Okt. 26, 2014 | Reine Erziehungssache
Ein neuer Tag beginnt. „KAKAAAOOO!!!!“ schallt es aus dem Kinderzimmer. „Aber sicher meine Süße, es macht gar nichts, dass es erst sechs Uhr ist und du mich aus dem Tiefschlaf geweckt hast. Sahne dazu?“ Nein, das ist natürlich ein Märchen. Also zumindest meine Antwort. In Wirklichkeit habe ich mich nämlich wie jeden Morgen unwillig umgedreht und mir die Decke über den Kopf gezogen, in der naiven Annahme, ich könnte meinem Schicksal entgehen.
Naiv und irrig! Denn keine zehn Sekunden später dringt ein Heulen durchs dicke Federbett: „MAMAAAAAAA!!!! KAKAAAOOOOOO!!!“ Gefolgt von einem Zerren an der Bettdecke. „Lass mich in Ruhe, es ist noch viel zu früh“, stöhne ich, hieve widerwillig strampelnde 16 Kilo Lebendgewicht in mein Bett und gönne mir den ersten Hexenschuss des Tages. „Schlaf doch noch ein bisschen, Schatz“, murmelt neben mir mein Mann – endlich auch mal aufgewacht – bevor ihm ein Schmerzensschrei entfährt. „Aua, du kleines Aas, das waren meine Nieren.“
Struktur und Rituale
Man soll Kinder ja mit Struktur und gleichbleibenden Ritualen erziehen. So in etwa hört sich also unser tägliches Morgenritual an, souverän choreographiert von unserer dreijährigen Tochter, die seit einiger Zeit zur
Diva mutiert ist und sich einen ganzen Stab an Hauspersonal hält: Mutter und Vater, sowie zwei Omas und einen Opa. Echt ich will ein Gehalt! Während sie im Kindergarten mit „bitte“ und „danke“ arbeitet, hält sie sich zu Hause nicht mit anstrengenden Höflichkeitsfloskeln auf.
Ein gebellter Befehl, ein lautes Kreischen, dass in ein gepeinigtes Jaulen übergeht, wenn die Welt mal wieder nicht begreifen will – also einfach zu blöd und unfähig ist, zu kapieren – was man will. Obwohl man
sich doch klar ausgedrückt hat!!! „KAKAO!!“ heißt erstens: sofort! Zweitens: 34,5 Grad. Und drittens: zu servieren mit langstieligem Löffel und einer Auswahl an drei verschiedenfarbigen Strohhalmen. Und auch dann gibt es Fallstricke, die das Projekt noch zum Scheitern verurteilen können.
Das Kind endet dann regelmäßig schreikrampfend auf dem Fußboden. Und es ist noch nicht mal halb acht. Das heißt der Kampf um Strumpfhose und Pullover-Auswahl steht noch bevor. Der gute Erzieher bleibt ruhig
und konsequent, lässt dem Kind die Wahl, wo es möglich ist und setzt sich durch, wenn er es für wichtig hält. Also: „Schatz! Heute ist es kalt, du hast also die Auswahl zwischen diesen drei warmen Strumpfhosen.“ „Neeeeeeiiiiiiiiii!“ „Wie nein?!“ „Ich will keine Jacke anziehen!“ „Süße es geht gerade nicht um die Jacke, sondern um die Strumpfhose.“ „Ich will aber Leggins.“
Der Kampf geht weiter
Irgendwie schaffen wir es fast immer bis acht Uhr in den Kindergarten, wo sie dann bis halb drei ihre brave, vernünftige, selbständige Seite zeigt („Wie, du kannst schon seit drei Monaten deine Leggings alleine
anziehen???“). Es heißt ja, dass man gute Erziehung daran erkennt, wie sich das Kind bei Fremden benimmt. Ich glaube ja eher, dass sie den ganzen Vormittag Kraft sammelt, um nachmittags wieder den Kampf aufzunehmen. Der geht weiter, sobald wir die Wohnung betreten.
Jesper Juul sagt: Wenn ein Kind immer wieder versucht, das Gleiche durchzusetzen, dann liegt es daran, dass es noch nicht versteht, dass eine Regel etwas Wiederkehrendes ist. Immer schon werden nach dem Reinkommen die Hände gewaschen. Das heißt, nachdem ich meine Tochter in schmutzverkrusteten Gummistiefeln durch die gesamte Wohnung verfolgt oder an besseren Tagen eine langwierige Diskussion gewonnen habe. Mich strengt das so an, dass ich mich um 15 Uhr gerne hinlegen würde, um danach gleich ins Bett zu gehen. Jesper Juul würde wahrscheinlich sagen: „Das Kind hat die Regel begriffen. Erst der Kampf, dann das Händewaschen.“ Danke auch.
So geht es dann eigentlich den ganzen Tag weiter. „Mama, wenn ich auf Klo sitz, musst du draußen warten… NEEEEIIIIN, nicht da, auf der anderen Seite!!!“ (Soll heißen: Nicht rechts von der Tür, sondern links) „Mama, mach mir einen tiefen Zopf. Einen TIIIIIIIIEEEEEFEN!“ – „Tiefer geht nicht!“ – „WAAAAAHHHHH!“. Oder: „Papaaaaaa???“ (über drei Räume hinweg) „PAPAAAAA, kommaaaaaaa!“ Ehemann schleppt sich ins Schlafzimmer. „Neeeeeeeiiiiiin, Mama soll kommen!!!!“
Lachen verboten
Grundsätzlich verboten sind Unterhaltungen unter Erwachsenen, lautes Lachen (manchmal auch leises Schmunzeln) und jegliche Art von Anforderungen an Eure Majestät, die sich auf Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Ruhezeiten oder etwa Chaosbeseitigung beziehen. Immerhin, da ist sie konsequent.
Auf die elterliche Stimmung wirkt sich der tägliche Ringkampf auch nicht unbedingt positiv aus. Aber ein Silberstreif erscheint am Horizont: Eine Freundin hat mir eine Bachblütenmischung versprochen, die kleine Zornpuckel wieder zu sich selbst finden lässt. Wir hätten gerne eine Zweiliter-Flasche. Ach so, und dann noch was fürs Kind.
Aug. 18, 2014 | Alltagschaos
Entschleunigung! Wer mich kennt, weiß, dass ich dieses Wort nicht leiden kann. Wahrscheinlich, weil ich dieser Tante E. immer mit enervierender Erfolglosigkeit hinterherrenne. Kein Wunder, so als langsamste Joggerin des Planeten. Trotzdem ist sie ja irgendwie der Grund für meinen Blog. Und siehe da, nach acht ergebnislosen Monaten habe ich endlich ein Werkzeug gefunden, um sie zu erreichen. Es ist der Knopf an meinem Wasserkocher.Aber von Anfang an: Wir wollten also in den Urlaub. Ans Meer. Nicht schon wieder Seychellen, dachte ich und beschloss: Diesmal fahren wir an die Nordseeküste. Als die Familie meinem Vorschlag etwas unenthusiastisch begegnete, zog ich meinen Trumpf aus der Tasche: „Nein, nicht Holland. Diesmal machen wir was Besonderes: Wir fahren nach Ostfriesland!“
Zwanzig Minuten später hatte sich der Sturm der Begeisterung etwas gelegt, so dass ich mir wieder Gehör verschaffen konnte: „Wir werden in einem Mühlenhaus wohnen und uns wird völlig egal sein, ob es regnet, schneit oder weht. Denn ich packe einfach für alle Eventualitäten.“ Der Urlaub verzögerte sich dann noch um einige Monate, weil wir für unseren französischen Kleinwagen erst einen Dachgepäckträger und dann noch einen Anhänger kaufen mussten…
Ab auf den Ostfriesenspieß
Aber schließlich waren die 20-seitige Packliste abgearbeitet, die fünf Kubik verstaut und es ging los Richtung „Ostfriesenspieß“. So heißt die A31. Sie fängt hinterm Ruhrpott an und ist die leerste Autobahn Deutschlands. Hier fahren pro Minute nur neun Autos. Dass wir es dann schafften, auf dieser Autobahn trotzdem zwei Stunden im Stau zu stehen, lasse ich an dieser Stelle mal unerwähnt.
In unserem Mühlenhaus angekommen, stellten wir fest: Im zentralostfriesischen Uttum mahlen die Mühlen nicht nur langsamer, sie malen gar nicht! Was daran
liegt, dass die eindrucksvolle Windmühle keine Flügel hat. Ein Manko, über das ich großzügig hinwegsehen konnte. Was mich jedoch viel mehr bewegte, war ihre
Lage, nämlich total ungünstig zwischen dem nächsten UMTS-Masten, Satelliten oder was weiß ich und besagtem Mühlenhaus. Wir hatten KEIN INTERNET!!!
Panik und Schweißausbrüche meinerseits. Das hätte man beim Bau vor 150 Jahren nun wirklich beachten können, zürnte ich, um dann in der Abenddämmerung drei Stunden lang mit aufgeklapptem Laptop in den verkrampften Händen ums Gelände zu schleichen, auf der Suche nach dem Netz. Das ich nicht fand. Stattdessen zog ich einen Schwarm Moskitos, Nachtfalter und Fledermäuse hinter mir her und fiel fast in den Wassergraben am Grundstücksende. Aufgegeben habe übrigens nicht ich, sondern der Laptop-Akku.
Ein Urlaub, wie er früher einmal war
Aber man gewöhnt sich an alles und nach drei Tagen aussichtslosen Suchens quer durch Ostfriesland – das Ganze erwies sich als flächendeckendes Problem – war ich bereit, meinen Urlaub zu beginnen. Der Laptop blieb zu, das Tablet wanderte in die Schublade, das Smartphone wurde zum Fotoapparat und ich begann endlich – ENDLICH – zu entspannen. Was folgte war
ein „Urlaub, wie er früher einmal war“ mit einem „Sommer, wie er früher einmal war“ und ich hätte beides gerne bis 2020 ausgedehnt.
Allein – wir mussten zurück. Raus aus der ostfriesischen Sonne, rein in den rheinischen Dauerwolkenbruch bei 16 Grad Celsius. Das Netz ist perfekt, der Stress ist zurück! Aber das ostfriesische Rezept zur
Entschleunigung haben wir uns als Souvenir mitgebracht. Hier ist es:Wasser in den Wasserkocher einfüllen. Knopf an Wasserkocher drücken. Warten bis es blubbert. Schwarzen Ostfriesentee in Teebeutel füllen und in ostfriesische Teekanne einhängen. Mit heißem Wasser übergießen, 3 bis 5 Minuten ziehen lassen. Ein Kluntje (Mega-Kandis) in einer ostfriesischen Teetasse platzieren, Tasse zur Hälfte mit Tee füllen.
Sahne mit dem ostfriesischen Rohm-Lepel (Mini-Sahnekelle) in den Tee einbringen. In die Sahnewolken schauen. Nichts mehr denken, nichts mehr sagen, nichts mehr tun.
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