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Jetzt mal langsam!

Jetzt mal langsam!

Das Jahr ist vier Tage alt und ich bin Wrack. Vorgestern bin ich dreimal einen Hügel hinaufgelaufen, um ihn dann auf einem Holzschlitten wieder hinunterzufahren. Knie und Hüfte fanden die Idee mega-albern und halten sie mir heute noch vor. Gestern an meinem letzten Urlaubstag nutzte ich die Zeit, um von meinen 85 ToDos ausgerechnet das Anspitzen der Holzstifte meiner Tochter auszuwählen. Nicht, dass sie es nicht selber könnte, nur tut sie es eben nicht…

Nachdem ich dann noch unseren 25-Kilo-Flokati in den Kofferraum gehievt habe, fühlt sich mein Ellenbogen schwer nach Schleimbeutelentzündung an. Ach ja, und noch was: Unter trockenen Augen habe ich noch nie gelitten. Gut vielleicht hätte mich das brennende Gefühl in den letzten fünf Wochen stutzig machen sollen, wenn ich es nicht verdrängt hätte. Jetzt – an meinem ersten Arbeitstag – verwandelt sich mein rechtes Auge in Schmirgelpapier und schreit nach einer Flasche Tränenflüssigkeit und einem ausgedehnten Schläfchen.

 

Würde zum einzigen Vorsatz dieses Jahres passen und der lautet: Langsam! Nicht kompatibel mit oben genannten Flokati, der zwar mal was von Leinenführigkeit gehört, diese aber für unnötig befunden hat und mich
derzeit in Höchstgeschwindigkeiten durchs Dorf zerrt. Ideal bei Eis und Schnee! Sehr gut kompatibel aber mit meiner Tochter, die dieses Motto erfunden hat. Leider passt es nicht zu Kindergartenzeiten, Alltagspflichten, Arztterminen und allem anderen, was so ansteht. Macht nichts, wie atmen ein und atmen aus. Wir bleiben ruhig und freundlich.

Mein Mann würde das Konzept der Langsamkeit sofort unterschreiben, fühlt sich aber gerade von mir, den personifizierten Kindergartenzeiten, Alltagspflichten, Arztterminen u.a.d.a. massiv gestört. Das Gute an der Sache: Er hat schon begonnen seinen Vorsatz umzusetzen und trainiert nun wieder eifrig Muskeln im Gästezimmer. Das macht ihn sehr ausgeglichen, wie ich aus Erfahrung weiß. Und: Anscheinend haben Muskeln ein besseres Gedächtnis als ich und luden sich gleich nach der ersten Trainingseinheit auf alte Meister-Proper-Maße auf. Also habe ich auch was davon 😉

Was sonst noch so auf der Liste steht? Dachboden dämmen, Scheune entrümpeln, Weihnachtsbaum I (den mit dem Ballen) in den Garten pflanzen und die zugehörige Ameisenkolonie, die seit dem Aufstellen unser
Wohnzimmer bewohnt, gleich mit auswildern. Weihnachtsbaum II (ohne Ballen) lasse ich einfach stehen. Bis Februar geht das locker. Vielleicht können wir ihn dann an Karneval mit Luftschlangen dekorieren. Ansonsten müsste man mal wieder und sollte man mal, aber ich lasse es lieber gleich und konzentriere mich weiter aufs Atmen.
Euch allen wünsche ich in diesem Jahr gute Luft und gute
Zeiten!
Liebste Grüße
Eure Nachbarin
Joggen für Anfänger

Joggen für Anfänger

In Sport war ich schon immer eine Niete. Kartoffelsack am Reck, Ersatzbank beim Völkerball. Und Sprint? „Langsamer kannst du eigentlich nur noch sein, wenn du rückwärts läufst“, meinte mein Sportlehrer bei den Bundesjugendspielen `91. Es ist mir einfach nicht gegeben. Beim Singen kann ich den Ton halten, beim Malen erkennt man, was es sein soll, beim Speerwerfen eben nicht: „Ich glaube, hier liegt eine motorische Behinderung vor.“ (Besorgter O-Ton vom gleichen Sportlehrer).
 
Die traumatischen Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend haben dazu geführt, dass ich heute noch ein extremer Sportmuffel bin und mich nur im Notfall bewege. Zum Beispiel, wenn
meine kleine Tochter mit wehenden Haaren vom Spielplatzgelände Richtung starkbefahrene Hauptstraße rennt. Aber selbst eine einfahrende Bahn kann mich nicht dazu bringen, meinen Schritt zu beschleunigen. Da warte ich lieber eine halbe Stunde auf die nächste.
 
Ich hab Rücken
 
Addiert mit meinem Schreibtischtäterjob ergibt meine geckogleiche Reglosigkeit das folgende Ergebnis: Meine vielbejammerten 42+, Zellulite sogar an den Oberarmen und ich
habe RÜCKEN! „Das war ja zu erwarten“, höre ich im Geiste meinen Sportlehrer spotten. Jetzt ist Rücken eine Sache, Migräne eine andere. Und da ersteres derzeit immer wieder zu letzterem führt, bleibt mir keine Wahl: Ich. Muss. Mich. Bewegen. (Egal, wie es aussieht)
 
„Wir leben hier in einem Joggerparadies“, sagt mein Mann und meint die 300 Meter, die wir von den Rheinanlagen entfernt wohnen. „Schwing die Hufe!“ Und eine Freundin erzählt:
„Ich war früher genauso unsportlich und dann habe ich mit dem Laufen angefangen. Ein Jahr später bin ich einen Marathon gelaufen.“ Hm, auch mein Vater ist früher Marathon gelaufen. Dann muss ich das doch quasi im Blut haben.
 
Ich begebe mich also in die nächste Sportabteilung und erstehe wichtig aussehende Laufschuhe, die auf hundert Euro runtergesetzt sind. „Der Preis motiviert mich jetzt noch
mehr, auch wirklich anzufangen“, sage ich zu meinem kopfschüttelnden Mann. „Das hat der Fitnessstudiobeitrag auch nie geschafft“, meint er lapidar. „Du musst
es wirklich wollen. Und denk dran, alles was man 21 Mal gemacht hat, wird zur Gewohnheit.“ Schlaumeier.
 
 
Morgenstund‘ hat Sport im Mund
 
Ich nutze also die frühe Morgenstunde, kleide mich in Pyjamahose und T-Shirt (für ein Laufdress hat das Geld nicht mehr gereicht) und stehe schließlich vor meiner Tochter, die
große Augen macht. „Wow“, sagt mein Mann aus dem Hintergrund, „du siehst ja richtig sportlich aus!“ Na, dann kann ich ja hierbleiben, denke ich und will mich gerade aufs Sofa schmeißen, als ein schmerzhaftes Ziehen im Nackenbereich mich an den eigentlichen Grund meiner Ambitionen erinnert.
 
Also los, sage ich mir und ziehe schnellen Schrittes Richtung Rhein davon. Dass ich tatsächlich jogge, kann am ersten Tag nun wirklich niemand erwarten. Am Fluss empfängt mich
eine Nebelwand und ich bin dankbar: So erkennen mich wenigstens die Nachbarn nicht, die da unten ihre Hunde ausführen. In zügigem Tempo geht es Richtung Süden, Ziel ist der hintere Spielplatz mit dem Trampolin. Da möchte ich ein bisschen hüpfen.
 
Ich lasse die Schultern kreisen und so langsam wird mir sogar warm. Das läuft doch großartig, denke ich, als ich in der Ferne den Spielplatz sehe. Dann könnte ich vielleicht doch mal versuchen zu laufen. Locker falle ich in den Trab. Hm, das fühlt sich jetzt aber nicht mehr so lustig an. Egal, die zweihundert Meter bis zum Trampolin muss ich jetzt schaffen. Mein Atem geht stoßweise, erstes Seitenstechen stellt sich ein. Kurz einatmen, laaaange ausatmen.
 
Locker flockig?
 
Mit jedem Schritt vertieft sich meine Gesichtsfarbe, während ich dampflockmäßig den Weg entlangrattere. Eine Kolonie Kaninchen zieht rechts an mir vorbei, weiter hinten sitzen zwei Eichhörnchen mit einem Defibrillator am Wegesrand. Sehe ich so schlimm aus? Mein Sportlehrer hat beim Joggen immer gesagt: „Wenn das Gesicht tiefrot anläuft und sich um den Mund herum ein weißes Dreieck bildet, ist man überlastet.“ Ein Selfie mit dem Handy gibt mir Gewissheit: Ich sehe aus wie ein leuchtendes „Vorfahrt achten“-Schild!
 
Die letzten Meter zum Trampolin lege ich lieber wieder im Schritt zurück. Schwer atmend lasse ich mich auf die daneben stehende Bank fallen. Mal aufs Handy gucken, wie
lange ich schon unterwegs bin. Cool! 15 Minuten. Das ist ja schon die halbe Zeit. Nur grade mal meine Mails checken… Eine Viertelstunde später erhebe ich mich leicht angefroren, um den Rückweg anzutreten. Fürs Trampolinspringen habe ich keine Zeit mehr. Ich muss schließlich auch mal arbeiten und kann nicht den ganzen Tag Sport machen.
 
Als ich einige Zeit später unsere Straße entlangwalke, kommt mir mein Mann entgegen. „Super“, sagt er anerkennend, „du warst ja richtig lange unterwegs! Und du siehst aus,
als wärst du wirklich gejoggt!“ – „Ja, was denkst du denn?“ sage ich leichthin, als ich Kusshändchen werfend an ihm vorbeiziehe. So ein bisschen Sport am Morgen tut doch richtig gut. Darauf erstmal einen Kakao und ein Nutellabrot! 
Hätte ich im Traum nicht gedacht…

Hätte ich im Traum nicht gedacht…

Puh! Habe gestern ein Interview mit einem Traumexperten gelesen. Der sagte, die neueste Erkenntnis ist, dass man die ganze Nacht träumt UND: Je besser man sich an seine Träume erinnert, desto größer der therapeutische Effekt. Therapie kann ich immer gebrauchen! Aber wie erinnert man sich an seine Träume? Ich meine klar, an den einen oder anderen schon, aber an acht Stunden Träumerei (also mit der Maus netto sechs)?

„Man muss sich einfach nur abends beim Einschlafen sagen, dass man sich morgens an alle Träume erinnern will“, sagt der Experte. Klang mal wieder zu einfach, um zu funktionieren und deshalb habe ich es ungläubig – und sehr blauäugig, wie ich heute morgen feststellen musste – gemacht. Der Erfolg war mehr als durchschlagend!

Erstens: Die ganze Familie hat mehr als eine Stunde länger geschlafen. Was das mit meinen Träumen zu tun hat, weiß ich nicht, aber ich wollte es der Vollständigkeit halber mal erwähnen.

Zweitens: Ich hatte vier laaaaange Träume. Eigentlich je zwei Forstetzungsgeschichten, weil Madame Ich-schlafe-niemals-durch mich natürlich geweckt hat.

Drittens: Ich habe groooooße Abenteuer erlebt UND die Welt bereist UND viele Bekannte getroffen.

Viertens: Als ich meinem Mann heute morgen von diesen Träumen erzählen wollte (das gehört nämlich auch zum therapeutischen Gelingen) meinte er entsetzt: Aber doch nicht acht Stunden!!! (Dass es ja eigentlich nur sechs waren, wollte er gar nicht mehr hören.)

Also blogge ich jetzt über meine Träume – in Kurzfassung. Ihr müsst es ja nicht lesen!

Es begann mit einer Flucht – wovor, weiß ich nicht, aber mein Mann und ich hatten die grandiose Idee in einem dieser riesigen, neuen, roten, hochglänzenden usw. Traktoren zu flüchten, die man manchmal in der besserbetuchten Landwirtschaft findet. Und zwar durch die Großstadt! (Wenns mal wieder unauffällig sein muss…)


Irgendwann konnte ich ihn überzeugen, dass es bessere Möglichkeiten gibt, wenn man wirklich unerkannt bleiben will und wir schlugen uns zu Fuß durch einen Dschungel, bis wir schließlich in einem Diner vor einem sehr netten jungen Deputy saßen. Er hat uns nicht erkannt! Weil die Fahndung nach einer Rothaarigen ausgeschrieben war und ich hab ja grade Ombre-Hair, also heller an den Spitzen und schlauerweise einen Hut auf! Ha!

Dann heulte die Maus und ich wachte auf. Grrrrr!!!

Traumteil zwei führte uns in ein österreichisches Bergdorf, wo ich meiner Tante über den Weg lief und ein bisschen quatschte. Mit einem gelben Nähfaden statt mit Kletterseilen bestiegen wir schließlich mit anderen Bergsteigern den Hausberg. Mir war ein bisschen mulmig dabei, so am seidenen Faden zu hängen, aber gut. Oben setzten wir uns in den Schnee, machten am Abend ein Lagerfeuerchen und sahen in die dunkle Ferne. Weit hinten in Frankreich erkannte ich den Ort, an den uns die Flucht noch führen sollte…

Die Maus heulte ein zweites Mal und wir riefen sie zu uns ins Bett. Sie wollte unbedingt VON MAMA MIT FINGERNÄGELN in den Schlaf gekrault werden, deshalb dauerte es ein bisschen.

Dann ging es in den nächsten Traum, der mich zum Pfarrhaus meiner Kindheit brachte, das aber durch eine – ziemlich hässliche – moderne Villa ersetzt worden war. Im Pool davor wusch ich meiner Tochter die Haare und fand sogar einen angeschlossenen Föhn in einer Box, so dass ich meinen wieder einstecken konnte.

Dann drehte sich die Maus – vielleicht war der Föhn zu heiß – und ich wachte wieder auf.

Im letzten Traumteil erkundete ich das Haus und entdeckte, dass es ein riesiges exotisches Hotel war. Mit meinen Eltern saß ich im palmen- und bougainvillebepflanzen Innenhof und frühstückte. Die Ruhe hielt nicht lange, denn ich musste eine Sportmannschaft coachen, die für die Olympischen Spiele trainierte und aus den Erzieherinnen der Kita bestand.

Sehr fordernd die Bande, aber sie holten die Medaille – bei was auch immer – rudern??? Die zu überreichen fiel einem Exfreund zu, der daraus eine Riesenshow machte und das Millionenpublikum (das in Rängen saß, die bis zum Himmel reichten) zu Laola-Wellen animmierte. 

Ich riss die Arme hoch… stieß mich an der Wand und war wach.

Boah wat anstrengend!! Jetzt fühle ich mich irgendwie, als hätte ich gar nicht geschlafen und zwei Tage hinter mir. Da helfen nur Kakao und ein Nutellabrot. Ob ich mir heute Abend nochmal wünsche, dass ich mich an meine Träume erinnere, weiß ich nicht. Eigentlich kann ich das mir und euch nicht antun! („Absolut richtig“, bestätigt mein Mann.)

HINWEIS

Das Interview mit dem Traumexperten Stefan Klein „Träume sind wie eine natürliche Psychotherapie“ (von Sonja Niemann) stand übrigens in der Brigitte Nr. 22, 8. Oktober 2014, die mir meine Mutter überlassen hat.

WÜRG!!

WÜRG!!

Jeder Mensch ist ja auch so ein bisschen seine eigene Freakshow. Ich kenne Leute, die im 28. Stock ohne Sicherung vom Nachbarbalkon auf den eigenen klettern, wenn sie sich ausgesperrt haben. Oder andere, die
eine Schere mit zum Italiener nehmen, weil sie ihre Pizza niemals mit dem Messer schneiden würden. Ich kenne Leute, die 150 Tage lang morgens, mittags und abends Cornflakes essen und am 151 Tag, wenn man gerade 20 Großpackungen mit nach Hause gebracht hat, für immer damit aufhören. All diese Menschen gehören zu meiner Familie und alle sind genauso verrückt wie ich und natürlich sehr, sehr liebenswert.

Bei mir ist es neben vielem anderen ein übermäßig ausgeprägter Hygienefimmel (nein, leider kein Putzfimmel), gepaart mit neurotischem Ekel. Was ich zum Beispiel gar nicht haben kann, ist der gemeinsame Verzehr von Speisen. Das heißt nicht, dass ich mit meiner Pasta einsam vor dem Fernseher sitze, während der Rest der Familie am Küchentisch zu Abend isst. Nein, es geht um die partnerschaftliche Benutzung von Besteck oder das Leeren von Tellern, die nicht meine eigenen sind. Noch heute erinnere ich mich mit Grauen an angelutschte Bonbons, angekaute Hörnchen oder angebissene Magnums, die meine Freundinnen großzügig mit mir teilten. Nicht ahnend, was sie mir damit antaten.
Die Neurose
Diese Neurose macht weder vor meinem Mann noch vor meiner Tochter halt, weshalb vieles – in Ermangelung eines tierischen Endverbrauchers im Haushalt – im Müll landet. Und es tut mir auch Leid, aber ich kann einfach nicht. Und es geht natürlich noch weiter: Ich habe nämlich große Angst vor Keimen. Während andere Frauen einen Lippenstift in der Handtasche mit sich führen, ist es bei mir die Hand-Desinfektion. Man weiß ja nie. Auch heute kam sie wieder zu Einsatz.
Ich also mal wieder bei Rewe. Töchterlein war auf unserer Einkaufstour schon bei Aldi eingeschlafen und wir schoben eine völlig weggetretene Dreijährige im Einkaufswagen durch die Gänge. Weil die Leute schon komisch guckten, entschied ich mich, Ehemann und Kind im Auto zu lassen. Ich schnappte mir das
PET-Leergut und stellte mich mutig dem Automaten, der mir immer mit offensichtlichem Vergnügen die Hälfte der eingelegten Flaschen hämisch ins
Gesicht zurückspuckt.
Aber, oh Glück: diesmal klappte es sogar besser als sonst. Bis auf eine kleine Flasche, nahm er alles an. Geistesabwesend schraubte ich sie auf und blies hinein, um das Etikett zu glätten, bis ich mir letzteres genauer ansah. OH NEIN!!!! Das war gar keine Flasche von uns, sondern diese ominöse, die ich eine Woche zuvor im Hof aus dem Gebüsch geklaubt hatte und die – OH GRAUS!!!!  – sehr wahrscheinlich einem dieser Handwerker-Typen gehört hatte, die die Hauswand neu gestrichen hatten. WÜRG!!!
Keime satt
Ich stellte mir bildhaft vor, was ich mir mit der Aktion nun alles eingefangen hatte. KEIME!!! Meine Nackenhaare stellten sich auf, meine Handflächen wurden feucht, langsam bildete sich Schaum vor meinem Mund. Die ersten Krankheitsanzeichen??? Zitternd suchte ich in meiner Handtasche nach dem Hände-Desinfektionszeug und verrieb es großzügig auf meinen Lippen. GANZ. SCHLECHTE. IDEE. Das Zeug brennt wie Hölle!!! Ahhhhhhhhhhhhhh!!
Vom anderen Tunnelende des Automatens schauten mich zwei blaue Augen teils befremdet, teils mitleidig an. Der Azubi war wohl gerade dabei, das Leergut zu sortieren und fragte sich wahrscheinlich, was für eine Gestörte da vor seinem Automaten rumzappelte. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, meine Bons noch an der Kasse einzulösen, nur noch, dass ich eine Ersatzleggings meiner Tochter aus der Tasche riss und als Spucktuch vors Gesicht hielt (ja, auch aus Scham). Das Ganze ist jetzt drei Stunden her. So langsam lässt der Speichelfluss nach. Dafür habe ich psychosomatisches Sodbrennen. Ich meine, was, wenn ich doch was geschluckt habe???
Ich finde, die müssten außer Hand-Desinfektion auch draufschreiben, dass man sich das Zeug nicht in den Mund reiben soll. Wäre ich jetzt in den USA würde ich klagen, klagen, klagen und Millionen an Schmerzensgeld kassieren. So aber nehme ich mir noch eine Portion Eis, lege mich ins Bett und träume von einer keimfreien Welt.
OP oder nicht OP?

OP oder nicht OP?

Unsere Tochter spricht seit etwa zwei Wochen mit englischem Akzent. Soll heißen aus Ball wird Balllll, aus toll wird tolllll, so wie in „well“. Kann man ein „l“ rollen? Falls ja, dann tut sie genau das.  Jetzt gibt es mehrere Theorien:

1)    Sie war in einem vorherigen Leben Jane Austen und das kommt jetzt langsam durch.
2)    Sie schaut heimlich, nachdem wir ins Bett gegangen sind, Sesamstraße in Originalfassung.
3)    Sie hat den Akzent von ihrer Erzieherin. Aber die heißt Carmen Gonzales, also eher unwahrscheinlich. 

4)    Sie hört nicht gut.

An weitere Theorien will ich im Moment gar nicht denken. Aber da man uns zeitgleich in der Kita ans Herz gelegt hat, ihre Ohren checken zu lassen („Irgendwie muss man ihr in letzter Zeit alles drei Mal sagen, bevor sie reagiert!“ – „In letzter Zeit??? Das ist schon seit der Entbindung so!!!“) haben wir uns entschieden zum HNO zu gehen. Schon wieder.

Mit dem Trend

Heutzutage gehört es ja zum guten Ton, sich im Kindergartenalter mindestens fünfmal die Rachenmandeln (die heißen nämlich gar nicht Polypen) entfernen zu lassen und je ein schickes Röhrchen im Gehörgang zu tragen, damit das Trommelfell nicht platzt. Da wir ja moderne Eltern sind und daher auch jeden Trend mitnehmen, hatten wir das dahingehende Potential unserer Tochter bereits abchecken lassen.

Das Ergebnis: „Herzlichen Glückwunsch!!! Ihr Kind hat riiiiiiiiiiesige Polypen. Das sind wahre Bazillenschleudern. Wir machen eine klitzekleine OP und nehmen sie einfach raus.“ – „Cool! Das freut uns!“ „Außerdem hat sie Unterdruck in den Ohren. Vielleicht haben Sie Glück und sie darf irgendwann auch ein bis zwei Paukenröhrchen tragen.“ – „Oh ja, das wäre echt schick, kann man das irgendwie fördern…?“

Nachdem unsere naturkundlich angehauchte Kinderärztin kürzlich auch noch versicherte „Ihre Kleine hat einen tollen Erguss im Ohr“ und damit prahlte „meine Kinder haben mit zwei schon die Polypen rausgehabt“ war klar: Auf den Zug müssen wir aufspringen!! Da man jedoch auf einer Schiene bekanntlich nicht gut fährt, wollten wir nun noch eine zweite Experten-Meinung einholen und folgten einer Empfehlung unserer Nachbarin.

Wie!? Sachlich??

Wir also in die HNO-Praxis, da sagt der doch zu uns: „Wir gehen das Thema jetzt mal ganz sachlich an.“ – „Wat denn, sachlich?!“ fragten wir etwas perplex. „Ich schau mir jetzt mal Ihre Tochter an und es ist wichtig, dass Sie dabei ganz neutral bleiben.“ – „Hallo guter Mann, ich bin Mutter, das ist das Gegenteil von neutral. Und ich will das Beste für mein Kind.“ – „Eben“, meinte er und löste vorsichtig meine Hand, die sich etwas nervös um den Oberarm meiner Tochter gekrallt hatte.

Etwas eingeschüchtert folgten wir der Untersuchung. Selbst unsere Tochter verzichtete dieses Mal darauf, Zeter und Mordio zu schreien. Und dann kam die Diagnose – ich hatte schon so was befürchtet: „Ihre Tochter braucht keine Operation, die braucht ein Taschentuch!“ – „Hä?“, fragte ich, wohl etwas zu emotional, denn er trat mich gegen das Schienbein. „Wir wollten doch sachlich bleiben…“ – „Äh ja, ‚tschuldigung.“

„Also Ihre Tochter hat Schnupfen und ansonsten nur ganz leicht vergrößerte Rachenmandeln, die man definitiv nicht operieren muss“, sagte er. „Oh!“, hauchte ich und warf meinem Mann einen kurzen Blick zu. Er hatte es ja immer schon gesagt… „So geht es übrigens 90 Prozent der Kinder, die man operiert. Aber so ein Belegarzt will ja auch irgendwie seinen Sommerurlaub finanzieren.“ Stimmt, diese armen Belegärzte haben es ja auch nicht leicht.

„Und was ist mit Pauken….“ – „Die Ohren ihrer Tochter sind völlig in Ordnung“, unterbrach er mich. „Die einzige Krankheit, die sie hat heißt ‚Kindergarten‘.“

Mit hängenden Schultern verließ ich die Praxis. Auf dem Weg zur Apotheke, um homöopathische Nasentropfen zu holen, blickte ich auf unsere fröhlich umherhüpfende Tochter und dann in das Grinsegesicht meines Mannes und seufzte laut: „Na gut, dann kriegt sie eben Ohrringe.“