Unsere Linde ist ne Sau!
Mein Freund, der Baum… ist tot! Zumindest, wenn er so weiter macht. Eigentlich würden wir ja im Lindenweg wohnen. Tolle Adresse. So naturnah! Stattdessen wurde die Straße unbenannt in irgendwas, das man immer zweimal buchstabieren muss. Das liegt daran, dass nach und nach zwölf der einst 13 Linden weichen mussten. Bis auf eine. Unsere.
Als wir unser Haus zum ersten Mal besichtigten, hingen ihre sattgrünen Blätter schmeichelhaft vor einem Großteil der Fassade. Unsere Linde ließ ihre grünen Arme baumeln und sah einfach nur romantisch aus, so zwei Meter vor dem Hauseingang. Das bisschen Kehren, dachte ich im Juni 2015 und tat es mit Begeisterung jeden Tag. Einfach, weil nichts anderes zu tun war.
Diesen Zustand, also, dass nix zu tun ist, kenne ich heute nicht mehr. Das interessiert die Linde, die ich zwischendurch mal „Linda“ getauft habe, aber nicht. Derzeit braucht es einen Windstoß und es schneit gelb. Und wie wir alle wissen: Bei gelbem Schnee sollte man immer etwas skeptisch sein. Wenn ich von der Haustür zum Auto will, muss ich waten. Kürzlich ging unser Hund verloren. Wir fanden ihn nach einer Stunde Suche in einer Blätterlawine am Fuße der „Linda“.
Nun ist es ja so, dass mein Mann es ja immer schon gesagt hat. Das trifft auf die meisten Dinge zu, die ich entschieden habe, aber hier besonders. Denn in Frühling, Sommer, Herbst und Winter lässt sich aus unterschiedlichen Gründen hervorragend darauf hinweisen, dass er den Baum ja „weggemacht“ hätte. Anders als andere Städte, die was auf sich halten, kennt unsere keine Baumverordnung. Hier darf jeder fröhlich roden und abschlagen, was ihm unter Axt und Astschere gerät. Daher wohl auch der Verlust der zwölf Linden und unseres Straßennamens.
Hat den Nachteil, dass ich mich hier mit meiner Liebe zur Natur durchsetzen musste. Gegen meinen Mann und ein bisschen auch gegen meinen Vater, der es dankenswerterweise nicht erwähnt, wenn er unseren K(r)ampf mit der Linde beobachtet. Ich setzte mich also durch, trotz der Beschwörung von Dauerschatten und Dauerdreck und die Gefahr, dass Wurzeln Kanäle und Mauern perforieren. Einige Gartenwegplatten sprechen da schon eine deutliche Sprache.
Die Linde also steht, so wie sie es seit geschätzen 80 Jahren tut. Sie wurde vom Baumkletterer stark gestutzt – ich bin ja kompromissfähig – und entblöste eine Fassade, die sich lieber weiter hinter Blättern versteckt hätte. Ansonsten hält sie böse Geister von Haus und Hof fern, füttert die Bienen der Nachbarin für den leckeren Lindenblütenhonig, beherbergt im Sommer eine Kleiberfamilie, ein Rabenpaar und Ringeltauben (in dieser Reihenfolge), die ihr Kinderzimmer genau vor unserem Schlafzimmerfenster aufgeschlagen haben.
Zu ihren Füßen habe ich mit meiner Schwiegermutter einen kleinen Vorgarten angelegt. Hübsche Steine, hübsche Töpfe mit hübschen Blumen, eine hübsche Bank. Hübsche Zwergerl und so Zeuch und det Janze umrahmt von einem – ihr ahnt es – hübschen Zaun. So war es jedenfalls mal. Am Anfang. Bevor der Sommer und dann der Herbst kam.
Mein Mann verbrachte Juli, August und September damit, unsere vom Lindensaft völlig verklebten Autos zu waschen und dabei zu sagen, dass er es ja immer schon gesagt hat. Ich verbrachte den Sommer damit, alles zu wässern, was unter Linda weder Licht noch Regen abbekommt. Also alles! Bis ich im Herbst keine Lust mehr hatte zu wässern. Jetzt ist es welk. Was man aber nicht sieht, weil ja drei Tonnen Blätter draufliegen. Drunter ist alles, aber auch wirklich alles schwarz. Blumen schwarz, Steine schwarz, Töpfe schwarz, Zwergerl schwarz. Lindenkleb + Straßenstaub gleich Teer. Offensichtlich.
Terrakottafrosch, der mal nicht schwarz war. |
Kurz, unsere Linda ist eine Sau. Mein Freund, die Sau… Ein Glück, dass ich so tierlieb bin.
Eure Nachbarin
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