Jul 14, 2014 | Reine Beziehungssache
Ein Törchen, große Wirkung: Mein Mann ist seit gestern Nacht unheimlich gut drauf und meine Tocher ist heute freiwillig im Deutschland-T-Shirt in den Kindergarten gegangen! Und das, wo sie doch das ganze Jahr schon in ihrem Froschkostüm rumläuft und nur an Karneval – als ich gerne wollte – jegliche Koorperation verweigert hat… Ich selbst werde mir nächsten Samstag beim Frisör die Haare schwarz-rot-gold färben lassen. Also zumindest rot! Und das Auto werden wir auch umlackieren. Obwohl, vorher müsste man es mal grundreinigen…
Wahrscheinlich haben sich die Argentinier das gestern auch gedacht: Man müsste mal wieder ein Tor schießen. Und was ist passiert? Nix.
So geht es auch meinem Mann und mir dauernd. „Man müsste mal wieder das Küchenfenster putzen!“ (Wie? Da ist ein Fenster?!). „Man könnte mal den Keller aufräumen!“ (Mit ner Ladung TNT sollte das kein Problem sein). „Wir sollten mit unserer Tochter zum Babyschwimmen gehen…“ (Unsere Tochter ist drei Jahre alt! Stimmt, die Idee auch…) Ein Syndrom, auch als „Partnerschaftliches Konjunktiv“ bekannt.
Den Vogel abgeschossen hat mein Mann vor einer Woche: Unsere Tochter erzieht sich gerade selbst zur Sauberkeit. Wir unterstützen das nur mit bereitgestelltem Töpfchen und einer Tabelle an der Wand, in die sie nach jedem erfolgreichen Geschäft ein Bildchen malen darf. Mittlerweile macht sie alles allein, inklusive Töpfchen ins Klo leeren. Das klappt mal besser, mal schlechter.
Letzte Woche also schlechter: Unter der Schüssel hatte sich ein verdächtiger feuchter Fleck gebildet und mit jeder verstreichenden Stunde roch das Badezimmer mehr nach Bahnhofsklo Duisburg. Meistens schreite ich in solchen Fällen zur Tat, aber diesmal hatte ich einfach keine Lust. Ich hab mir das dann einen Tag lang angeguckt und darauf gewartet, dass er was merkt. Also, mein Mann. Ja, manchmal bin ich trotz meiner 37 Jahre von einer Naivität geprägt, die mich selbst erstaunt…
Als nichts passierte und am nächsten Tag die ersten Ratten an der Hauswand hinauf liefen, ging ich in die Küche, nahm meinen Gatten liebevoll an der Hand und führte ihn ins Bad. Dann probierte ich aus, was eine Freundin mir kürzlich als gewaltfreie Kommunikation nach Mashall B. Rosenberg vorgestellt hatte.
Schritt 1: Beschreiben. „Guck mal Schatz, unsere Tochter hat ihr Töpfchen gestern etwas schwungvoll geleert. Unter der Toilette ist ein Fleck und es stinkt.“ Mein Mann: „Echt?“ Schritt 2: Gefühle äußern: „Ich fühle mich deshalb sehr unwohl.“ Mein Mann verständnisvoll: „Du Arme!“
Und dann hatte ich leider Schritt drei und vier vergessen und fiel gnadenlos in mein altes Kommunikationsmuster zurück: „Da müsste man mal was gegen tun!“ Mein Mann dachte angestrengt nach und sagte dann: „Ok, ich mach mal das Fenster auf!“ Tat es, wandte sich um und ging pfeifend in die Küche zurück.
Die nächsten fünf Minuten verbrachte ich mit Sakrotan-Spray und Lappen unter der Kloschüssel. Deutschlaaaand, Deutschlaaaaaand!!!
Jun 2, 2014 | Ne Story
Kürzlich gab es in meiner Nachbarschaft einen kleinen Aufruhr. Autos, die gerade von der Fähre aufs Festland gefahren waren und nun ihren Weg fortsetzen wollten, wurden an einer Kreuzung aufgehalten von etwas, das wir ein Flummi wutschnaubend auf dem Zebrastreifen herum sprang und unartikulierte Laute ausstieß. Ja, ich gebe zu, manchmal geht es auch mit mir durch. Grundsätzlich bin ich für meine Verhältnisse geradezu unermesslich stoisch, wenn es um die Anliegen, Bedürfnisse, Forderungen und Tobsuchtsanfälle meines Kleinkindes geht. Das sagt sogar meine Mutter – und die kennt mein Temperament besser als die meisten anderen.
Aber alle zwei Tage gibt es so einen Moment, da muss es raus. Und dann unterscheide ich mich wenig von meiner Rumpelstilzchen-Tochter. Die Auslöser sind meist banal, manchmal sogar lustig. Aber wehe, einer lacht! Es ist, wie beim Nudelnkochen. Ich schaffe es, auch nach 25 Jahren Praxis immer noch regelmäßig (sehr zur Freude meines Mannes), den Herd so einzustellen und das kochende Wasser solange zu
vergessen, dass es unter dem Glasdeckel in großen salzigen Blasen hervorblubbert und das Ceranfeld überschwemmt. Aber ich schweife ab…
Der Auslöser für meinen denkwürdigen Auftritt vergangene Woche war ein Spängchen, fliederfarben, auf schwarz-weiß-gestreiftem Asphalt. Das Spängchen meiner Tochter, das eigentlich in ihrem Haar zu stecken hatte. Das Spängchen, das sie aber dennoch seit zehn Minuten in der Hand trug. Der Hand, mit welcher sie mich am lang ausgestreckten Arm auf Besonderheiten hinwies, während wir so an der stark befahrenen
Hauptstraße entlangflanierten. Ihre andere Hand steckte in meiner. „Mama, nicht so ziehen!“ „Kind, die fahren dir gleich den Arm ab, wenn du ihn weiter so auf die Fahrbahn hältst.“
Ich wiederrum navigierte mit meiner freien Hand ein Gefährt, für das wir mittlerweile dorfweit bekannt sind. Die Farbe ist zitrusgrün – würde ich sagen – es hat drei Räder, eine Schubstange mit Täschchen, wenn man will ein Sonnendach und ein integriertes Handy, das sieben bis zehn Melodien abspielt. An der Schubstange hing wiederum eine dieser dünnen grünen Plastiktüten, wie man sie beim Gemüsemann bekommt. Denn wir kamen gerade vom Gemüsemann. In dieser Tüte lagerten zwei Schälchen erntefrischer Erdbeeren aus der Region – sehr reif – und der Apfel, den sich meine Tochter dort immer aussuchen darf.
Zusammengenommen entsprach das Gewicht so sehr dem Vorderbau des Dreirads, dass es gerade noch aufrecht stehen blieb. Am sinnvollsten wäre ja nun gewesen, meine Tochter mit ihren 15 Kilogramm Lebendgewicht auf den Dreiradsitz zu komplementieren – allein: „NEIN! Ich will laufen!!“ Zur mangelnden Energie, mich an dieser Stelle durchzusetzen, gesellte sich eine gewisse Überhitzung meinerseits. Mal wieder eher der Wettervorschau geglaubt, die Regen und 14 Grad vorausgesagt hatte, als dem Blick in dem sonnigen Himmel, war ich mit meiner Softshelljacke etwas überausgestattet. Und wollte nur noch schnell heim.
Transpirierend und Fragen zu einem Plakat beantwortend, das auf eine Dinosaurierausstellung hinwies, versuchte ich also, schwankendes Dreirad, zappeliges Kind und mich selbst sicher an der Hauptstraße entlang zu navigieren. Bis wir zum Zebrastreifen kamen, an dem etwa 13 Autos darauf warteten, dass wir die Straße zügig überqueren würden. Vielleicht hab ich ein bisschen gezerrt – jedenfalls ließ meine Tochter kurz nachdem wir die Straße betreten hatten, das Spängchen fallen. Ich merkte es, war aber unter der Anstrengung die andere Seite zu erreichen, versucht, das Geschehen zu ignorieren.
Nicht mit meiner Tochter. „Mein Späääängchen!!!“, hob sie an. Resigniert schob ich das Dreirad mit einem kurzen Ruck auf den Bürgersteig, tat so, als ob kein einziges wartendes Auto ins Sicht wäre, hetzte mit meiner Tochter zurück auf die andere Seite und ließ sie das Spängchen aufheben. Ein Fehler! Gerade wieder zurück beim Dreirrad, schallte es wie ein akustisches Déjà-Vu an mein Ohr: „Mein Spääääängchen!!!“ Ungläubig drehte ich mich um, und sah das Corpus
Delicti wieder auf der Straße liegen. Diesmal mitten auf dem Zebrastreifen. Ich nahm die Hand ruckartig von der Dreirradlenkstange, um meine Tochter wieder auf den Zebrastreifen zu schleifen, da passierte es: Mit einem fast unhörbaren Geräusch folgte das Dreirrad seinem Übergewicht und ließ sich Lenkstange voran einfach fallen: AUF DIE ERDBEEREN!!! Denn Rest kennt ihr.
Meine Tochter reagierte auf meinen Anfall so souverän, wie man es von einer kleinen Erziehungsberechtigten für zwei gestresste Mittdreißiger nur erwarten
kann. Sie sammelte mich ein, zog mich von der Straße, ließ mich das Dreirad raufrichten und setzte sich kommentarlos auf den Sitz. Fünf Minuten später waren wir zu Hause. Zum Abendessen gab es Erdbeerbrei.
Mai 6, 2014 | Reine Erziehungssache
Saß ich jüngst in einem der klapprigen Nahverkehrsmittel, die im südlichen NRW Städte und Städtchen verbinden. Es war 18 Uhr, die Bahn voll und es roch nach einem langen Arbeitstag. Ein paar Reihen weiter hing eine Frau in ihrem Sitz: die Augen geschlossen, den Mund geöffnet. Ihr Kopf schwankte willenlos mal Richtung Fenster, mal Richtung Sitznachbar.
Erst machte ich mir Sorgen… Doch dann öffnete sie kurz die Augen und darin las ich. „Ich bin berufstätige Mutter von drei Kindern! Ja, und ich schlafe hier! Weil ich sonst nicht dazu komme! Und es ist mir sowas von egal, ob ich dabei dämlich aussehe. Wehe, es weckt mich jemand auf! Mit etwas Glück verpasse ich meine Haltestelle und fahre einfach immer weiter im Kreis…“
Kinder und Schlaf sind inkompatibel…
Dafür müssen die Kleinen noch nicht mal auf der Welt sein. In der Schwangerschaft fängt es an: Wadenkrämpfe lassen einen im vierten Monat rumpelstilzchenartig aus dem Bett hüpfen. Dann folgt die Blase, die zwar irgendwann leer ist, sich aber nie so anfühlt. Der Bauchschläfer hat ja schon früh verloren, der Rückenschläfer – also ich – spätestens, wenn er bei dem Versuch, in der geliebten Position einzuschlafen, in Ohnmacht fällt. Nach der Entbindung folgt „24/7/2-3“ (auch bekannt als zwei bis drei Stunden Taktung).
Jetzt kommt das alles nicht wirklich überraschend, hat man sich doch im Normalfall neun Monate lang ins Thema eingearbeitet. Dass so ein Erdenneuling nicht von Anfang an elf Stunden durchschläft, erwartet auch niemand. Dass das Thema „Schlafmangel“ aber auch drei Jahre später noch akut sein könnte, hat uns keiner gesagt!! Meine Familie hat sich in ein wanderndes Feldlager verwandelt, immer auf der Suche nach ungestörten Nächten.
Kürzlich ist mir aufgefallen, dass ich mich abends nur noch selten umziehe, sondern ermattet in Straßenklamotten irgendwo niedersinke. Ich dachte noch: „Das war doch früher nicht so…“, da fiel mein Blick auf ein vertrautes abendliches Bild: Mein Mann mit Bettdecke, Wolldecke, Kissen, Oropax und Kindle im Arm wankte verwirrt durch die Wohnung auf der Suche nach einem guten Schlafplatz für die Nacht. „Klar, dachte ich: Früher lag mein Schlafzeug immer am Fußende meines Bettes unter meiner Decke. A propos, wo ist überhaupt meine Decke? Wo habe ich letzte Nacht geschlafen?“ Kopfkratz!
Der beste Schlafplatz der Wohnung befindet sich egal wo, Hauptsache weit weg von unserer Tochter. Neben ihr zur Ruhe zu kommen ist, als würde man versuchen, im FC-Fanblock ein Nickerchen zu machen, wenn die Mannschaft gerade verliert… Da unsere Tochter allerdings nach wie vor Probleme mit „weit weg“ im Zusammenhang mit „schlafen“ hat, gibt es Nacht für Nacht eine Abstimmung darüber, wer bei ihr, soll heißen, in einer ruhelosen ringkampfartigen Umarmung mit dem Kinde schläft.
Ehebett???
Schon lange ist aus unserem Ehebett ein Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind-Bett geworden. Dort schläft der, der nicht arbeiten muss, nicht krank ist, eine Wette verloren oder wie in meinem Fall, unerlaubt Schokolade gegessen hat. (Es gibt da so einen Vertrag zwischen mir und meinem Mann, aber dazu ein andermal.)
Auf diese Weise haben sich schon die folgenden Schlafkonstellationen ergeben: Alle im Gästezimmer (zu Beginn) | alle im Schlafzimmer mit Beistellbett | alle im Schlafzimmer mit zugestelltem Kinderbett | alle im Elternbett inkl. Zombieeffekt am Morgen. Dann: einer im Gästezimmer, zwei im Schlafzimmer | einer auf der Wohnzimmercouch, zwei im Schlafzimmer | Tochter im Gitterbett im Kinderzimmer, zwei glückliche Eltern im Ehebett (da war sie etwa 20 Monate alt – netter Versuch!).
Dann eine Phase, die ich lieber vergessen will: Einer im Schlafzimmer, zwei im Kinderzimmer – Tochter im Gitterbett, einer auf der Matratze davor. Daraus wurde in meinem Fall leeres Gitterbett, Mutter- und Tochter auf 90er Matratze auf dem Boden… Heute schlafe entweder ich mit meiner Tochter im früheren Ehebett und mein Mann im eigens aufgestellten großen Bett im Kinderzimmer oder umgekehrt. Wer niemals im Kinderzimmer schläft, ist unsere Tochter…
Nicht selten finden auch mitten in der Nacht schlaftrunkene Wechsel statt. Wenn zum Beispiel Tochter mit Mutter zusammenliegt, erstere aber unausgesetzt nach Vater schreit. Dann lässt man sich nach zwei Stunden schon mal überreden. Beim Wechsel der Zimmer im Dunkeln mit Bettzeug und allem anderen Firlefanz (s.o.) gilt übrigens die Regel rechts vor links.
Apr 26, 2014 | Reine Erziehungssache
Die Trotzphase ist etwas, das jeder kennt. Dafür muss man nicht Eltern sein. Feldstudien in Supermärkten, auf Spielplätzen oder in Fastfood-Restaurants sind anschaulich genug. Was es aber bedeutet, so einem Wutzwerg (wie man diese menschgewordene Götterdämmerung verniedlichend nennt) Tag für Nacht ausgeliefert zu sein, muss man am eigenen Leib erfahren. Es ist ein bisschen, als würde man mit baumelnden Beinen am Kraterrand eines Vulkans sitzen und in die friedlich blubbernde Lava starren – in dem naiv-fälschlichen Glauben, dass etwas, das so hübsch aussieht, doch unmöglich so schnell in die Luft gehen kann.
Es kann! Die Ursachen sind ebenso vielfältig, wie marginal. Man sitzt zum Beispiel an einem wunderschönen Frühlingstag auf einer Wiese in den Rheinauen und das Kind verliert plötzlich seinen Grashalm. Nun ist es ja nicht, so, dass man auf 110 Hektar Rasenfläche nicht einen zweiten finden könnte. Im Gegenteil hat man sogar die nicht unerhebliche Auswahl unter 27 Mrd Halmen (es ist ein sehr dichter Rasen). Aber finde mal den einen, den persönlichen, den besonderen Grashalm deines Kindes dort wieder BEVOR es merkt, dass es aussichtslos ist.
Denn wenn es das merkt, presst die Druckwelle seines Geschreis alles Grün auf die Erde, lassen die Bäume freiwillig ihre Blätter fallen und entwickelt der Tretbötchen-Teich eine Tsunamiwelle, von der die Angestellten im 40. Stock des Posttowers auch noch was haben. „ICH! WILL! MEINEN! HAAAAAALM!!!!!!!“ „Wie heißt das Zauberwort?“ „JEEEEEEETZT!!!!!“ Nein, dieser Dialog ist natürlich Quatsch. Als könnte man mit einer Zweijährigen in diesem Stadium überhaupt noch eine Art von Konversation betreiben. Völlig aussichtlos!
Als Eltern hat man in solchen Situationen mehrere Möglichkeiten. Befindet man sich gerade in den eigenen vier Wänden, werden erst einmal die Fenster geschlossen. Dann entfernt man sich von der Gefahrenquelle. Immerhin: Ab 85 Dezibel kann das Innenohr schon Schaden nehmen. Hier sprechen wir aber eher von 130. Also Düsenjäger aus 30 Meter Entfernung, inklusive Schallmauerdurchbruch. Nicht immer kann man sich von der Gefahrenquelle entfernen. Etwa, wenn die Gefahrenquelle sich nicht entfernen lässt – vom Bein an das sie sich klammert. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass sich handelsübliche Schallschützer für die Ohren in diesen Momenten immer außer Reichweite befinden.
Hat man es doch geschafft, das Zimmer zu verlassen, die Tür hinter sich geschlossen und sich schwer atmend dagegen gelehnt, kann man unterschiedliche Anrufe tätigen. @Ehemann: „Komm sofort nach Hause. DEINE Tochter flippt mal wieder aus!“ @Oma: „Hättest du Zeit zum Babysitten? Wann?! JETZT!!!“ @Nachbarin: „Du hast doch letztens von diesen Rescue-Tropfen erzählt. Kannst du die rüberbringen?“ Wenn keiner da ist bzw. sie deine Nummer im Display gesehen haben und deshalb auch beim achten Klingeln nicht abheben, bleibt noch die Adoptionsvermittlung.
Sich dem Wutzwerg entgegenzustellen versucht man ein oder zwei Mal und ist dann eines Besseren belehrt. Dauer und Intensität des Tobsuchtsanfalls verhalten sich proportional zum erfahrenen Gegendruck. Bleibt eigentlich nur eins: Diese Situationen so gut es geht zu vermeiden. So gestaltet sich der Alltag mit einem Kind in der Trotzphase wie ein 100-Meter-Lauf über rohe Eier. Wenn die Stimmung langsam zu kippen droht, bieten wir unserer Tochter zunächst ein erprobtes Gegenmittel an, das man aber früh genug einsetzen muss: Kakao.
Dazu gehört die folgende Zeremonie: Man nehme ein Glas und fülle es zur Hälfte mit Milch… „MEHR!“ …fülle es zu drei Vierteln mit Milch. Man hebe das Kind alsdann auf die Arbeitsplatte, damit es das Pulver „SELBST!“ aus dem Schrank nehmen kann. Klemme sich das Kind unter den Arm, entnehme DEN EINEN BESTIMMTEN Löffel der Besteckschublade und platziere Pulver auf dem Tisch, Kind am Tisch und den Löffel in seiner Hand.
Man entnehme die angewärmte Milch der Mikrowelle und führe vorsichtig die Hand des Kindes beim Einfüllen des Kakaopulvers… „ALLEINE!“ …äh, führe NICHT die Hand, sondern besorge Besen und Kehrblech. Man lasse das Kind umrühren und animiere zum Probieren… „Warm machen!“ – „Aber es war schon in der Mikro…“ – „WARM MACHEN!!“ „Ja, entschuldige, schon gut!“ Wärme den Kakao noch einmal auf, reiche einen rosa Strohhalm und überlasse das Kind der Sauerei, die es im Folgenden anrichtet. Man freue sich abschließend über den robusten PVC-Boden in der Küche.
Mit etwas Glück schaffst du damit eine Stimmung, die den nächsten Anfall in zweistündige Ferne rücken lässt. Am Ende sinkt man ermattet aufs Sofa, pustet die Haare aus der verschwitzen Stirn und harrt still und unerschütterlich der nächsten Dinge, die da kommen.
Apr 19, 2014 | Reine Erziehungssache
Ein langes selbstreflektierendes „Hmmmm“ entschlüpfte mir heute bei der Lektüre eines Artikels zum Thema: „Mama, wo bist du?“ Na, nicht hier! Zumindest nicht geistig. Ich muss Mails checken (wenn vielleicht auch
nicht 148). Außerdem: Whatsapps nachgucken, SMS schreiben, News lesen, die Fahrzeiten der Schiffslinie nach Köln googeln, Fotos bearbeiten, Blogs schreiben und Artikel lesen… Lange, nicht selbstreflektierte „Hmmmms“ sind deshalb oft die Antwort auf mannigfaltige Anfragen meiner Tochter, während ich dies tue. Eigentlich kein Zustand oder zumindest einer, den man besser dem Jugendamt melden sollte.
Wenn – ja, wenn dieses Verhalten nicht den Großteil einer Elterngeneration beträfe, die an und für sich das Beste für ihre Kinder will und tut. Zumindest in den Minuten, in denen sie nicht auf einen Bildschirm
starrt. Die Studie einer großen Krankenkasse hat ergeben, dass die Deutschen täglich über drei Stunden einen Screen oder ein Display fixieren. Und das nur in der Freizeit! Macht also für alle Vollzeit-Büroleute und sonstige PC-Arbeiter mehr als zehn Stunden werktäglich. Wenn ich mir unseren eigenen Alltag anschaue, ist das durchaus realistisch. Oh Graus!
Schuld ist natürlich – wer hätte etwas anderes gedacht – mein Mann. Er ist genauso verantwortlich für das massive Endgeräteaufkommen in unserer Wohnung, wie ich für Papiervögelchen und Kissen in Vintage-Postsack-Optik. Der überdimensionierte Flachbildfernseher, der das Wohnzimmer verunstaltet, geht ebenso auf sein Konto wie Pods, Pads, Kindles, Smartphones und Laptops. Ohne ihn hätte ich wahrscheinlich keinen Fernseher, ein geerbtes Handy von 2009 und viele neue Bücher – aus Papier. Trotzdem will und kann ich keinen meiner Screens mehr missen und meinen Mann natürlich auch nicht.
Für unsere 2,5-jährige Digital Native bedeutet das alles neben Elektrosmog und geistig abwesenden Eltern vor allem eine bewundernswerte Expertise in Sachen Touchpad-Navigation. Schon mit eineinhalb Jahren suchte sie sich ihre Videos auf dem iPod selbst aus, schaute Fotosstrecken an und versuchte, das Laptop-Ladekabel in ihr Liederbuch zu stecken. Das Wort „Aufladen!“ (ja, mit Ausrufezeichen) gehörte zu ihrem frühesten Wortschatz. Der erste von ihr selbst gegoogelte Begriff war übrigens „McDonalds“, der zweite „Määähry Christmas“. Heute kann sie „Jonalu“ – den Titel ihrer Youtube-Abendserie – fast schon alleine eintippen.
Für eine Mutter, die Bullerbü für die idealste aller Welten hält und ihr Kind am liebsten auf Wiesen, Weiden und im Matsch sieht – also für mich – ein Grund, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Eigentlich! Gäbe es da nicht diese neue Entwicklung: Unsere Tochter interessiert sich plötzlich wesentlich mehr für Pfützenpatschen, Ameisenbeobachten und Hühnerstreicheln als für Padpod und Konsorten. „Jonalu“ gehört zum Abendprogramm, der musikalisch tänzerische Output der Serie bereichert unseren Alltag. Ansonsten: Mal ein kurzer Switch durch die aktuellsten Bilder, ganz selten ein interaktives Wimmelbild, hin und wieder die eigenen Baby-Videos auf dem Laptop gucken. Das war’s. Vorerst!
Was wir von unserer Tochter derzeit lernen können? Zehn Minuten lang konzentriert auf ein Stück Wiese starren kann ereignisreicher und erfüllender sein, als jeder screentransportierte Inhalt. Binsenweisheit ja – aber ich hätte sie fast vergessen und werde meinem Mann gleich mal davon erzählen, wenn er das Tablet weglegt und den Fernseher ausmacht und ich meinen Blog beendet habe…
Neueste Kommentare