Sep. 29, 2014 | Nä wat schön - DIY
Oh Mann, morgen feiert meine Kleine Geburtstag. Und ich bin so aufgeregt! Drei Jahre wird das Kind schon alt und ich hab immer noch nicht mit der Rückbildung angefangen. Jetzt kann ich es auch lassen. Und
mich auf wichtigere Dinge konzentrieren: Die Geburtstagstorte! Lecker und saftig muss sie sein. Vor allem aber muss sie hammermäßig aussehen – und zum Motto des Kindergeburtstages passen. Womit wir beim zweiten wichtigen Ding wären: Das Motto!
Also, zu meiner Zeit – in den sehr frühen 80ern – liefen Kindergeburtstage so ab: Irgendeine Einladung mit Marienkäfern, irgendwelche – zugegebenermaßen endleckeren – Kuchen, Topfschlagen und
Blindekuh, Würstchen mit Pommes, Feierabend. ALLE Kindergeburtstage liefen so ab, meine eigenen und die meiner Freunde. Und auch beim zehnten Mal machte es noch Spaß.
Heute kann man als vorausplanende Mutter Worte wie „irgendwie“ und „irgendwas“ getrost aus seinem Vokabular streichen. Es geht um einen Kindergeburtstag, Herrschaftszeiten. Das bedeutet Recherche, Logistik, Corporate Design! In diesem Jahr habe ich mich für das Motto „Frosch“ entschieden! Meine Tochter sollte schon an Karneval als Froschkönig gehen, weigerte sich aber im entscheidenden Moment, das so liebevoll ausgewählte Froschkostüm anzuziehen. Dafür trägt sie es nun schon das ganze Jahr über. Soll sie also auch ihren Froschgeburtstag haben! Das bedeutet im Klartext: Froschdeko, Froschteller, Froschbecher, Froschservietten, Froschhütchen, Froschtrötchen, Froschessen, Froschspiele,
Froschlieder, Froschalles. Ich seh‘ grün, mein Mann rot! Nach längeren – absolut unnötigen – Diskussionen und einem hilflosen Lachanfall seinerseits rausche ich zur Tür. „Das ist kein Spaß, das ist Ernst!“ Ernst von gegenüber, denn der hilft beim Girlandenaufhängen. Mein Mann hat Rücken. War ja klar. Dafür muss er sich um das deftige Essen kümmern (Froschburger mit grüner Soße), denn ich – BACKE.
Weichen Sie zurück, der Maestro betritt den Raum! In Schürze und mit 25 Rezeptausdrucken zum Thema „die optimale Froschgeburtstagstorte“ aus dem Internet unterm Arm. Es lohnt sich nicht, ein Rezeptbuch anzulegen. Im nächsten Jahr ist schon wieder etwas ganz anderes in.Meine Mutter hat früher meine Geburtstagskuchen mit Eiern, Mehl, Zucker, Butter und wahlweise Mandeln oder gemahlenen Haselnüssen gebacken. Die liebe ich heute noch.
Ich arbeite mit Fondant, Lebensmittelfarbe, Fondantroller (als ich den kürzlich kaufte, bekam die Kassiererin einen Lachkrampf – hab ich nicht verstanden), Modelierwerkzeug und einer SEHR ruhigen Hand. Wehe einer stört!Ach so, den Kuchen muss ich ja auch noch backen. Sonst habe ich ja nix zum Dekorieren. Also, meine Mutter angerufen und den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt.
„Was willst du denn für einen Kuchen backen?“ „Egal, saftig und lecker. Und rund muss er sein. Also eigentlich brauche ich zwei, einen kleinen und einen großen!“ Stille. „Aha…“
Unter telefonischer Schritt für Schritt-Anleitung verarbeitete ich: Eier, Mehl, Zucker und Butter. Kurios! Am Ende hatte ich einen Biskuitkuchen mit Mandarinencreme und einen mit Himbeer. Saftig und lecker!
Dann kommt der spannende Teil. ‚Kneten Sie die Fondantmasse gut durch und geben sie ein paar Tropfen grüner Lebensmittelfarbe dazu‘, hieß es auf der Packung. Das Ergebnis sind tiefgrüne Hände und mintfarbenes Fondant. Leider wird es nicht besser. Ich komme noch bis türkis, um mich dann zur unerwartet ehrlichen Begeisterung meines Mannes für rosa zu entscheiden. „Eine andere Farbe“, jubelt er.
Leider kommen meine vierstündigen Bemühungen zu einem abrupten Ende, als ich schließlich versuche, die Fondantmasse über den Biskuitkuchen zu ziehen. „Ahhhhh! Das suppt!! Hilfe!“ Rosa Masse läuft über meine Hände und vermischte sich mit meinen strömenden Tränen. Mein Mann erkennt die Katastrophe und rief seine Mutter an: „Wir brauchen dich hier!“Drei Stunden später sitzen wir völlig erschlagen auf dem Sofa und starren auf das Werk vor uns. Es ist es vollbracht! Meine Schwiegermutter hat das Problem auf den ersten Blick erkannt und die Sache mit einem trockenen „Tja, Fondant und Cremefüllung vertragen sich eben nicht“, in die Hand genommen. Mit einem Ergebnis, dass sich wirklich sehen lassen kann, findet ihr nicht?
Sep. 8, 2014 | Ne Story
Mein Umfeld kennt mich als ruhigen besonnen Menschen mit Engelsgeduld und Nerven aus Stahl. (An dieser Stelle möchte ich bitte keine Kommentare enger Familienangehöriger lesen.) Nur manchmal, man kann diese Situationen im Jahr an einer Hand abzählen, erwacht das Rumpelstilzchen in mir, der Hulk schält sich aus seinem viel zu engen Anzug, die temperamentvollen Gene der Rothaarigen tanzen Samba…
Es kann eine Kleinigkeit sein, nach einer anstrengenden Woche (die Nudeln sind mal wieder übergekocht) oder aber eine größere Kleinigkeit. Wie vor einigen Wochen, als der Fahrer eines klapprigen Ford meine
Tochter und mich fast umgenietet hat, während er mit 50 Sachen durch die verkehrsberuhigte Zone vor unserem Hauseingang jagte.
Möchtegern-Vettel
Okay, vielleicht ist er auch nur 30 gefahren, aber in der engen Gasse kam mir das wie 200 vor. Mindestens. Und hier ist Schrittgeschwindigkeit!!! Nicht auszudenken, wenn meine Tochter ein Stück weiter von mir weggestanden hätte. Und wenn es um meine Tochter geht, hört der Spaß auf. Dann werde ich zur Löwin und dann brülle ich. Zur Not überbrücke ich mit meiner Stimme kinderleicht die 50 Meter, die dieser Möchtegern-Vettel noch zurücklegte, um dann mit quietschenden Reifen auf dem Behindertenparkplatz zu halten.
In meiner Rage hatte ich mir mein Kind geschnappt und rannte, mit dem freien Arm wild gestikulierend auf den Rowdy zu, der sich als Mittfünfziger mit Wohlstandsbauch und offensichtlicher Zeitnot entpuppte. „Wie
kommen Sie dazu, hier so rumzurasen, hier ist verkehrsberuhigte Zone“, schrie ich, bereits schwer atmend, auf den letzten zwanzig Metern. Währenddessen fing meine Tochter an zu jammern „Mama, nicht böse sein!“ Sie hatte den Ernst der Lage intuitiv erkannt. ER NICHT!
Er motzte irgendwas zurück, schüttelte uns ab wie lästige Fliegen, rannte zur Praxistür des ansässigen Arztes – wahrscheinlich auf dem Weg, seine Beruhigungspillen abzuholen (vielleicht hätte er mir eine Packung mitbringen sollen) – und warf sie mir vor der Nase zu. Also, die Tür. Besagter Tür schmetterte ich in meinem Frust ein Schimpfwort der Kategorie ’nicht für Kinderohren bestimmt‘ an den Rahmen und stand dann etwas hilflos, aber nicht weniger wütend auf der Straße rum.
Kleine Frau, was nun?
Sollte ich ihm hinterherrennen? Das wollte ich meiner ohnehin überforderten Kleinen nicht antun. Sollte ich auf ihn warten? Wie lange sollte das wohl sein. Also entschied ich mich, zu gehen, brauchte aber
definitiv ein Ventil, denn mir stieg immer noch der Dampf aus den Nüstern, mein Puls auf 180. Als ich an dem uralt-Ka vorbeiging überkam es mich und ich trat einigermaßen kräftig gegen den Hinterreifen.
Also, ICH WOLLTE EIGENTLICH gegen den Hinterreifen treten. Leider bezieht sich meine legendäre Unsportlichkeit nicht nur auf meine schneckengleiche Performance beim Sprint oder die Gefahr für alle Zuschauer,
die beim Weitwurf HINTER mir stehen… Ein Sportlehrer diagnostizierte beim Speerwerfen mal eine motorische Behinderung und tat seine Meinung auch vor der ganzen Klasse kund! Ganz offensichtlich hatte er Recht und letztere betrifft auch meine Hirn-Fuß-Koordination.
Anders kann ich nicht erklären, dass es plötzlich laut schepperte und die Felge am Boden lag. (Dass es gar nicht die Felge war, sondern die Radkappe, erklärte mir später mein Mann, ich bin in solchen Sachen nicht so firm). Als also Raser-Rowdy kurz darauf aus der Praxis kam (war ja klar), sah er mich und meine Tochter am Boden knien, in dem erfolglosen Versuch, das abgesprungene Ding wieder „dranzunageln“.
„Was brüllen Sie die Frau so an??“
War seine Laune schon vorher nicht auf dem Höhepunkt, sackte sie jetzt in den Keller ab und er blaffte mich an. „Was haben Sie denn da gemacht???!!“ „Ich äh, also ich habe Ihnen die Felge abgetreten!“, stotterte ich etwas betreten. „Ja, haben Sie sie noch alle???“ plusterte er sich auf. „Wat haben Sie an meinem Auto verloren??“ – „Was brüllen Sie die Frau so an??“, kam unerwartet weibliche Schützenhilfe von der rechten Seite, eine Dame aus der Nachbarschaft hatte die Szene beobachtet.
So langsam wurde ich auch wieder wütend und schob mein schlechtes Gewissen zur Seite. „Was haben Sie hier so rumzurasen, wie ein Verrückter?“, fauchte ich gerade, als im ersten Stock das Fenster aufging:
Meine Freundin hatte das Wortgefecht gehört und rief nun von oben: „Lassen Sie ja die Frau in Ruhe!“ Ich sagte zu ihr: „Haste gesehen, wie der hier reingerast ist?“ Sie natürlich: „Ja, klar!!“ Ich hätte sie küssen können, und mich überkam plötzlich tiefe Gelassenheit.
Ich ließ meinen Blick demonstrativ über das auf dem Behindertenparkplatz geparkte Auto wandern und sagte ruhig: „Ok, dann holen wir jetzt die Polizei!“ Kurz huschten meine Gedanken in Richtung vorbestraft wegen
vorsätzlicher Sachbeschädigung, Sozialstunden, Knast, Jugendamt, völliger sozialer Absturz, Trunksucht und Obdachlosigkeit… dann hatte ich mich wieder gefasst und blickte ihm fest in die Augen.
Er sah von mir zu meiner Freundin im ersten Stock. Dann drehte er sich abrupt um, warf seine Felge (also seine Radkappe) in den Kofferraum und ranzte: „Ich hab ja wohl noch anderes zu tun heute! Termine!“
und war weg. Leider ebenso schnell wie er gekommen war. Unbelehrbar so was. Aber irgendwie war ich zu erleichtert, um mich nochmal aufzuregen. Mit einem warmen Dankeschön, winkte ich meiner Lieblingsnachbarin zu, nahm mein Töchterlein an die Hand und ging endlich meiner Wege.
Sep. 1, 2014 | Ne Story, Reine Erziehungssache
Ich habe mal wieder eine wahre Geschichte rausgehauen. Sie ist wirklich fast ganz haargenau so in etwa passiert. Fakt ist: Meine Tochter ist ein völlig immateriell eingestellter Mensch, der die Kaufhof-Kinderabteilung als Spielzeugmuseum betrachtet. Von wem sie das wohl hat…
Das Schnullergeschenk
Es gibt Kinder, die schlafen ab dem dritten Monat durch, essen alles, was man ihnen vorsetzt, geben ihren Schnuller mit eineinhalb freiwillig ab. Und es gibt unsere Tochter. Sie schläft nur durch, wenn man sie
zu Beginn der Tagesthemen ins Bett legt. Sie isst so gut wie nichts von dem, was man ihr vorsetzt und sie war auch mit zwei weit davon entfernt, jemals ihren Schnuller abzugeben.
Anläufe mit lustigen Geschichten und Schnullerfeen hatte es viele gegeben. Unsere Tochter reagierte darauf wie immer, nämlich gar nicht. Also wagte ich eine kleine Umfrage im Freundeskreis. „Unserem Konrad mussten wir den Schnuller nicht abgewöhnen, er hat nie einen gebraucht.“ Ja, ich weiß, dachte ich im Stillen, und er hat auch mit drei Monaten durchgeschlafen…
„Lisa hat ihren Schnuller an Weihnachten in die Krippe gelegt, für das Jesuskind.“ Wow, coole Idee! Weihnachten kam, unsere Tochter entwickelte eine ungeahnte Begeisterung für „Baby Jesus“ und nannte sogar ihre
Lieblingsente nach ihm. Bloß ihren Schnuller, den bekam er nicht. Freunde berichteten indes von Freunden, die eine „Schnuller-Station“ im Kinderzimmer angebracht hatten: Nagel in die Wand, Schnuller mit Schnur dranbinden, Kissen davorlegen. Bei meiner Tochter löste die Installation umgehend einen Wutausbruch aus, den ich ihr nicht ganz verdenken konnte.
Der Weckruf
Und dann kam dieser Vormittag im Café. Neben uns saß ein Herr, rührte in seinem Tee und sagte freundlich. „Sie sollten Ihrer Tochter den Schnuller abgewöhnen, sie hat einen offenen Biss.“ Es stellte sich heraus, dass er Zahnarzt war und wusste, wovon er sprach. Das Gespräch wurde zum Weckruf für unsere Tochter. Todesmutig erklärte sie am Abend: „Ich schmeiß den Schnuller jetzt weg.“
Eine Entscheidung mit Folgen… Die Fachliteratur prophezeit unentschlossenen Eltern maximal zwei bis drei unruhige Nächte, wenn es um die Schnuller-Entwöhnung geht. Aber die kennen ja auch unsere Tochter nicht. Nach drei Wochen (!) zermürbenden Kampfes und Minimalschlafes hatten wir es endlich geschafft. Der Schnuller war Geschichte, eine riesige Belohnung musste her.
Wir also wildentschlossen in die Kaufhof-Kinderabteilung. Ich dachte an XXL-Plüschgiraffen und dreistöckige Puppenhäuser mit kleinen Bettchen, Schränkchen und Mini-Toilette. Selbst mein Mann hatte einen großzügigen Tag und sprach die legendären Worte „Such dir etwas Schönes aus, Schatz!“ Zu mir hat er das noch nie gesagt…
Mit großen Augen stand ich vor einem detailgetreuen Bauernhof und sagte zu meiner Tochter: „Guck mal, Süße, wie schön!“ Sie sah sich alles an, schaute dann begeistert zu mir hoch und meinte: „Toll! Darf ich jetzt
Rolltreppe fahren? Bitte Mami!!“ Na gut, dachte ich. Dann also erst Rolltreppe fahren. Wir haben ja Zeit. Ich schickte Mann und Tochter aufs mobile Stufenelement und schaute mich weiter um.
Im Kinderhimmel
Oh, eine Kindergitarre, wie süß. Und ein echter Laptop! Krass!! Puppen, Puzzles, Wasserspielzeug. Ich war im Kinderhimmel. Und meine Tochter fuhr immer noch Rolltreppe. Ich fing sie oben ab und klatschte in die
Hände. „So Mäuschen, jetzt gibt es Geschenke!“ Wir streiften durch die Gänge, ließen sie auf Schaukelpferden reiten, mit einem Grizzlybären spielen, ein ferngesteuertes Auto lenken, machten ein Foto mit Biene Maja. Und dann sagte sie plötzlich: „Gehen wir jetzt nach Hause?“ „Ja, willst du dir denn nichts aussuchen?“, fragte ich entgeistert. „Nein, danke.“ (Sie sagte wirklich danke).
Irgendwie fühlte ich mich in meiner Mission empfindlich gebremst und konnte gerade noch ein enttäuschtes „Och!“ unterdrücken. Anderseits war ich auch sehr stolz auf meine immateriell eingestellte Tochter.
„Das hat sie von mir“, tat ich meinem Mann kund, bevor ich schnell mit einem lila Pferde-Schlüsselband, vier Blumen-Ausstanzern und einer total stylischen Stofftasche zum Selberbemalen Richtung Kasse lief. Warum sollte ich mir nicht auch mal was gönnen.
Das wollte ich immer
schon haben!Als ich zurückkam, sah ich Mann und Tochter andächtig vor einem kleinen Basketballkorb stehen. „…und dann musst du den Ball da oben reinwerfen“, hörte ich meinen Mann erklären und meine Tochter nickte eifrig. Sie drehte sich zu mir um: „Mama, so einen Basketball-Dingsbums wollte ich immer schon haben“, sagte sie inbrünstig. „Super“, antwortete ich mit einem scheelen Blick zu meinem Mann, der früher übrigens einmal passionierter Basketballspieler gewesen ist. An der Kasse stapelten sich dann neben Basketballkorb und zugehörigem Basketball übrigens auf wundersame Weise noch drei Jonglierbälle,
eine Laserpistole und Star Wars-Shuttle. Seltsame Auswahl für eine Zweijährige… Aber mal ehrlich: wir hatten es uns auch wirklich verdient.
Juli 27, 2014 | Reine Erziehungssache
So ein Trauma lässt sich ja wunderbar in der frühen Kinderheit anlegen, um dann mit fortgeschrittenem Alter die Kassen der Psychotherapeuten klingeln und Berufsunfähigkeitsversicherungen abwinken zu lassen. So hatte ich als Kind eine ausgewachsene Männerphobie. Meine Mutter und ich haben uns dazu Gedanken gemacht. „Du bist deinem Vater mal vom Wickeltisch gefallen“ – „Ob ich wohl eine Frauenphobie entwickelt hätte, wenn dir das passiert wäre…“. Oder: „Dein Onkel UND ein Freund von uns hatten einen Bart, gepaart mit einer lauten Stimme“ – „Das hat mich beim Nikolaus aber auch nicht gestört!“ – „Doch!“ – „Echt?!“
Meine Phobie hatte sich dann endlich in der zweiten Klasse ausgewachsen. Als letztes erinnere ich mich noch, wie ich panisch vor einem Mathe-Vertretungslehrer aus dem Klassenzimmer floh. Seinen perplexen Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen. Fluchtgedanken hatte ich im Matheunterricht noch bis zum Abitur, aber das bezog sich mehr auf Algebra und Vektorenrechnung als auf das Geschlecht der Lehrperson. Auch heute noch ploppen hin und wieder ungute Gedanken zum männlichen Geschlecht bei mir auf, etwa in der Auseinandersetzung mit meinem Mann, dem Kfz-Mechaniker oder dem gegnerischen Anwalt.
Und auch das Bartproblem scheint sich noch nicht ganz gelegt zu haben. Zum Beispiel beschleichen mich ungute Gefühle, wenn mir in der Bahn ein Mann mit langem schwarzen Gesichtshaar und Wallegewand gegenüber sitzt. Aber ich bin ja aufgeklärt und tolerant, ich ziehe in solchen Fällen nicht gleich die Notbremse, sondern beschränke mich darauf, beim nächsten Halt unauffällig schnellen Schrittes den Zug zu verlassen – um dann frierend im Niemandsland auf der Bahnsteigkante zu sitzen und wichtige Termine zu verpassen…
Das Trauma meiner Tochter
Auch meine Tochter hat nach einem Jahr Kindergarten nun das erste richtige Trauma eingefahren. Und darauf werde ich künftig alle ihre Verhaltensauffälligkeiten zurückführen. „Was du willst einen MANN heiraten??? Das muss an deinem ersten Kindergartenjahr liegen. Damals in der Mäusegruppe…“ Den Rest werde ich wohl der Tür erzählen, die sie hinter sich zugeworfen hat. Vielleicht sollte ich doch mal zum Therapeuten…
Aber zurück zu ihrem Trauma. Als sie mit zwei Jahren in der Kindergarten kam, wollte ich nicht, dass sie Würstchen isst. Ich dachte, sie könnte sich an der Pelle verschlucken. Verschluckt hat sie sich dann später an einem großen Gummibärchen. An solche Gefahren hatte ich im Voraus gar nicht gedacht. Kita und Süßes schlossen sich in meiner mittlerweile bekannten Naivität irgendwie aus…
Jedenfalls traute ich den Erziehern die Trennung zwischen Würstchen und anderen fleischhaltigen Lebensmitteln nicht zu. Zu Recht, wie ich spätestens heute weiß, denn es kam schlimmer: Ich schrieb also in den
Fragebogen zur Anmeldung „vegetarische Ernährung“. Nachdem ich mir jedoch ausmalte, wie meine Tochter einsam und allein an einem Grünkernbratling kaut, während sich die anderen leckere Buletten reinziehen, änderte ich spontan meine Meinung und teilte der Gruppenleitung mit, dass meine Tochter aber auch wirklich jede Schweinerei mitessen dürfe. Leider kam diese Änderung aber weder am Frühstücktisch noch an der Mittagstafel jemals an.
Über die Monate entwickelte meine Tochter zu Hause eine massive Abneigung gegen Käse und alles, was jemals im Supermarkt neben dem Käse oder aber im Umkreis von drei Metern gelegen hatte. Da mein Mann auch keinen Käse isst, dachten wir: die Gene. Ich wunderte mich nur ein bisschen, weil sie vorher so süchtig nach Babybell gewesen war, dass sie ihn auch gerne mal mit Wachsschale aß, wenn ich nicht schnell genug bei der Hand war.
Die will immer Fleisch!
Im Kindergarten meckerte man im Halbjahres-Rückmeldegespräch. „Ihre Tochter ist eine ganz schlechte Esserin, die will immer Fleisch.“ – „Ja“, lachte ich, „zu Hause auch. Am liebsten mag sie aber Fisch.“ Die
Reaktion auf diesen Satz folgte leider etwas zeitversetzt, nämlich erst beim Abschluss-Gespräch Anfang Juli. „Wie Fisch???“ – „Ja, halt alles: Lachs, Thunfisch, Sardinen, Seelachs…“ – „Aber, sie ist doch
Vegetariarin.“ – „Äh, nein!“ – „Oh, das erklärt jetzt aber einiges…“ Zum Beispiel, dass meine Tochter oft heulend am Kita-Tisch saß, ewig zum Essen brauchte und manchmal sogar lieber frühzeitig ins Bettchen ging,
als einen Bissen zu sich zu nehmen.
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Schatz, mal mir doch mal ein Käsebrot! |
Schlimmer aber noch, als die Diskriminierung war das, was beim Frühstück passierte. Da saß sie das ganze geschlagene Jahr vor einem – KÄSEBROT. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste jeden Werktag damit beginnen ROSENKOHL zu essen… Das ist Guantanamo in Reinform! Kein Wunder, dass dieses Kind heute sogar den Käse von ihrer geliebten Pizza abkratzt! Und wie muss sie sich gefühlt haben, bei all diesen unerreichbaren Köstlichkeiten um sie herum. Wie ich, in meinen besten Weight Watchers-Zeiten, mit dem Unterschied, dass ich es nötig hatte – und mal wieder hätte…
Das Beste kommt aber wie immer zum Schluss. Als ich dieses Drama der Frau Elternbeirat erzählte, war sie völlig erschüttert. Einerseits aus Mitleid, andererseits: „Oje, ich weiß, dass es nur ein Kind in der Gruppe gab, das vegetarisch ernährt wurde. Dann war das deine Tochter. Es sollte aber eigentlich Ronja sein. Wenn ihre Eltern wüssten, dass sie jetzt das ganze Jahr Fleisch bekommen hat, die würden ausflippen!!“ Oh Mann! Aber ich denke, die Kleine hat’s sicher gefreut.
Juli 22, 2014 | Reine Erziehungssache
Unsere Tochter spricht seit etwa zwei Wochen mit englischem Akzent. Soll heißen aus Ball wird Balllll, aus toll wird tolllll, so wie in „well“. Kann man ein „l“ rollen? Falls ja, dann tut sie genau das. Jetzt gibt es mehrere Theorien:
1) Sie war in einem vorherigen Leben Jane Austen und das kommt jetzt langsam durch.
2) Sie schaut heimlich, nachdem wir ins Bett gegangen sind, Sesamstraße in Originalfassung.
3) Sie hat den Akzent von ihrer Erzieherin. Aber die heißt Carmen Gonzales, also eher unwahrscheinlich.
4) Sie hört nicht gut.
An weitere Theorien will ich im Moment gar nicht denken. Aber da man uns zeitgleich in der Kita ans Herz gelegt hat, ihre Ohren checken zu lassen („Irgendwie muss man ihr in letzter Zeit alles drei Mal sagen, bevor sie reagiert!“ – „In letzter Zeit??? Das ist schon seit der Entbindung so!!!“) haben wir uns entschieden zum HNO zu gehen. Schon wieder.
Mit dem Trend
Heutzutage gehört es ja zum guten Ton, sich im Kindergartenalter mindestens fünfmal die Rachenmandeln (die heißen nämlich gar nicht Polypen) entfernen zu lassen und je ein schickes Röhrchen im Gehörgang zu tragen, damit das Trommelfell nicht platzt. Da wir ja moderne Eltern sind und daher auch jeden Trend mitnehmen, hatten wir das dahingehende Potential unserer Tochter bereits abchecken lassen.
Das Ergebnis: „Herzlichen Glückwunsch!!! Ihr Kind hat riiiiiiiiiiesige Polypen. Das sind wahre Bazillenschleudern. Wir machen eine klitzekleine OP und nehmen sie einfach raus.“ – „Cool! Das freut uns!“ „Außerdem hat sie Unterdruck in den Ohren. Vielleicht haben Sie Glück und sie darf irgendwann auch ein bis zwei Paukenröhrchen tragen.“ – „Oh ja, das wäre echt schick, kann man das irgendwie fördern…?“
Nachdem unsere naturkundlich angehauchte Kinderärztin kürzlich auch noch versicherte „Ihre Kleine hat einen tollen Erguss im Ohr“ und damit prahlte „meine Kinder haben mit zwei schon die Polypen rausgehabt“ war klar: Auf den Zug müssen wir aufspringen!! Da man jedoch auf einer Schiene bekanntlich nicht gut fährt, wollten wir nun noch eine zweite Experten-Meinung einholen und folgten einer Empfehlung unserer Nachbarin.
Wie!? Sachlich??
Wir also in die HNO-Praxis, da sagt der doch zu uns: „Wir gehen das Thema jetzt mal ganz sachlich an.“ – „Wat denn, sachlich?!“ fragten wir etwas perplex. „Ich schau mir jetzt mal Ihre Tochter an und es ist wichtig, dass Sie dabei ganz neutral bleiben.“ – „Hallo guter Mann, ich bin Mutter, das ist das Gegenteil von neutral. Und ich will das Beste für mein Kind.“ – „Eben“, meinte er und löste vorsichtig meine Hand, die sich etwas nervös um den Oberarm meiner Tochter gekrallt hatte.
Etwas eingeschüchtert folgten wir der Untersuchung. Selbst unsere Tochter verzichtete dieses Mal darauf, Zeter und Mordio zu schreien. Und dann kam die Diagnose – ich hatte schon so was befürchtet: „Ihre Tochter braucht keine Operation, die braucht ein Taschentuch!“ – „Hä?“, fragte ich, wohl etwas zu emotional, denn er trat mich gegen das Schienbein. „Wir wollten doch sachlich bleiben…“ – „Äh ja, ‚tschuldigung.“
„Also Ihre Tochter hat Schnupfen und ansonsten nur ganz leicht vergrößerte Rachenmandeln, die man definitiv nicht operieren muss“, sagte er. „Oh!“, hauchte ich und warf meinem Mann einen kurzen Blick zu. Er hatte es ja immer schon gesagt… „So geht es übrigens 90 Prozent der Kinder, die man operiert. Aber so ein Belegarzt will ja auch irgendwie seinen Sommerurlaub finanzieren.“ Stimmt, diese armen Belegärzte haben es ja auch nicht leicht.
„Und was ist mit Pauken….“ – „Die Ohren ihrer Tochter sind völlig in Ordnung“, unterbrach er mich. „Die einzige Krankheit, die sie hat heißt ‚Kindergarten‘.“
Mit hängenden Schultern verließ ich die Praxis. Auf dem Weg zur Apotheke, um homöopathische Nasentropfen zu holen, blickte ich auf unsere fröhlich umherhüpfende Tochter und dann in das Grinsegesicht meines Mannes und seufzte laut: „Na gut, dann kriegt sie eben Ohrringe.“
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