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Pasta alla Nachbarin

Pasta alla Nachbarin

Jeder Mensch braucht ein Hobby. Ich habe auch einige: Kochen gehört nicht dazu. Wie ich schon mal anmerkte, ist die Voraussetzung beim Kochen am Herd stehen zu bleiben, für mich vergeudete Lebenszeit. Dementsprechend enden meine unmotivierten Experimente gerne im Desaster. Schuld sind der Herd, die Zutaten, das ungenaue Rezept, meine Tochter, das Telefon, der DHL-Mann, ein dringendes Bedürfnis. Mein Mann sieht das etwas anders: „Du kannst es einfach nicht!“

Jetzt ist es ja nicht so, dass ich ein Neuling auf dem Gebiet bin. Spätestens nach dem Umzug vom Kinderzimmer ins Wohnheimzimmer mit zwei Kochplatten, war ich zu ersten kulinarischen Gehversuchen gezwungen. Denn das Budget reichte einfach nicht für die tägliche Bestellung beim Pizzamann. Auch diese Phase gab es – später. Da ich nicht nur ungern koche, sondern zudem nicht auf Haute Cuisine stehe, habe ich auch keinen inneren Antrieb etwas an der Situation zu verbessern. Meine Tochter isst ohnehin nur Nudeln. Mein Mann ist ohnehin nie zufrieden. Also Nudeln.

Jetzt sollte man ja meinen, das würde sogar ich unfallfrei hinkriegen. Weit gefehlt. An diesem Tag haben wir Gäste, es gibt also Nudelsalat á la Chefkoch.de. Meine Tochter darf im Rewe zur Feier des Tages die Sorte auswählen und natürlich werden es die: „Schmetterlinge!“ „Oh Gott“, denke ich, „die hab ich ja noch nie gekocht!“ (Ich kann nur Spaghetti und die kleinen kurzen Röhrchen). Das geht in die Hose! Hab ich schon gesagt, dass ich eine „Halb-Leer-Persönlichkeit“ bin?!

Außerdem ist nur noch ein Paket da und ich brauche 800 Gramm, sagt Chefkoch. „Süße, wie wärs denn mit den schönen Röhrchen?“ „Nein, die Schmetterlinge!!!“ Okay, bevor ich eine lautstarke Diskussion riskiere über Nudelsorten im Allgemeinen und Mütter, die einem nie, aber auch NIE, einen Wunsch erfüllen, krieche ich kurzerhand ins ebenerdige Regalfach und angele mit spitzen Fingern eine einsame Tüte aus den Tiefen, die seit drei Jahren da hinten rumgammelt: Mindesthaltbarkeit 08/2011. Egal, das muss reichen, entscheide ich.

Zum Kochen wähle ich bewusst einen sturmfreien Moment. Kind in der Kita, Mann in der Arbeit. Schon das Öffnen der zweiten Packung erweist sich als tückisch. Vorsichtig ziehe ich an der Sollbruchstelle. Nichts! Eine Schere? Nicht unter drei Schritten erreichbar. Ich ziehe etwas fester und die Tüte reißt. Ein Drittel des Inhalts ergießt sich unerreichbar zwischen Arbeitsplatte und Fensterbank. Der Mehlwurm an der Küchendecke klatscht begeistert Beifall und ich denke freudig: „Perfekt! Ich brauche ja eh nur 300 Gramm.“

Ich nehme einen großen Topf und fülle ihn zwei Fingerbreit mit heißem Wasser. Dann stelle ich ihn auf die Kochplatte und den Herd auf zehn. Das restliche Wasser erhitze ich im Wasserkocher. Geht schneller und ist umweltschonender. „So unschlau bin ich gar nicht“, denke ich, bis ein gewöhnungsbedürftiger Geruch meine Nase kitzelt. Da meine Tochter außer Haus ist, kann es sich nur um eines handeln: Ich habe die falsche Herdplatte angestellt. Schon wieder! Die, auf der noch die schicke folienbeschichtete Glasplatte draufliegt, die nun fröhlich vor sich hinkokelt. Mist! „Mit Induktion wäre das nicht passiert“, denke ich, während ich das Ding fluchend vom Ceranfeld reiße. „Mit Gehirn auch nicht“, flüstert mir eine imaginäre Stimme zu. Ich glaube, sie gehört meinem Mann.

Nach ein paar Minuten kann ich den ersten Erfolg vermelden: Beide Wassereinheiten werfen Blasen. Ich bin ein bisschen stolz! Aber jetzt wird es heikel, denn es geht ums Salzen! Wirklich, ich kann zwei Tassen Salz in mein Nudelwasser kippen, am Ende schmecken sie trotzdem nach nichts. Ich versuche es mit drei Löffeln voll ins sprudelnde Nass und kippe die Nudeln gleich hinterher. Alle! Oh, da war der Topf doch etwas zu klein. Weitere 100 Gramm verabschieden sich in Richtung Fensterbank, vom Wasser ist nichts mehr zu sehen, dafür türmen sich trockene Nudeln bis kurz unter den Topfrand. Da muss ich wohl noch Wasser nachgießen…

Irgendwie schaffe ich es, die Schmetterlinge zum Kochen zu bringen. Vorsorglich lege ich einen Holzlöffel unter den Deckel, damit Luft reinkommt. Vielleicht habe ich ja mal Glück und es läuft nicht über, denke ich. Nun geht es um die restlichen Salatzutaten. Mit wachsender Begeisterung zerteile ich Kirschtomaten. Nach jeder werfe ich einen Blick auf den Kochtopf, ob das Wasser auch ja nicht an der Seite rausblubbert. „Au!“ schimpfe ich und mein Zeigefinger wandert in den Mund. Da habe ich in meinem Kontrollwahn wohl doch zu oft Richtung Herd geschaut. Während ich hektisch im Küchenschrank krame und ein Pflaster hervorziehe, kocht das Nudelwasser über. Ich bin fast erleichtert.

Außer Kirschtomaten braucht der Salat auch noch getrocknete Tomaten in Öl. Wat mut dat mut. Also schön zerteilen, alles trieft  und tropft. Ich sehe aus, als wäre meine Tochter doch im Haus. Aber irgendwann ist es vollbracht und ich verfrachte die ölige Masse in das Nudelsieb, denn da sind schon die Kirschtomaten drin. Das denke ich zumindest. Bei näherem Hinsehen sind es leider die Erdbeeren für den Nachtisch, jetzt mariniert in Knoblauch und Olivenöl. Gleich gehe ich an den PC und google, ob es vielleicht ein Rezept für diese Mischung gibt. Vielleicht hätte ich mir vorher die Hände waschen sollen, aber eine neue Tastatur ist eh überfällig.  Etwas ernüchtert stelle ich fest, dass man ja viel mit Erdbeeren machen kann, Knoblauchmarinade ist aber wohl doch zu experimentell. Schade!

Just in dem Moment fallen mir siedendheiß die Nudeln ein. Bissfest sollten sie sein, laut Rezept, jetzt nach 40 Minuten kann man sie allenfalls noch pürieren. Entkräftet kippe ich alles in den Bioeimer und als die Gäste kommen, verkünde ich fröhlich, dass wir einen ganz tollen, neuen Pizzamann um die Ecke haben – da werde ich jetzt bestellen. Und zum Nachtisch gibt es Kirschtomaten mit Sahne. Was anderes haben sie auch nicht erwartet.

Das Spängchen auf dem Zebrastreifen

Das Spängchen auf dem Zebrastreifen

Kürzlich gab es in meiner Nachbarschaft einen kleinen Aufruhr. Autos, die gerade von der Fähre aufs Festland gefahren waren und nun ihren Weg fortsetzen wollten, wurden an einer Kreuzung aufgehalten von etwas, das wir ein Flummi wutschnaubend auf dem Zebrastreifen herum sprang und unartikulierte Laute ausstieß. Ja, ich gebe zu, manchmal geht es auch mit mir durch. Grundsätzlich bin ich für meine Verhältnisse geradezu unermesslich stoisch, wenn es um die Anliegen, Bedürfnisse, Forderungen und Tobsuchtsanfälle meines Kleinkindes geht. Das sagt sogar meine Mutter – und die kennt mein Temperament besser als die meisten anderen.

Aber alle zwei Tage gibt es so einen Moment, da muss es raus. Und dann unterscheide ich mich wenig von meiner Rumpelstilzchen-Tochter. Die Auslöser sind meist banal, manchmal sogar lustig. Aber wehe, einer lacht! Es ist, wie beim Nudelnkochen. Ich schaffe es, auch nach 25 Jahren Praxis immer noch regelmäßig (sehr zur Freude meines Mannes), den Herd so einzustellen und das kochende Wasser solange zu
vergessen, dass es unter dem Glasdeckel in großen salzigen Blasen hervorblubbert und das Ceranfeld überschwemmt. Aber ich schweife ab…

Der Auslöser für meinen denkwürdigen Auftritt vergangene Woche war ein Spängchen, fliederfarben, auf schwarz-weiß-gestreiftem Asphalt. Das Spängchen meiner Tochter, das eigentlich in ihrem Haar zu stecken hatte. Das Spängchen, das sie aber dennoch seit zehn Minuten in der Hand trug. Der Hand, mit welcher sie mich am lang ausgestreckten Arm auf Besonderheiten hinwies, während wir so an der stark befahrenen
Hauptstraße entlangflanierten. Ihre andere Hand steckte in meiner. „Mama, nicht so ziehen!“ „Kind, die fahren dir gleich den Arm ab, wenn du ihn weiter so auf die Fahrbahn hältst.“

Ich wiederrum navigierte mit meiner freien Hand ein Gefährt, für das wir mittlerweile dorfweit bekannt sind. Die Farbe ist zitrusgrün – würde ich sagen – es hat drei Räder, eine Schubstange mit Täschchen, wenn man will ein Sonnendach und ein integriertes Handy, das sieben bis zehn Melodien abspielt. An der Schubstange hing wiederum eine dieser dünnen grünen Plastiktüten, wie man sie beim Gemüsemann bekommt. Denn wir kamen gerade vom Gemüsemann. In dieser Tüte lagerten zwei Schälchen erntefrischer Erdbeeren aus der Region – sehr reif – und der Apfel, den sich meine Tochter dort immer aussuchen darf.

Zusammengenommen entsprach das Gewicht so sehr dem Vorderbau des Dreirads, dass es gerade noch aufrecht stehen blieb. Am sinnvollsten wäre ja nun gewesen, meine Tochter mit ihren 15 Kilogramm Lebendgewicht auf den Dreiradsitz zu komplementieren – allein: „NEIN! Ich will laufen!!“ Zur mangelnden Energie, mich an dieser Stelle durchzusetzen, gesellte sich eine gewisse Überhitzung meinerseits. Mal wieder eher der Wettervorschau geglaubt, die Regen und 14 Grad vorausgesagt hatte, als dem Blick in dem sonnigen Himmel, war ich mit meiner Softshelljacke etwas überausgestattet. Und wollte nur noch schnell heim.

Transpirierend und Fragen zu einem Plakat beantwortend, das auf eine Dinosaurierausstellung hinwies, versuchte ich also, schwankendes Dreirad, zappeliges Kind und mich selbst sicher an der Hauptstraße entlang zu navigieren. Bis wir zum Zebrastreifen kamen, an dem etwa 13 Autos darauf warteten, dass wir die Straße zügig überqueren würden. Vielleicht hab ich ein bisschen gezerrt – jedenfalls ließ meine Tochter kurz nachdem wir die Straße betreten hatten, das Spängchen fallen. Ich merkte es, war aber unter der Anstrengung die andere Seite zu erreichen, versucht, das Geschehen zu ignorieren.

Nicht mit meiner Tochter. „Mein Späääängchen!!!“, hob sie an. Resigniert schob ich das Dreirad mit einem kurzen Ruck auf den Bürgersteig, tat so, als ob kein einziges wartendes Auto ins Sicht wäre, hetzte mit meiner Tochter zurück auf die andere Seite und ließ sie das Spängchen aufheben. Ein Fehler! Gerade wieder zurück beim Dreirrad, schallte es wie ein akustisches Déjà-Vu an mein Ohr: „Mein Spääääängchen!!!“ Ungläubig drehte ich mich um, und sah das Corpus
Delicti wieder auf der Straße liegen. Diesmal mitten auf dem Zebrastreifen. Ich nahm die Hand ruckartig von der Dreirradlenkstange, um meine Tochter wieder auf den Zebrastreifen zu schleifen, da passierte es: Mit einem fast unhörbaren Geräusch folgte das Dreirrad seinem Übergewicht und ließ sich Lenkstange voran einfach fallen: AUF DIE ERDBEEREN!!! Denn Rest kennt ihr.

Meine Tochter reagierte auf meinen Anfall so souverän, wie man es von einer kleinen Erziehungsberechtigten für zwei gestresste Mittdreißiger nur erwarten
kann. Sie sammelte mich ein, zog mich von der Straße, ließ mich das Dreirad raufrichten und setzte sich kommentarlos auf den Sitz. Fünf Minuten später waren wir zu Hause. Zum Abendessen gab es Erdbeerbrei.

Die doppelte Minderheit

Die doppelte Minderheit

Seid nett zu Minderheiten. Zu Sinti und Roma, zu Piratenpartei-Wählern, zu Männern – als Frauen – mit Bart. So weit, so unterschreibenswert. Aber was ist das eigentlich, eine Minderheit? Irgendwie immer die andern, oder? Aber sind wir nicht alle ein bisschen Minderheit, wenn wir nicht gerade auf der Waage stehen? Da bin ich in letzter Zeit irgendwie immer in der Mehrheit – gegenüber meinem Gewicht von letzter Woche.  Aber ansonsten…

Jeder von uns gehört doch irgendeiner Minderheit an. Bei mir muss man nicht lange suchen: Rote Locken! Genaue Zahlen gibt es nicht, aber etwa zwei Prozent der Echthaarträger in Deutschland sind rothaarig. Man muss kein Mathegenie sein, um festzustellen: Das sind nicht so viele. Eine andere Minderheit, zu der ich mich zähle, sind die Synästhetiker. Das ist keine Sekte, kein künstlerischer Berufszweig und auch keine Krankheit. Manchmal ist es nervig, manchmal ein Geschenk, in meinem Fall weder das eine noch das andere, kommt aber immer gut, wenn einem an der Bar mal der Gesprächsstoff ausgeht.

Bei Synästetikern sind zwei unterschiedliche Sinnesbereiche gekoppelt, die normalerweise nicht gemeinsam auftreten. Das heißt in der Praxis: Für den Synästhetiker kann Fisch nicht nur fischig, sondern auch stachelig schmecken.  Wirft er einen Stein ins Wasser, hört er die ringförmigen Wellen vielleicht summen oder knacken. Beobachtet er, wie sich zwei Menschen die Hand schütteln, fühlt er die Berührung am eigenen Körper. Das geht ja noch, einen Boxkampf sollte der sich aber lieber nicht anschauen. Ein berühmter Synästhetiker ist übrigens Kandinsky, der in seinen Bildern das verarbeitete, was er beim Hören klassischer Musik sah.

Unter den Synästhetikern, von denen es in Deutschland geschätzt 400.000 gibt, gehöre ich wiederum zur langweiligen Mehrheit, die vor allem Buchstaben, Zahlen und Wochentage farbig sieht. A ist gelb, e ist rot, 1 ist blau, 7 ist lila, der Dienstag rosarot, der Freitag weiß. Dabei sehe ich die Farben so, wie wenn man sich zum Beispiel die Farbe des eigenen Autos vorstellt. Also vor dem inneren Auge. Keine bunten Zeitungen und Buchseiten im klassischen Sinne. Auf meinen Alltag wirkt sich das nicht weiter aus. Eigentlich müsste ich mir Telefonnummern besser merken können als andere. Fehlanzeige. Dafür ist meine Kontonummer blau-grün-weiß-grün-rot-gelb-grün-braun-lila. Und meine Geheimzahl… äh, lassen wir das… 😉

Jetzt weiß ich natürlich nicht, wieviele rothaarige Synästhetiker es in Deutschland gibt, aber so viele werden es wohl nicht sein. Mein Mann ist keiner, akzeptiert aber, dass die Farben eines potentiellen Vornamens
fürs Kind mit denen des Nachnamens harmonieren sollten. A propos Vornamen: Mein Mann gehört wohl zur Minderheit der Menschen, die nach ihrem Geburtsort benannt worden sind. Gott sei Dank ist der weder
Castrop-Rauxel noch Uppsala – obwohl, letzterer hätte farblich gut zu seinem Nachnamen gepasst.

Alaaaaaf!!

Alaaaaaf!!

Es ist Karneval und irgendwie sind wir doch alle Kölner. Ich gehe dieses Jahr als Manisch-Depressive. Zumindest kam es mir so vor, bei meinem Wechselbad der Gefühle am Weiberfastnacht-Morgen. Ich bin eigentlich zu alt für Partys. Also, für echte Partys, nicht die, von denen man sich gemeinsam mit anderen Eltern um halb elf verabschiedet, weil Durchmachen seit der Geburt der Kinder nichts Besonderes mehr ist… Aber dieses Jahr wollte ich es nochmal wissen.

Der Donnerstagmorgen begann mit einem echten Tiefpunkt in Sachen Gesichtererkennung. Irgendwie ist in solchen Situationen auch immer mein Mann dabei. Egal! Wir also morgens in die buntbehängte Kita, wo uns ein wallküreartiger Froschkönig begrüßte, was Töchterlein dazu veranlasste, ihr eigenes grünes Cape sofort und unwiderbringlich von sich zu werfen. Dieses „Spiegelbild“ war wohl zu viel für sie, sie hat es bis heute nicht mehr angezogen…

In der Mäusegruppe saß Biene Maja, der Praktikant. Das dachte ich zumindest, als ich ihn höflich ansprach, um nach seinem Namen zu fragen und wie lange er denn bleibe. Immerhin bin ich im Elternbeirat, da muss man ja schon wissen, was so passiert! „Ich bin der Vater von Maja“, sagte er und ich lachte herzlich: Guter Witz! „Nein, ich bin wirklich der Vater von Maja“, formulierte er überdeutlich und wies auf eine kleine Biene zu seinen Füßen, die ich irgendwie im Gewusel übersehen hatte.

„Oh!“ machte ich und hatte wenigstens den Anstand rot anzulaufen. Besagte Maja befindet sich – wie ich sehr wohl weiß – in der Kita-Eingewöhnungsphase und ich hatte mich noch zwei Tage vorher ausführlich mit ihren Vater unterhalten, der mich nun wahrscheinlich für völlig plemplem hält. Im besten Fall nimmt er wohl an, ich hätte morgens um acht schon mal ein bisschen vorgeglüht. Nach diesem Einstieg wollte ich Karneval eigentlich abblasen.

Verzottelt, ungeschminkt und gebeugt, ob dieser Schmach, schleppte ich mich zu Rewe und suchte zwischen den Regalen nach meinem Selbstwert. Und dann traf ich Frau Born! Kassiererin, weißblonde Föhnwelle, wogender Busen, die Rente in Sicht. Und Frau Born rettete meinen Tag an der Kasse mit genau zwei genuschelten Worten: „Perso bitte!“

Ich drehte mich um, auf der Suche nach Jugendlichen mit Alkopops, aber nein: Sie meinte mich!! Mich und meinen Zentiliter Wodka (wie war der denn aufs Band gekommen?). Jubelnd rannte ich um die Kasse herum, riss den Verschlag auf und Frau Born in meine Arme, um mit ihr gemeinsam „Viva Colonia“ zu intonieren. Naja, zumindest hätte ich das gerne: Immerhin hatte sie mich gleich 20 Jahre jünger gemacht! Kölle Alaaf!!

Der Rest des Tages gestaltete sich, wie danach zu erwarten war: Einfach Bombe! Und als hätte meine Erfahrung im Supermarkt nicht gereicht, hänge ich mir noch die folgende Aussage eines unbekannten Mit-Jecken gerahmt übers Bett: „Jut dat de dabei bis, mit dir kama escht Paaady mache!“ Juchhuuu!

Was mein Mann an Weiberfastnacht gemacht hat? Na, er hat sich zu Hause eine Zombie-Apokalypse reingezogen und dieses Kontrastprogramm frecherweise mit den Worten kommentiert: „Wieso Kontrastprogramm???“

Stärken und Schwächen

Stärken und Schwächen

Um nochmal auf das Thema Gesichtererkennung zurückzukommen. Eigentlich ist mir mein Handicap erst so richtig bewusst, seit ich mit meinen Mann zusammen bin. Sein Gesichtergedächtnis fotografisch zu nennen, wäre glatte Untertreibung. Er erinnert sich an das Gesicht des Kellners, der uns vor vier Jahren im Griechenlandurlaub aushilfsweise einen Abend im Hotelrestaurant bedient hat. „Hä, Kellner, da war doch Buffet?!“ „Ja, aber der hat Wasser nachgeschenkt, das musst du doch noch wissen.“ „Ach so ja…“.

Mein Mann erkennt jeden Menschen wieder, mit dem er jemals ein Bitte – Danke gewechselt hat. Egal, ob sie dreißig Kilo zugelegt, 80 Prozent des Haupthaares verloren oder sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben. Und – für mich am  Bewundernswertesten: Er hat mich am Morgen nach der Entbindung unserer Tochter wiedererkannt. Damit hat er mir etwas voraus. Ich habe diese zerrupfte Frau, die da durch den Krankenhausflur schlurfte erst mitleidig gegrüßt, bevor ich gemerkt habe, dass ich mit einem Spiegel spreche.

Nachdem mir bewusst geworden ist, dass ich mein Gesichtergedächtnis umso schlechter wahrnehme, seit ich meinen Mann kenne, bin ich der Sache mal auf den Grund gegangen. Und siehe da, meine Selbstwahrnehmung steht in kausalem Zusammenhang  zu seinen Fähigkeiten und Gewohnheiten. Seit wir zusammen sind, halte ich mich für schokoladensüchtig, für eine miserable Köchin, für unsportlich (ok, ich BIN unsportlich) vor allem aber halte ich mich für ein Orientierungsgenie:

Mein Mann hat Probleme, den Weg aus einer Umkleidekabine zu finden. Und wenn er es geschafft hat, findet er die Kasse nicht. Und wenn er es doch geschafft hat zu bezahlen, biegt er am Ausgang garantiert in die Richtung ab, aus der er gekommen ist. Würde mein Mann auf dem Jakobsweg pilgern, käme er wahrscheinlich in Santiago de Chile an und selbst auf dem Nürburgring käme er wohl nie ins Ziel. Aber das macht alles gar nichts. Dafür hat er ja mich, das ORIENTIERUNGSGENIE (und unser Navi natürlich).