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Alle guten Dinge…

Alle guten Dinge…

…sind definitiv mehr als drei. Jedenfalls, was die Geschichte unseres 24-Stunden-Chaos angeht. Man könnte jetzt schwächeln, aber es muss ja weitergehen. Schließlich ist erst halb drei. Also nun der dritte Teil und wer uns bis jetzt entschuldigt hat, wird spätestens hier merken: Wir haben wirklich ernstzunehmende Probleme.

Es gibt Regeln, die hören sich so einfach an und doch bringen sie mich, die so gerne regelkonform leben möchte muss irgendwas mit meiner Sauberkeitserziehung zu tun haben manchmal – oder auch täglich – an meine Grenzen. Es geht um diesen handgeschriebenen Zettel, der da so unschuldig im Kita-Flur rumhängt: „Liebe Eltern! Wir möchten Sie freundlich bitten, die Kita bis 14:30 Uhr verlassen zu haben, damit wir uns ungestört den Nachmittags-Kindern widmen können.“

Mein Sargnagel

So weit, so einleuchtend und für viele Eltern offensichtlich spielend machbar. Für mich und vier weitere Mitstreiterinnen, die jeden Mittag krebsrot und zerzaust in der Kita antraben und ihre Kinder fluchend vom Gelände zerren, eher von der Kategorie „was das Leben so schwer macht“. Vor allem im Winter, wenn man den empfohlenen Zwiebellook ernst nimmt. Vor allem, wenn das Kind einem 25 Seiten handbemaltes Druckerpapier in die Hand drückt, das „weder geknickt, noch gerollt“ werden darf. Und vor allem, wenn es dazu noch die drei Bälle mitnehmen will, die es im Laufe der Woche mit in die Kita geschleppt hat.

Zwischen 14:28 Uhr und – wenn es echt gut läuft – 14:30 Uhr steigt daher der Stresspegel im Kita-Flur sekündlich an. „Mama von der Mauhaus! Kannst du uns bitte mal durchlassen“, piepst es hinter mir, während ich auf dem Boden kniend meiner Tochter das zweite Paar Socken überstreife und dabei den Weg zum Waschraum versperre. „Du hast mein Bild geknickt“, heult die Maus, während ich mich irgendwo Halt suchend ächzend aufrappele, um sechs Nachmittags-Kinder durchzulassen, die sich vor dem ‚Kaffestündchen‘ noch die Hände waschen sollen.

An unserem besagten Donnerstagnachmittag verschärft sich die Lage noch auf unvorhergesehene Weise, denn ich muss mich in die Reservierungsliste für den Kita-Frühlingsflohmarkt eintragen und finde keinen Stift. Die Uhr tickt unbarmherzig weiter, während ich hektisch meinen offensichtlich bodenlosen Rucksack durchforste und sich dabei eine Packung mit Himbeeren öffnet. Weiches magentafarbenes Monsterflecken-Potential ergießt sich in meine Tasche und auf den Kita-Flur. Oh Mann, ich wusste gleich, ich hätte im Winter kein Sommerbeeren kaufen sollen. Jetzt habe ich den Salat.

Himbeer-Alarm

Meine Tochter beobachtet das Geschehen mitfühlend und feuert mich leise an, während ich nun gaaaanz vorsichtig meine Tasche ausräume. Was da alles rauskommt: Allen voran rette ich mein geliebtes Pip Studio-Portemonaie, das mir mein Mann zum 35sten geschenkt hat. Es folgen zwei Kinderschlüpper, eine Leggins, mein Taschenkalender, fünf fusselige Hustenbonbons, zwei Ibuprofen, drei Quittungen, eine Eintrittskarte für das Naturkundemuseum, ein Weihnachts-Rubbellos mit einem Gewinn von 1 Euro (ach, da war das) und drei Pixibücher. Dazu Taschentücher, Haargummis, ein Regenschirm und KEIN Stift. Dafür natürlich viele, viele dankenswerterweise unbeschädigte Himbeeren.

„Mama im Schirm steckt noch was Rotes“, kommt der hilfreiche Hinweis meiner Tochter, als ich alles wieder einräume. Mist! Und der Ärmel meiner Daunenjacke hat auch was abbekommen. Egal! Nur raus hier! Ich sammele unsere 700 Sachen und marschiere hoch erhobenen Hauptes im Stechschritt vor meiner Tochter her in die Wintersonne hinaus! Kaum ist die Kita-Tür hinter uns ins Schloss gefallen nutzt sie den Moment, um sich in ihren nachmittäglichen, erschöpfungsbedingten Unterzuckerungs-Heulkrampf hineinzusteigern. Normalerweise schaffen wir es vorher nach Hause.

Es ist diese Art Anfall, der gestylte Geschäftsfrauen die Augenbrauen hochziehen und
vorbeijoggende Silver-Ager verschreckt das Handy zücken lässt, um vorsorglich einen Anruf beim Jugendamt zu tätigen. Mein Kind steht in einer Pfütze, während ich weitergehe: „Maaaamaaaaa! Lass mich nicht alleeeeeiiiiin!“ Ich greife nach ihrer Hand: „Aaaaaauuuuuuaaaaaa!“ Meine Geduld ist am Ende und ich schnauze pädagogisch wertvoll: „Hör jetzt auf mit dem Theater“ So sanft wie möglich ziehe ich sie mit mir, denn ich weiß, das Heil liegt nur 150 Meter entfernt und hört auf den Namen: Nachmittags-Kakao.

Maus allein in der Pfütze

Irgendwie schaffen wir es unbehelligt bis in den Hausflur, wo sich die letzten Ressourcen der Maus schlagartig in Luft auflösen. „Trag mich die Treppe hoch!“ Ein Blick auf ihre schlammigen Gummistiefel und ich verwerfe den Ansatz ‚Um-des-lieben-Frieden-willens‘ zugunsten von: „Komm, das schaffst du noch. Wer zuerst oben ist, hat gewonnen.“ Aus dem Wettrennen wird dann eher ein halb zog sie sie, halb sank sie hin, aber irgendwann stehen wir vor der Wohnungtür.

Zwischen uns und dem ‚Kakao der Ruhe und des Seelenfriedens‘ liegt jetzt nur noch eine entscheidende Hürde: das Hände waschen. Ja, und das Ausziehen, aber das ist nicht das Problem. Sobald Mäuschen die Wohnung betritt, spritzen in Nanosekundenschnelle 35 Oberbekleidungsstücke nebst schlammigen Stiefeln in allen Richtungen von meinem Kind ab. Ein Ritual, das sie jedoch seit eineinhalb Jahren in Frage stellt, ist das Händewaschen nach der Kita, BEVOR sie diese multiresistenten kleinen Kita-Bazillen auf dem Sofa, ihren Spielsachen und dem Küchentisch verteilt. Da werde ich schon mal hektisch…

1-Quadratmeter-WC

Nach monatelangem Hinterherhechten, gut zureden, hysterisch ankeifen, sperre ich uns mittlerweile so lange im 1-Quadratmeter-Gäste-WC ein, bis sie die kleinen Teufelchen den Abfluss runtergespült hat. Das werden dann schon mal lange 20 Minuten. Aber hey, es muss doch auch Regeln geben. Ich erwäge, den Raum mit Comics zu tapezieren, das habe ich schon mal irgendwo gesehen. Dann wird die Zeit nicht so lang, während ich zwischen Tochter, Kloschüssel und Mini-Waschbecken auf einem Bein balanciere.

Pünktlich um drei sitzt die Maus dann sauber und immer noch unterzuckert am Küchentisch und erwartet bebend ihren Nachmittags-Kakao. Milch ins Glas. Glas in die Mikrowelle. Pulver und Löffelchen reichen. Die Maus füllt das Pulver ein, ich muss rühren. Die Struktur muss schließlich gewahrt werden, wir haben hier ein Jungfrau-Kind. Dann geht es weiter: „ZU WARM!!!“ Soll heißen zu kalt. Ich stelle den Kakao nochmal in die Mikrowelle. „Jetzt ist er zu KAAALLLT!“ Soll heißen zu warm. Das muss man wissen. Pusten und rühren…

Mittlerweile ist das Kind kaum noch in der Lage, das Glas zu heben. Mit ein wenig Zureden und Hilfestellung setzt sie es irgendwann doch an die zitternden Lippen und haut das Zeug in einem Zug runter. Sofort kehrt Entspannung ein. Jetzt ist sie bereit für etwas, dass sich „Chilli, Chilli“ nennt und ihr Bett, 17 Kuscheltiere, ebenso viele Bücher und eine Weihnachts-CD beinhaltet. Oder wahlweise die Couch, eine Kuscheldecke, den „Grüffelo“ und meine Wenigkeit, die ihn gefühlte 23 Mal hintereinander vorträgt. In diesem Fall entscheiden wir uns einhellig für ersteres, denn in einer halben Stunde steht der Besuch auf der Matte und hier sieht es schon wieder aus…

An dieser Stelle, wollte ich ja eigentlich schon durch sein, mit unserem 24-Stunden-Tag. Aber es ist gerade mal eine Stunde vergangen. Wenn das so weitergeht, muss ich wohl doch ein Buch draus machen… Oder ich gönne uns noch ein oder zwei Posts. Mutige folgt mir!! Alle anderen: Stoßt bitte übernächste Woche wieder zu uns.

Immer noch Tag eins!

Immer noch Tag eins!

Welcome back – im 24-Stunden-Chaos der Nachbarin und ihrer Familie. Auf in die zweite Runde!

Ich hetzte also aus der Turnhalle raus, um meinen angefressenen Göttergatten noch zu sehen und zwei Minuten deeskalierende Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg zu betreiben, bevor er um 8 Uhr 25 das Haus endgültig verlässt. Leider lässt mich meine bekanntermaßen unterirdische Kondition im Stich, während ich so mit leerem Buggy vor mir die Straße entlanghechele und versuche, dabei einen Rest an Würde zu bewahren. Um 8 Uhr 28 erreiche ich die Haustür. Zu spät.

(De-)eskalation per Chat

Aber ha, wofür gibt es Whatsapp. Ich texte so ein bisschen rum  und hoffe, während ich so vor mich hin transpiriere und meinem rasenden Puls lausche, dass das jetzt deeskalierend genug war. –>
Die Handyuhr zeigt 8 Uhr 30 ein Viertel und ich habe noch genau eine halbe Stunde Zeit für den Haushalt, bevor ich arbeiten muss.

Was ich – by the way – nicht hasse, ist mein Homeoffice, auch wenn es aussieht, wie eine Abstellkammer mit Schreibtisch drin. Also genau genommen ist es eine Abstellkammer mit Schreibtisch drin. Aber ich liebe sie, denn sie erlässt es mir, mich morgens in eine Straßenbahn stellen zu müssen, in der Umfallen garantiert unmöglich ist oder mein Auto in den Stau. Im schlimmsten Fall erlässt sie mir auch das Duschen, Schminken und Haare kämmen. Gut, dass die Videotelefonie noch nicht so verbreitet ist…

Mistiger Duplostein

Also Haushalt. Die Wohnung sieht aus wie immer nach der morgendlichen Schlacht. Kinderbücher, Malsachen und „Ahhhh!“ – ich habe diesen mistigen Duplostein gefunden, den Töchterlein gestern gesucht hat. Krümel, buttriges Besteck und wellige Goudascheiben auf der Anrichte. Ein einsames leeres Kakaoglas mit Strohhalm auf dem Tisch. Betten ungemacht, Zimmer ungelüftet, die Kuscheldecke auf dem Boden vor dem Sofa. Mülleimer quellen über, die Schmutzwäschetruhe auch…

Also, mache ich erstmal das Naheliegendste: Ich gehe duschen!  Unter der Dusche kann ich am besten nachdenken. Also, genauer gesagt komme ich AUSSCHLIESSLICH unter der Dusche zum Nachdenken – wenn nicht gerade meine Tochter davor sitzt und mir Fragen zur Fortpflanzung stellt. Offenbar gerade ein beliebtes Thema bei den Kids. Im Kindergarten werden derzeit täglich Puppen entbunden.

Ich drehe das Wasser auf extraheiß und meine Gedanken führen mich zu einer guten Freundin, die mir gerade das Folgende geschrieben hat: „Heute morgen mit zwei Kindern, einem Hund, einem Kinderwagen und einem Fahrrad mit Stützrädern im Bus in den Nachbarort zum Schuster gefahren. Hat gut geklappt!“ Es ist wahr, jeder Mensch hat einen anderen Stresslevel, denke ich bewundernd, während ich versuche, ohne Brille durch den Wasserdunst, die Badezimmeruhr zu entziffern! 8 Uhr 40 jetzt aber schnell. Zehn Minuten Entspannung müssen definitiv reichen.

Neun Uhr

Wie ich es in zwanzig Minuten schaffe, mich anzuziehen, Ordnung zu schaffen, die Spülmaschine aus- und dann wieder einzuräumen, die Anrichte abzuwischen, eine Fuhre Wäsche in den Waschkeller zu bringen und zwei Tüten Müll zur Tonne? Nennt mich einfach Turbo-Hausfrau und guckt bloß nicht IN die Schränke und UNTERS Sofa… Jedenfalls sitze ich um Punkt neun vor dem PC in meiner Abstellkammer. Vorher habe ich noch alle Fenster aufgerissen, um durchzulüften und den Timer auf zehn Minuten gestellt.

Ich will gerade Word öffnen, um mich auf ein Gespräch mit meinem Auftraggeber vorzubereiten, mit dem ich in einer halben Stunde einen Telefontermin habe, da stelle ich fest: Das Netz ist weg!!! Wenn es um die technischen Optimierungsleistungen meines Informatiker-Ehemanns geht, fühle ich mich in etwa so hilflos wie damals unsere schüchterne Sexualkunde-Lehrerin gegenüber 30 Pubertierenden. Ich weiß nur so viel: Wenn ich nicht ins Netz komme, komme ich auch nicht in mein Dokument…Ich atme tief ein und aus. Schließlich habe ich gerade geduscht und will meine mühsam erarbeitete Grundentspannung nicht gefährden.

Dann klicke ich tapfer auf Problembehandlung, nur um aufzugeben, als das böse Wort ‚Netzwerkfehler‘ aufpoppt. Wat is dat denn?? „Ich bin ein Zenbuddhist, ich bin ein Zenbuddhist, ich bin ein…“ Hektisch tippe ich auf meinem Handydisplay rum. Mein Mann hebt ab, hört sich mein – wirklich kurz gehaltenes – Lamento an und meint dann nur: „Oh sorry, hab den Stecker im Wohnzimmer hinterm Fernseher rausgezogen. Den musst du wieder einstecken.“ Grummelnd gehe ich ins Wohnzimmer, nur um festzustellen, dass ich den Timer nicht gehört habe und die Wohnung nun eiskalt gelüftet ist.

Die Zeit rennt

9 Uhr 15: Zitternd und mit blauen Lippen sitze ich wieder an meinem Arbeitsplatz und siehe da: das Netz werkt wieder. Der Telefonstecker steckt dankenswerterweise, wo er hingehört und so steht der Besprechung um halb zehn nichts mehr im Wege. Es folgen fünf E-Mails, 30 Minuten Internetrecherche, drei Anrufe – einer von meiner Mutter – und danach ein einstündiges Telefoninterview mit einem Familientherapeuten zum Thema überlastete Eltern. (Nein, es war keine private Therapiesitzung. Es war ein INTERVIEW!!)

Es ist 11 Uhr 25 und ich habe mich seit gut zwei Stunden nicht bewegt. Wenn ich Zeit hätte, könnte ich jetzt mal aufstehen und zwei Liter trinken. Damit ich die empfohlene Tagesdosis erreiche. Nur für den Fall, dass ich heute nicht mehr dazu komme. Aber leider, leider hab ich gleich noch ein Interview. Also esse ich stattdessen eine einzelne Erdnuss, die seit Weihnachten einsam zwischen leeren Gläsern, Timern, Stiften, Glitzersternen, Ü-Ei-Figürchen und Schreibblöcken auf meinem vorbildlich aufgeräumten Schreibtisch rumliegt. Dann lasse ich durchklingeln und … Nichts.

Stattdessen kommt eine Mail, mit der Bitte das Gespräch doch auf den Nachmittag zu verschieben. Jaaaa, der Nachmittag… Ist ja ein weiter Begriff so ein Nachmittag: nachmittags um halb zwei würde gehen. Nachmittags um halb sieben auch…. Dazwischen ist das so eine Sache, denke ich, und sehe mich schon einen Vorstandsvorsitzenden interviewen, während Töchterlein im Hintergrund ruft: „Mama, hast du auch ein Baby im Bauch?“ Nee, lass mal! Außerdem kriegen wir heute Besuch. Aber der Artikel muss am nächsten Tag raus. Ich raufe mir ein bisschen die Haare, verabrede dann einen Abendtermin und beschließe, am nächsten Morgen einfach früher aufzustehen.

Wenigstens kann ich die gewonnene Zeit jetzt dazu nutzen, andere Dinge auf meiner ToDo-Liste abzuhaken: Umsatzsteuervoranmeldung (was für eine Sch…trafe). Rechnung überweisen, Arzttermin für meinen Mann ausmachen (yeah, es klappt noch 2015). Entsprechend beflügelter Versuch, einen Arzttermin für mich auszumachen – mit darauffolgender Ernüchterung…

Kühlschrank, leer

Aushänge für den nächsten Kita-Flohmarkt aktualisieren. Zwei Stockwerke runterlaufen, um die Wäsche in den Trockner zu tun. Feststellen, dass ich vergessen habe, die Waschmaschine einzuschalten. Fürs Abendessen kochen. Feststellen, dass a) nichts mehr im Kühlschrank ist und ich b) schon wieder nichts getrunken habe und dass ich c) in 5, 4, 3, 2,1 das Haus verlassen muss, um noch zehn Hemden in die Reinigung zu bringen, zum Gemüsehändler zu gehen und meine Tochter pünktlich um halb drei vom Kindergarten abzuholen.

Was ich natürlich schaffe, weil ich es immer schaffe… Und weil ich eben doch rennen kann, wenn es darauf ankommt (ha, von wegen Bewegungsmangel!). Um 14 Uhr 28 stehe ich im Kindergarten. Zum zweiten Mal am Tag schweißgebadet und dazu hungrig und durstig… „Hallo mein Schatz“, flöte ich fröhlich. „Wie war dein Tag???“

Schön wär’s, wäre dieser Tag zu Ende. Mir jedenfalls würde so ein halber reichen. Dann ne Runde schlafen und dann ab ins Bett. Aber die Maus schläft vor neun Uhr abends nicht ein. Das heißt, es liegen noch sechseinhalb Stunden vor mir. Und vor Euch. Wenn Ihr mögt!

Ein Tag in der Familie der Nachbarin!

Ein Tag in der Familie der Nachbarin!

So, das musste raus aus der Feder. Ich bin ja sonst eher der Schreiberling, aber als ich mal angefangen hatte… Anlass war diese Umfrage der Elternzeitschrift, bei der 56 Prozent der Männer und 73
Prozent der Frauen angaben: „Den meisten Stress in Sachen Erziehung und Familienarbeit mache ich mir selbst.“ Das ging natürlich in der Presse rauf und runter. Nach dem Motto: Gott sei Dank, Gesellschaft, Politik und Arbeitgeber sind aus dem Schneider, die perfektionsgeilen Damen (und einige Herren) Eltern stressen sich ja bloß selber. Von wegen Vereinbarkeitsbarkeitsprobleme und so. Alles völlig übertrieben. Zurücklehn!

Nachdem ich meine erste Reaktion abgekühlt hatte, indem ich den Kopf in den Eisschrank hielt (man muss ja auch an seinen Blutdruck denken), fing ich also an zu zeichnen. Weil ich aber ja ein Schreiberling bin und das auch besser kann, muss ich jetzt doch einen Beitrag dazu loswerden. Nämlich: Ein Tag in der Familie der Nachbarin! Es könnte der längste Post dieses Blogs werden oder vielleicht der längste aller Zeiten. Vielleicht schreibe ich auch ein Buch, aber irgendwie muss ich diesen Wahnsinn hier mal dokumentieren.

Wer also weder Zeit noch Muße hat, diesen beschwerlichen Weg mit mir zu gehen (ich kanns keinem verdenken), nehme hier die Ausfahrt und schaue sich einfach das Bildchen an. Mit den Tasten Strg und + kann man es ranzoomen :-))

Ein Tag in der Familie der Nachbarin!

Morgens 7 Uhr 15 Uhr in Deutschland. Ich wache auf, weil irgendwo ein Kind nach „KAKAAAOOO“ schreit und bin im ersten Moment völlig orientierungslos. Dann dämmert es mir. Ich bin heute Nacht aus dem Elternbett ausgezogen – mal wieder – nachdem Töchterlein – wie immer – um halb drei aus ihrem Bett in unseres gewankt kam, um sich dort in gewohnter Manier (Kopf Richtung Vater, Füße in meine Nieren) zwischen uns zu quetschen und sich dann im Zehnsekundentakt zu drehen und zu jammern.

Flopsi, Tupsi und Schnurzi

Wo ich mich jetzt aufhalte, verrät mir ein Geruch, der entfernt an Hamsterkäfig erinnert. Meine Finger ertasten da außerdem etwas Weiches: Ah ja, Flopsi, Tupsi, Schnurzi, Furzi (oder so ähnlich) verteilen sich um meinen Kopf herum: Ganz klar! Ich liege im Kinderbett. Und gedenke dort auch liegen zu bleiben, denn „Kakao!!!“ ist morgens ganz klar eine Ansage an meinen Mann. So will es die Aufteilung. Außerdem muss ich mich erst sammeln. Nach der – wie immer – unterbrochenen Nacht und sagen wir sechs Stunden Schlaf netto, fühle ich mich – wie immer – dem morgendlichen Multitasking nicht gewachsen.

„Wo ist meine Jacke? Wo sind meine Socken? Wo ist meine Hose?“, heißt es jeden Morgen im Minutentakt! Und meine Tochter will auch ständig was. Das raubt mir schon jede Energie, wenn ich nur daran denke. Ich liege also da, mit der Decke über dem Kopf und erwarte, dass mein Mann meiner Tochter einen Kakao macht. Aber was ist das? Ich höre ihn ins Badezimmer abbiegen. Er wird doch  nicht… Doch er wird! Das fragile Kartenhaus, das sich bei uns Routine nennt, bricht gerade in sich zusammen, als meine Tochter das Bett – und mich – entert und mir die ersten Hämatome des Tages verpasst. „Mama!!! Mach mit bitte Kakao!!“ „Aber dein Vater…“ – hatte ein dringendes Bedürfnis.

Nu denn! Ich quäle mich aus dem Bett und dann fällt es mir ein: Es ist schon wieder Donnerstag! Das heißt, mein Mann hat – wie immer am Donnerstag – einen wichtigen Jour Fixe in der Nachbarstadt und meine Tochter Kita-Turnen, das sie so liebt. Das heißt wiederum: Ich muss sie pünktlich zwischen 8 und 8 Uhr 15 zur Turnhalle bringen UND sie frühstückt zu Hause, statt in der Kita UND mein Mann hat keine Zeit, irgendwas zu übernehmen. Ich hasse Donnerstage! Habe meinem Mann schon einen Jobwechsel ans Herz gelegt, aber er fand das übertrieben…

Frühstücksbrot, verschmäht

Der Kakao ist getrunken, ein Knäckebrot mit Marmelade bestrichen, die Uhr zeigt halb acht. Im Kopf gehe ich durch, was noch zu tun ist: Kind frühstücken lassen, Kind die Zähne putzen, Kind die Haare flechten, Kind anziehen. Sporttasche checken, Kleidung für nach dem Sport eintüten, Matschehose, Handschuhe, Schal, Mütze. Oh Mist! Mich selbst muss ich ja auch noch fertig machen… Später!

Kind beißt einmal ins Knäckebrot und mag dann nicht mehr. Dafür hat sie jetzt Marmelade in den Haaren. „Ich muss das jetzt auswaschen und dann kämmen!“ „Neeeeeiiiiiin!“ „Doch, du brauchst Zöpfe, sonst hängen deine Haare beim Turnen ständig im Gesicht!“ „Auuuuuuuaaaaaa!“ „Wir können deine Haare auch abschneiden!“ „Neeeeeiiiiiiin!“ (Das kommt von meinem Mann aus dem Badezimmer) „Mach du ihr doch die Haare!!“ Irgendwie kriege ich trotz Gezappel und Gejaule zwei anständige Zöpfe geflochten. Es ist Viertel vor acht.

„So jetzt hier Klamotten! Zack, zack, zack!“ Aber „zack, zack, zack“ is nich mit einer Dreijährigen, die ihre Spielsachen die ganze Nacht nicht gesehen hat. „Ich muss noch grad den Fluffi…“ „Nein, du kommst jetzt bitte her, sonst kommen wir zu spät zum Turnen. Herkommen!!! Ah gut. … Nein!!!! Hiergeblieben!!!“ Und schon ist sie wieder weg.

Neben Donnerstagen hasse ich übrigens den Winter: Unterhose, Leggins, dünne Socken „Nicht die Leggings ÜBER die Socken, die Socken ÜBER die Leggins!!!“, dicke Socken, Hose. „Nein nicht die Jeans!! Ich habe Angst vor dieser Jeans!!!“ Unterhemd, Pulli. „Sag mal ist dein Kopf wieder größer geworden? Ich krieg… das nicht… drüber!“ „Auuuuuaaaa!“ – „Was macht ihr denn wieder hier, Mädels??“ Ach, mein Mann ist ja auch noch da. Frisch geduscht, frisch, rasiert, im Anzug – er sieht umwerfend aus. Ich dagegen rieche wie etwas, das man schnell im Biomüll entsorgen will. Und es ist schon fünf vor acht.

„Kannst du ihr die Zähne putzen? Ich muss mich noch anziehen.“ „Ja, klar!“ Oh, er ist echt zu süß, riskiert sogar Prinzessin-Lillifee-Zahnpasta-Kleckse auf seinem Hugo Boss. Ein echter Daddy eben!! Schnell werfe ich mir irgendwas über und fahre mir alibimäßig dreimal mit der Zahnbürste durch den Mund. Dr. Hund würde sich mal wieder die Haare raufen. Apropos Haare: Kämmen? Zwecklos! Naturlocken und Heizungsluft: Im Winter baut jemand darin nachts sein Nest und haut dann ab… Also, mit dem Haargummi festzurren und Kapuze auf.

Durchschnittlicher Klamottenberg für einen Ausflug im Winter

Das Kind steht mehr oder weniger fertig im Wohnungsflur. Das muss noch mit und das muss noch mit… – „Schatz! hast du meine Uhr gesehen…?“ „Nicht jetzt!! Können wir uns darauf einigen, dass du mich morgens nicht mehr fragst, wo deine Sachen sind? Es reicht, wenn ich zwei Leute fertig machen muss.“ „Wir müssen auch gar nicht mehr miteinander reden…“ Oh, jetzt ist er motzig. Nicht gut! Und es ist 8 Uhr 5. Jetzt müsste ich mir eigentlich Zeit zur deeskalierenden Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg nehmen. Aber wir müssen lohoooos! „Kind, nimm noch eine Banane für den Weg und dann ab dafür!“


Während meine Tochter durchaus kooperativ, aber in Schildkrötengeschwindigkeit die Treppe hinunterbalanciert, mache ich den Buggy fertig. Normalerweise geht sie an der Hand, aber heute müssen wir joggen. Kind also mit Müh und Not festgezurrt, Schlüssel fürs Gartentor kurz verlegt und wiedergefunden. Turnbeutel, Matschehose. Alles da! Bis mir am besagten Gartentor auffällt: Es sind drei Grad und das Kind hat weder Schal noch Mütze an. 

„Werd grün!!!!“

Also zurückgejoggt und beides aus dem Schrank gerissen. Es ist 8 Uhr 12 Uhr mein Puls auf 180. Ich rase mit meiner Tochter im Buggy dahin, brülle die Ampel an, damit sie grün wird, grüße links und rechts ein paar Nachbarn und schaffe es Schlag 8:17 Uhr zur Turnhalle. Die Tür ist schon zu. Also zerre ich mein Kind auf dem Flur aus seinen Sachen und bugsiere es mit der einen Hand in die Halle, während ich mit der anderen versuche Socken, Hose, Strickjacke Jacke, Schal, Handschuhe, Mütze und Turnbeutel festzuhalten.


Drinnen sitzen 20 Kinder im Kreis und starren uns an. Die beiden Erzieherinnen stehen in der Mitte und machen irgendeine Ansage, als wir reinkommen. „Oh, die Maus hat sich schon draußen umgezogen.“ „Ja, wir dachten, ihr hättet schon angefangen und wollten nicht stören.“ „Ach, das ist aber nett. Und was für hübsche Zöpfchen du hast!“ Na, wenigstens hier herrscht gute Laune. Ich würde ja gerne bleiben, aber die Arbeit ruft. Also knalle ich das Klamottenbündel auf irgendeinen Stuhl, winke meinem Töchterlein zu, das irgendwo rumsteht und mir etwas verloren hinterher blickt und siehe – nicht ohne Rabenmuttergefühl – zu, dass ich Land gewinne…



Um diesen Editor und euch geneigte Leser, die ihr mir bis hierhin gefolgt sein (wow!) nicht überzustrapazieren, habe ich beschlossen, den „Tag in der Familie der Nachbarin“ in mehrere Kapitel, sprich Beiträge aufzuteilen. Quasi als Fortsetzungs-Post. Teil zwei kommt am Donnerstag! Lest rein, wenn ihr mögt!

Weitere erschienene Beiträge der Serie:

Immer noch Tag eins!

Alle guten Dinge…

Kann es was Schöneres geben?

Und der Mann hat doch das letzte Wort
 

Total unpolitisch!

Total unpolitisch!

So, das neue Jahr ist dreizehn Tage alt, die Nachbarin heute ganz genau ein Jahr (Happy Birthday, altes Haus!!!) Und ich fühle mich in der Tat etwa zwei Monate jünger, als noch beim letzten Post. Soll heißen statt Ende 47 mehr so Mitte 47. Das ist doch schon mal was!

Ob es an meiner Low-Carb-Diät liegt, bei der man alles Leckere weglässt und die ich seit sage und schreibe 12 Tagen durchhalte. Oder an dem Quentchen mehr Bewegung, die ich mir in letzter Zeit gegönnt habe (Schneemann bauen, Schlitten plus Pirelli-Tochter den Berg hoch ziehen). Oder aber doch an den drei Wochen Urlaub, die hinter mir liegen – ich weiß es nicht. Aber ich mache erst mal so weiter! Also, abgesehen
vom Urlaub. Seufz!
Die Nachrichten(p)lage
Was an meiner wundersamen Verjüngung sicherlich nicht schuld ist, ist die Nachrichtenlage, der ich mich ja – gemäß meiner guten Vorsätze für 2015 – seit einigen Tagen widme. Ich weiß nicht, wie es Euch so geht, aber wenn ich dieses Jahr ein erstes graues Haar auf meinem Kopf finden sollte, liegt es sicherlich an dem, was da draußen so passiert.
Paris

Eigentlich gehe ich ja durchs Leben mit der Haltung: „Wenn‘s wirklich wichtig ist, wird es mich schon erreichen!“ So ganz stimmt das offensichtlich nicht, denn ich war dann doch überrascht: „Waaaas, die Insel Mayotte im Indischen Ozean ist jetzt Teil der EU?“ Andererseits, erreichte mich die Meldung vom Anschlag auf „Charlie Hebdo“ in der Lagerhalle eines
Baumarktes, wo gerade das Radio lief, als wir Laminat fürs Arbeitszimmer ins Auto luden. Also, mein Mann lud – ich musste ja Radio hören…

Nun ist die Nachbarin ja alles andere als politisch und positioniert sich höchstens bei Fragen wie: Minitulpen oder Traubenhyazinthen als Frühblüher in den Balkonkasten? (Beides) Bzw. Gemüsepfanne oder Buchweizen-Auflauf zum Abendessen? (Beides nicht). Aber auch ihr ist klar, dass es am 7. Januar um Dimensionen ging, die größer sind als Bleistift gegen Kalaschnikow – obwohl das Bild stimmt.
Und wenn sich die Nachbarin dann vorstellt, dass ihr Töchterlein schon drei ist und irgendwann anfangen wird, die richtigen Fragen zu stellen, so nach dem Sinn und nach der Gerechtigkeit in der Welt… dann schaut und hört und liest die Nachbarin lieber nicht so oft Nachrichten, aus Angst, sie könnte die Antwort darüber vielleicht vergessen.
 
„Völlig falscher Ansatz!“
Ja, ja, sagt das mal der Nachbarin. Aber hinter dem Gartenzaun ist es ja gerade sooo gemütlich. Durch die Latten sieht man diese Menschen mit schwarz-rot-goldenen Fahnen durch die Straßen laufen und skandieren – und es ist doch gar nicht WM?! Irgendwas von wegen „Abendland retten“. Ich kann es nicht genau verstehen, die Gegendemonstranten rufen so laut nach Frieden und Toleranz…

 

Alle Latten am Zaun
Andererseits: Was so eine Nachbarin ist, ist ja irgendwo auch eine Frau der Tat! Und weil die Maus noch keine Fragen stellt, die mit dem Sinn und der Gerechtigkeit der Welt zu tun haben, aber schon wunderbar mit Pinsel und Farbe umgehen kann, malen wir einfach den Gartenzaun bunt an. Dabei lernt
sie schon mal, dass viele Farben schöner sind als eine.Und alles andere? Da braucht unsere Nachbarin noch ein bisschen Zeit und versucht für den Anfang einfach mal die Nachrichten zu ertragen…In diesem Sinne: Weitermachen!