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Die Diva und ihr Personal

Die Diva und ihr Personal

Ein neuer Tag beginnt. „KAKAAAOOO!!!!“ schallt es aus dem Kinderzimmer. „Aber sicher meine Süße, es macht gar nichts, dass es erst sechs Uhr ist und du mich aus dem Tiefschlaf geweckt hast. Sahne dazu?“ Nein, das ist natürlich ein Märchen. Also zumindest meine Antwort. In Wirklichkeit habe ich mich nämlich wie jeden Morgen unwillig umgedreht und mir die Decke über den Kopf gezogen, in der naiven Annahme, ich könnte meinem Schicksal entgehen.

Naiv und irrig! Denn keine zehn Sekunden später dringt ein Heulen durchs dicke Federbett: „MAMAAAAAAA!!!! KAKAAAOOOOOO!!!“ Gefolgt von einem Zerren an der Bettdecke. „Lass mich in Ruhe, es ist noch viel zu früh“, stöhne ich, hieve widerwillig strampelnde 16 Kilo Lebendgewicht in mein Bett und gönne mir den ersten Hexenschuss des Tages. „Schlaf doch noch ein bisschen, Schatz“, murmelt neben mir mein Mann – endlich auch mal aufgewacht – bevor ihm ein Schmerzensschrei entfährt. „Aua, du kleines Aas, das waren meine Nieren.“
Struktur und Rituale
Man soll Kinder ja mit Struktur und gleichbleibenden Ritualen erziehen. So in etwa hört sich also unser tägliches Morgenritual an, souverän choreographiert von unserer dreijährigen Tochter, die seit einiger Zeit zur
Diva mutiert ist und sich einen ganzen Stab an Hauspersonal hält: Mutter und Vater, sowie zwei Omas und einen Opa. Echt ich will ein Gehalt! Während sie im Kindergarten mit „bitte“ und „danke“ arbeitet, hält sie sich zu Hause nicht mit anstrengenden Höflichkeitsfloskeln auf.
Ein gebellter Befehl, ein lautes Kreischen, dass in ein gepeinigtes Jaulen übergeht, wenn die Welt mal wieder nicht begreifen will – also einfach zu blöd und unfähig ist, zu kapieren – was man will. Obwohl man
sich doch klar ausgedrückt hat!!! „KAKAO!!“ heißt erstens: sofort! Zweitens: 34,5 Grad. Und drittens: zu servieren mit langstieligem Löffel und einer Auswahl an drei verschiedenfarbigen Strohhalmen. Und auch dann gibt es Fallstricke, die das Projekt noch zum Scheitern verurteilen können.
Das Kind endet dann regelmäßig schreikrampfend auf dem Fußboden. Und es ist noch nicht mal halb acht. Das heißt der Kampf um Strumpfhose und Pullover-Auswahl steht noch bevor. Der gute Erzieher bleibt ruhig
und konsequent, lässt dem Kind die Wahl, wo es möglich ist und setzt sich durch, wenn er es für wichtig hält. Also: „Schatz! Heute ist es kalt, du hast also die Auswahl zwischen diesen drei warmen Strumpfhosen.“ „Neeeeeeiiiiiiiiii!“ „Wie nein?!“ „Ich will keine Jacke anziehen!“ „Süße es geht gerade nicht um die Jacke, sondern um die Strumpfhose.“ „Ich will aber Leggins.“
Der Kampf geht weiter
Irgendwie schaffen wir es fast immer bis acht Uhr in den Kindergarten, wo sie dann bis halb drei ihre brave, vernünftige, selbständige Seite zeigt („Wie, du kannst schon seit drei Monaten deine Leggings alleine
anziehen???“). Es heißt ja, dass man gute Erziehung daran erkennt, wie sich das Kind bei Fremden benimmt. Ich glaube ja eher, dass sie den ganzen Vormittag Kraft sammelt, um nachmittags wieder den Kampf aufzunehmen. Der geht weiter, sobald wir die Wohnung betreten.
Jesper Juul sagt: Wenn ein Kind immer wieder versucht, das Gleiche durchzusetzen, dann liegt es daran, dass es noch nicht versteht, dass eine Regel etwas Wiederkehrendes ist. Immer schon werden  nach dem Reinkommen die Hände gewaschen. Das heißt, nachdem ich meine Tochter in schmutzverkrusteten Gummistiefeln durch die gesamte Wohnung verfolgt oder an besseren Tagen eine langwierige Diskussion gewonnen habe. Mich strengt das so an, dass ich mich um 15 Uhr gerne hinlegen würde, um danach gleich ins Bett zu gehen. Jesper Juul würde wahrscheinlich sagen: „Das Kind hat die Regel begriffen. Erst der Kampf, dann das Händewaschen.“ Danke auch.
So geht es dann eigentlich den ganzen Tag weiter. „Mama, wenn ich auf Klo sitz, musst du draußen warten… NEEEEIIIIN, nicht da, auf der anderen Seite!!!“ (Soll heißen: Nicht rechts von der Tür, sondern links) „Mama, mach mir einen tiefen Zopf. Einen TIIIIIIIIEEEEEFEN!“ – „Tiefer geht nicht!“ – „WAAAAAHHHHH!“. Oder: „Papaaaaaa???“ (über drei Räume hinweg) „PAPAAAAA, kommaaaaaaa!“ Ehemann schleppt sich ins Schlafzimmer. „Neeeeeeeiiiiiin, Mama soll kommen!!!!“
Lachen verboten
Grundsätzlich verboten sind Unterhaltungen unter Erwachsenen, lautes Lachen (manchmal auch leises Schmunzeln) und jegliche Art von Anforderungen an Eure Majestät, die sich auf Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Ruhezeiten oder etwa Chaosbeseitigung beziehen. Immerhin, da ist sie konsequent.
Auf die elterliche Stimmung wirkt sich der tägliche Ringkampf auch nicht unbedingt positiv aus. Aber ein Silberstreif erscheint am Horizont: Eine Freundin hat mir eine Bachblütenmischung versprochen, die kleine Zornpuckel wieder zu sich selbst finden lässt. Wir hätten gerne eine Zweiliter-Flasche. Ach so, und dann noch was fürs Kind. 
Die gegen das Chaos verliert

Die gegen das Chaos verliert

Ich räume gerne auf. Vorrangig deshalb, weil ich mir damit die uneingeschränkte Anerkennung meines Mannes erwerbe (anders als beim Kochen). „Wow, das ging ja wieder blitzschnell“, sagt er begeistert, wenn er leergefegte Böden, Tische, Regale, Türklinken und Gardinenstangen (wieso hing da ein Kinderkleid meiner Mutter aus den 50er Jahren?!) bewundert.

Und Bewunderung (m)eines Mannes ist ein seltenes Gut, für eine gestresste Mutter-Schrägstrich-Selbständige Ende 30, die Schokolade einfach lieber mag, als diese grandiose diätische Kohlsuppe und deren einziger Sport sich auf den morgendlichen Ringkampf mit der Tochter beim Strumpfhose anziehen beschränkt (Minus 500 Kalorien – mindestens). Dummerweise muss ich danach Schokolade essen, um wieder Energie für den Tag zu tanken, der vor mir liegt…
Erstaunliche Schätze

Die Kehrseite meiner Schnelligkeit beim Aufräumen ist übrigens, dass ich mich leider immer nur daran erinnern kann, von wo ich etwas weggeräumt habe, aber nicht wohin. An dieser Stelle hört die Anerkennung meines Mannes dann auch abrupt auf. „Schaahaaaatz! Wo hast du mein D-Link DUB-H7 HUB USB hingeräumt?“ – „Ich?? Ich weiß noch nicht mal, was das ist!“   

Meistens war ich es dann doch und die Suche beginnt. Dabei trifft man auf erstaunliche Schätze. Da sind zum Beispiel sämtliche Einrichtungszeitschriften, derer ich seit 2003 habhaft werden konnte. Die kann
ich doch nicht wegschmeißen! Die muss ich alle nochmal lesen, am liebsten gleich… Oder alle Ausgaben der Elternzeitschrift, seit meine Eltern mir 2011 das Abo geschenkt haben. Oh, da ist noch eine mit Versandfolie drum – Dezember 2013… Leergut verteilt sich über Küche, Wohnzimmer und Arbeitszimmer. Kleidungsstücke unterschiedlicher Frische über die anderen Räume. Außerdem Bücher, die ich mal gelesen habe. Es verbietet sich, die ins Altpapier zu schmeißen, aber die AWO-Sozialstelle gegenüber nimmt nur einmal in der Woche an und irgendwie verpasse ich den Termin seit zwei Jahren. Dann Schuhe,
die ich nur einmal anhatte, weil sie Blasen machen – aber hej, die sind ja quasi neu, sogar das Etikett klebt noch drunter und meine Füße wachsen doch nicht mehr, anders als mein Hintern. Aber die jetzt zu den Altkleidern geben? Ich weiß nicht.
Vier Käsereiben und ein Eichhörnchen

So geht es munter weiter. „Schatz, du hast schon wieder eine Käsereibe gekauft!“ – „Ja, ich weiß, aber die anderen drei waren nix.“ – „Und warum hängen die dann noch alle hier rum?“ Na, weil sie neu sind – irgendwie. Und ich es nicht geschafft habe, sie rechtzeitig umzutauschen und ich mich nicht traue, bei der nächsten Einladung zum Dinner mit einer – noch nicht mal guten – Käsereibe als Gastgeschenk aufzutauchen. Meine Tochter ist auch nicht gerade hilfreich. Geschenke interessieren sie ja eher peripher. Aber von Spaziergängen müssen immer Stöcke, Eicheln, Kastanien und was sie sonst noch so findet mitgebracht werden. Die fliegen dann in der Wohnung rum. Eine Nacht habe ich ganz schlecht geschlafen, nur um festzustellen, dass sie eine Haselnuss unter dem Spannbetttuch gebunkert hatte. Ist sie ein Eichhörnchen, oder was?
Meine Lösung für dieses massive Überangebot an Zeug ist seit Jahren dieselbe. Ich kaufe einen neuen Schrank, ein neues Regal, Betten mit
Schubladen – egal, Hauptsache Stauraum! „Wir brauchen noch ein Expedit-Regal“, informiere ich meinen Mann. Wusstet ihr, dass Expedit jetzt Kallax heißt? So
wie Raider plötzlich Twix hieß oder Premiere Sky… Seltsam! Mein Mann jedenfalls rauft sich die Haare. „Wo soll das denn noch hin??“ – „Also, wenn wir den Schreibtisch aus dem Wohnzimmer entfernen und das Regal aus dem Arbeitszimmer ins Wohnzimmer stellen, dann haben wir da wieder Platz…“ – „Nein haben wir nicht! Ich weiß schon nicht mehr, welche Farbe die Tapete im Arbeitszimmer hat.“ Auch wieder wahr. Ich glaube, sie war weiß… „Und wo willst du überhaupt den Schreibtisch hinstellen?“ – „Na, in der Keller, bis wir wieder mehr Platz haben…“ Bevor sein anschließender Lachanfall noch weiter ins Hysterische abgleitet, lasse ich das Thema erst mal fallen.
Wirklich!

Ihr habt mir schon mit vielen Tipps in Sachen Baby-Spinnen-Invasion geholfen (die Kleinen sind übrigens wieder da, machen sich prächtig und wir
leben eine zufriedene Co-Existenz im Schlafzimmer). Wenn ihr also Ideen oder Erfahrungen mit diesem Chaos-Thema habt, bitte her damit. Oder, wenn ihr was
braucht!  Oder jemanden kennt, der was braucht. Vielleicht einen Schreibtisch oder quasi neue Schuhe in Größe 40 oder Käsereiben! Sagt einfach Bescheid und wir gucken, was wir für euch tun können.

Kleine ernstgemeinte Anmerkung
Ich schreibe in meinem anderen Leben immer wieder Artikel
über Armut in Deutschland und weltweit, deshalb ist es umso krasser, sich
bewusst zu machen, in welchem Überfluss man lebt. Trotzdem höre ich von vielen
Ansprechpartnern aus dem sozialen Bereich und der Entwicklungshilfe: „Bloß
keine Sachspenden mehr. Wir werden damit zugemüllt.“ Schlau wäre, erst gar
nicht so viel anzuschaffen, zu erben, sich schenken zu lassen. Aber auch wenn
man reduziert, sammelt sich ja trotzdem vieles an, was sich nicht zu verkaufen lohnt oder was man nicht weggeben/wegschmeißen will. Wie geht ihr damit um?
Backen 2.0

Backen 2.0

Oh Mann, morgen feiert meine Kleine Geburtstag. Und ich bin so aufgeregt! Drei Jahre wird das Kind schon alt und ich hab immer noch nicht mit der Rückbildung angefangen. Jetzt kann ich es auch lassen. Und
mich auf wichtigere Dinge konzentrieren: Die Geburtstagstorte! Lecker und saftig muss sie sein. Vor allem aber muss sie hammermäßig aussehen – und zum Motto des Kindergeburtstages passen. Womit wir beim zweiten wichtigen Ding wären: Das Motto!

Also, zu meiner Zeit – in den sehr frühen 80ern – liefen Kindergeburtstage so ab: Irgendeine Einladung mit Marienkäfern, irgendwelche – zugegebenermaßen endleckeren – Kuchen, Topfschlagen und
Blindekuh, Würstchen mit Pommes, Feierabend. ALLE Kindergeburtstage liefen so ab, meine eigenen und die meiner Freunde. Und auch beim zehnten Mal machte es noch Spaß.

Heute kann man als vorausplanende Mutter Worte wie „irgendwie“ und „irgendwas“ getrost aus seinem Vokabular streichen. Es geht um einen Kindergeburtstag, Herrschaftszeiten. Das bedeutet Recherche, Logistik, Corporate Design! In diesem Jahr habe ich mich für das Motto „Frosch“ entschieden! Meine Tochter sollte schon an Karneval als Froschkönig gehen, weigerte sich aber im entscheidenden Moment, das so liebevoll ausgewählte Froschkostüm anzuziehen. Dafür trägt sie es nun schon das ganze Jahr über. Soll sie also auch ihren Froschgeburtstag haben! Das bedeutet im Klartext: Froschdeko, Froschteller, Froschbecher, Froschservietten, Froschhütchen, Froschtrötchen, Froschessen, Froschspiele,

Froschlieder, Froschalles. Ich seh‘ grün, mein Mann rot! Nach längeren – absolut unnötigen – Diskussionen und einem hilflosen Lachanfall seinerseits rausche ich zur Tür. „Das ist kein Spaß, das ist Ernst!“ Ernst von gegenüber, denn der hilft beim Girlandenaufhängen. Mein Mann hat Rücken. War ja klar. Dafür muss er sich um das deftige Essen kümmern (Froschburger mit grüner Soße), denn ich – BACKE.

Weichen Sie zurück, der Maestro betritt den Raum! In Schürze und mit 25 Rezeptausdrucken zum Thema „die optimale Froschgeburtstagstorte“ aus dem Internet unterm Arm. Es lohnt sich nicht, ein Rezeptbuch anzulegen. Im nächsten Jahr ist schon wieder etwas ganz anderes in.Meine Mutter hat früher meine Geburtstagskuchen mit Eiern, Mehl, Zucker, Butter und wahlweise Mandeln oder gemahlenen Haselnüssen gebacken. Die liebe ich heute noch.

Ich arbeite mit Fondant, Lebensmittelfarbe, Fondantroller (als ich den kürzlich kaufte, bekam die Kassiererin einen Lachkrampf – hab ich nicht verstanden), Modelierwerkzeug und einer SEHR ruhigen Hand. Wehe einer stört!Ach so, den Kuchen muss ich ja auch noch backen. Sonst habe ich ja nix zum Dekorieren. Also, meine Mutter angerufen und den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt.
„Was willst du denn für einen Kuchen backen?“ „Egal, saftig und lecker. Und rund muss er sein. Also eigentlich brauche ich zwei, einen kleinen und einen großen!“ Stille. „Aha…“

Unter telefonischer Schritt für Schritt-Anleitung verarbeitete ich: Eier, Mehl, Zucker und Butter. Kurios! Am Ende hatte ich einen Biskuitkuchen mit Mandarinencreme und einen mit Himbeer. Saftig und lecker!
Dann kommt der spannende Teil. ‚Kneten Sie die Fondantmasse gut durch und geben sie ein paar Tropfen grüner Lebensmittelfarbe dazu‘, hieß es auf der Packung. Das Ergebnis sind tiefgrüne Hände und mintfarbenes Fondant. Leider wird es nicht besser. Ich komme noch bis türkis, um mich dann zur unerwartet ehrlichen Begeisterung meines Mannes für rosa zu entscheiden. „Eine andere Farbe“, jubelt er.

Leider kommen meine vierstündigen Bemühungen zu einem abrupten Ende, als ich schließlich versuche, die Fondantmasse über den Biskuitkuchen zu ziehen. „Ahhhhh! Das suppt!! Hilfe!“ Rosa Masse läuft über meine Hände und vermischte sich mit meinen strömenden Tränen. Mein Mann erkennt die Katastrophe und rief seine Mutter an: „Wir brauchen dich hier!“Drei Stunden später sitzen wir völlig erschlagen auf dem Sofa und starren auf das Werk vor uns. Es ist es vollbracht! Meine Schwiegermutter hat das Problem auf den ersten Blick erkannt und die Sache mit einem trockenen „Tja, Fondant und Cremefüllung vertragen sich eben nicht“, in die Hand genommen. Mit einem Ergebnis, dass sich wirklich sehen lassen kann, findet ihr nicht?

Die Felge

Die Felge

Mein Umfeld kennt mich als ruhigen besonnen Menschen mit Engelsgeduld und Nerven aus Stahl. (An dieser Stelle möchte ich bitte keine Kommentare enger Familienangehöriger lesen.) Nur manchmal, man kann diese Situationen im Jahr an einer Hand abzählen, erwacht das Rumpelstilzchen in mir, der Hulk schält sich aus seinem viel zu engen Anzug, die temperamentvollen Gene der Rothaarigen tanzen Samba…

Es kann eine Kleinigkeit sein, nach einer anstrengenden Woche (die Nudeln sind mal wieder übergekocht) oder aber eine größere Kleinigkeit. Wie vor einigen Wochen, als der Fahrer eines klapprigen Ford meine
Tochter und mich fast umgenietet hat, während er mit 50 Sachen durch die verkehrsberuhigte Zone vor unserem Hauseingang jagte.
Möchtegern-Vettel
Okay, vielleicht ist er auch nur 30 gefahren, aber in der engen Gasse kam mir das wie 200 vor. Mindestens. Und hier ist Schrittgeschwindigkeit!!! Nicht auszudenken, wenn meine Tochter ein Stück weiter von mir weggestanden hätte. Und wenn es um meine Tochter geht, hört der Spaß auf. Dann werde ich zur Löwin und dann brülle ich. Zur Not überbrücke ich mit meiner Stimme kinderleicht die 50 Meter, die dieser Möchtegern-Vettel noch zurücklegte, um dann mit quietschenden Reifen auf dem Behindertenparkplatz zu halten.
In meiner Rage hatte ich mir mein Kind geschnappt und rannte, mit dem freien Arm wild gestikulierend auf den Rowdy zu, der sich als Mittfünfziger mit Wohlstandsbauch und offensichtlicher Zeitnot entpuppte. „Wie
kommen Sie dazu, hier so rumzurasen, hier ist verkehrsberuhigte Zone“, schrie ich, bereits schwer atmend, auf den letzten zwanzig Metern. Währenddessen fing meine Tochter an zu jammern „Mama, nicht böse sein!“ Sie hatte den Ernst der Lage intuitiv erkannt. ER NICHT!
Er motzte irgendwas zurück, schüttelte uns ab wie lästige Fliegen, rannte zur Praxistür des ansässigen Arztes – wahrscheinlich auf dem Weg, seine Beruhigungspillen abzuholen (vielleicht hätte er mir eine Packung mitbringen sollen) – und warf sie mir vor der Nase zu. Also, die Tür. Besagter Tür schmetterte ich in meinem Frust ein Schimpfwort der Kategorie ’nicht für Kinderohren bestimmt‘ an den Rahmen und stand dann etwas hilflos, aber nicht weniger wütend auf der Straße rum.
Kleine Frau, was nun?
Sollte ich ihm hinterherrennen? Das wollte ich meiner ohnehin überforderten Kleinen nicht antun. Sollte ich auf ihn warten? Wie lange sollte das wohl sein. Also entschied ich mich, zu gehen, brauchte aber
definitiv ein Ventil, denn mir stieg immer noch der Dampf aus den Nüstern, mein Puls auf 180. Als ich an dem uralt-Ka vorbeiging überkam es mich und ich trat einigermaßen kräftig gegen den Hinterreifen.
Also, ICH WOLLTE EIGENTLICH gegen den Hinterreifen treten. Leider bezieht sich meine legendäre Unsportlichkeit nicht nur auf meine schneckengleiche Performance beim Sprint oder die Gefahr für alle Zuschauer,
die beim Weitwurf HINTER mir stehen… Ein Sportlehrer diagnostizierte beim Speerwerfen mal eine motorische Behinderung und tat seine Meinung auch vor der ganzen Klasse kund! Ganz offensichtlich hatte er Recht und letztere betrifft auch meine Hirn-Fuß-Koordination.

Anders kann ich nicht erklären, dass es plötzlich laut schepperte und die Felge am Boden lag. (Dass es gar nicht die Felge war, sondern die Radkappe, erklärte mir später mein Mann, ich bin in solchen Sachen nicht so firm). Als also Raser-Rowdy kurz darauf aus der Praxis kam (war ja klar), sah er mich und meine Tochter am Boden knien, in dem erfolglosen Versuch, das abgesprungene Ding wieder „dranzunageln“.

„Was brüllen Sie die Frau so an??“
War seine Laune schon vorher nicht auf dem Höhepunkt, sackte sie jetzt in den Keller ab und er blaffte mich an. „Was haben Sie denn da gemacht???!!“ „Ich äh, also ich habe Ihnen die Felge abgetreten!“, stotterte ich etwas betreten. „Ja, haben Sie sie noch alle???“ plusterte er sich auf. „Wat haben Sie an meinem Auto verloren??“ – „Was brüllen Sie die Frau so an??“, kam unerwartet weibliche Schützenhilfe von der rechten Seite, eine Dame aus der Nachbarschaft hatte die Szene beobachtet.
So langsam wurde ich auch wieder wütend und schob mein schlechtes Gewissen zur Seite. „Was haben Sie hier so rumzurasen, wie ein Verrückter?“, fauchte ich gerade, als im ersten Stock das Fenster aufging:
Meine Freundin hatte das Wortgefecht gehört und rief nun von oben: „Lassen Sie ja die Frau in Ruhe!“ Ich sagte zu ihr: „Haste gesehen, wie der hier reingerast ist?“ Sie natürlich: „Ja, klar!!“ Ich hätte sie küssen können, und mich überkam plötzlich tiefe Gelassenheit.
Ich ließ meinen Blick demonstrativ über das auf dem Behindertenparkplatz geparkte Auto wandern und sagte ruhig: „Ok, dann holen wir jetzt die Polizei!“ Kurz huschten meine Gedanken in Richtung vorbestraft wegen
vorsätzlicher Sachbeschädigung, Sozialstunden, Knast, Jugendamt, völliger sozialer Absturz, Trunksucht und Obdachlosigkeit… dann hatte ich mich wieder gefasst und blickte ihm fest in die Augen.
Er sah von mir zu meiner Freundin im ersten Stock. Dann drehte er sich abrupt um, warf seine Felge (also seine Radkappe) in den Kofferraum und ranzte: „Ich hab ja wohl noch anderes zu tun heute! Termine!“
und war weg. Leider ebenso schnell wie er gekommen war. Unbelehrbar so was. Aber irgendwie war ich zu erleichtert, um mich nochmal aufzuregen. Mit einem warmen Dankeschön, winkte ich meiner Lieblingsnachbarin zu, nahm mein Töchterlein an die Hand und ging endlich meiner Wege.
Das Schnullergeschenk

Das Schnullergeschenk

Ich habe mal wieder eine wahre Geschichte rausgehauen. Sie ist wirklich fast ganz haargenau so in etwa passiert. Fakt ist: Meine Tochter ist ein völlig immateriell eingestellter Mensch, der die Kaufhof-Kinderabteilung als Spielzeugmuseum betrachtet. Von wem sie das wohl hat…

Das Schnullergeschenk
 
Es gibt Kinder, die schlafen ab dem dritten Monat durch, essen alles, was man ihnen vorsetzt, geben ihren Schnuller mit eineinhalb freiwillig ab. Und es gibt unsere Tochter. Sie schläft nur durch, wenn man sie
zu Beginn der Tagesthemen ins Bett legt. Sie isst so gut wie nichts von dem, was man ihr vorsetzt und sie war auch mit zwei weit davon entfernt, jemals ihren Schnuller abzugeben.
Anläufe mit lustigen Geschichten und Schnullerfeen hatte es viele gegeben. Unsere Tochter reagierte darauf wie immer, nämlich gar nicht. Also wagte ich eine kleine Umfrage im Freundeskreis. „Unserem Konrad mussten wir den Schnuller nicht abgewöhnen, er hat nie einen gebraucht.“ Ja, ich weiß, dachte ich im Stillen, und er hat auch mit drei Monaten durchgeschlafen…
„Lisa hat ihren Schnuller an Weihnachten in die Krippe gelegt, für das Jesuskind.“ Wow, coole Idee! Weihnachten kam, unsere Tochter entwickelte eine ungeahnte Begeisterung für „Baby Jesus“ und nannte sogar ihre
Lieblingsente nach ihm. Bloß ihren Schnuller, den bekam er nicht. Freunde berichteten indes von Freunden, die eine „Schnuller-Station“ im Kinderzimmer angebracht hatten: Nagel in die Wand, Schnuller mit Schnur dranbinden, Kissen davorlegen. Bei meiner Tochter löste die Installation umgehend einen Wutausbruch aus, den ich ihr nicht ganz verdenken konnte.
 
Der Weckruf

Und dann kam dieser Vormittag im Café. Neben uns saß ein Herr, rührte in seinem Tee und sagte freundlich. „Sie sollten Ihrer Tochter den Schnuller abgewöhnen, sie hat einen offenen Biss.“ Es stellte sich heraus, dass er Zahnarzt war und wusste, wovon er sprach. Das Gespräch wurde zum Weckruf für unsere Tochter. Todesmutig erklärte sie am Abend: „Ich schmeiß den Schnuller jetzt weg.“

Eine Entscheidung mit Folgen… Die Fachliteratur prophezeit unentschlossenen Eltern maximal zwei bis drei unruhige Nächte, wenn es um die Schnuller-Entwöhnung geht. Aber die kennen ja auch unsere Tochter nicht. Nach drei Wochen (!) zermürbenden Kampfes und Minimalschlafes hatten wir es endlich geschafft. Der Schnuller war Geschichte, eine riesige Belohnung musste her.

Wir also wildentschlossen in die Kaufhof-Kinderabteilung. Ich dachte an XXL-Plüschgiraffen und dreistöckige Puppenhäuser mit kleinen Bettchen, Schränkchen und Mini-Toilette. Selbst mein Mann hatte einen großzügigen Tag und sprach die legendären Worte „Such dir etwas Schönes aus, Schatz!“ Zu mir hat er das noch nie gesagt…

Mit großen Augen stand ich vor einem detailgetreuen Bauernhof und sagte zu meiner Tochter: „Guck mal, Süße, wie schön!“ Sie sah sich alles an, schaute dann begeistert zu mir hoch und meinte: „Toll! Darf ich jetzt
Rolltreppe fahren? Bitte Mami!!“ Na gut, dachte ich. Dann also erst Rolltreppe fahren. Wir haben ja Zeit. Ich schickte Mann und Tochter aufs mobile Stufenelement und schaute mich weiter um.

Im Kinderhimmel

Oh, eine Kindergitarre, wie süß. Und ein echter Laptop! Krass!! Puppen, Puzzles, Wasserspielzeug. Ich war im Kinderhimmel. Und meine Tochter fuhr immer noch Rolltreppe. Ich fing sie oben ab und klatschte in die
Hände. „So Mäuschen, jetzt gibt es Geschenke!“ Wir streiften durch die Gänge, ließen sie auf Schaukelpferden reiten, mit einem Grizzlybären spielen, ein ferngesteuertes Auto lenken, machten ein Foto mit Biene Maja. Und dann sagte sie plötzlich: „Gehen wir jetzt nach Hause?“ „Ja, willst du dir denn nichts aussuchen?“, fragte ich entgeistert. „Nein, danke.“ (Sie sagte wirklich danke).

Irgendwie fühlte ich mich in meiner Mission empfindlich gebremst und konnte gerade noch ein enttäuschtes „Och!“ unterdrücken. Anderseits war ich auch sehr stolz auf meine immateriell eingestellte Tochter.
„Das hat sie von mir“, tat ich meinem Mann kund, bevor ich schnell mit einem lila Pferde-Schlüsselband, vier Blumen-Ausstanzern und einer total stylischen Stofftasche zum Selberbemalen Richtung Kasse lief. Warum sollte ich mir nicht auch mal was gönnen.

Das wollte ich immer
schon  haben!
Als ich zurückkam, sah ich Mann und Tochter andächtig vor einem kleinen Basketballkorb stehen. „…und dann musst du den Ball da oben reinwerfen“, hörte ich meinen Mann erklären und meine Tochter nickte eifrig. Sie drehte sich zu mir um: „Mama, so einen Basketball-Dingsbums wollte ich immer schon haben“, sagte sie inbrünstig. „Super“, antwortete ich mit einem scheelen Blick zu meinem Mann, der früher übrigens einmal passionierter Basketballspieler gewesen ist. An der Kasse stapelten sich dann neben Basketballkorb und zugehörigem Basketball übrigens auf wundersame Weise noch drei Jonglierbälle,
eine Laserpistole und Star Wars-Shuttle. Seltsame Auswahl für eine Zweijährige… Aber mal ehrlich: wir hatten es uns auch wirklich verdient.