Wer sich die italienischen Autobahnauffahrten und -abfahrten ausgedacht hat, hat auf jeden Fall Sinn für Humor! Eine Labyrinth ist nicht verschwurbelter, als diese Straßenführung. Die wurde mir schon mal vor 20 Jahren bei Neapel zum Verhängnis, als wir statt auf die A3 Richtung Amalfiküste zu wechseln, vom Weg abkamen und im Slum landeten, wo mir meine Tasche aus dem fahrenden Auto geklaut wurde. Aber das ist eine andere Geschichte. Heute wollen wir in den Sigurtapark und dazu müssen wir wieder auf die Autobahn, die ich an sich sehr liebe, denn es ist kaum was los, andererseits aber eben auch fürchte, weil man mit dem Wohnmobil nicht gerne Abfahrten verpasst. Wenn ich auch nicht glaube, dass hier in der Gardaseeregion irgendein Slum auf uns wartet.
Drauf auf die A4 kommen wir jedenfalls mit Bravour und cruisen im Sonnenlicht gemütlich Richtung Süden. Bei der Abfahrt passiert es dann. Statt auf die kleine Via Valeggio zu fahren, die dem Lauf des Flüsschens Mincio bis Sigurta folgt, halten wir uns einmal zu weit links und stehen unversehens wieder vor dem Terminal zur Auffahrt. Und mit stehen, meine ich stehen, denn Papa Hose ist so verdutzt, dass er erstmal anhält. Ein unwirsches Hupkonzert der Trucks hinter uns, treibt uns dann erstmal rechts auf die Sperrfläche. Hier stehen wir nun dumm rum, an uns rauschen die LKW vorbei und ich habe keine Ahnung, wie wir hier wegkommen sollen.
Ich wäre in der Situation am Steuer wahrscheinlich in lautstarke Panik ausgebrochen, aber mein Mann bleibt erstaunlich ruhig. Tonlos sagt er: „Dann müssen wir wohl jetzt wieder auf die Autobahn.“ – „Ja…“ – „Und zwar genau in die Richtung, aus der wir gerade gekommen sind.“ – „Äh, ja.“ – „Und wir müssen zweimal bezahlen. Einmal, wenn wir jetzt drauffahren und einmal, wenn wir ab- und dann wieder auffahren, um erneut hierher zu kommen.“ – „Das ist soweit akurat zusammengefasst…“ Vielleicht wäre es im Auto friedlich geblieben, wenn unsere Tochter sich nicht genau diesen Moment ausgesucht hätte, um im typischen Motz-Ton pubertierender Kids zu fragen: „Wann sind wir endlich dahaaaa???“
Sagen wir mal so. Die Stimmung ist danach deutlich angespannter als zuvor, und der Qualm, der aus den Ohren meines Mannes dringt, kann es gut und gerne mit den Rauchwolken aufnehmen, die hier in Italien immer noch von den Feldern wehen, wenn illegal Grünschnitt abgefackelt wird. Stumm legen wir die 7 Kilometer bis zur nächsten Ausfahrt zurück. Schwurbeln runter und wieder drauf – quasi der U-Turn auf dem Motorway – und stehen 20 Minuten später wieder an der Abfahrt Richtung Sigurta. Jetzt muss alles klappen, denke ich mit leicht schwitzigen Händen, sonst sehe ich schwarz für den Park. Und tatsächlich, mit vereinten Kräften fädeln wir uns in die richtige Spur für die richtige Straße ein und tuckern kurz darauf durch pittoreske Dörfchen und Landschaften.
Am Sigurtapark drehen wir dann nur eine einzige Ehrenrunde durchs Dorf, bevor wir auf einem kostenlosen, wunderbar großen und wunderbar leeren Parkplatz parken. Hier könnte man fast die Nacht verbringen, denke ich mit besorgtem Seitenblick auf meinen Mann. Nach dem Kampf mit der Flasche und dem italienischen Autobahn-Labyrinth wirkt er etwas angeschlagen. Doch dann passiert das Wunder, das immer passiert, wenn wir auf die Räder steigen. Entspannung kehrt ein. Wir radeln – nach einem kleinen Abstecher zum Supermarkt (der Mann braucht Nahrung!) – zum Park.
Im Kassenhäuschen am wunderschönen historischen Eingang sitzt eine wortkarge, schlecht gelaunte Frau. Hach! Fast bekomme ich Heimweh… Kurz darauf parken wir unsere Räder in einem Schuppen, in dem schon jede Menge Kinderwagen stehen und schnappen uns ein Golfcart. Wir folgen dem ausgeschilderten Rundweg in den Park hinein und mampfen dabei gebrannte Mandeln aus dem Supermarkt. Eine Stunde haben wir das Golfcart gebucht, danach wollen wir das Ganze nochmal mit den Rädern besichtigen.
Immer wieder steigen wir aus. Die Sonne strahlt und bringt das Grün der weiten englischen Rasenflächen zum leuchten. Tochter Hose tobt und rollt herum und lässt die letzte Anspannung des Vormittags zwischen die Halme gleiten. Wie sehen Denkmäler und Schlösschen, ein Hirschgehege und eine Farm, füttern Ziegen und fahren an Wasserbassins mit Seerosen und großzügigen Beeten mit Landrosen vorbei. Wie schnuppern uns durch den Kräutergarten, während Töchterchen Eidechsen jagt und wechseln uns alle drei am Steuer ab.
Nach eineinhalb Stunden stehen wir wieder am Cartstand und müssen keinen Aufpreis zahlen, obwohl wie so überzogen haben. Nett! Nach einem kleinen Imbiss am kleinen Imbiss, erkunden wir den Park dann nochmal in Ruhe mit unseren Rädern. Für 600.000 Quadratmeter braucht man eben Zeit. Auf dem Bauernhof lernen wir zwei schmusige Esel und eine Schar lustiger Hühner kennen. Und im Eibenlabyrinth lernen wir unsere Tochter kennen. Aber so richtig!!
Versiert stürmt sie zunächst durch die Reihen und schafft es als erste auf die Aussichtsbrücke. Papa Hose, der Fuchs, schaut sich von dort den Weg bis zum Mittelpunkt an und steht schließlich als erster am Ziel. „Unfair“ ist noch das freundlichste gebrüllte Wort, das unser Tochter für diese Vorlage parat hat. Wahrscheinlich fühlte sie sich unbewusst an unseren morgendlichen Autobahnritt erinnert. Ich beruhige meine Tochter – irgendwann – und freue mich für meinen Mann, der nach dem denkwürdigen Vormittag einen Egoboost gut vertragen kann. Sein Ergebnis des Tages: Eine Flasche gekillt und gleich zwei Labyrinthe bezwungen!
Eure Nachbarin – im Grünen
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