Dez 1, 2014 | Ne Story
Kürzlich habe ich mich mit meiner Freundin Marisol über frühe Kindheitserinnerungen unterhalten. So mit fortschreitendem Alter kommen die ja langsam wieder. Eigentlich sollen sie ja erst so ab dem dritten Lebensjahr langsam einsetzen. Als Mutter finde ich das manchmal traurig: Die Maus wird sich nicht an ihren ersten Tag am Meer erinnern oder an den ersten Schnee. Andererseits aber auch nicht an den Tag, als ich sie mit einem dieser kribbeligen Kopfhaut-Massage-Dinger erschreckte und sie sich die Stirn an der Tischecke aufschlug. (In der Notaufnahme waren sie sehr nett und die Narbe ist schon fast verheilt…)
Im Gespräch mit Marisol kamen wir darauf, dass wir zwar frühe Erinnerungen haben, ABER ja nicht wissen können, ob es echte Erinnerungen sind ODER Erinnerungen an Erzählungen ODER Erinnerungen an Erinnerungen. Könnte ja auch sein! Wenn ich mich an meinem dritten Geburtstag mit meinem Kurzzeitgedächtnis an etwas erinnere, dass ich mit – sagen wir Zweidreiviertel – erlebt habe und mich dann mit Dreieinhalb daran erinnere, an was ich mich an meinem dritten Geburtstag erinnert habe und so weiter und so fort… kommt doch am Ende eine astreine Erinnerung bei raus!
Superacht versus Smartphone
Jetzt hatten wir Ende der siebziger Jahre ja nicht die mediale Gedächtnisstütze, die die Kids von heute haben. In jedem Lebensmoment steht doch irgendeiner daneben, der das Ganze mit dem Smartphone als Video oder wenigstens im Bild festhält. Über uns gab es höchstens noch einen wackeligen Superachtfilm. Und mit „einen“ meine ich „einen“. Immerhin weiß ich dadurch, dass ich als Einjährige im Ungarn-Urlaub fast mal von der Schaukel gefallen wäre…
Unsere Tochter liebt es, sich Videos von sich selbst anzuschauen (heiliger Egozentrismus) und gibt ihrer Erinnerung damit immer wieder einen neuen Anstoß. So weiß sie auch noch, dass sie sich mit eineinhalb das Bein gebrochen hat (Gips bis zur Hüfte). Wenn man sie fragt, welches Bein und wo genau, kann sie es schneller und präziser zeigen, als wir.
Marisol meint übrigens, sie hat nicht ganz so viele Kindheitserinnerungen. Sie ist auch ein paar Jahre jünger als ich – also zwei. Je mehr ich so über meine ersten Lebensjahre nachdenke, desto mehr fällt mir wieder ein. Vielleicht habe ich aber auch nur eine blühende Fantasie (Krebsgeborene und so). Ein frühes Bild habe ich zum Beispiel von einer Amsel, die vor unserem Küchenfenster an einer mit Körnern gefüllten Kokosnuss schaukelt. Ein Foto gibt es davon nicht. Vielleicht ist es also eine Erinnerungen ersten Grades.
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Ok, ein Foto gibt es offensichtlich doch. Mist! Aber in meiner Erinnerung war es eine Amsel. Wirklich!! |
Das Osterhasen-Trauma
Aus der Kindergartenzeit habe ich dann schon richtig viele. Wie ich zum Beispiel stolz mein neues Wissen über die Nichtexistenz des Osterhasens mit den anderen teilte und die Erzieherin dann vor versammelter Mannschaft sagte: „Quatsch. Natürlich gibt es einen!“ Heute kann ich sie verstehen. (Mein Trauma lässt auch langsam nach.) Oder der Moment, als ich im Urlaub so „dumdidumdidubdidei“ in ein Schwimmbecken hineintaperte, bis ich nur noch Wasser und Luftblasen vor Augen hatte… und als nächstes die Armbanduhr meines Vaters, der mich (dankenswerterweise) wieder rauszog. Da war ich wohl so vier.
Vielleicht bin ich, was diese ganzen Erinnerungen angeht, auch ein bisschen obsessed. Ich entstamme einer Familie von Ahnenforschern und Autobiographie-Schreibern, von Fotosammlern und Nie-etwas-Wegschmeißern. Sowas färbt sicherlich ab. Andererseits gibt es auch ein gutes Gefühl zu wissen, dass man von einem Südtiroler Freiheitskämpfer des 18. Jahrhunderts abstammt. Das erklärt so einiges. Sollte meine Tochter mal ein Ahnenforschungsinteresse entwickeln, wird es schwerer, denn „Multikulti-Kid“ müsste ihre Vorfahren gleich in sieben verschiedenen Ländern aufspüren…
Hmm… die Überschrift „Weihnachten auf dem Märchenschloss“ deutet darauf hin, dass ich eigentlich über was ganz anderes schreiben wollte und irgendwie vom Kurs abgekommen bin (ich glaube Seefahrer gehörten nicht zu meinen Urahnen). Jedenfalls schreibe ich über die wunderschöne vorweihnachtliche Märchenschlosserfahrung, an die sich meine Tochter später BITTEBITTE erinnern soll, einfach beim nächsten Mal.
Einen frohen Advent wünsche ich Euch! Und wenn ihr mögt, teilt doch Eure ersten Kindheitserinnerungen mit mir!!
Nov 3, 2014 | Reine Erziehungssache
Der Trend geht zu langen Überschriften 😉
Also, ich bin ja irgendwie vom Fach. Hab in grauer Vorzeit mal Pädagogik studiert UND abgeschlossen. Jahaaa! Aber es hatte wohl seinen Grund, dass ich den Schwerpunkt auf Erwachsenenbildung gelegt habe.
Trotzdem hatte ich eine diffuse Idee davon, wie ich denn mein Kind erziehen wollte, bzw. vor allem wohin: Zu einer selbständigen, toleranten, selbstbewussten, engagierten und natürlich glücklichen chülersprecherin. Als ich kürzlich ein Goldenes Ehepaar fragte, welche Werte sie ihren drei Kindern mitgegeben haben, sagten sie „Benehmen“ (sonst nichts). „Hmm!“, guckte ich etwas betreten.
Andererseits, wenn ich mir meine Tochter so anschaue: Ein bisschen Benehmen würde nicht schaden. Und Respekt! Und Grenzen! Aber der Zuch ist wahrscheinlich abgefahren, die frühkindlichen – das ganze Leben prägenden Jahre – fast vorbei. Das Kind quasi in den Brunnen gefallen. Ich freu mich schon auf die Pubertät.
Aber was ist eigentlich passiert?
Also, erstens erzieht man ja sein Kind nicht allein. Das ist die Krux. Drücken Sie mal ihre rudimentären Vorstellungen von ausgedehnten Waldtagen mit einem ausgeprägten Stubenhocker durch. Oder die Idee, das Kind ohne mobile Endgeräte erziehen. Stieß sich ebenfalls an der Realitätskante. Das ein ITler und eine Online-Redakteurin ein Kind ohne Pad-, Pod- und Phone-Affinität aufziehen ist eben eher unwahrscheinlich.
IIIIICH hab ja als Kind kaum ferngesehen und meinen ersten CD-Player bekam ich mit 18. Okay, vorher hatte es auch wohl noch keine gegeben. Oder fast! Aber dafür hatten mein Bruder und ich neben unseren eigenen Zimmern ein riesiges Spielzimmer. Mit ’nem Regal aus einer alten Bäckerei vom Boden bis zur Decke voll mit buntem Zeug. Das wünsche ich meiner Tochter auch. Spielsachen satt.
Dieser Wunsch kollidiert wiederum mit unserer Quadratmeterzahl und den Ansichten meines Mannes: „IIIIICH habe meine ganze Kindheit durch nur drei Playmobil-Figuren und zwei Star Wars-Figuren gehabt und das Wars, äh war’s!“ Kein Wunder, dass er mit Ohren und Nase gleichzeitig wackeln und seinen Arm zweimal um die eigene Achse drehen kann. Mit irgendwas muss man sich ja beschäftigen. Jedenfalls muss unsere Tochter nun für jedes Spielgerät, das dazukommt, eins aussondern.
Was noch? Gesunde Ernährung. Sind wir eigentlich beide für, aber unsere Tochter nicht. Obwohl, wenn man es genau betrachtet, ist sie eigentlich Veganerin: „Ich will Nudeln mit Soße, aber ohne Soße!“. Das mit der zuckerfreien Ernährung klappte bis eineinhalb. Das mit der endgerätfreien Erziehung immerhin fast bis zwei. Dann brach sie sich das Bein und (wir) musste(n) vier Wochen Gips bis zur Hüfte (er-)tragen. Da gibt man
dann schon mal auf.
Auch die Idee, sie in einen multilingualen, integrativen Montessori-Wald-Kindergarten mit naturwissenschaftlich-anthroposophischem Bildungsansatz zu schicken,
mussten wir begraben. Hey, wir HABEN einen Kitaplatz, was will man heutzutage mehr. Und dann: Mandarin lernen am Nachmittag, Reitstunden für Kleinkinder, Zirkusschule? Wann das denn noch alles?
Also was haben wir?
Eine Dreijährige, die seit ihrem zweiten Geburtstag von acht bis halb drei in die Kita geht und danach von fünf engen Familienmitgliedern betreut und
aufgezogen wird. Ein Kind, das jeden Tag vor die Tür kommt, Laufrad fährt wie der Teufel und problemlos drei Kilometer marschiert, wenn auch über Asphalt.
Eine Entdeckerin, die einen Marienkäfer von einer Feuerwanze und eine Eichel von einer Haselnuss unterscheiden kann, allerdings auch „Die Sendung mit der
Maus“ von „Jonalu“ und Firefox von Safari. Eine Leseratte, die etwa hundert Bücher besitzt und gefühlt alle auswendig kennt und die gleichzeitig das Tablet so virtuos bedient, dass die Oma runde Augen kriegt.
Ich glaube eher nicht, dass sie mal Schülersprecherin wird. Aber authentisch wird sie sein, tolerant und sozial, großherzig und lustig. Ganz einfach, weil sie es immer
schon war. Und Glück? Das können wir ihr wünschen. Erkennen muss sie es selbst.
Okt 26, 2014 | Reine Erziehungssache
Ein neuer Tag beginnt. „KAKAAAOOO!!!!“ schallt es aus dem Kinderzimmer. „Aber sicher meine Süße, es macht gar nichts, dass es erst sechs Uhr ist und du mich aus dem Tiefschlaf geweckt hast. Sahne dazu?“ Nein, das ist natürlich ein Märchen. Also zumindest meine Antwort. In Wirklichkeit habe ich mich nämlich wie jeden Morgen unwillig umgedreht und mir die Decke über den Kopf gezogen, in der naiven Annahme, ich könnte meinem Schicksal entgehen.
Naiv und irrig! Denn keine zehn Sekunden später dringt ein Heulen durchs dicke Federbett: „MAMAAAAAAA!!!! KAKAAAOOOOOO!!!“ Gefolgt von einem Zerren an der Bettdecke. „Lass mich in Ruhe, es ist noch viel zu früh“, stöhne ich, hieve widerwillig strampelnde 16 Kilo Lebendgewicht in mein Bett und gönne mir den ersten Hexenschuss des Tages. „Schlaf doch noch ein bisschen, Schatz“, murmelt neben mir mein Mann – endlich auch mal aufgewacht – bevor ihm ein Schmerzensschrei entfährt. „Aua, du kleines Aas, das waren meine Nieren.“
Struktur und Rituale
Man soll Kinder ja mit Struktur und gleichbleibenden Ritualen erziehen. So in etwa hört sich also unser tägliches Morgenritual an, souverän choreographiert von unserer dreijährigen Tochter, die seit einiger Zeit zur
Diva mutiert ist und sich einen ganzen Stab an Hauspersonal hält: Mutter und Vater, sowie zwei Omas und einen Opa. Echt ich will ein Gehalt! Während sie im Kindergarten mit „bitte“ und „danke“ arbeitet, hält sie sich zu Hause nicht mit anstrengenden Höflichkeitsfloskeln auf.
Ein gebellter Befehl, ein lautes Kreischen, dass in ein gepeinigtes Jaulen übergeht, wenn die Welt mal wieder nicht begreifen will – also einfach zu blöd und unfähig ist, zu kapieren – was man will. Obwohl man
sich doch klar ausgedrückt hat!!! „KAKAO!!“ heißt erstens: sofort! Zweitens: 34,5 Grad. Und drittens: zu servieren mit langstieligem Löffel und einer Auswahl an drei verschiedenfarbigen Strohhalmen. Und auch dann gibt es Fallstricke, die das Projekt noch zum Scheitern verurteilen können.
Das Kind endet dann regelmäßig schreikrampfend auf dem Fußboden. Und es ist noch nicht mal halb acht. Das heißt der Kampf um Strumpfhose und Pullover-Auswahl steht noch bevor. Der gute Erzieher bleibt ruhig
und konsequent, lässt dem Kind die Wahl, wo es möglich ist und setzt sich durch, wenn er es für wichtig hält. Also: „Schatz! Heute ist es kalt, du hast also die Auswahl zwischen diesen drei warmen Strumpfhosen.“ „Neeeeeeiiiiiiiiii!“ „Wie nein?!“ „Ich will keine Jacke anziehen!“ „Süße es geht gerade nicht um die Jacke, sondern um die Strumpfhose.“ „Ich will aber Leggins.“
Der Kampf geht weiter
Irgendwie schaffen wir es fast immer bis acht Uhr in den Kindergarten, wo sie dann bis halb drei ihre brave, vernünftige, selbständige Seite zeigt („Wie, du kannst schon seit drei Monaten deine Leggings alleine
anziehen???“). Es heißt ja, dass man gute Erziehung daran erkennt, wie sich das Kind bei Fremden benimmt. Ich glaube ja eher, dass sie den ganzen Vormittag Kraft sammelt, um nachmittags wieder den Kampf aufzunehmen. Der geht weiter, sobald wir die Wohnung betreten.
Jesper Juul sagt: Wenn ein Kind immer wieder versucht, das Gleiche durchzusetzen, dann liegt es daran, dass es noch nicht versteht, dass eine Regel etwas Wiederkehrendes ist. Immer schon werden nach dem Reinkommen die Hände gewaschen. Das heißt, nachdem ich meine Tochter in schmutzverkrusteten Gummistiefeln durch die gesamte Wohnung verfolgt oder an besseren Tagen eine langwierige Diskussion gewonnen habe. Mich strengt das so an, dass ich mich um 15 Uhr gerne hinlegen würde, um danach gleich ins Bett zu gehen. Jesper Juul würde wahrscheinlich sagen: „Das Kind hat die Regel begriffen. Erst der Kampf, dann das Händewaschen.“ Danke auch.
So geht es dann eigentlich den ganzen Tag weiter. „Mama, wenn ich auf Klo sitz, musst du draußen warten… NEEEEIIIIN, nicht da, auf der anderen Seite!!!“ (Soll heißen: Nicht rechts von der Tür, sondern links) „Mama, mach mir einen tiefen Zopf. Einen TIIIIIIIIEEEEEFEN!“ – „Tiefer geht nicht!“ – „WAAAAAHHHHH!“. Oder: „Papaaaaaa???“ (über drei Räume hinweg) „PAPAAAAA, kommaaaaaaa!“ Ehemann schleppt sich ins Schlafzimmer. „Neeeeeeeiiiiiin, Mama soll kommen!!!!“
Lachen verboten
Grundsätzlich verboten sind Unterhaltungen unter Erwachsenen, lautes Lachen (manchmal auch leises Schmunzeln) und jegliche Art von Anforderungen an Eure Majestät, die sich auf Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Ruhezeiten oder etwa Chaosbeseitigung beziehen. Immerhin, da ist sie konsequent.
Auf die elterliche Stimmung wirkt sich der tägliche Ringkampf auch nicht unbedingt positiv aus. Aber ein Silberstreif erscheint am Horizont: Eine Freundin hat mir eine Bachblütenmischung versprochen, die kleine Zornpuckel wieder zu sich selbst finden lässt. Wir hätten gerne eine Zweiliter-Flasche. Ach so, und dann noch was fürs Kind.
Sep 1, 2014 | Ne Story, Reine Erziehungssache
Ich habe mal wieder eine wahre Geschichte rausgehauen. Sie ist wirklich fast ganz haargenau so in etwa passiert. Fakt ist: Meine Tochter ist ein völlig immateriell eingestellter Mensch, der die Kaufhof-Kinderabteilung als Spielzeugmuseum betrachtet. Von wem sie das wohl hat…
Das Schnullergeschenk
Es gibt Kinder, die schlafen ab dem dritten Monat durch, essen alles, was man ihnen vorsetzt, geben ihren Schnuller mit eineinhalb freiwillig ab. Und es gibt unsere Tochter. Sie schläft nur durch, wenn man sie
zu Beginn der Tagesthemen ins Bett legt. Sie isst so gut wie nichts von dem, was man ihr vorsetzt und sie war auch mit zwei weit davon entfernt, jemals ihren Schnuller abzugeben.
Anläufe mit lustigen Geschichten und Schnullerfeen hatte es viele gegeben. Unsere Tochter reagierte darauf wie immer, nämlich gar nicht. Also wagte ich eine kleine Umfrage im Freundeskreis. „Unserem Konrad mussten wir den Schnuller nicht abgewöhnen, er hat nie einen gebraucht.“ Ja, ich weiß, dachte ich im Stillen, und er hat auch mit drei Monaten durchgeschlafen…
„Lisa hat ihren Schnuller an Weihnachten in die Krippe gelegt, für das Jesuskind.“ Wow, coole Idee! Weihnachten kam, unsere Tochter entwickelte eine ungeahnte Begeisterung für „Baby Jesus“ und nannte sogar ihre
Lieblingsente nach ihm. Bloß ihren Schnuller, den bekam er nicht. Freunde berichteten indes von Freunden, die eine „Schnuller-Station“ im Kinderzimmer angebracht hatten: Nagel in die Wand, Schnuller mit Schnur dranbinden, Kissen davorlegen. Bei meiner Tochter löste die Installation umgehend einen Wutausbruch aus, den ich ihr nicht ganz verdenken konnte.
Der Weckruf
Und dann kam dieser Vormittag im Café. Neben uns saß ein Herr, rührte in seinem Tee und sagte freundlich. „Sie sollten Ihrer Tochter den Schnuller abgewöhnen, sie hat einen offenen Biss.“ Es stellte sich heraus, dass er Zahnarzt war und wusste, wovon er sprach. Das Gespräch wurde zum Weckruf für unsere Tochter. Todesmutig erklärte sie am Abend: „Ich schmeiß den Schnuller jetzt weg.“
Eine Entscheidung mit Folgen… Die Fachliteratur prophezeit unentschlossenen Eltern maximal zwei bis drei unruhige Nächte, wenn es um die Schnuller-Entwöhnung geht. Aber die kennen ja auch unsere Tochter nicht. Nach drei Wochen (!) zermürbenden Kampfes und Minimalschlafes hatten wir es endlich geschafft. Der Schnuller war Geschichte, eine riesige Belohnung musste her.
Wir also wildentschlossen in die Kaufhof-Kinderabteilung. Ich dachte an XXL-Plüschgiraffen und dreistöckige Puppenhäuser mit kleinen Bettchen, Schränkchen und Mini-Toilette. Selbst mein Mann hatte einen großzügigen Tag und sprach die legendären Worte „Such dir etwas Schönes aus, Schatz!“ Zu mir hat er das noch nie gesagt…
Mit großen Augen stand ich vor einem detailgetreuen Bauernhof und sagte zu meiner Tochter: „Guck mal, Süße, wie schön!“ Sie sah sich alles an, schaute dann begeistert zu mir hoch und meinte: „Toll! Darf ich jetzt
Rolltreppe fahren? Bitte Mami!!“ Na gut, dachte ich. Dann also erst Rolltreppe fahren. Wir haben ja Zeit. Ich schickte Mann und Tochter aufs mobile Stufenelement und schaute mich weiter um.
Im Kinderhimmel
Oh, eine Kindergitarre, wie süß. Und ein echter Laptop! Krass!! Puppen, Puzzles, Wasserspielzeug. Ich war im Kinderhimmel. Und meine Tochter fuhr immer noch Rolltreppe. Ich fing sie oben ab und klatschte in die
Hände. „So Mäuschen, jetzt gibt es Geschenke!“ Wir streiften durch die Gänge, ließen sie auf Schaukelpferden reiten, mit einem Grizzlybären spielen, ein ferngesteuertes Auto lenken, machten ein Foto mit Biene Maja. Und dann sagte sie plötzlich: „Gehen wir jetzt nach Hause?“ „Ja, willst du dir denn nichts aussuchen?“, fragte ich entgeistert. „Nein, danke.“ (Sie sagte wirklich danke).
Irgendwie fühlte ich mich in meiner Mission empfindlich gebremst und konnte gerade noch ein enttäuschtes „Och!“ unterdrücken. Anderseits war ich auch sehr stolz auf meine immateriell eingestellte Tochter.
„Das hat sie von mir“, tat ich meinem Mann kund, bevor ich schnell mit einem lila Pferde-Schlüsselband, vier Blumen-Ausstanzern und einer total stylischen Stofftasche zum Selberbemalen Richtung Kasse lief. Warum sollte ich mir nicht auch mal was gönnen.
Das wollte ich immer
schon haben!Als ich zurückkam, sah ich Mann und Tochter andächtig vor einem kleinen Basketballkorb stehen. „…und dann musst du den Ball da oben reinwerfen“, hörte ich meinen Mann erklären und meine Tochter nickte eifrig. Sie drehte sich zu mir um: „Mama, so einen Basketball-Dingsbums wollte ich immer schon haben“, sagte sie inbrünstig. „Super“, antwortete ich mit einem scheelen Blick zu meinem Mann, der früher übrigens einmal passionierter Basketballspieler gewesen ist. An der Kasse stapelten sich dann neben Basketballkorb und zugehörigem Basketball übrigens auf wundersame Weise noch drei Jonglierbälle,
eine Laserpistole und Star Wars-Shuttle. Seltsame Auswahl für eine Zweijährige… Aber mal ehrlich: wir hatten es uns auch wirklich verdient.
Jul 22, 2014 | Reine Erziehungssache
Unsere Tochter spricht seit etwa zwei Wochen mit englischem Akzent. Soll heißen aus Ball wird Balllll, aus toll wird tolllll, so wie in „well“. Kann man ein „l“ rollen? Falls ja, dann tut sie genau das. Jetzt gibt es mehrere Theorien:
1) Sie war in einem vorherigen Leben Jane Austen und das kommt jetzt langsam durch.
2) Sie schaut heimlich, nachdem wir ins Bett gegangen sind, Sesamstraße in Originalfassung.
3) Sie hat den Akzent von ihrer Erzieherin. Aber die heißt Carmen Gonzales, also eher unwahrscheinlich.
4) Sie hört nicht gut.
An weitere Theorien will ich im Moment gar nicht denken. Aber da man uns zeitgleich in der Kita ans Herz gelegt hat, ihre Ohren checken zu lassen („Irgendwie muss man ihr in letzter Zeit alles drei Mal sagen, bevor sie reagiert!“ – „In letzter Zeit??? Das ist schon seit der Entbindung so!!!“) haben wir uns entschieden zum HNO zu gehen. Schon wieder.
Mit dem Trend
Heutzutage gehört es ja zum guten Ton, sich im Kindergartenalter mindestens fünfmal die Rachenmandeln (die heißen nämlich gar nicht Polypen) entfernen zu lassen und je ein schickes Röhrchen im Gehörgang zu tragen, damit das Trommelfell nicht platzt. Da wir ja moderne Eltern sind und daher auch jeden Trend mitnehmen, hatten wir das dahingehende Potential unserer Tochter bereits abchecken lassen.
Das Ergebnis: „Herzlichen Glückwunsch!!! Ihr Kind hat riiiiiiiiiiesige Polypen. Das sind wahre Bazillenschleudern. Wir machen eine klitzekleine OP und nehmen sie einfach raus.“ – „Cool! Das freut uns!“ „Außerdem hat sie Unterdruck in den Ohren. Vielleicht haben Sie Glück und sie darf irgendwann auch ein bis zwei Paukenröhrchen tragen.“ – „Oh ja, das wäre echt schick, kann man das irgendwie fördern…?“
Nachdem unsere naturkundlich angehauchte Kinderärztin kürzlich auch noch versicherte „Ihre Kleine hat einen tollen Erguss im Ohr“ und damit prahlte „meine Kinder haben mit zwei schon die Polypen rausgehabt“ war klar: Auf den Zug müssen wir aufspringen!! Da man jedoch auf einer Schiene bekanntlich nicht gut fährt, wollten wir nun noch eine zweite Experten-Meinung einholen und folgten einer Empfehlung unserer Nachbarin.
Wie!? Sachlich??
Wir also in die HNO-Praxis, da sagt der doch zu uns: „Wir gehen das Thema jetzt mal ganz sachlich an.“ – „Wat denn, sachlich?!“ fragten wir etwas perplex. „Ich schau mir jetzt mal Ihre Tochter an und es ist wichtig, dass Sie dabei ganz neutral bleiben.“ – „Hallo guter Mann, ich bin Mutter, das ist das Gegenteil von neutral. Und ich will das Beste für mein Kind.“ – „Eben“, meinte er und löste vorsichtig meine Hand, die sich etwas nervös um den Oberarm meiner Tochter gekrallt hatte.
Etwas eingeschüchtert folgten wir der Untersuchung. Selbst unsere Tochter verzichtete dieses Mal darauf, Zeter und Mordio zu schreien. Und dann kam die Diagnose – ich hatte schon so was befürchtet: „Ihre Tochter braucht keine Operation, die braucht ein Taschentuch!“ – „Hä?“, fragte ich, wohl etwas zu emotional, denn er trat mich gegen das Schienbein. „Wir wollten doch sachlich bleiben…“ – „Äh ja, ‚tschuldigung.“
„Also Ihre Tochter hat Schnupfen und ansonsten nur ganz leicht vergrößerte Rachenmandeln, die man definitiv nicht operieren muss“, sagte er. „Oh!“, hauchte ich und warf meinem Mann einen kurzen Blick zu. Er hatte es ja immer schon gesagt… „So geht es übrigens 90 Prozent der Kinder, die man operiert. Aber so ein Belegarzt will ja auch irgendwie seinen Sommerurlaub finanzieren.“ Stimmt, diese armen Belegärzte haben es ja auch nicht leicht.
„Und was ist mit Pauken….“ – „Die Ohren ihrer Tochter sind völlig in Ordnung“, unterbrach er mich. „Die einzige Krankheit, die sie hat heißt ‚Kindergarten‘.“
Mit hängenden Schultern verließ ich die Praxis. Auf dem Weg zur Apotheke, um homöopathische Nasentropfen zu holen, blickte ich auf unsere fröhlich umherhüpfende Tochter und dann in das Grinsegesicht meines Mannes und seufzte laut: „Na gut, dann kriegt sie eben Ohrringe.“
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