Juni 9, 2014 | Reine Beziehungssache, Uncategorized
„So ein schöner Wunschzettel“, mailte mir meine Mutter kürzlich anerkennend. Worte, die ich zuletzt 1985 in der Grundschule vernahm, als ich krakelig, aber hingebungsvoll und mit viel Glitter an das Christkind schrieb. Meine Mutter würdigte in ihrer Mail weniger die Optik meines aktuellen Wunschzettels – eine diesbezüglich kaum beeindruckende Amazon-Wunschliste – als den Inhalt. Standen ’85 Puppe, Blockflöte und Bollerwagen auf dem Zettel, sind es jetzt eine Patchworkdecke, Bastelfilz in zehn Farben und ein Vintage-Außenthermometer.
Noch schöner als beschenkt zu werden, ist das Schenken. Allerdings hat mein Enthusiasmus in Zeiten besagter Amazon-Wunschlisten merklich abgenommen. Nicht nur, dass man sich keine (liebevollen) Gedanken mehr machen muss/darf. Das was da manchmal – vor allem bei den Herren – draufsteht, wirkt nicht wirklich inspiriert.
Für Y-Chromosom-Träger kommt die Frage nach Geburtstagswünschen Jahr für Jahr völlig überraschend und unvorhergesehen. Bekam man in Analog-Zeiten höchstens mal ein genuscheltes „ich brauch nix“ zu hören, gibt es ja heute Amazon. Zwei, drei Klicks und schon hat man sich irgendwelche Geschenkideen aus dem Hirn gesaugt, die wirken, als habe sie der Betreffende beim letzten Samstagseinkauf einfach vergessen.
Bei meinem Bruder – herzlichen Glückwunsch nachträglich – hatte ich kürzlich auf dem bereits abgegrasten Wunschzettel noch die Wahl zwischen einem „Soft Grip Baby Boa Strap Wrench“, einem „Brennenstuhl 1508100 Adapterstecker Euro 2 mit Schutzkontakt 1 mit Schalter“ und einem „Original 05500 maxxcuisine Überkochstopp rot/schwarz“. Ich entschied mich schließlich für das Produkt mit den meisten Buchstaben. Nein, nicht die Bibel, sondern einen Eierschalensollbruchstellenverursacher. Ich hoffe, ich kann ihm damit einen Lebenstraum erfüllen und gehe in irgendwelche Annalen ein…
Nicht, dass es nicht noch schlimmer geht. Mein Mann hat sich zu Weihnachten DVD-Hüllen gewünscht. Ich habe ihm dann 50 Stück bestellt, damit es sich wenigstens lohnt. Liebevoll verpackt und mit silbernen Schleifchen dekoriert lagen sie dann unterm Weihnachtsbaum. Seinen Freudenschrei werde ich nie vergessen. Er meint ja, es sei eher Entsetzen gewesen, weil er nur fünf gebraucht hätte. Egal.
Jedenfalls lagen in seinem Geschenkeberg unter anderem noch ein „40x 20cm Male – Female jumper Kabel Steckbrücken Arduino“, ein „EDIMAX EW-7811UN
Wireless USB Adapter, 150 Mbit/s, IEEE802.11b/g/n“ und ein „D-Link DUB-H7 HUB USB 7P 7xUSB-A/B 1xUSB-B/B + Kabel + Stromversorgung“ . Da geht einem doch das Herz auf! Das Leuchten in seinen Augen werde ich nie vergessen. Zum Geburtstag einen Monat später gab es dann, romantisch wie ich bin, den „Raspberry Pi RBCA000 Mainboard (ARM 1176JZF-S, 512MB RAM, HDMI, 2x USB 2.0, 3,5 Watt)“. Klingt so schön nach Himbeeren, ist aber eine Mini-Platine. Damit war mein Budget erschöpft – und ich auch.
In meiner Jugend war das irgendwie einfacher. Da verschenkte ich wahlweise CDs (braucht heute keiner mehr, kann man ja runterladen), Bücher (braucht auch keiner mehr, kann man ja auch runterladen) und Cool Water. Ob das noch einer braucht, weiß ich nicht, aber der Typ in der Werbung hatte was, was gerne auf den jeweiligen Lebensabschnittsgefährten abfärben durfte. Da mein Mann aber mit James Ford locker mithalten kann, reicht hier mittlerweile Deo aus. Und das zum Geburtstag, naja…
Aber wenigstens gibt es ja noch die lieben Kleinen, die sich auch heute noch Puppen, Blockflöten und Bollerwagen wünschen. Dachte ich. Als ich meine Tochter im Frühjahr beim Blick in den Spielzeugkatalog fragte, was sie sich zu Ostern wünsche, tippte sie begeistert auf einen Artikel und ich las mit Grauen
“Simba 106330277H – Art and Fun Magic Drawing Board, blau”. Vielleicht sollte ich mich wieder an meinen nachhaltigen Upcycling-Vorsatz erinnern, nur eigene Sachen weiterzuverschenken.
Juni 2, 2014 | Ne Story
Kürzlich gab es in meiner Nachbarschaft einen kleinen Aufruhr. Autos, die gerade von der Fähre aufs Festland gefahren waren und nun ihren Weg fortsetzen wollten, wurden an einer Kreuzung aufgehalten von etwas, das wir ein Flummi wutschnaubend auf dem Zebrastreifen herum sprang und unartikulierte Laute ausstieß. Ja, ich gebe zu, manchmal geht es auch mit mir durch. Grundsätzlich bin ich für meine Verhältnisse geradezu unermesslich stoisch, wenn es um die Anliegen, Bedürfnisse, Forderungen und Tobsuchtsanfälle meines Kleinkindes geht. Das sagt sogar meine Mutter – und die kennt mein Temperament besser als die meisten anderen.
Aber alle zwei Tage gibt es so einen Moment, da muss es raus. Und dann unterscheide ich mich wenig von meiner Rumpelstilzchen-Tochter. Die Auslöser sind meist banal, manchmal sogar lustig. Aber wehe, einer lacht! Es ist, wie beim Nudelnkochen. Ich schaffe es, auch nach 25 Jahren Praxis immer noch regelmäßig (sehr zur Freude meines Mannes), den Herd so einzustellen und das kochende Wasser solange zu
vergessen, dass es unter dem Glasdeckel in großen salzigen Blasen hervorblubbert und das Ceranfeld überschwemmt. Aber ich schweife ab…
Der Auslöser für meinen denkwürdigen Auftritt vergangene Woche war ein Spängchen, fliederfarben, auf schwarz-weiß-gestreiftem Asphalt. Das Spängchen meiner Tochter, das eigentlich in ihrem Haar zu stecken hatte. Das Spängchen, das sie aber dennoch seit zehn Minuten in der Hand trug. Der Hand, mit welcher sie mich am lang ausgestreckten Arm auf Besonderheiten hinwies, während wir so an der stark befahrenen
Hauptstraße entlangflanierten. Ihre andere Hand steckte in meiner. „Mama, nicht so ziehen!“ „Kind, die fahren dir gleich den Arm ab, wenn du ihn weiter so auf die Fahrbahn hältst.“
Ich wiederrum navigierte mit meiner freien Hand ein Gefährt, für das wir mittlerweile dorfweit bekannt sind. Die Farbe ist zitrusgrün – würde ich sagen – es hat drei Räder, eine Schubstange mit Täschchen, wenn man will ein Sonnendach und ein integriertes Handy, das sieben bis zehn Melodien abspielt. An der Schubstange hing wiederum eine dieser dünnen grünen Plastiktüten, wie man sie beim Gemüsemann bekommt. Denn wir kamen gerade vom Gemüsemann. In dieser Tüte lagerten zwei Schälchen erntefrischer Erdbeeren aus der Region – sehr reif – und der Apfel, den sich meine Tochter dort immer aussuchen darf.
Zusammengenommen entsprach das Gewicht so sehr dem Vorderbau des Dreirads, dass es gerade noch aufrecht stehen blieb. Am sinnvollsten wäre ja nun gewesen, meine Tochter mit ihren 15 Kilogramm Lebendgewicht auf den Dreiradsitz zu komplementieren – allein: „NEIN! Ich will laufen!!“ Zur mangelnden Energie, mich an dieser Stelle durchzusetzen, gesellte sich eine gewisse Überhitzung meinerseits. Mal wieder eher der Wettervorschau geglaubt, die Regen und 14 Grad vorausgesagt hatte, als dem Blick in dem sonnigen Himmel, war ich mit meiner Softshelljacke etwas überausgestattet. Und wollte nur noch schnell heim.
Transpirierend und Fragen zu einem Plakat beantwortend, das auf eine Dinosaurierausstellung hinwies, versuchte ich also, schwankendes Dreirad, zappeliges Kind und mich selbst sicher an der Hauptstraße entlang zu navigieren. Bis wir zum Zebrastreifen kamen, an dem etwa 13 Autos darauf warteten, dass wir die Straße zügig überqueren würden. Vielleicht hab ich ein bisschen gezerrt – jedenfalls ließ meine Tochter kurz nachdem wir die Straße betreten hatten, das Spängchen fallen. Ich merkte es, war aber unter der Anstrengung die andere Seite zu erreichen, versucht, das Geschehen zu ignorieren.
Nicht mit meiner Tochter. „Mein Späääängchen!!!“, hob sie an. Resigniert schob ich das Dreirad mit einem kurzen Ruck auf den Bürgersteig, tat so, als ob kein einziges wartendes Auto ins Sicht wäre, hetzte mit meiner Tochter zurück auf die andere Seite und ließ sie das Spängchen aufheben. Ein Fehler! Gerade wieder zurück beim Dreirrad, schallte es wie ein akustisches Déjà-Vu an mein Ohr: „Mein Spääääängchen!!!“ Ungläubig drehte ich mich um, und sah das Corpus
Delicti wieder auf der Straße liegen. Diesmal mitten auf dem Zebrastreifen. Ich nahm die Hand ruckartig von der Dreirradlenkstange, um meine Tochter wieder auf den Zebrastreifen zu schleifen, da passierte es: Mit einem fast unhörbaren Geräusch folgte das Dreirrad seinem Übergewicht und ließ sich Lenkstange voran einfach fallen: AUF DIE ERDBEEREN!!! Denn Rest kennt ihr.
Meine Tochter reagierte auf meinen Anfall so souverän, wie man es von einer kleinen Erziehungsberechtigten für zwei gestresste Mittdreißiger nur erwarten
kann. Sie sammelte mich ein, zog mich von der Straße, ließ mich das Dreirad raufrichten und setzte sich kommentarlos auf den Sitz. Fünf Minuten später waren wir zu Hause. Zum Abendessen gab es Erdbeerbrei.
Mai 26, 2014 | Alltagschaos, Mein Senf
„Wenn Sie merken, Sie reiten ein totes Pferd – steigen Sie ab.“ So sprach einst unser Kinderarzt in Bezug auf Hausmittel gegen Säuglingswehwehchen. Dass wir diesen Satz bald auf ihn beziehen könnten, hätten wir damals nicht gedacht…
Ach, was hatten wir doch für eine schöne Kindheit in den 80ern. Erstmal alles mitgenommen, was es so an Masern, Mumps und Windpocken gab, und dann kam der nette Doktor mit seiner schwarzen Arzttasche, Stethoskop und Tröste-Gummibärchen. Wohlgemerkt ans Kinderbett – auch aus der Innenstadt in den Vorort. Und heute? Da kann man froh sein, wenn es heißt: „Dann laden Sie mal
ihre fiebernden und reiernden Zwillinge ins Auto und kommen her. Aber bringen Sie viiiiiel Zeit mit!“
Immer öfter steht aber noch nicht mal dieses Angebot. Stattdessen schallt es entgeistert durchs Telefon: „Krank? Ihre Tochter? Und dann rufen Sie HIER an????“ – „Äh ja, Sie sind doch unsere Kinderarztpraxis?!“ – „Das mag sein, aber kommen Sie in Ihrem Interesse bloß NICHT rein!! Sie glauben ja nicht,was hier los ist.“ Und das ist noch die freundliche Variante. „Brrrsss, zzzz, kkrrrzzz – tut mir Leid, ich kann Sie nicht hören … die Leitung ist gestört … rufen sie nächstes Jahr nochmal an“, lautet die kreativ ausweichende. Und ein geraunztes „Sie machen wohl Witze!“, gefolgt von einem langen „Tuuuuuuuut!“ die ehrliche.
Ein kleines Mädchen aus unserer Kita landete auf diese Weise im Krankenhaus. Die Zweijährige hatte sich einen Magen-Darm-Virus eingefangen. Einen Termin bekam ihre Mutter natürlich nicht, dafür ein Päckchen Brechmittel. Die Information, dass sie das Präparat maximal zweimal geben durfte, fiel im hektischen Praxis-Vorzimmer irgendwie unter die Theke. Also, gab sie es alle acht Stunden und der Kleinen ging es schlecht!
Ich weiß nicht, ob sie sich die richtige Dosierung aus dem Internet gefischt hat – Doktor Google ist 24 Stunden für Sie da – jedenfalls dämmerte ihr: Da läuft was falsch. Die Zeit, die es brauchte, den Kinderarzt an die Strippe zu kriegen – nämlich zwei Stunden – füllte sie klugerweise mit einem Anruf beim Giftnotruf. So kam ihr völlig ausgetrocknetes Kind noch rechtzeitig in die Klinik, wo es drei Tage am Tropf hing und sich erholte. Zu dieser gefährlichen Misere fiel besagtem Kinderarzt folgendes ein: „Ich hab hier 100 Kinder am Tag, Sie können sich gerne eine Alternative suchen.“ Ach so.
Dass der gute Onkel Doktor am Kinderbett ins Reich der 80er-Jahre-Bilderbücher gehört, haben wir verstanden. Und auch, dass man sich als erstes im Internet schlau macht (3,3 Mio Suchergebnisse zum Thema „komische rote Flecken“). Ebenso richtet man sich als Kassenpatient automatisch aufs Warten ein: „Schatz, wie wollen wir unseren Sommerurlaub legen?“, fragte mein Mann an Weihnachten. Ich: „Wieso?“ Er: „Ich brauche einen Augenarzttermin.“
Soweit, so naja. Aber: Müssen wir wirklich damit leben, dass Ärzte vor lauter Stress und Budgetproblemen ihre Berufung verlieren und ihren Hippokratischen Eid vergessen? Zur Erinnerung, da heißt es unter anderem: „Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.“ Hmmm… Klar, es liegt nicht nur am Arzt, viele arbeiten sich kaputt. Es ist auch das kranke System, das für jeden Patienten rund 35 Euro Budget im Quartal vorsieht…
„Wir haben immer noch eines der besten Gesundheitssysteme der Welt“, sagen indes selbst Kritiker. Klar, unter den Blinden… Der Alltag sieht nicht so aus. Und eine Spontanheilung ist in dieser Sache nicht in Sicht. Mein Mann hatte zu Silvester nach vielen Enttäuschungen im letzten Jahr einen guten Vorsatz: „Ich werde einfach nicht mehr krank.“ Nachdem es jetzt Mai ist und er in den letzten Monaten selten wirklich gesund war, hat er es trotzdem nochmal bekräftigt: „Prävention ist alles!“ Ich halte das für eine gute Idee und schaue gerade etwas reuig auf die leere Tüte der Gummibärchen, die ich zum Frühstück hatte, während ich mir am PC den Hintern breit sitze…
Vorbeugen ist wichtig. Trotzdem kann es doch nicht sein, dass man von Ärzten keine Hilfe mehr erwartet. Gott sei Dank gibt es sie aber vereinzelt noch: Menschliche Mediziner, Kinderärzte, die Kinder MÖGEN. Unser Arzt gehört nicht dazu. Immer kürzer angebunden schleust er seine kleinen Patienten fließbandmäßig durch. Interesse und Feinfühligkeit sehen anders aus.
„Ich kann mir heute das Ekzem Ihrer Tochter am Handgelenk anschauen, aber für das am Bein machen Sie mal einen neuen Termin“, sagte er irgendwann ungeduldig, nachdem wir zwei Wochen auf den Termin und eineinhalb Stunden im Wartezimmer gewartet haben. Seither steigen wir vom lahmen Gaul auf 70 PS um und fahren so oft es geht über zwei Autobahnen zu einer Ärztin im Norden der Nachbarstadt. Sie ist aufmerksam, hat eine lustige Brille und brüllt uns die Diagnose nicht über das angstvolle Weinen unserer Tochter hinweg zu. Mehr ist derzeit nicht zu wollen.
Mai 6, 2014 | Reine Erziehungssache
Saß ich jüngst in einem der klapprigen Nahverkehrsmittel, die im südlichen NRW Städte und Städtchen verbinden. Es war 18 Uhr, die Bahn voll und es roch nach einem langen Arbeitstag. Ein paar Reihen weiter hing eine Frau in ihrem Sitz: die Augen geschlossen, den Mund geöffnet. Ihr Kopf schwankte willenlos mal Richtung Fenster, mal Richtung Sitznachbar.
Erst machte ich mir Sorgen… Doch dann öffnete sie kurz die Augen und darin las ich. „Ich bin berufstätige Mutter von drei Kindern! Ja, und ich schlafe hier! Weil ich sonst nicht dazu komme! Und es ist mir sowas von egal, ob ich dabei dämlich aussehe. Wehe, es weckt mich jemand auf! Mit etwas Glück verpasse ich meine Haltestelle und fahre einfach immer weiter im Kreis…“
Kinder und Schlaf sind inkompatibel…
Dafür müssen die Kleinen noch nicht mal auf der Welt sein. In der Schwangerschaft fängt es an: Wadenkrämpfe lassen einen im vierten Monat rumpelstilzchenartig aus dem Bett hüpfen. Dann folgt die Blase, die zwar irgendwann leer ist, sich aber nie so anfühlt. Der Bauchschläfer hat ja schon früh verloren, der Rückenschläfer – also ich – spätestens, wenn er bei dem Versuch, in der geliebten Position einzuschlafen, in Ohnmacht fällt. Nach der Entbindung folgt „24/7/2-3“ (auch bekannt als zwei bis drei Stunden Taktung).
Jetzt kommt das alles nicht wirklich überraschend, hat man sich doch im Normalfall neun Monate lang ins Thema eingearbeitet. Dass so ein Erdenneuling nicht von Anfang an elf Stunden durchschläft, erwartet auch niemand. Dass das Thema „Schlafmangel“ aber auch drei Jahre später noch akut sein könnte, hat uns keiner gesagt!! Meine Familie hat sich in ein wanderndes Feldlager verwandelt, immer auf der Suche nach ungestörten Nächten.
Kürzlich ist mir aufgefallen, dass ich mich abends nur noch selten umziehe, sondern ermattet in Straßenklamotten irgendwo niedersinke. Ich dachte noch: „Das war doch früher nicht so…“, da fiel mein Blick auf ein vertrautes abendliches Bild: Mein Mann mit Bettdecke, Wolldecke, Kissen, Oropax und Kindle im Arm wankte verwirrt durch die Wohnung auf der Suche nach einem guten Schlafplatz für die Nacht. „Klar, dachte ich: Früher lag mein Schlafzeug immer am Fußende meines Bettes unter meiner Decke. A propos, wo ist überhaupt meine Decke? Wo habe ich letzte Nacht geschlafen?“ Kopfkratz!
Der beste Schlafplatz der Wohnung befindet sich egal wo, Hauptsache weit weg von unserer Tochter. Neben ihr zur Ruhe zu kommen ist, als würde man versuchen, im FC-Fanblock ein Nickerchen zu machen, wenn die Mannschaft gerade verliert… Da unsere Tochter allerdings nach wie vor Probleme mit „weit weg“ im Zusammenhang mit „schlafen“ hat, gibt es Nacht für Nacht eine Abstimmung darüber, wer bei ihr, soll heißen, in einer ruhelosen ringkampfartigen Umarmung mit dem Kinde schläft.
Ehebett???
Schon lange ist aus unserem Ehebett ein Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind-Bett geworden. Dort schläft der, der nicht arbeiten muss, nicht krank ist, eine Wette verloren oder wie in meinem Fall, unerlaubt Schokolade gegessen hat. (Es gibt da so einen Vertrag zwischen mir und meinem Mann, aber dazu ein andermal.)
Auf diese Weise haben sich schon die folgenden Schlafkonstellationen ergeben: Alle im Gästezimmer (zu Beginn) | alle im Schlafzimmer mit Beistellbett | alle im Schlafzimmer mit zugestelltem Kinderbett | alle im Elternbett inkl. Zombieeffekt am Morgen. Dann: einer im Gästezimmer, zwei im Schlafzimmer | einer auf der Wohnzimmercouch, zwei im Schlafzimmer | Tochter im Gitterbett im Kinderzimmer, zwei glückliche Eltern im Ehebett (da war sie etwa 20 Monate alt – netter Versuch!).
Dann eine Phase, die ich lieber vergessen will: Einer im Schlafzimmer, zwei im Kinderzimmer – Tochter im Gitterbett, einer auf der Matratze davor. Daraus wurde in meinem Fall leeres Gitterbett, Mutter- und Tochter auf 90er Matratze auf dem Boden… Heute schlafe entweder ich mit meiner Tochter im früheren Ehebett und mein Mann im eigens aufgestellten großen Bett im Kinderzimmer oder umgekehrt. Wer niemals im Kinderzimmer schläft, ist unsere Tochter…
Nicht selten finden auch mitten in der Nacht schlaftrunkene Wechsel statt. Wenn zum Beispiel Tochter mit Mutter zusammenliegt, erstere aber unausgesetzt nach Vater schreit. Dann lässt man sich nach zwei Stunden schon mal überreden. Beim Wechsel der Zimmer im Dunkeln mit Bettzeug und allem anderen Firlefanz (s.o.) gilt übrigens die Regel rechts vor links.
Apr. 26, 2014 | Reine Erziehungssache
Die Trotzphase ist etwas, das jeder kennt. Dafür muss man nicht Eltern sein. Feldstudien in Supermärkten, auf Spielplätzen oder in Fastfood-Restaurants sind anschaulich genug. Was es aber bedeutet, so einem Wutzwerg (wie man diese menschgewordene Götterdämmerung verniedlichend nennt) Tag für Nacht ausgeliefert zu sein, muss man am eigenen Leib erfahren. Es ist ein bisschen, als würde man mit baumelnden Beinen am Kraterrand eines Vulkans sitzen und in die friedlich blubbernde Lava starren – in dem naiv-fälschlichen Glauben, dass etwas, das so hübsch aussieht, doch unmöglich so schnell in die Luft gehen kann.
Es kann! Die Ursachen sind ebenso vielfältig, wie marginal. Man sitzt zum Beispiel an einem wunderschönen Frühlingstag auf einer Wiese in den Rheinauen und das Kind verliert plötzlich seinen Grashalm. Nun ist es ja nicht, so, dass man auf 110 Hektar Rasenfläche nicht einen zweiten finden könnte. Im Gegenteil hat man sogar die nicht unerhebliche Auswahl unter 27 Mrd Halmen (es ist ein sehr dichter Rasen). Aber finde mal den einen, den persönlichen, den besonderen Grashalm deines Kindes dort wieder BEVOR es merkt, dass es aussichtslos ist.
Denn wenn es das merkt, presst die Druckwelle seines Geschreis alles Grün auf die Erde, lassen die Bäume freiwillig ihre Blätter fallen und entwickelt der Tretbötchen-Teich eine Tsunamiwelle, von der die Angestellten im 40. Stock des Posttowers auch noch was haben. „ICH! WILL! MEINEN! HAAAAAALM!!!!!!!“ „Wie heißt das Zauberwort?“ „JEEEEEEETZT!!!!!“ Nein, dieser Dialog ist natürlich Quatsch. Als könnte man mit einer Zweijährigen in diesem Stadium überhaupt noch eine Art von Konversation betreiben. Völlig aussichtlos!

Als Eltern hat man in solchen Situationen mehrere Möglichkeiten. Befindet man sich gerade in den eigenen vier Wänden, werden erst einmal die Fenster geschlossen. Dann entfernt man sich von der Gefahrenquelle. Immerhin: Ab 85 Dezibel kann das Innenohr schon Schaden nehmen. Hier sprechen wir aber eher von 130. Also Düsenjäger aus 30 Meter Entfernung, inklusive Schallmauerdurchbruch. Nicht immer kann man sich von der Gefahrenquelle entfernen. Etwa, wenn die Gefahrenquelle sich nicht entfernen lässt – vom Bein an das sie sich klammert. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass sich handelsübliche Schallschützer für die Ohren in diesen Momenten immer außer Reichweite befinden.
Hat man es doch geschafft, das Zimmer zu verlassen, die Tür hinter sich geschlossen und sich schwer atmend dagegen gelehnt, kann man unterschiedliche Anrufe tätigen. @Ehemann: „Komm sofort nach Hause. DEINE Tochter flippt mal wieder aus!“ @Oma: „Hättest du Zeit zum Babysitten? Wann?! JETZT!!!“ @Nachbarin: „Du hast doch letztens von diesen Rescue-Tropfen erzählt. Kannst du die rüberbringen?“ Wenn keiner da ist bzw. sie deine Nummer im Display gesehen haben und deshalb auch beim achten Klingeln nicht abheben, bleibt noch die Adoptionsvermittlung.
Sich dem Wutzwerg entgegenzustellen versucht man ein oder zwei Mal und ist dann eines Besseren belehrt. Dauer und Intensität des Tobsuchtsanfalls verhalten sich proportional zum erfahrenen Gegendruck. Bleibt eigentlich nur eins: Diese Situationen so gut es geht zu vermeiden. So gestaltet sich der Alltag mit einem Kind in der Trotzphase wie ein 100-Meter-Lauf über rohe Eier. Wenn die Stimmung langsam zu kippen droht, bieten wir unserer Tochter zunächst ein erprobtes Gegenmittel an, das man aber früh genug einsetzen muss: Kakao.
Dazu gehört die folgende Zeremonie: Man nehme ein Glas und fülle es zur Hälfte mit Milch… „MEHR!“ …fülle es zu drei Vierteln mit Milch. Man hebe das Kind alsdann auf die Arbeitsplatte, damit es das Pulver „SELBST!“ aus dem Schrank nehmen kann. Klemme sich das Kind unter den Arm, entnehme DEN EINEN BESTIMMTEN Löffel der Besteckschublade und platziere Pulver auf dem Tisch, Kind am Tisch und den Löffel in seiner Hand.
Man entnehme die angewärmte Milch der Mikrowelle und führe vorsichtig die Hand des Kindes beim Einfüllen des Kakaopulvers… „ALLEINE!“ …äh, führe NICHT die Hand, sondern besorge Besen und Kehrblech. Man lasse das Kind umrühren und animiere zum Probieren… „Warm machen!“ – „Aber es war schon in der Mikro…“ – „WARM MACHEN!!“ „Ja, entschuldige, schon gut!“ Wärme den Kakao noch einmal auf, reiche einen rosa Strohhalm und überlasse das Kind der Sauerei, die es im Folgenden anrichtet. Man freue sich abschließend über den robusten PVC-Boden in der Küche.
Mit etwas Glück schaffst du damit eine Stimmung, die den nächsten Anfall in zweistündige Ferne rücken lässt. Am Ende sinkt man ermattet aufs Sofa, pustet die Haare aus der verschwitzen Stirn und harrt still und unerschütterlich der nächsten Dinge, die da kommen.
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