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Ganz der Papa

Ganz der Papa

Ach wie schön, irgendjemand hat mal wieder beschlossen, dass es Zeit ist, schlaflose Eltern zu ärgern und die Uhr eine Stunde vorzustellen. Habe mir kurzzeitig überlegt, dieses Mal einfach nicht mitzumachen. Leider hatte ich die Rechnung ohne meinen Funkwecker, mein Handy, mein iPad – und was sich sonst noch so von Geisterhand umstellt – gemacht. Nach einem Blick aus dem Fenster ins herbstliche Grau denke ich mir: Ach egal, nehmen wir das eben auch noch mit… und wenden uns einem Thema zu, über das sogar Menschen ohne Nachwuchs gerne und ausführlich diskutieren. Die Familienähnlichkeit. Ausgerufen hat das Thema übrigens Mama on the Rocks in ihrer aktuellen Blogparade „Was wir unseren Kindern vererben“.


Auf die Palme

„Die Maus hat eine geringe Frustrationstoleranz“, hieß es letztens im Kita-Elterngespräch. „Aber das lernt sie noch!!“ – „Vielleicht auch nicht“, unkte mein Mann und warf mir breit grinsend so vielsagende Blicke zu, dass die Erzieherin unauffällig einen Vermerk in der Akte machte. Ja, die Palme, auf die ich des Öfteren klettere, ist quasi mein einziges Workoutinstrument und meine Ungeduld die einzige energetische Äußerung, während mein Hintern immer breiter wird. Typisch rothaarig halt, wie es das Klischee so will. Geerbt habe ich diesen Charakterzug allerdings nicht von meiner rothaarigen Mutter, sondern von meinem Vater – nicht nur optisch eher so der Robert de Niro-Typ.

Im übrigen ist auch die Maus so weit vom roten Haar entfernt, wie man das eben sein kann, mit einem arabischen Großvater. „Da kommen schwarze Locken“, sprach die Hebamme schon bei der Entbindung und beendete damit jegliche Spekulation. Nicht, dass ich ihr das rote Haar nicht gerne vererbt hätte. Auch wenn ich jeden einzelnen Spruch zu dem Thema kenne und sich schon meine Oma mit ihrer „roten Krause“ einiges anhören durfte, liebe ich ihn doch, meinen Kupferkopf. Immerhin das einzige, was sich bisher jeglichen Alterserscheinungen entzieht.

Haarvergleich

Was ich Töchterlein dann aber doch mitgegeben habe, sind die schneewittchenweiße Haut und die braungrünen Augen. Vom Papa dagegen kommen die Wimpern (Yeah!!) ellenlang, schwarz und gebogen. Außerdem die Lippen (voll), die Größe (ihre gleichaltige Freundin feiert nach Ostern ihre Ein-Meter-Party, während sie schon an der 1,10 kratzt) und die Zehen. Alles andere wird sich zeigen, schließlich verändern sich die Kleinen ja noch stündlich. Derzeit erkennt Oma 1 ihre eigene Nase wieder, während Oma 2 die langen schlanken Finger der Familie mütterlicherseits zuordnet. Einer ist es derzeit noch völlig wurst, und das ist die Maus selber.

Ganz der Papa

Sie sitzt gerade am Küchentisch und will „keinen Käse“ (Papa), danach will sie basteln (Mama) und Bücher lesen (Mama) und zwar SUBITO!! (MAMA). Außerdem hat sie täglich den Wunsch auf der Sofalehne zu balancieren, in die Luft geworfen zu werden und mit dem Ball eine Blumenvase abzuschießen (alles Papa), bevor sie sich eine Stunde lang ruhig und alleine mit ihrem Kinderbauernhof beschäftigt (auch Papa) und sich dabei selbst Geschichten erzählt (Mama) von Hunden (Mama, Papa) und Katzen (Papa) und Pferden (Onkel), die sie liebt.

Wenn dann nachher Besuch kommt, wird sie eine Stunde lang schüchtern sein und nicht sprechen (Mama und Papa) und danach wild aufdrehen (Tante und Onkel). Sie wird sich ein Prinzessinnenkleid überwerfen und sich Glitzerspängchen ins Haar machen lassen und auf die Frage, was sie sich denn vom Osterhasen wünscht „Barbie“ antworten (meine beste Freundin aus Kindertagen? Ach so nee…). Aber von uns hat sie das jedenfalls nicht. Die Tante hat ihren Barbies früher den Kopf abgedreht und mir ist dazu noch nicht mal das eingefallen. Hmmm – muss doch noch mal meinem Mann auf den Zahn fühlen… A propos, die Zähne hat sie ganz doll hoffentlich auch von ihm!!

Kaffeesatz!

Familienähnlichkeiten

So viel Spaß es auch macht, nach Ähnlichkeiten zu gucken und so praktisch es auch ist, schlechte Eigenschaften mal eben dem anderen Familienzweig zuzuschieben: Laut Google ist das alles nicht viel mehr als Kaffeesatzleserei.

Es gibt nämlich – wie immer – eine Studie aus den USA, die festgestellt hat, dass es echt schwer ist, Menschen anhand ihrer optischen Merkmale den Eltern zuzuordnen. Dafür ist das Gen-Lotto einfach zu unberechenbar und außerdem liegen ja nicht nur Kugeln von PapaMamaOmaOpa drin, sondern auch vom Urururururgroßvater mütterlicherseits, der laut Ahnentafel Freiheitskämpfer in Südtirol war, sowie vom Urururuururirgendwasvater väterlicherseits, der zur Leibwache Mohammeds gehörte. Hmm, grade erscheint mir der ein oder andere Trotzanfall doch in anderem Lichte.

Übrigens, wer will, dass sich das künsterliche Talent von Tante Elfriede weitervererbt, der berufliche Ehrgeiz von Ururopa Karl und das engelgleiche Wesen von Tante Angela, sollte es seinem Kind nur lange genug einreden. Oder man lässt es einfach sein, wie es ist.

Grüßle! Eure Nachbarin

Weihnachten auf dem Märchenschloss oder das Osterhasen-Trauma

Weihnachten auf dem Märchenschloss oder das Osterhasen-Trauma

Kürzlich habe ich mich mit meiner Freundin Marisol über frühe Kindheitserinnerungen unterhalten. So mit fortschreitendem Alter kommen die ja langsam wieder. Eigentlich sollen sie ja erst so ab dem  dritten Lebensjahr langsam einsetzen. Als Mutter finde ich das manchmal traurig: Die Maus wird sich nicht an ihren ersten Tag am Meer erinnern oder an den ersten Schnee. Andererseits aber auch nicht an den Tag, als ich sie mit einem dieser kribbeligen Kopfhaut-Massage-Dinger erschreckte und sie sich die Stirn an der Tischecke aufschlug. (In der Notaufnahme waren sie sehr nett und die Narbe ist schon fast verheilt…)

Im Gespräch mit Marisol kamen wir darauf, dass wir zwar frühe Erinnerungen haben, ABER ja nicht wissen können, ob es echte Erinnerungen sind ODER Erinnerungen an Erzählungen ODER Erinnerungen an Erinnerungen. Könnte ja auch sein! Wenn ich mich an meinem dritten Geburtstag mit meinem Kurzzeitgedächtnis an etwas erinnere, dass ich mit – sagen wir Zweidreiviertel – erlebt habe und mich dann mit Dreieinhalb daran erinnere, an was ich mich an meinem dritten Geburtstag erinnert habe und so weiter und so fort… kommt doch am Ende eine astreine Erinnerung bei raus!

Superacht versus Smartphone

Jetzt hatten wir Ende der siebziger Jahre ja nicht die mediale Gedächtnisstütze, die die Kids von heute haben. In jedem Lebensmoment steht doch irgendeiner daneben, der das Ganze mit dem Smartphone als Video oder wenigstens im Bild festhält. Über uns gab es höchstens noch einen wackeligen Superachtfilm. Und mit „einen“ meine ich „einen“. Immerhin weiß ich dadurch, dass ich als Einjährige im Ungarn-Urlaub fast mal von der Schaukel gefallen wäre…

Unsere Tochter liebt es, sich Videos von sich selbst anzuschauen (heiliger Egozentrismus) und gibt ihrer Erinnerung damit immer wieder einen neuen Anstoß. So weiß sie auch noch, dass sie sich mit eineinhalb das Bein gebrochen hat (Gips bis zur Hüfte). Wenn man sie fragt, welches Bein und wo genau, kann sie es schneller und präziser zeigen, als wir.

Marisol meint übrigens, sie hat nicht ganz so viele Kindheitserinnerungen. Sie ist auch ein paar Jahre jünger als ich – also zwei. Je mehr ich so über meine ersten Lebensjahre nachdenke, desto mehr fällt mir wieder ein. Vielleicht habe ich aber auch nur eine blühende Fantasie (Krebsgeborene und so). Ein frühes Bild habe ich zum Beispiel von einer Amsel, die vor unserem Küchenfenster an einer mit Körnern gefüllten Kokosnuss schaukelt. Ein Foto gibt es davon nicht. Vielleicht ist es also eine Erinnerungen ersten Grades.

Ok, ein Foto gibt es offensichtlich doch. Mist! Aber in meiner Erinnerung war es eine Amsel. Wirklich!!

Das Osterhasen-Trauma

Aus der Kindergartenzeit habe ich dann schon richtig viele. Wie ich zum Beispiel stolz mein neues Wissen über die Nichtexistenz des Osterhasens mit den anderen teilte und die Erzieherin dann vor versammelter Mannschaft sagte: „Quatsch. Natürlich gibt es einen!“ Heute kann ich sie verstehen. (Mein Trauma lässt auch langsam nach.) Oder der Moment, als ich im Urlaub so „dumdidumdidubdidei“ in ein Schwimmbecken hineintaperte, bis ich nur noch Wasser und Luftblasen vor Augen hatte… und als nächstes die Armbanduhr meines Vaters, der mich (dankenswerterweise) wieder rauszog. Da war ich wohl so vier.

Vielleicht bin ich, was diese ganzen Erinnerungen angeht, auch ein bisschen obsessed. Ich entstamme einer Familie von Ahnenforschern und Autobiographie-Schreibern, von Fotosammlern und Nie-etwas-Wegschmeißern. Sowas färbt sicherlich ab. Andererseits gibt es auch ein gutes Gefühl zu wissen, dass man von einem Südtiroler Freiheitskämpfer des 18. Jahrhunderts abstammt. Das erklärt so einiges. Sollte meine Tochter mal ein Ahnenforschungsinteresse entwickeln, wird es schwerer, denn „Multikulti-Kid“ müsste ihre Vorfahren gleich in sieben verschiedenen Ländern aufspüren…

Hmm… die Überschrift „Weihnachten auf dem Märchenschloss“ deutet darauf hin, dass ich eigentlich über was ganz anderes schreiben wollte und irgendwie vom Kurs abgekommen bin (ich glaube Seefahrer gehörten nicht zu meinen Urahnen). Jedenfalls schreibe ich über die wunderschöne vorweihnachtliche Märchenschlosserfahrung, an die sich meine Tochter später BITTEBITTE erinnern soll, einfach beim nächsten Mal.

Einen frohen Advent wünsche ich Euch! Und wenn ihr mögt, teilt doch Eure ersten Kindheitserinnerungen mit mir!!

Hätte ich im Traum nicht gedacht…

Hätte ich im Traum nicht gedacht…

Puh! Habe gestern ein Interview mit einem Traumexperten gelesen. Der sagte, die neueste Erkenntnis ist, dass man die ganze Nacht träumt UND: Je besser man sich an seine Träume erinnert, desto größer der therapeutische Effekt. Therapie kann ich immer gebrauchen! Aber wie erinnert man sich an seine Träume? Ich meine klar, an den einen oder anderen schon, aber an acht Stunden Träumerei (also mit der Maus netto sechs)?

„Man muss sich einfach nur abends beim Einschlafen sagen, dass man sich morgens an alle Träume erinnern will“, sagt der Experte. Klang mal wieder zu einfach, um zu funktionieren und deshalb habe ich es ungläubig – und sehr blauäugig, wie ich heute morgen feststellen musste – gemacht. Der Erfolg war mehr als durchschlagend!

Erstens: Die ganze Familie hat mehr als eine Stunde länger geschlafen. Was das mit meinen Träumen zu tun hat, weiß ich nicht, aber ich wollte es der Vollständigkeit halber mal erwähnen.

Zweitens: Ich hatte vier laaaaange Träume. Eigentlich je zwei Forstetzungsgeschichten, weil Madame Ich-schlafe-niemals-durch mich natürlich geweckt hat.

Drittens: Ich habe groooooße Abenteuer erlebt UND die Welt bereist UND viele Bekannte getroffen.

Viertens: Als ich meinem Mann heute morgen von diesen Träumen erzählen wollte (das gehört nämlich auch zum therapeutischen Gelingen) meinte er entsetzt: Aber doch nicht acht Stunden!!! (Dass es ja eigentlich nur sechs waren, wollte er gar nicht mehr hören.)

Also blogge ich jetzt über meine Träume – in Kurzfassung. Ihr müsst es ja nicht lesen!

Es begann mit einer Flucht – wovor, weiß ich nicht, aber mein Mann und ich hatten die grandiose Idee in einem dieser riesigen, neuen, roten, hochglänzenden usw. Traktoren zu flüchten, die man manchmal in der besserbetuchten Landwirtschaft findet. Und zwar durch die Großstadt! (Wenns mal wieder unauffällig sein muss…)


Irgendwann konnte ich ihn überzeugen, dass es bessere Möglichkeiten gibt, wenn man wirklich unerkannt bleiben will und wir schlugen uns zu Fuß durch einen Dschungel, bis wir schließlich in einem Diner vor einem sehr netten jungen Deputy saßen. Er hat uns nicht erkannt! Weil die Fahndung nach einer Rothaarigen ausgeschrieben war und ich hab ja grade Ombre-Hair, also heller an den Spitzen und schlauerweise einen Hut auf! Ha!

Dann heulte die Maus und ich wachte auf. Grrrrr!!!

Traumteil zwei führte uns in ein österreichisches Bergdorf, wo ich meiner Tante über den Weg lief und ein bisschen quatschte. Mit einem gelben Nähfaden statt mit Kletterseilen bestiegen wir schließlich mit anderen Bergsteigern den Hausberg. Mir war ein bisschen mulmig dabei, so am seidenen Faden zu hängen, aber gut. Oben setzten wir uns in den Schnee, machten am Abend ein Lagerfeuerchen und sahen in die dunkle Ferne. Weit hinten in Frankreich erkannte ich den Ort, an den uns die Flucht noch führen sollte…

Die Maus heulte ein zweites Mal und wir riefen sie zu uns ins Bett. Sie wollte unbedingt VON MAMA MIT FINGERNÄGELN in den Schlaf gekrault werden, deshalb dauerte es ein bisschen.

Dann ging es in den nächsten Traum, der mich zum Pfarrhaus meiner Kindheit brachte, das aber durch eine – ziemlich hässliche – moderne Villa ersetzt worden war. Im Pool davor wusch ich meiner Tochter die Haare und fand sogar einen angeschlossenen Föhn in einer Box, so dass ich meinen wieder einstecken konnte.

Dann drehte sich die Maus – vielleicht war der Föhn zu heiß – und ich wachte wieder auf.

Im letzten Traumteil erkundete ich das Haus und entdeckte, dass es ein riesiges exotisches Hotel war. Mit meinen Eltern saß ich im palmen- und bougainvillebepflanzen Innenhof und frühstückte. Die Ruhe hielt nicht lange, denn ich musste eine Sportmannschaft coachen, die für die Olympischen Spiele trainierte und aus den Erzieherinnen der Kita bestand.

Sehr fordernd die Bande, aber sie holten die Medaille – bei was auch immer – rudern??? Die zu überreichen fiel einem Exfreund zu, der daraus eine Riesenshow machte und das Millionenpublikum (das in Rängen saß, die bis zum Himmel reichten) zu Laola-Wellen animmierte. 

Ich riss die Arme hoch… stieß mich an der Wand und war wach.

Boah wat anstrengend!! Jetzt fühle ich mich irgendwie, als hätte ich gar nicht geschlafen und zwei Tage hinter mir. Da helfen nur Kakao und ein Nutellabrot. Ob ich mir heute Abend nochmal wünsche, dass ich mich an meine Träume erinnere, weiß ich nicht. Eigentlich kann ich das mir und euch nicht antun! („Absolut richtig“, bestätigt mein Mann.)

HINWEIS

Das Interview mit dem Traumexperten Stefan Klein „Träume sind wie eine natürliche Psychotherapie“ (von Sonja Niemann) stand übrigens in der Brigitte Nr. 22, 8. Oktober 2014, die mir meine Mutter überlassen hat.

Pädagogische Fehler, die ich immer vermeiden wollte und warum ich sie trotzdem mache

Pädagogische Fehler, die ich immer vermeiden wollte und warum ich sie trotzdem mache

Der Trend geht zu langen Überschriften 😉

Also, ich bin ja irgendwie vom Fach. Hab in grauer Vorzeit mal Pädagogik studiert UND abgeschlossen. Jahaaa! Aber es hatte wohl seinen Grund, dass ich den Schwerpunkt auf Erwachsenenbildung gelegt habe.

Trotzdem hatte ich eine diffuse Idee davon, wie ich denn mein Kind erziehen wollte, bzw. vor allem wohin: Zu einer selbständigen, toleranten, selbstbewussten, engagierten und natürlich glücklichen chülersprecherin. Als ich kürzlich ein Goldenes Ehepaar fragte, welche Werte sie ihren drei Kindern mitgegeben haben, sagten sie „Benehmen“ (sonst nichts). „Hmm!“, guckte ich etwas betreten.

Andererseits, wenn ich mir meine Tochter so anschaue: Ein bisschen Benehmen würde nicht schaden. Und Respekt! Und Grenzen! Aber der Zuch ist wahrscheinlich abgefahren, die frühkindlichen – das ganze Leben prägenden Jahre – fast vorbei. Das Kind quasi in den Brunnen gefallen. Ich freu mich schon auf die Pubertät.

Aber was ist eigentlich passiert?
Also, erstens erzieht man ja sein Kind nicht allein. Das ist die Krux. Drücken Sie mal ihre rudimentären Vorstellungen von ausgedehnten Waldtagen mit einem ausgeprägten Stubenhocker durch. Oder die Idee, das Kind ohne mobile Endgeräte erziehen. Stieß sich ebenfalls an der Realitätskante. Das ein ITler und eine Online-Redakteurin ein Kind ohne Pad-, Pod- und Phone-Affinität aufziehen ist eben eher unwahrscheinlich.   

IIIIICH hab ja als Kind kaum ferngesehen und meinen ersten CD-Player bekam ich mit 18. Okay, vorher hatte es auch wohl noch keine gegeben. Oder fast! Aber dafür hatten mein Bruder und ich neben unseren eigenen Zimmern ein riesiges Spielzimmer. Mit ’nem Regal aus einer alten Bäckerei vom Boden bis zur Decke voll mit buntem Zeug. Das wünsche ich meiner Tochter auch. Spielsachen satt.
Dieser Wunsch kollidiert wiederum mit unserer Quadratmeterzahl und den Ansichten meines Mannes: „IIIIICH habe meine ganze Kindheit durch nur drei Playmobil-Figuren und zwei Star Wars-Figuren gehabt und das Wars, äh war’s!“ Kein Wunder, dass er mit Ohren und Nase gleichzeitig wackeln und seinen Arm zweimal um die eigene Achse drehen kann. Mit irgendwas muss man sich ja beschäftigen. Jedenfalls muss unsere Tochter nun für jedes Spielgerät, das dazukommt, eins aussondern.
Was noch? Gesunde Ernährung. Sind wir eigentlich beide für, aber unsere Tochter nicht. Obwohl, wenn man es genau betrachtet, ist sie eigentlich Veganerin: „Ich will Nudeln mit Soße, aber ohne Soße!“. Das mit der zuckerfreien Ernährung klappte bis eineinhalb. Das mit der endgerätfreien Erziehung immerhin fast bis zwei. Dann brach sie sich das Bein und (wir) musste(n) vier Wochen Gips bis zur Hüfte (er-)tragen. Da gibt man
dann schon mal auf.
Auch die Idee, sie in einen multilingualen, integrativen Montessori-Wald-Kindergarten mit naturwissenschaftlich-anthroposophischem Bildungsansatz zu schicken,
mussten wir begraben. Hey, wir HABEN einen Kitaplatz, was will man heutzutage mehr. Und dann: Mandarin lernen am Nachmittag, Reitstunden für Kleinkinder, Zirkusschule? Wann das denn noch alles?

Also was haben wir?

Eine Dreijährige, die seit ihrem zweiten Geburtstag von acht bis halb drei in die Kita geht und danach von fünf engen Familienmitgliedern betreut und
aufgezogen wird. Ein Kind, das jeden Tag vor die Tür kommt, Laufrad fährt wie der Teufel und problemlos drei Kilometer marschiert, wenn auch über Asphalt.
Eine Entdeckerin, die einen Marienkäfer von einer Feuerwanze und eine Eichel von einer Haselnuss unterscheiden kann, allerdings auch „Die Sendung mit der
Maus“ von „Jonalu“ und Firefox von Safari. Eine Leseratte, die etwa hundert Bücher besitzt und gefühlt alle auswendig kennt und die gleichzeitig das Tablet so virtuos bedient, dass die Oma runde Augen kriegt.
Ich glaube eher nicht, dass sie mal Schülersprecherin wird. Aber authentisch wird sie sein, tolerant und sozial, großherzig und lustig. Ganz einfach, weil sie es immer
schon war. Und Glück? Das können wir ihr wünschen. Erkennen muss sie es selbst.
Das Käsebrot-Trauma

Das Käsebrot-Trauma

So ein Trauma lässt sich ja wunderbar in der frühen Kinderheit anlegen, um dann mit fortgeschrittenem Alter die Kassen der Psychotherapeuten klingeln und Berufsunfähigkeitsversicherungen abwinken zu lassen. So hatte ich als Kind eine ausgewachsene Männerphobie. Meine Mutter und ich haben uns dazu Gedanken gemacht. „Du bist deinem Vater mal vom Wickeltisch gefallen“ – „Ob ich wohl eine Frauenphobie entwickelt hätte, wenn dir das passiert wäre…“. Oder: „Dein Onkel UND ein Freund von uns hatten einen Bart, gepaart mit einer lauten Stimme“ – „Das hat mich beim Nikolaus aber auch nicht gestört!“ – „Doch!“ – „Echt?!“

Meine Phobie hatte sich dann endlich in der zweiten Klasse ausgewachsen. Als letztes erinnere ich mich noch, wie ich panisch vor einem Mathe-Vertretungslehrer aus dem Klassenzimmer floh. Seinen perplexen Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen. Fluchtgedanken hatte ich im Matheunterricht noch bis zum Abitur, aber das bezog sich mehr auf Algebra und Vektorenrechnung als auf das Geschlecht der Lehrperson. Auch heute noch ploppen hin und wieder ungute Gedanken zum männlichen Geschlecht bei mir auf, etwa in der Auseinandersetzung mit meinem Mann, dem Kfz-Mechaniker oder dem gegnerischen Anwalt.

Und auch das Bartproblem scheint sich noch nicht ganz gelegt zu haben. Zum Beispiel beschleichen mich ungute Gefühle, wenn mir in der Bahn ein Mann mit langem schwarzen Gesichtshaar und Wallegewand gegenüber sitzt. Aber ich bin ja aufgeklärt und tolerant, ich ziehe in solchen Fällen nicht gleich die Notbremse, sondern beschränke mich darauf, beim nächsten Halt unauffällig schnellen Schrittes den Zug zu verlassen – um dann frierend im Niemandsland auf der Bahnsteigkante zu sitzen und wichtige Termine zu verpassen…

Das Trauma meiner Tochter

Auch meine Tochter hat nach einem Jahr Kindergarten nun das erste richtige Trauma eingefahren. Und darauf werde ich künftig alle ihre Verhaltensauffälligkeiten zurückführen. „Was du willst einen MANN heiraten??? Das muss an deinem ersten Kindergartenjahr liegen. Damals in der Mäusegruppe…“ Den Rest werde ich wohl der Tür erzählen, die sie hinter sich zugeworfen hat. Vielleicht sollte ich doch mal zum Therapeuten…

Aber zurück zu ihrem Trauma. Als sie mit zwei Jahren in der Kindergarten kam, wollte ich nicht, dass sie Würstchen isst. Ich dachte, sie könnte sich an der Pelle verschlucken. Verschluckt hat sie sich dann später an einem großen Gummibärchen. An solche Gefahren hatte ich im Voraus gar nicht gedacht. Kita und Süßes schlossen sich in meiner mittlerweile bekannten Naivität irgendwie aus…

Jedenfalls traute ich den Erziehern die Trennung zwischen Würstchen und anderen fleischhaltigen Lebensmitteln nicht zu. Zu Recht, wie ich spätestens heute weiß, denn es kam schlimmer: Ich schrieb also in den
Fragebogen zur Anmeldung „vegetarische Ernährung“. Nachdem ich mir jedoch ausmalte, wie meine Tochter einsam und allein an einem Grünkernbratling kaut, während sich die anderen leckere Buletten reinziehen, änderte ich spontan meine Meinung und teilte der Gruppenleitung mit, dass meine Tochter aber auch wirklich jede Schweinerei mitessen dürfe. Leider kam diese Änderung aber weder am Frühstücktisch noch an der Mittagstafel jemals an.

Über die Monate entwickelte meine Tochter zu Hause eine massive Abneigung gegen Käse und alles, was jemals im Supermarkt neben dem Käse oder aber im Umkreis von drei Metern gelegen hatte. Da mein Mann auch keinen Käse isst, dachten wir: die Gene. Ich wunderte mich nur ein bisschen, weil sie vorher so süchtig nach Babybell gewesen war, dass sie ihn auch gerne mal mit Wachsschale aß, wenn ich nicht schnell genug bei der Hand war.

Die will immer Fleisch!

Im Kindergarten meckerte man im Halbjahres-Rückmeldegespräch. „Ihre Tochter ist eine ganz schlechte Esserin, die will immer Fleisch.“ – „Ja“, lachte ich, „zu Hause auch. Am liebsten mag sie aber Fisch.“ Die
Reaktion auf diesen Satz folgte leider etwas zeitversetzt, nämlich erst beim Abschluss-Gespräch Anfang Juli. „Wie Fisch???“ – „Ja, halt alles: Lachs, Thunfisch, Sardinen, Seelachs…“ – „Aber, sie ist doch
Vegetariarin.“ – „Äh, nein!“ – „Oh, das erklärt jetzt aber einiges…“ Zum Beispiel, dass meine Tochter oft heulend am Kita-Tisch saß, ewig zum Essen brauchte und manchmal sogar lieber frühzeitig ins Bettchen ging,
als einen Bissen zu sich zu nehmen.

Schatz, mal mir doch mal ein Käsebrot!

Schlimmer aber noch, als die Diskriminierung war das, was beim Frühstück passierte. Da saß sie das ganze geschlagene Jahr vor einem – KÄSEBROT. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste jeden Werktag damit beginnen ROSENKOHL zu essen… Das ist Guantanamo in Reinform! Kein Wunder, dass dieses Kind heute sogar den Käse von ihrer geliebten Pizza abkratzt! Und wie muss sie sich gefühlt haben, bei all diesen unerreichbaren Köstlichkeiten um sie herum. Wie ich, in meinen besten Weight Watchers-Zeiten, mit dem Unterschied, dass ich es nötig hatte – und mal wieder hätte…

Das Beste kommt aber wie immer zum Schluss. Als ich dieses Drama der Frau Elternbeirat erzählte, war sie völlig erschüttert. Einerseits aus Mitleid, andererseits: „Oje, ich weiß, dass es nur ein Kind in der Gruppe gab, das vegetarisch ernährt wurde. Dann war das deine Tochter. Es sollte aber eigentlich Ronja sein. Wenn ihre Eltern wüssten, dass sie jetzt das ganze Jahr Fleisch bekommen hat, die würden ausflippen!!“ Oh Mann! Aber ich denke, die Kleine hat’s sicher gefreut.