Was unseren Stellplatz in Marina di Pisa zum besten Stellplatz aller Zeiten macht, ist nicht die hohe Katzendichte (obwohl das Tochter Hose definitiv anders sieht). Es ist nicht die Lage beim Meer oder die zufriedenstellende Ver- und Entsorgungssituation. Nein, es ist die unmittelbare Nähe zum „Ciclopista del Trammino“, einem Radweg, der entlang einer ehemaligen Bahnstrecke angelegt wurde. Bis in die 1960er verband der Zug Pisa und Livorno über die Küste. Heute rollen hier Räder statt Waggons. 2020 wurde die Strecke neu eingeweiht und sie erfüllt Radlerwünsche, von denen man noch nicht mal wusste, dass man sie hatte: Das Ding ist eben, glatt asphaltiert, breit, führt viele Kilometer durch die Natur und ist durch Felder, Wiesen und Gärten von der parallel laufenden Straße getrennt. An diesem sonnigen und milden Oktobermorgen ist die Fahrradautobahn leergefegt und wie cruisen dahin wie der Wind. Unsere E-Motoren auf Highspeed, die Tochter auf ihrem normalen Fahrrad zwischen uns gespannt, geht es durch Alleen und an Bauernhöfen vorbei in Richtung Pisa.
Für alle die, die Strecke genau wissen wollen, bitte kursiv weiterlesen. Sonst überspringt den Absatz einfach.
Wir folgen der Piste bis zu Via Livornese, an der wir auf einem gut gesicherten, von der Straße getrennten Fahrrad- und Fußgängerweg, weiterfahren. Wir überqueren den Canale dei Navicelli. Dahinter wird es dann kurz etwas verkehrsreicher und wir müssen auf Autos und Busse achten. Dann aber führt uns der Trammino durch eine breite Unterführung in die baumbestandene Via Aldo Moro. Nach ein paar Metern schließt sich halb links ein reiner Radweg an, der zur Via Conte Fazio mit einem gesicherten Fahrradweg führt. Hinter einer Eisenbahnüberführung halten wir uns halb rechts, überqueren die Via Porta a Mare und rauschen durch das Tor der Stadtmauer nach Pisa hinein. Wir folgen der Straße Largo Uliano Martini, bis zu einer stärker befahrenen Kreuzung, schieben unsere Räder über die Straße und tauchen in die Altstadt ein.
Die ruhige Via San Antonio führt uns direkt zur wunderschönen Kirche Santa Maria della Spina am breiten Fluss Arno. Ein Kleinod, das vom Giebel bis zum Fundament mit Figuren und Türmchen verziert ist. Früher wurde hier als Reliquie ein Dorn der Dornenkrone aufbewahrt, daher heißt sie auch Dornenkirche. Nach einer Pause zieht es uns weiter. Der Schiefe Turm wartet. Ein Hüpfer noch über die Ponte Solferino und geradeaus über den Piazza Solferino in die Via del Roma hinein und schon nehmen wir direkten Kurs auf unser ultimatives, erträumtes Urlaubsziel. Mit jedem Meter, den wir uns nähern, wird es voller. Ein Sprachengewirr umfängt uns. Touristen mit Rollkoffern blockieren den Weg. Die ersten Souvenirläden tauchen links und rechts der Strecke auf. Und dann öffnet sich vor uns die weitere Piazza dei Miracoli und wir haben es tatsächlich geschafft! Wir sind mit dem Wohnmobil bis Pisa gefahren und stehen nun vor dem leibhaftigen schiefen Turm!!!!! (Das ist wirklich ein paar Ausrufezeichen wert ;-))
Aller innerer Unkenrufe und Zweifel zum Trotz hat alles super geklappt und so betrachte ich staunend und immer noch etwas ungläubig die prächtigen Bauten, die sich hier stolz in der Vormittagssonne in Szene setzen. In der Mitte der Dom Santa Maria Assunta, links davon das Baptisterium und auf der rechten Seite das weltberühmte Wahrzeichen der Stadt. Um uns herum ist jede Menge Trubel und und ich frage mich, wie das in der Hauptsaison aussieht. Ein bisschen nervös behalte ich unsere Räder im Blick, während nun die obligatorischen Ich-halte-den-Turm-vom-Umfallen-ab-Fotos dran sind. Wer weiß, vielleicht läge das Ding ohne die tatkräftige Mithilfe der Touristen schon lange in Schutt und Asche…
Wir führen unsere Drahtesel über den Platz und stehen kurz darauf entzückt am Fuße des Turms. Hinauf wollen wir heute nicht, aber lassen ganz in Ruhe die architektonische Schönheit vor dem tiefblauen Himmel auf uns wirken. Bis es Tochter Hose zu den Souvenirläden und -stände zieht. Sie findet ein Seidentuch mit Toskana-Motiven und einen kleinen Glaskubus, in dessen Mitte ein eingravierter schiefer Turn zu schweben scheint. Ich kaufe mir eine neue Kappe, die der Ladenbesitzer mit einer langen Teleskopstange von der Decke seines vollgestopften Ladens angelt. Wir werfen einen Blick in einen beeindruckenden Innenhof, mit Säulengängen an allen Seiten. Hier ist der Sitz des Erzbistums Pisa. Dann überholen wir eine Touribimmelbahn und drehen ein paar Runden auf dem Piazza dei Cavalieri. Ein paar Meter abseits des schiefen Turmes ist es ruhiger.
Entspannt folgen wir den Gassen und überqueren schließlich wieder den Arno, diesmal über die Ponte die Mezzo. Auf der Suche nach etwas Essbarem, verfranzen uns ein bisschen hinterm Platz XX. Settembre und finden uns schließlich auf der belebten Einkaufsmeile Pisas wieder. Wir folgen einer Google-Empfehlung und lassen uns nach der Tour einigermaßen erleichtert auf den Außenstühlen der Pizzeria da Nando nieder. Die 4,6 Sternebewertung von Google lügt nicht und so genießen wir fantastische Pizza (was sonst) inmitten von Studis, Einkaufsbummlern, Geschäftsleuten und ein paar Touristen. Es tut gut, einfach nur zu sitzen und die Leute zu beobachten. Dolce far niente. So fühlt es sich an.
Ein Teil von mir möchte sich im Fresskoma jetzt auf den Beifahrersitz eines nahe geparkten Autos knallen und die Rückfahrt ebenfalls mit Nichtstun verbringen. Aber so ist das, wenn man mit dem Wohnmobil unterwegs ist: Vor das Bett für die Siesta hat der liebe Gott die Rückfahrt mit dem Fahrrad gesetzt. Und so schwingen wir uns wieder in den Sattel und passieren den Platz Vittorio Emanuele II. Der Name erinnert zwar an das Monument in Rom, der Ort kann jedoch mit seinem Namensvetter nicht wirklich mithalten. Wir radeln an der Kirche Sant‘ Antonio Abate vorbei auf die Largo Uliano Martini und folgen unserem Hinweg einfach zurück. Bald schon sind wir aus der Stadt heraus und schaffen die Kilometer bis zu unserem Stellplatz in einer knappen Stunde.
Ein bisschen müde, aber mit dem tollen Gefühl alles erreicht zu haben, was dieser Urlaub versprochen hat, ziehen wir uns in unseren Camper zurück.
Sehr froh und ein bisschen stolz, Eure Nachbarin
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