte in die
Hände. „So Mäuschen, jetzt gibt es Geschenke!“ Wir streiften durch die Gänge, ließen sie auf Schaukelpferden reiten, mit einem Grizzlybären spielen, ein ferngesteuertes Auto lenken, machten ein Foto mit Biene Maja. Und dann sagte sie plötzlich: „Gehen wir jetzt nach Hause?“ „Ja, willst du dir denn nichts aussuchen?“, fragte ich entgeistert. „Nein, danke.“ (Sie sagte wirklich danke).

Irgendwie fühlte ich mich in meiner Mission empfindlich gebremst und konnte gerade noch ein enttäuschtes „Och!“ unterdrücken. Anderseits war ich auch sehr stolz auf meine immateriell eingestellte Tochter.
„Das hat sie von mir“, tat ich meinem Mann kund, bevor ich schnell mit einem lila Pferde-Schlüsselband, vier Blumen-Ausstanzern und einer total stylischen Stofftasche zum Selberbemalen Richtung Kasse lief. Warum sollte ich mir nicht auch mal was gönnen.

Das wollte ich immer
schon  haben!
Als ich zurückkam, sah ich Mann und Tochter andächtig vor einem kleinen Basketballkorb stehen. „…und dann musst du den Ball da oben reinwerfen“, hörte ich meinen Mann erklären und meine Tochter nickte eifrig. Sie drehte sich zu mir um: „Mama, so einen Basketball-Dingsbums wollte ich immer schon haben“, sagte sie inbrünstig. „Super“, antwortete ich mit einem scheelen Blick zu meinem Mann, der früher übrigens einmal passionierter Basketballspieler gewesen ist. An der Kasse stapelten sich dann neben Basketballkorb und zugehörigem Basketball übrigens auf wundersame Weise noch drei Jonglierbälle,
eine Laserpistole und Star Wars-Shuttle. Seltsame Auswahl für eine Zweijährige… Aber mal ehrlich: wir hatten es uns auch wirklich verdient.