Seite wählen
Schenken 2.0

Schenken 2.0

„So ein schöner Wunschzettel“, mailte mir meine Mutter kürzlich anerkennend. Worte, die ich zuletzt 1985 in der Grundschule vernahm, als ich krakelig, aber hingebungsvoll und mit viel Glitter an das Christkind schrieb. Meine Mutter würdigte in ihrer Mail weniger die Optik meines aktuellen Wunschzettels – eine diesbezüglich kaum beeindruckende Amazon-Wunschliste – als den Inhalt. Standen ’85 Puppe, Blockflöte und Bollerwagen auf dem Zettel, sind es jetzt eine Patchworkdecke, Bastelfilz in zehn Farben und ein Vintage-Außenthermometer.

Noch schöner als beschenkt zu werden, ist das Schenken. Allerdings hat mein Enthusiasmus in Zeiten besagter Amazon-Wunschlisten merklich abgenommen. Nicht nur, dass man sich keine (liebevollen) Gedanken mehr machen muss/darf. Das was da manchmal – vor allem bei den Herren – draufsteht, wirkt nicht wirklich inspiriert.

Für Y-Chromosom-Träger kommt die Frage nach Geburtstagswünschen Jahr für Jahr völlig überraschend und unvorhergesehen. Bekam man in Analog-Zeiten höchstens mal ein genuscheltes „ich brauch nix“ zu hören, gibt es ja heute Amazon. Zwei, drei Klicks und schon hat man sich irgendwelche Geschenkideen aus dem Hirn gesaugt, die wirken, als habe sie der Betreffende beim letzten Samstagseinkauf einfach vergessen.

Bei meinem Bruder – herzlichen Glückwunsch nachträglich – hatte ich kürzlich auf dem bereits abgegrasten Wunschzettel noch die Wahl zwischen einem „Soft Grip Baby Boa Strap Wrench“, einem „Brennenstuhl 1508100 Adapterstecker Euro 2 mit Schutzkontakt 1 mit Schalter“ und einem „Original 05500 maxxcuisine Überkochstopp rot/schwarz“. Ich entschied mich schließlich für das Produkt mit den meisten Buchstaben. Nein, nicht die Bibel, sondern einen Eierschalensollbruchstellenverursacher. Ich hoffe, ich kann ihm damit einen Lebenstraum erfüllen und gehe in irgendwelche Annalen ein…

Nicht, dass es nicht noch schlimmer geht. Mein Mann hat sich zu Weihnachten DVD-Hüllen gewünscht. Ich habe ihm dann 50 Stück bestellt, damit es sich wenigstens lohnt. Liebevoll verpackt und mit silbernen Schleifchen dekoriert lagen sie dann unterm Weihnachtsbaum. Seinen Freudenschrei werde ich nie vergessen. Er meint ja, es sei eher Entsetzen gewesen, weil er nur fünf gebraucht hätte. Egal.

Jedenfalls lagen in seinem Geschenkeberg unter anderem noch ein „40x 20cm Male – Female jumper Kabel Steckbrücken Arduino“, ein „EDIMAX EW-7811UN

Wireless USB Adapter, 150 Mbit/s, IEEE802.11b/g/n“ und ein „D-Link DUB-H7 HUB USB 7P 7xUSB-A/B 1xUSB-B/B + Kabel + Stromversorgung“ . Da geht einem doch das Herz auf! Das Leuchten in seinen Augen werde ich nie vergessen. Zum Geburtstag einen Monat später gab es dann, romantisch wie ich bin, den „Raspberry Pi RBCA000 Mainboard (ARM 1176JZF-S, 512MB RAM, HDMI, 2x USB 2.0, 3,5 Watt)“. Klingt so schön nach Himbeeren, ist aber eine Mini-Platine. Damit war mein Budget erschöpft – und ich auch.

In meiner Jugend war das irgendwie einfacher. Da verschenkte ich wahlweise CDs (braucht heute keiner mehr, kann man ja runterladen), Bücher (braucht auch keiner mehr, kann man ja auch runterladen) und Cool Water. Ob das noch einer braucht, weiß ich nicht, aber der Typ in der Werbung hatte was, was gerne auf den jeweiligen Lebensabschnittsgefährten abfärben durfte. Da mein Mann aber mit James Ford locker mithalten kann, reicht hier mittlerweile Deo aus. Und das zum Geburtstag, naja…

Aber wenigstens gibt es ja noch die lieben Kleinen, die sich auch heute noch Puppen, Blockflöten und Bollerwagen wünschen. Dachte ich. Als ich meine Tochter im Frühjahr beim Blick in den Spielzeugkatalog fragte, was sie sich zu Ostern wünsche, tippte sie begeistert auf einen Artikel und ich las mit Grauen
“Simba 106330277H – Art and Fun Magic Drawing Board, blau”. Vielleicht sollte ich mich wieder an meinen nachhaltigen Upcycling-Vorsatz erinnern, nur eigene Sachen weiterzuverschenken.

Die doppelte Minderheit

Die doppelte Minderheit

Seid nett zu Minderheiten. Zu Sinti und Roma, zu Piratenpartei-Wählern, zu Männern – als Frauen – mit Bart. So weit, so unterschreibenswert. Aber was ist das eigentlich, eine Minderheit? Irgendwie immer die andern, oder? Aber sind wir nicht alle ein bisschen Minderheit, wenn wir nicht gerade auf der Waage stehen? Da bin ich in letzter Zeit irgendwie immer in der Mehrheit – gegenüber meinem Gewicht von letzter Woche.  Aber ansonsten…

Jeder von uns gehört doch irgendeiner Minderheit an. Bei mir muss man nicht lange suchen: Rote Locken! Genaue Zahlen gibt es nicht, aber etwa zwei Prozent der Echthaarträger in Deutschland sind rothaarig. Man muss kein Mathegenie sein, um festzustellen: Das sind nicht so viele. Eine andere Minderheit, zu der ich mich zähle, sind die Synästhetiker. Das ist keine Sekte, kein künstlerischer Berufszweig und auch keine Krankheit. Manchmal ist es nervig, manchmal ein Geschenk, in meinem Fall weder das eine noch das andere, kommt aber immer gut, wenn einem an der Bar mal der Gesprächsstoff ausgeht.

Bei Synästetikern sind zwei unterschiedliche Sinnesbereiche gekoppelt, die normalerweise nicht gemeinsam auftreten. Das heißt in der Praxis: Für den Synästhetiker kann Fisch nicht nur fischig, sondern auch stachelig schmecken.  Wirft er einen Stein ins Wasser, hört er die ringförmigen Wellen vielleicht summen oder knacken. Beobachtet er, wie sich zwei Menschen die Hand schütteln, fühlt er die Berührung am eigenen Körper. Das geht ja noch, einen Boxkampf sollte der sich aber lieber nicht anschauen. Ein berühmter Synästhetiker ist übrigens Kandinsky, der in seinen Bildern das verarbeitete, was er beim Hören klassischer Musik sah.

Unter den Synästhetikern, von denen es in Deutschland geschätzt 400.000 gibt, gehöre ich wiederum zur langweiligen Mehrheit, die vor allem Buchstaben, Zahlen und Wochentage farbig sieht. A ist gelb, e ist rot, 1 ist blau, 7 ist lila, der Dienstag rosarot, der Freitag weiß. Dabei sehe ich die Farben so, wie wenn man sich zum Beispiel die Farbe des eigenen Autos vorstellt. Also vor dem inneren Auge. Keine bunten Zeitungen und Buchseiten im klassischen Sinne. Auf meinen Alltag wirkt sich das nicht weiter aus. Eigentlich müsste ich mir Telefonnummern besser merken können als andere. Fehlanzeige. Dafür ist meine Kontonummer blau-grün-weiß-grün-rot-gelb-grün-braun-lila. Und meine Geheimzahl… äh, lassen wir das… 😉

Jetzt weiß ich natürlich nicht, wieviele rothaarige Synästhetiker es in Deutschland gibt, aber so viele werden es wohl nicht sein. Mein Mann ist keiner, akzeptiert aber, dass die Farben eines potentiellen Vornamens
fürs Kind mit denen des Nachnamens harmonieren sollten. A propos Vornamen: Mein Mann gehört wohl zur Minderheit der Menschen, die nach ihrem Geburtsort benannt worden sind. Gott sei Dank ist der weder
Castrop-Rauxel noch Uppsala – obwohl, letzterer hätte farblich gut zu seinem Nachnamen gepasst.

Shabby oder schick?

Shabby oder schick?

Eigentlich bilde ich mir was drauf ein, nicht mit jeder Mode zu gehen. Zum Beispiel Karottenhosen. Die sahen in den 80ern schon scheiße aus. Warum soll ich die jetzt anziehen. Mal ganz davon abgesehen, dass Hüften mit Tendenz zur Breite in Karottenhosen einen wahren Panoramaeffekt entwickeln. Jedenfalls braucht man diese Einstellung an der Kamera, um sie so auf’s Bild zu kriegen.

Das Gleiche gilt beim Einrichten: Da bleib ich mir treu. Skandinavischer Landhausstil! Weiß mit Farbtupfern. Schon seit Jahren. Schon laaaaange, bevor das so „in“ wurde. Und dabei bleibe ich. Auch wenn jetzt die 50er wieder Einzug halten. Ich finde der Begriff „Nierentisch“ sagt schon alles. Ich will keine Innereien im Wohnzimmer.

Aber eins nimmt mich immer mehr gefangen: Shabby Chick! Plötzlich ist aber wirklich alles salonfähig. Was du vor zwei Jahren noch voller Verachtung auf den Sperrmüll geknallt hast, findest du heute bei Dawanda unter „Vintage“ für viele bare Euros. Eigentlich fing es ja mit niedlichen Kommödchen vom Flomarkt an, denen man das Alter ansah. Und wenn nicht: zweimal Streichen, erst dunkler, dann heller und die Kanten abschleifen. So schnell nagt der Zahn der Zeit.

So langsam nimmt es aber groteske Formen an. Nicht nur, dass man irgendwie kaum noch neue Möbel ohne synthetischen Alterungsprozess bekommt und das irgendwie paradox ist, auch ich fange langsam echt an zu spinnen. Gut, wenn ich morgens in den Spiegel schaue, hilft mir die Vorliebe für

Shabby Chick, trotz der Misere einen Fuß vor die Tür zu setzen. Falten überschminken? Ach quatsch: AUFMALEN!

Aber heute morgen hab ich dann doch überlegt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe (natürlich mit Sprung…). Ich stand also wartend am Fähranleger, um mich auf die beste aller Weisen über den Rhein bewegen zu lassen, und starrte abwesend auf den modrigen, schrundigen und pittoresk vermüllten Uferbereich (Niedrigwasser). Und dann begannen meinen Augen trotz Müdigkeit zu leuchten:

„Shabby Chick!“ freute ich mich und sinnierte: Ein Foto vom Schlick als Poster groß aufziehen und ins Wohnzimmer über die Couch hängen… „Hast du nen Knall“, rief Geistig-klar auf meiner linken Schulter und es klang nicht wie eine Frage. „Aber die Roststellen am Anleger sind einfach zu charmant“, meinte Leicht-zu-Begeistern auf meiner Rechten. „Demnächst nagelst du dir noch tote Regenwürmer an die Wand, weil die so schön vergänglich aussehen“, ätzte  Geistig-klar. „Hm, jetzt wo du’s sagst…“

Seitdem hat sich Geistig-klar nicht mehr zu Wort gemeldet. Er murmelte etwas von „Hopfen und Malz“ bevor er seine Tätigkeit einstellte. Wahrscheinlich sitzt er in der Kneipe. Heute Nachmittag jedenfalls, stand ich plötzlich bei H&M am Drehständer mit den Karottenhosen…